Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 24.01.1968, Az.: V ZR 175/64
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen (Schmutzwasserableitung) das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. Juli 1964 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage hinsichtlich der Ableitung des Oberflächenwassers abgewiesen ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision übertragen wird.
Tatbestand
Die Parteien haben während des Krieges in Wuppertal-Elberfeld je einen Teil eines bis dahin im Eigentum einer Erbengemeinschaft stehenden einheitlichen Grundstücks erworben, und zwar zuerst der verstorbene Ehemann und Rechtsvorgänger der Beklagten im Mai 1943 den der H.straße zu gelegenen Teil mit dem im Krieg zerstörten Gebäude H.straße ... und dem kleineren Teil des damaligen Hintergebäudes, H.straße ..., sodann 1944 die Kläger den der N.straße zu gelegenen Teil mit dem größeren Teil des ehemaligen Hintergebäudes H.straße ... und mit dem 1928/29 einstöckig erstellten, zwischenzeitlich ebenfalls zerstörten Geschäftshaus N.straße .... Alle Gebäude des bis 1943 als Einheit bestehenden Grundstücks hatten eine einheitliche Entwässerungsanlage, die das Schmutzwasser und Oberflächenwasser in einer Anlage (Mischwasserprinzip) zu dem Mischwasserkanal in der H.straße ableitete. Diese Anlage war von der Kriegszerstörung der Gebäude im Jahre 1943 nicht betroffen, sondern erhalten geblieben. In der N.straße ist dort ein Kanal verlegt, in dem nur Schmutzwasser eingeleitet werden kann.
Nach dem Krieg erstellten zuerst die Kläger auf ihrem Grundstück unter Verwendung der erhaltenen Entwässerungsanlage 1946 ein Behelfswohnheim und später ein Ladenlokal, eine Wurstküche und ein Kühlhaus für ihren Metzgereibetrieb (mehrgeschossiger Anbau). Der Ehemann der Beklagten erbaute 1951 auf seinem rückwärtigen Grundstücksteil ein gewerblich benutztes Hintergebäude, wobei man bei den Ausschachtungsarbeiten auf die vom Grundstück der Kläger zur H.straße führenden Abwässerleitung stieß, die wegen der Kellerfundament tiefer gelegt werden mußte. Die Parteien verständigten sich damals dahin, daß die erforderlichen Arbeiten auf beiden Grundstücken durch eine Baufirma ausgeführt werden sollten, wobei jede Partei die Kosten der Arbeiten auf ihrem Grundstück tragen solle. Der Ehemann der Beklagten zahlte 2.429,14 DM, während die Kläger 75 DM für ein Anschlußstück und einen weiteren geringfügigen Betrag für Erdarbeiten trugen, 1955 erklärte der Ehemann der Beklagten den Klägern anläßlich einer Verstopfung infolge zunehmender Verkrustung durch die fetthaltigen Metzgereiabwässer, er wolle derartige Beeinträchtigungen seines Eigentums weiterhin nicht mehr dulden; er verlange sofortige Abhilfe. Der Kläger ließ darauf einen Fettabscheider einbauen; eine Umänderung der Wasserableitung lehnte er wegen der finanziellen Belastung ab. Im Jahre 1962 errichtete die Beklagte, seit 1955 als Alleinerbin ihres in diesem Jahr verstorbenen Ehemannes Eigentümerin des Grundstücks H.straße ..., ein mehrgeschossiges Geschäftshaus auf diesem Grundstück. Sie weigert sich, die Ableitung der Abwässer vom Grundstück des Klägers weiterhin über ihr Grundstück zu dulden.
Auf die Abtrennung der Abwasserleitung im Zug des Bauvorhabens erwirkten die Kläger eine einstweilige Verfügung, nach der die Beklagte den früheren Zustand wieder herzustellen hatte. Die Kläger, die sich kraft obligatorischer Vereinbarung, eines dinglichen Rechts oder eines Notwegrechts zur Wasserableitung durch die bestehende Anlage im Grundstück der Beklagten berechtigt halten, begehren mit vorliegender Klage, daß die Beklagte den Abfluß der Abwässer des Grundstücks der Kläger durch die Entwässerungsanlage ihres (der Beklagten) Grundstücks dulde.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat dagegen die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgen die Kläger ihren Klagantrag weiter; die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht lehnt den erhobenen Duldungsanspruch aus allen geltend gemachten Rechtsgründen (Gestattungsvertrag, dingliches Recht, Notweg, Grenzanlage oder nachbarschaftliches Gemeinschaftsverhältnis) ab.
1.Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob der Ehemann der Beklagten sich gegenüber den Klägern vertraglich zur Duldung des Abwasserabflusses durch die in seinem Grundstück befindliche Anlage verpflichtet hat, alle von der Revision nochmals hervorgehobenen Umstände gewürdigt und ohne Verstoß gegen Auslegungsgrundsätze, entgegen der Meinung der Revision auch nicht gegen das Gebot der Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 157 BGB) einen Verpflichtungswillen des Ehemannes der Beklagten oder (nach seinem Tod im Jahre 1955) der Beklagten selbst verneint. Die dem Tatrichter zukommende Würdigung des gesamten Verhaltens der Beklagten und ihres Ehemannes dahin, die Mitbenutzung der Anlage könne, wie es guten nachbarlichen Beziehungen entspreche, als Gefälligkeit ohne rechtliche Bindung gedeutet werden, ist möglich und unterliegt keinen rechtlichen Bedenken, und zwar um so weniger, als dieses Verhalten wesentlich in die Nachkriegszeit mit ihren Behelfsmaßnahmen fällt. Die Kläger mochten, worauf die Revision weiter hinweist, sich zwar darauf verlassen haben, daß die Beklagte die Durchleitung des Abwassers auch in Zukunft gestatten würde; daß der Ehemann der Beklagten oder diese selbst von dieser Vorstellung der Kläger Kenntnis hatten, insbesondere auch bezüglich der näheren Umstände über den Fortbestand, über die Art und Menge der Abwässer und in Beziehung auf ihre eigenen Bebauungspläne, ist jedoch nicht vorgetragen und nicht festgestellt. In den Kaufverträgen der beiden Parteien mit der Voreigentümerin des gesamten Grundstücks ist schließlich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nichts enthalten, was auf die Übernahme einer Duldungsverpflichtung schließen ließe. Der von der Revision als übergangen gerügte Schriftsatz vom 15. April 1964 (S. 4 Bl. 108) enthält entgegen der Meinung der Revision nicht den Sachvortrag, der Ehemann der Beklagten habe im Kaufvertrag vom Mai 1943 die Pflicht übernommen, die Abwasserdurchleitung über sein Grundstück in Zukunft zu dulden, es ist daher auch kein Beweis für eine solche Behauptung angetreten.
2.Eine Grunddienstbarkeit ist seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs mangels Eintragung nicht entstanden. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß ohne Eintragung nur solche dingliche Rechte halten geblieben sind, die bereits vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs entstanden waren (Art. 184 BGB). Vor diesem Zeitpunkt hätte ein dingliches Recht nur als Dienstbarkeit nach Art. 690 ff code civil entstehen können. Das Berufungsgericht prüfte den Erwerb durch einen Titel (Art. 690), und zwar zufolge der Bestimmung des Eigentümers (Art. 692). Die Wirksamkeit einer solchen Bestimmung setzt nach Art. 693 die Erwiesenheit von zwei Umständen voraus, daß nämlich einmal zwei gegenwärtig - d.h. aber noch während der Geltung den code civil - getrennte. Grundstücks vorher einem Eigentümer gehört haben und daß zum anderen dieser Eigentümer die Grundstücke in den Zustand versetzt hat, aus welchem die Grunddienstbarkeit hervorgeht. Die Entstehung der Grunddienstbarkeit nach dieser seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr gültigen Bestimmung setzt sonach auf jeden Fall die Trennung der - zuvor in der Hand des Begründers befindlichen - Grundstücke vor diesem Zeitpunkt voraus. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, da die Grundstücke erst 1943 getrennt worden sind.
3.Die unterirdisch verlegte Abwasserleitung scheidet nicht die Grundstücke der Parteien, weshalb § 921 BGB nicht angewendet werden kann.
4.a)Zum Notwegrecht im Sinn des § 917 BGB führt das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der maßgebenden Urteile des Senats (LM BGB § 917 Nr. 3 (vollständig = WM 1959, 1461) und Nr. 7 = NJW 1964, 1321) aus, die ordnungsmäßige Benutzung des Grundstücks der Kläger erfordere nicht notwendig die Ableitung des Schmutzwassers durch das Grundstück der Beklagten in den Kanal der H.straße, da die Kläger ihr Schmutzwasser unstreitig in den Kanal der Neumarktstraße einleiten könnten. Allein die hohen Kosten, die die Änderung des Mischwassersystems und die Ableitung des Schmutzwassers in den Kanal in der N.straße erforderten nach dem Klagvortrag 10.000-15.000 DM rechtfertige die Inanspruchnahme fremder Grundstücke nicht, da jeder Grundstücksanlieger in der N.straße Schmutz wasserableitungen zu dieser Straße anlegen müsse. Abgesehen davon hätten die Kläger den jetzigen Zustand (Mischwassersystem) zufolge der Benutzung der alten Leitungen ihrer Rechtsvorgänger selbst herbeigeführt, ohne sich darüber Gewißheit zu verschaffen, ob sie zur Mitbenutzung der Leitung ihres Nachbarn berechtigt seien. Ein Notweg entfalle daher in entsprechender Anwendung des § 918 BGB. Ob die Beklagte die Ableitung des Regenwassers allein dulden müsse, kann nach Ansicht des Berufungsgerichts unentschieden bleiben (nach dem bisherigen Sach- und Streitstand wäre diese Frage seiner Meinung nach wohl zu bejahen), weil die Ableitung des Regenwassers allein gegenüber dem Klagantrag ("Abwässer") nicht ein "Weniger" darstelle. Dies ergebe sich daraus, daß die Kläger sich gerade gegen die seitens der Beklagten verlangte kostspielige Änderung ihres Mischwassersystems wendeten.
b)Die Abweisung der Klage hinsichtlich der Duldung des Oberflächenwasserabflusses durch die vorhandene Anlage der Beklagten ist mit der gegebenen Begründung nicht aufrecht zu erhalten. Das Berufungsgericht faßt den Ausdruck Abwasser nach den gegebenen Umständen zutreffend als das auf dem Grundstück der Kläger anfallende Schmutz- und Regenwasser auf, jedoch zu Unrecht nur in seiner Zusammenfassung: "Schmutz- und Regenwasser". Es ist zwar nicht ausgeschlossen, einen Klagantrag dahin zu stellen, daß die Kläger nur die Duldung beider Abwasserarten zusammengefaßt erstreben wollen und auf die Duldung der Ableitung der einen oder anderen Art allein keinen Wert legen. Für diese Auslegung spricht jedoch nichts, auch nicht die notwendig mit diesem Fall verbundene Folge einer kostspieligen Leitungstrennung; gegen diese Auffassung spricht jedoch, daß die Kläger auch das gesamte Oberflächenwasser ableiten müssen, ohne dieses Wasser dem Schmutzwasserkanal in der N.straße zuleiten zu dürfen. Bei richtiger, von der Revision jetzt auch klargestellter Auslegung des Klagantrags, ist über die Duldungspflicht beider Arten von Abwasser, notfalls auch getrennt, zu entscheiden.
c)Zutreffend hat das Berufungsgericht hinsichtlich des Schmutzwassers den Anspruch auf einen Notweg abgelehnt. Nach der erwähnten Entscheidung des Senats (LM BGB § 917 Nr. 7 Bl. 2 R) setzt der Notweganspruch eine durch das Fehlen einer Verbindung nach außen hervorgerufenen Notlage des Grundstücks voraus. Hinsichtlich dieser Notlage sind strenge Anforderungen zu stellen. Sie besteht nicht, wenn eine andere Verbindungsmöglichkeit vorhanden ist, die ebenfalls eine ordnungsmäßige Grundstücksbenutzung gewährleistet. Daß das Gebrauchmachen von der anderen Verwendungsmöglichkeit für den Grundstücksinhaber umständlicher, weniger bequem oder kostspieliger ist als die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks, rechtfertigt für sich allein noch nicht das Verlangen nach einem Notweg. Nur wenn die Erschwernisse sich ausnahmsweise als derart groß erweisen, daß durch sie die Wirtschaftlichkeit der Grundstücksbenutzung aufgehoben oder doch in unzumutbarer Weise geschmälert würde, ist der Nachbar verpflichtet, den Weg über sein eigenes Gelände freizumachen. Wenn im vorliegenden Fall die Baukosten auch insofern höher als gewöhnlich sein sollten, als die N.straße eine Hauptstraße darstellt, so ist nach dem festgestellten Sachverhalt durch die Herstellung einer für jedes Gebäude erforderlichen Schmutzwasserableitung die Wirtschaftlichkeit der Grundstücksbenutzung doch nicht in unzumutbarer Weise geschmälert. Es handelt sich um eine Entwässerung unter normalen Bedingungen. Eine Besonderheit besteht im vorliegenden Fall nur insofern, als das der Menge nach überwiegende Oberflächenwasser auch nach der Trennung vom Schmutzwasser möglicherweise durch die schon bestehende Leitung im Grundstück der Beklagten abgeführt werden muß und damit trotz starker finanzieller Belastung der Kläger keine völlige Entlastung des fremden Grundstücks eintritt. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kann, auch unter Berücksichtigung des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses, der gesetzliche Umfang des Notwegrechts unter Zurückstellung seiner gesetzlichen Voraussetzungen nicht erweitert werden (BGH a.a.O.).
Soweit die Revision eine befristete Duldungspflicht der Beklagten bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Abwässerleitungen auf dem Anwesen der Kläger getrennt und die Ableitung des Schmutzwassers in die Neumarktstraße hergestellt ist, beansprucht, ist ihr entgegenzuhalten, daß der Duldungsanspruch schon seit 1962 im Streit ist und die Kläger seitdem mit der Abweisung der Klage rechnen müssen. Soweit sie zwischenzeitlich die Schaffung einer anderweitigen Ableitung des Schmutzwassers unterließen, handelten sie auf eigene Gefahr. Besondere Umstände, die möglicherweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, etwa unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, sind in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen.
d)Ob das Oberflächenwasser des Hausgrundstücks der Kläger in einen anderen Kanal als denjenigen der Herzogstraße eingeleitet oder sonst abgeleitet werden kann, ergibt sich aus dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht eindeutig, Es kann daher vom Revisionsgericht nicht entschieden werden, ob die Duldungspflicht hinsichtlich des Oberflächenwassers begründet ist. Die Sache war vielmehr zur Feststellung der erforderlichen Tatsachen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen war.