Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 25.02.2011, Az.: V ZR 208/09
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 2. November 2009 wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verurteilt wird, den in dem bei dem Amtsgericht Dachau geführten Wohnungs- und Teileigentumsgrundbuch von R. , Band 42, Blatt 1564, eingetragenen 1.298/3.078 Miteigentumsanteil an dem Flurstück 1273 verbunden mit dem Sondereigentum an dem gesamten Dachraum im Obergeschoss und an zwei Kellerräumen - Nr. 2 im Aufteilungsplan - Zug um Zug gegen Zahlung von 23.008,13 € an den Kläger zurückzuübertragen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Mit notarieller Erklärung vom 16. November 1995 teilte der Kläger ein ihm gehörendes bebautes Grundstück nach § 8 WEG in zwei Wohnungs- und Teileigentumseinheiten auf. Mit notariellem Vertrag vom gleichen Tage verkaufte er an den Beklagten eine Wohnungseigentumseinheit - bestehend aus dem 1.273/3.078 Miteigentumsanteil an dem Flurstück 1273 verbunden mit dem Sondereigentum an Räumen im Dachgeschoss und zwei Kellerräumen - zu einem Kaufpreis von 80.000 DM und erklärte die Auflassung. Die Parteien vereinbarten, die Kosten für das komplett zu erneuernde Dach und die Heizungsanlage zu gleichen Teilen zu tragen. Nach einer der Kaufvertragsurkunde beigefügten Anlage über die Kaufpreiszahlung war ein Teilbetrag von 45.000 DM binnen 10 Tagen nach der Eintragung einer Eigentumsvormerkung fällig, der Restbetrag von 35.000 DM jedoch erst nach ganzer oder teilweiser Fertigstellung der Erneuerungsmaßnahmen an Dach und Heizung zu zahlen. Der Beklagte zahlte an den Kläger 45.000 DM; eine Erneuerung des Daches und der Heizung wurde nie in Angriff genommen.
Mit einem weiteren notariellen Vertrag vom 11. Juni 1996 verkaufte der Kläger auch die ihm verbliebene Wohnungseigentumseinheit - 1.783/3.078 Miteigentumsanteil an dem Flurstück 1273 verbunden mit dem Sondereigentum an den Räumen im Erdgeschoss - an den Beklagten zu einem Kaufpreis von 150.000 DM, der gezahlt wurde.
Der Kläger hat im Jahr 2005 gegen den Beklagten Klage auf Rückübereignung beider Wohnungen Zug um Zug gegen Zahlung des von dem Beklagten erhaltenen Kaufpreises erhoben. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten verurteilt, die im November 1995 gekaufte Wohnung an den Kläger herauszugeben und die Berichtigung des Grundbuchs mit dem Ziel der Eintragung des Klägers zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die beiden Verkäufe nicht als eine Einheit zu behandeln seien.
Der am 16. November 1995 geschlossene Vertrag sei nach § 138 Abs. 2 BGB unwirksam, da einem zu zahlenden Preis von 45.000 DM ein Wert des Miteigentumsanteils von knapp 154.000 DM gegenüber gestanden habe. Von dem vereinbarten Kaufpreis von 80.000 DM sei ein Abzug von 35.000 DM vorzunehmen, weil der Kläger diesen Betrag zuvor in das Objekt zu investieren gehabt hätte, was nicht geschehen sei. Aufgrund des sich danach ergebenden groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sei eine verwerfliche Gesinnung des Beklagten zu vermuten. Diesem sei es nicht gelungen, die tatsächliche Vermutung zu erschüttern. Auf seine Kenntnis von den Wertverhältnissen komme es dabei nicht an. Die Rechtsfolge des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB sei die Nichtigkeit auch des dinglichen Geschäfts. Das Grundbuch, das den Beklagten als Eigentümer ausweise, sei daher unrichtig und zu berichtigen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht Ansprüche auf Herausgabe nach § 985 BGB und auf Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB zuerkannt.
1. Das Berufungsurteil ist zwar in dem Ausgangspunkt richtig, dass im Fall des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Grundgeschäfts sich auch auf das Erfüllungsgeschäft erstreckt (BGH, Senat, Urteile vom 24. Mai 1985 - V ZR 47/87, NJW 1985, 3006, 3007 und vom 23. Juni 2006 - V ZR 147/05, NJW 2006, 3054, 3056), weil das Gesetz auch die von dem Bewucherten gewährte Leistung für nichtig erklärt (BGH, Urteil vom 8. Juli 1982 - III ZR 1/81, NJW 1982, 2767, 2768). Die Entscheidung beruht jedoch - was im Revisionsverfahren von beiden Parteien beanstandet wird - auf rechtsfehlerhafter Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB.
2. § 138 Abs. 2 BGB setzt neben einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (objektives Tatbestandsmerkmal) die Ausnutzung einer - auf einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, dem Mangel im Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willenschwäche beruhenden - besonderen Schwächesituation beim Bewucherten durch den Wucherer voraus (subjektives Tatbestandsmerkmal: vgl. Senat, Urteil vom 24. Mai 1985 - V ZR 47/84, NJW 1985, 3006, 3007).
Zwar ist dafür keine Ausbeutungsabsicht des Wucherers erforderlich, wohl aber ist es notwendig, dass dieser Kenntnis von dem auffälligen Missverhältnis und der Ausbeutungssituation hat und sich diese Situation vorsätzlich zunutze macht (Senat, Urteil vom 24. Mai 1985 - V ZR 47/84, aaO; BGH, Urteil vom 16. Juni 1990 - XI ZR 280/89, NJW-RR 1990, 1199). Wegen der weitgreifenden Folgen des Wuchers sind strenge Anforderungen an die für das Vorliegen des subjektiven Tatbestands des § 138 Abs. 2 BGB zu treffenden Feststellungen zu stellen (BGH, Urteil vom 8. Februar 1994 - XI ZR 77/93, NJW 1994, 1275; Senat, Urteil vom 23. Juni 2006 - V ZR 147/05, NJW 2006, 3054, 3056).
3. Das Berufungsgericht hat die aus dem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung folgende tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des begünstigten Vertragsteils auf den Ausbeutungsvorsatz des Wucherers übertragen. Das ist nach dem Vorstehenden fehlerhaft, weil ein Ausbeutungsvorsatz nicht bejaht werden kann, wenn das Leistungsmissverhältnis dem davon profitierenden Vertragsteil unbekannt war (BGH, Urteil vom 8. Juli 1982 - III ZR 1/81, NJW 1982, 2767, 2768; Senat, Urteil vom 24. Mai 1985 - V ZR 47/84, NJW 1985, 3006, 3007). Ebenso ist es nicht richtig, aus einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung auf den Ausbeutungsvorsatz zu schließen. Das Äquivalenzmissverhältnis allein ist keine tragfähige Grundlage für die Vermutung eines Willens zur vorsätzlichen Ausbeutung einer Schwäche des benachteiligten Vertragsteils.
III.
Die Revision bleibt jedoch im Ergebnis ohne Erfolg, weil der Kläger nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB die Rückübereignung der im November 1995 veräußerten Wohnung verlangen kann, da der Kaufvertrag vom 16. November 1995 nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.
1. Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat (Senat, Urteile vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 301 und vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW 2010, 363). Das besonders grobe Äquivalenzmissverhältnis erlaubt es, auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigen zu schließen. Diese tatsächliche Vermutung beruht auf dem Erfahrungssatz, dass in der Regel außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not oder nicht ohne einen anderen den Benachteiligenden hemmenden Umstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt (Senat, Urteile vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 303; vom 9. Oktober 2009 - V ZR 178/08, NJW 2010, 363 und vom 5. März 2010 - V ZR 60/09, MittBayNot 2010, 306, 307).
2. Ein grobes Missverhältnis zwischen den im Kaufvertrag vom November 1995 vereinbarten Leistungspflichten liegt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vor.
a) Zwar ist der Einwand der Revision richtig, dass dem Verkehrswert der verkauften Wohnungseigentumseinheit im November 1995 von 154.000 DM der vereinbarte Kaufpreis von 80.000 DM und nicht - wie im Berufungsurteil - die darauf geleistete Zahlung von lediglich 45.000 DM gegenüberzustellen ist. Für die Feststellung eines besonders groben Missverhältnisses kommt es auf die objektiven Werte der Leistungen in dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses an (Senat, Urteil vom 5. Oktober 2001 - V ZR 237/00, NJW 2002, 429, 431). Die gegenseitigen Leistungen sind nach den vertraglichen Vereinbarungen zu bemessen und nicht danach, was die Parteien sich nachfolgend einander gewährt haben (vgl. Senat, Urteil vom 6. Juli 2007 - V ZR 274/06, Rn. 24, juris).
b) Der Einwand der Revision führt jedoch zu keiner anderen Beurteilung des Vertrags, weil auch bei einer Wertrelation von 154.000 DM zu 80.000 DM ein besonders grobes Missverhältnis vorliegt, das den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zulässt. Bei Grundstücksgeschäften ist nämlich von einem besonders groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bereits dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist, wie der Wert der Gegenleistung (Senat, Urteile vom 25. Februar 1994 - V ZR 63/93, BGHZ 125, 218, 227 und vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 302 mwN). Das ist hier der Fall.
c) Hier kommt hinzu, dass dem Beklagten mit der Zahlung des gesamten Kaufpreises noch weitere Vorteile zugeflossen wären. Der über den gezahlten Betrag hinausgehende Kaufpreisanteil von 35.000 DM wäre dem Kläger erst nach Vornahme von Investitionen in das gemeinschaftliche Eigentum (komplette Erneuerung des Dachs und der Heizungsanlage) zugeflossen. Der Kläger hätte mit diesen Verwendungen jedoch zugleich den Wert der an den Beklagten veräußerten Wohnungseinheit erhöht, so dass einem Kaufpreis von 80.000 DM nicht mehr der Wert der Wohnung in dem unsanierten Gebäude von 154.000 DM, sondern ein erheblich höherer Wert gegenübergestanden hätte, selbst wenn die Werterhöhung nicht dem zurückbehaltenen Kaufpreisanteil von 35.000 DM entsprochen hätte.
3. Die aus einem Äquivalenzmissverhältnis begründete tatsächliche Vermutung für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten kommt nur dann nicht zum Tragen, wenn sie im Einzelfall durch besondere Umstände erschüttert ist (Senat, Urteile vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/91, BGHZ 146, 298, 305; vom 5. Oktober 2001 - V ZR 237/00, NJW 2002, 429, 432 und vom 29. Juni 2007 - V ZR 1/06, NJW 2007, 2841, 2842).
Derartige, die Vermutung erschütternde Umstände, die der von dem Missverhältnis Begünstigte darzulegen hat (Senat, Urteil vom 29. Juni 2007 - V ZR 1/06, NJW 2007, 2841, 2982), sind weder festgestellt noch verweist die Revision dazu auf Vortrag in den Tatsacheninstanzen.
4. Die Folge des wucherähnlichen Geschäfts ist nach § 138 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit nur des schuldrechtlichen Geschäfts. Das abstrakte Verfügungsgeschäft wird von der Nichtigkeitsfolge nicht erfasst, weil das Äquivalenzmissverhältnis allein das Kausalgeschäft betrifft (Senat, Urteil vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 306).
a) Dem Kläger steht danach gegen den Beklagten der Anspruch auf Herausgabe nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 818 Abs. 1 BGB zu, dessen Inhalt hier die Zurückübertragung durch Rückauflassung der verkauften Wohnungseigentumseinheit und Bewilligung der Eigentumsumschreibung durch den Beklagten Zug um Zug gegen Zahlung des erhaltenen Kaufpreises ist (vgl. Senat, Urteil vom 26. Oktober 1990 - V ZR 22/89, BGHZ 112, 376, 379).
b) Gegenstand des Rückübertragungsanspruchs ist allein die auf Blatt 1564 gebuchte Wohnungseigentumseinheit, bestehend aus dem 1.295/3.078 Miteigentumsanteil an dem Flurstück 1273 verbunden mit dem Sondereigentum an den Räumen im Dachgeschoss.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Czub Weinland Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 09.12.2008 - 4 O 2017/05 -
OLG München, Entscheidung vom 02.11.2009 - 21 U 2185/09 -