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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 03.07.1992, Az.: V ZR 218/91

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 1992 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, deren Zugang von der öffentlichen Straße (H. Weg) durch einen privaten Weg auch über das bebaute Grundstück der Beklagten führt. Zugunsten des im Eigentum des Klägers stehenden unbebauten Grundstücks Fl.Nr. ... 2 ist seit Februar 1971 aufgrund einer Eintragungsbewilligung vom 18. August 1970 im Grundbuch unter anderem zu Lasten des Grundstücks der Beklagten Fl.Nr. ... 0 eine Grunddienstbarkeit des Inhalts eingetragen, die belasteten Grundstücke "zum Gehen und zum Fahren - auch mit Motorfahrzeugen - zu benutzen, um vom Grundstück Parzelle ... 2 zum H. Weg gelangen zu können".

Der Kläger beabsichtigt, sein Grundstück zum Zwecke der Bebauung zu veräußern, und hat in erster Instanz beantragt, die Beklagte zu verurteilen, gegenüber der Stadt eine öffentliche Baulast dergestalt zu bewilligen, daß die Erschließung seines Grundstücks, hilfsweise die Abwicklung des seinem Grundstück dienenden Verkehrs, gesichert sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers, mit der dieser sein Begehren in einem im Umfang auf eine Zufahrtsmöglichkeit geänderten Antrag weiterverfolgte, hat das Oberlandesgericht die Beklagte verurteilt, eine Baulast mit der entsprechenden Verpflichtung zur Duldung zu übernehmen.

Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Revision, mit der die Beklagte ihren Antrag weiterverfolgt. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I.Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch des Klägers auf die Übernahme einer der Grunddienstbarkeit inhaltsgleichen Baulast. Sowohl aus dem Kaufvertrag der Rechtsvorgänger der Parteien im Jahr 1956 wie auch aus dem durch die Grunddienstbarkeit begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis sei diese Verpflichtung der Beklagten abzuleiten. Es liege die Annahme nahe, daß sich der Verkäufer alle seinerzeit bestehenden Nutzungsmöglichkeiten für sein Restgrundstück habe erhalten wollen. Es widerspräche schon deshalb Treu und Glauben, wenn die Beklagte entgegen dem Vertragszweck die Bebauung des klägerischen Grundstücks durch Ausnutzung des zugunsten des Klägers eingeräumten Wegerechts im Ergebnis versagen wollte. Unabhängig davon folge der Anspruch des Klägers aus dem durch die Grunddienstbarkeit begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis. Es mache keinen erheblichen und entscheidenden Unterschied aus, ob bei Bestellung der Grunddienstbarkeit die künftige Bebauung bezweckt gewesen oder ob sie nur - mittelbar - objektiv ermöglicht worden sei. Das im August 1970 bewilligte Wegerecht sei in dem Sinne unbeschränkt, daß es auch für den Fall einer Bebauung des herrschenden Grundstücks eine uneingeschränkte Ausübung gewährleiste. Es würde Treu und Glauben widersprechen, wenn die Beklagte dem Wegeberechtigten durch eine Verweigerung der öffentlich-rechtlichen Baulastübernahme die Ausübung dieser privaten Rechte praktisch verweigern könnte. Vor der Änderung der Bauordnung von Nordrhein-Westfalen wäre dies auch nicht möglich gewesen. Unerheblich sei, daß zwischen den Grundstücken auch ein unbelasteter Streifen liege, weil dem Kläger der unmittelbare Zugang zu seinem Grundstück mit der Übernahme einer entsprechenden Baulast durch einen anderen Nachbarn gesichert sei. Die Frage der Sicherung der Wasserver- und -entsorgung des klägerischen Grundstücks sei unerheblich.

Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

II.1.Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 106, 348 [BGH 03.02.1989 - V ZR 224/87], fortgeführt durch Urteil vom 6. Oktober 1989, V ZR 127/88, WM 1990, 320; vgl. ferner Urt. v. 26. Oktober 1990, V ZR 105/89, WM 1991, 239 [BGH 26.10.1990 - V ZR 105/89]/240 f) kann sich die Verpflichtung, die verlangte Baulasterklärung abzugeben, als Nebenpflicht aus dem durch die Grunddienstbarkeit geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis ergeben. Voraussetzung hierfür ist, daß eine beiderseitige Interessenabwägung einen Vorrang des Klägers ergibt. Dabei ist darauf abzustellen, ob die Grunddienstbarkeit zu dem Zwecke bestellt wurde, das Grundstück des Klägers baulich zu nutzen, ob die Übernahme der Baulast zwingende Voraussetzung für die Bebauung des Grundstücks ist, ob eine Befreiung vom Baulastzwang in Betracht kommt, ob bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit Anlaß bestand, bereits die Übernahme einer Baulast zu erwägen, und schließlich, ob Inhalt und Umfang der geforderten Baulast der Dienstbarkeit entsprechen.

2.Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Berufungsgerichts, daß sich die Verpflichtung, die verlangte Baulasterklärung abzugeben, aus den Umständen der Bestellung der Grunddienstbarkeit ergeben kann.

Das Berufungsgericht ist jedoch der Meinung, es mache keinen entscheidenden Unterschied aus, ob bei Bestellung der Grunddienstbarkeit die künftige Bebauung bezweckt war oder ob sie nur - mittelbar - objektiv ermöglicht wurde. Ob dieser Auffassung zu folgen wäre, kann dahingestellt bleiben, denn nach der Würdigung des Senats, der den Inhalt des Grundbuchs selbst auslegen kann (BGHZ 37, 147, 149) [BGH 23.05.1962 - V ZR 123/60], ist die Grunddienstbarkeit zu dem Zweck bestellt worden, das dem Kläger gehörende Grundstück Fl.Nr. 972 baulich zu nutzen.

Abzustellen ist vorrangig auf Wortlaut und Sinn der Grundbucheintragung und der dazu in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt. Umstände außerhalb dieser Urkunde dürfen jedoch insoweit mit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (st. Senatsrechtsprechung, vgl. BGHZ 92, 351, 355).

Der Wortlaut der Bewilligung enthält keinerlei Einschränkung hinsichtlich des Zweckes, etwa im Hinblick auf die bisherige Nutzung des klägerischen Grundstücks zu landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Zwecken. Bei dem auf Dauer eingeräumten Wegerecht müßte daher hier aus dem Wortlaut der Bewilligung zunächst auf einen von der Nutzungsart des herrschenden Grundstücks unabhängigen Umfang der Dienstbarkeit geschlossen werden (vgl. BGHZ 92, 351, 355).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen jedoch eindeutige Anhaltspunkte außerhalb der genannten Urkunden dafür vor, daß das Wegerecht im Jahr 1970 mit dem Zweck eingeräumt worden ist, eine spätere Bebauung des Grundstücks Fl.Nr. ... 2 zu ermöglichen. Die geplante intensive bauliche Nutzung des Grundstücks Fl.Nr. ... 2 war zwar bei der Bewilligung des Wegerechts im Jahr 1970 in dieser konkreten Form nicht für jedermann ohne weiteres erkennbar. Das Grundstück war als Wiese und Obstgarten genutzt. Dies ließ unter Berücksichtigung aller verwertbaren Umstände im Jahr 1970 aber nicht den eindeutigen Schluß zu, daß die Bewilligung eines Wegerechts nicht dem Zweck einer Bebauung des Grundstücks dienen, sondern lediglich die bisher tatsächliche Möglichkeit der Zufahrt zu diesem Grundstück nur im Rahmen dieser Nutzung auch rechtlich absichern sollte. Denn das klägerische Grundstück war und ist allein über die hier maßgebliche Wegeparzelle an das öffentliche Wegenetz ("H.-Weg") angebunden. Bereits mit der Veräußerung der Grundstücke als Bauland an die Rechtsvorgänger der Beklagten und die anderen Anlieger in den 50er Jahren waren diesen Wegerechte an den damals noch im Eigentum der Rechtsvorgänger des Klägers stehenden Teilen des Erschließungsweges eingeräumt worden. Im Jahre 1970 war deshalb der Zusammenhang mit einer späteren Bebauungsmöglichkeit erkennbar, zumal aus dem umfassenden Wortlaut der Bewilligung selbst folgt, daß die Dienstbarkeit nicht auf die vorhandene Nutzung der Wiese beschränkt sein sollte. Dagegen spricht auch, daß die wesentlichen Grundstücke am Weg 1970 schon bebaut waren und damit eine, wie auch immer geartete, Wohnbebauung auch der Fl.Nr. ... 2 jedenfalls im Bereich der zukünftigen Möglichkeiten lag. Dieser erkennbare Umstand war damit nicht nur für den Umfang, sondern auch für den Zweck der Grunddienstbarkeit, nämlich die Möglichkeit einer späteren Bebauung, von Bedeutung.

Damit ist das Berufungsurteil im Ergebnis insoweit zutreffend, als es die Verpflichtung, die verlangte Baulasterklärung abzugeben, nicht bereits wegen des Fehlens einer entsprechenden Zweckbestimmung der Grunddienstbarkeit ausschließt.

3.Die der Zuerkennung des Anspruchs zugrundeliegenden weiteren Erwägungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Überprüfung jedoch nicht in vollem Umfange stand.

Die Beklagte hat vorgetragen, die verlangte Baulasterklärung nütze dem Kläger nichts, weil die Wasserver- und -entsorgung des Grundstücks Fl.Nr. ... 2 nicht möglich, jedenfalls aber nicht gesichert sei und der Kläger schon deshalb keine Baugenehmigung erhalten könne. Der Kläger hat sich demgegenüber unter Beweisantritt darauf berufen, daß die Möglichkeit bestehe, die entsprechenden Leitungen über andere angrenzende Grundstücke zu legen, und die Eigentümer dieser Grundstücke damit einverstanden seien. Dies hat die Beklagte wirksam bestritten.

Das Berufungsgericht sieht diesen Vortrag mit der Begründung als unerheblich an, daß diese Voraussetzung nicht durch die Übernahme einer öffentlich-rechtlichen Baulast gesichert sein müsse und über die Gewährleistung der wasserrechtlichen Erschließung die Baubehörde bei Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden habe. Damit wird das Vorbringen der Parteien nur unvollständig gewürdigt. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen sind für das Bauvorhaben die Abwässer über eine Privatleitung dem städtischen Entwässerungsnetz zuzuführen und, soweit dafür fremde Grundstücke in Anspruch genommen werden, die Nachweise über die entsprechenden Benutzungsrechte und -pflichten vor Erteilung der Genehmigung zu erbringen. Über diese hat zwar letztlich die Baubehörde zu entscheiden, Voraussetzung für die vom Kläger begehrte Baulastübernahme ist jedoch auch, daß ihm allein mit einer Baulast des nach dem zuletzt verlangten Inhalts gedient wäre (Senatsurt. v. 6. Oktober 1989, V ZR 127/88, WM 1990, 320, 322). Es kommt somit darauf an, ob der Kläger allein mit der beantragten Baulast eine Genehmigung erreichen könnte, weil anderenfalls der Beklagten im Rahmen der nach § 242 BGB gebotenen Interessenabwägung eine Baulastbestellung in dem verlangten Umfang nicht zumutbar wäre (vgl. Senatsurt. aaO). Dies ist nach dem eigenen Vortrag des Klägers jedoch nicht der Fall.

4.Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Eine Vereinbarung, welche die Beklagte zur Übernahme einer Baulast gegenüber der Behörde verpflichtete, liegt nicht vor. Zwischen den Parteien bestehen auch sonst keine vertraglichen Bindungen, welche die Übernahme der Baulast im Wege einer vertraglichen Nebenpflicht begründen könnten.

Das Berufungsgericht geht im vorliegenden Fall zwar von einer entsprechenden Verpflichtung aus dem Kaufvertrag der Rechtsvorgänger beider Parteien vom 27. September 1956 aus, in welche die Beklagte als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Vaters eingetreten sei. Hierzu wird jedoch nur ausgeführt, der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung lege die Annahme nahe, daß damit auch für die Seite der Beklagten die vertragliche Verpflichtung begründet werden sollte, eine spätere Bebauung des Restgrundstücks der Klägerseite zu ermöglichen. Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen der seinerzeitigen Vertragsparteien sind nicht vorgetragen. Es fehlt bereits an Hinweisen, daß bereits damals in den 50er Jahren eine Bebauung dieses Grundstücks geplant war und in die Vorstellungen der Vertragschließenden Eingang gefunden hat. Zwar war beim Grundstückserwerb durch den Rechtsvorgänger der Beklagten unter anderem auch diesem von den Rechtsvorgängern des Klägers ein Wegerecht an den noch in ihrem Eigentum stehenden Teilen des Erschließungsweges eingeräumt worden. Dies geschah jedoch entgeltlich im Zusammenhang mit dem Erwerb des Grundstücks als Bauland. Soweit daraus eine nachvertragliche Verpflichtung der Seite der Beklagten hergeleitet werden könnte, wäre einer solchen Verpflichtung zudem durch die Bestellung der entsprechenden Grunddienstbarkeit im Jahr 1970 bereits genügt worden. Für einen weitergehenden Verpflichtungswillen zu einer zusätzlichen Gegenleistung, nämlich dahingehend, durch unentgeltliche Übernahme auch einer entsprechenden Baulast eine weitere Verpflichtung gegenüber der Baubehörde einzugehen, um eine nicht einmal im Ansatz absehbare spätere intensive Bebauung des dem Kläger nach weiteren Veräußerungen seiner Rechtsvorgänger verbliebenen Restgrundstücks zu ermöglichen, bestand jedenfalls im Jahr 1956 kein Anlaß.

III.Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird zu klären haben, ob der Kläger in der Lage ist, den von ihm zu erbringenden Nachweis der Erschließung über die Nachbargrundstücke in der von der Baubehörde verlangten Form vorzulegen.