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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 11.10.1996, Az.: V ZR 3/96

Tatbestand

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn in Wuppertal. Das Hausgrundstück des Klägers, F Straße 18, wird östlich von einer ebenfalls in seinem Eigentum stehenden, etwa 3 m breiten, Parzelle begrenzt, die er als Zuweg zu seinen weiteren, nördlich gelegenen, Grundstücken hat ausbauen lassen. An die andere Seite der Wegeparzelle grenzt das Grundstück der Beklagten an. Alle drei Grundstücke fallen von der F Straße aus in Richtung Norden - zu den weiteren Grundstücken des Klägers - stark ab.

Im Jahre 1993 ließen die Beklagten im Zuge der Bebauung ihres Grundstücks auf der Grenze zur Wegeparzelle des Klägers eine dem abfallenden Gelände durch Abstufungen angepaßte 20 bis 25 m lange Stützwand aus L-Beton-Steinen bauen, deren mittlere Höhe bis zu 2 m beträgt, wobei Teilbereiche auch höher als 2 m sind. Hinter der Stützwand füllten die Beklagten ihr Grundstück an, begradigten es und errichteten auf der Mauer im vorderen Teil des Grundstücks eine Garage.

Mit der Klage verlangt der Kläger die Beseitigung der Mauer. Die Beklagten haben behauptet, er habe der Errichtung der Mauer zugestimmt.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht meint, bei der Stützmauer handele es sich um eine Einfriedigung im Sinne von § 32 NachbG NW. Diese hätten die Beklagten ohne Zustimmung des Klägers auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichten dürfen. Zwar könne der Eigentümer einer ohne sein Einverständnis auf der Grenze errichteten Einfriedigung dem grundsätzlich mit einer Unterlassungs- oder Beseitigungsklage aus § 1004 BGB begegnen. Etwas anderes gelte jedoch, wenn er kraft Gesetzes zur Duldung verpflichtet sei. Das sei hier der Fall. § 36 Abs. 1 NachbG NW regele den Standort von Einfriedigungen nicht nur für den Fall der Einfriedigungspflicht gemäß § 32 NachbG NW, sondern auch für den Fall der freiwilligen Einfriedigung, der hier vorliege.

II. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1. Zweifelhaft ist schon, ob eine Mauer, die der Nachbar an oder auf der Grenze errichtet, allein zu dem Zweck, sein Grundstück aufschütten zu können, eine Grenzeinrichtung, insbesondere eine Einfriedigung im Sinne der §§ 32 ff NachbG NW darstellt (ob deren Zweck in einer Grenzscheidung bestehen muß, offengelassen: Senat, BGHZ 112, 1, 2 [BGH 22.06.1990 - V ZR 3/89]; vgl. auch Senat, Urt. v. 23. November 1984, V ZR 176/83, NJW 1985, 1458, 1459 re. Sp.). Abgesehen von dem mehr formalen Argument, daß das Nachbargesetz (und die BauO) NW ausdrücklich Bodenerhöhungen - auch durch Stützmauern (vgl. Dröschel/Glaser, Das Nachbarrecht in NRW, 4. Aufl., § 30 Anm. 3; Schäfer, Kommentar zum Nordrhein-Westfälischen Nachbarrechtsgesetz, 9. Aufl., § 30 Anm. 2; Zimmermann/Steinke, Kommentar zum Nordrhein-Westfälischen Nachbarrechtsgesetz, § 30 Rdn. 3 b) - in einem besonderen Abschnitt vor den Einfriedigungen behandelt (vgl. insb. § 31 Abs. 2 b bb "als Stützwand oder Einfriedigung dienen", ebenso § 6 Abs. 11 Ziff. 2 BauO NW), bestehen auch vom Zweck der Einfriedigung her gegen eine Gleichsetzung Bedenken. Eine Einfriedigung dient nämlich nicht nur der Abgrenzung der Grundstücke voneinander, wozu eine Stützmauer gleichermaßen geeignet sein mag; sie dient auch - jedenfalls sofern eine Mauer gewählt wird - dazu, vor vom Nachbargrundstück ausgehenden Beeinträchtigungen zu schützen (vgl. z.B. §§ 33 und 35 Abs. 2 NachbG NW). Diesem Zweck wird eine Stützmauer zur Aufschüttung des Nachbargrundstücks nicht nur nicht gerecht, sie birgt im Gegenteil für das nun tieferliegende Grundstück die Gefahr zusätzlicher Beeinträchtigungen (vgl. insb. Schäfer, aaO., vor §§ 30, 31 Anm. 1; Zimmermann, aaO., vor § 30 Anm. 1). Folgerichtig geht Schäfer (aaO., § 30 Anm. 2 a.E.) davon aus, daß Vorkehrungen zu einer Einrichtung im Sinne des § 30 NachbG NW, also auch eine Stützmauer, nur auf dem Grundstück vorgenommen werden dürfen, dessen Oberfläche erhöht werden soll.

Einer abschließenden Entscheidung bedarf die Frage jedoch nicht.

2. Denn auch eine als Einfriedigung dienende Mauer darf der Erbauer nicht deshalb ohne Absprache mit dem Nachbarn auf dessen Grundstück überbauen, weil dieser berechtigt wäre, die Einfriedigung (durch den Bau einer Mauer) zu verlangen, wie dies hier für den Kläger nach § 32 Abs. 1 Satz 1 NachbG NW der Fall ist.

a) Das Berufungsgericht geht zwar richtig davon aus, daß die Freiheit des Eigentümers zur Errichtung einer beliebigen Einfriedigung (Dröschel/Glaser, aaO., § 32 Rdn. 1; Zimmermann/Steinke, aaO., Vorb. vor § 32 Anm. 3; Schäfer, aaO., 10. Aufl., Vorb. vor § 32 und Dehner, Nachbarrecht, 7. Aufl., B § 11) auf das eigene Grundstück beschränkt ist (§ 903 BGB). Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches geben dem Eigentümer nicht das Recht, bei der Errichtung von Einfriedigungen das Nachbargrundstück in Anspruch zu nehmen. Denn §§ 921, 922 BGB regeln lediglich die Benutzung und Unterhaltung von vorhandenen Grenzanlagen, verpflichten den Nachbarn aber nicht, eine Grenzanlage zu errichten oder deren Errichtung zu dulden (BGHZ 91, 282, 286 [BGH 25.05.1984 - V ZR 199/82] m.w.N.; Glaser/Dröschel, aaO., S. 318; Palandt/Bassenge, BGB, 55. Aufl., § 921 Rdn. 2). Richtig geht das Berufungsgericht weiter davon aus, daß sich dahingehende zivilrechtliche Eigentumsbeschränkungen für Nordrhein-Westfalen allerdings aus den §§ 32 ff NachbG NW, insbesondere aus der Vorschrift des § 36 NachbG NW ergeben können. Diese Norm befaßt sich mit dem Standort der Einfriedigung und bestimmt im einzelnen, unter welchen Voraussetzungen die Einfriedigung auf der Grenze, entlang der Grenze oder in einem Mindestabstand von 0,50 m zur Grenze zu errichten ist.

b) Soweit das Berufungsgericht jedoch meint, diese Bestimmung gelte für jede Einfriedigung, die ein Grundstückseigentümer berechtigterweise errichte, deshalb dürfe er auch eine Einfriedigung, die der Nachbar zwar nicht verlange, auf die er aber Anspruch habe, nach § 32 Abs. 1 Satz 1 NachbG NW auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichten, kann dem nicht gefolgt werden.

aa) Zwar ist der Wortlaut des § 36 Abs. 1 1. Halbs. NachbG NW ("Die Einfriedigung ist auf der Grenze zu errichten, wenn ...") nicht eindeutig und könnte, wie es das Berufungsgericht tut, dahin verstanden werden, daß die Einfriedigung in den in Absatz 1 genannten Fällen immer, also auch dann, wenn eine Einfriedigung nicht verlangt wird, auf der Grundstücksgrenze zu erstellen ist. Die genannte Vorschrift darf aber nicht isoliert, sondern muß im Zusammenhang mit den anderen sachverwandten Normen gesehen werden.

bb) Schon der Gesetzeszusammenhang legt den Schluß nahe, daß die Vorschriften über Beschaffenheit, Standort und Kostentragung nur für die gemäß den §§ 32-34 NachbG NW zu errichtenden Einfriedigungen gelten, also eine Einfriedigungspflicht voraussetzen (Dehner, Nachbarrecht, aaO., B § 9 III, Anm. 4). Diese Auffassung hat der Senat - auch für § 36 NachbG NW - bereits in dem vom Berufungsgericht zitierten Urteil vom 9. Februar 1979 (BGHZ 73, 272 = NJW 1979, 1408) zum Ausdruck gebracht. Zwar betraf diese Entscheidung den Anspruch des Nachbarn auf Errichtung einer ortsüblichen Einfriedigung gemäß § 35 NachbG NW, doch hat der Senat in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auch die Frage des Standorts (§ 36) angesprochen und die Auffassung vertreten, auch diese Vorschrift gelte nur für diejenige Einfriedigung, die der Nachbar gemäß § 32 NachbG NW beanspruchen könne (BGHZ 73, 272, 273). Daran ist festzuhalten. In der Literatur hat die Senatsentscheidung Zustimmung gefunden (Schäfer, aaO., § 35 Anm. 2; Dehner, Nachbarrecht, aaO., B § 9 III Anm. 4; ders. NJW 1975, 1972; Schwieren, Die Entwicklung des Zaun- und Heckenrechts in Westfalen, Diss. Münster, 1989, S. 154; vgl. auch Bassenge, NachbG Schl-H., 7. Aufl., § 28 Anm. 1 zur entsprechenden Rechtslage in Schleswig-Holstein). Dabei wird, soweit ersichtlich, nirgendwo zwischen Beschaffenheits- und Standortregelung unterschieden. Für eine solche Differenzierung lassen sich aus der Systematik des Gesetzes Anhaltspunkte auch nicht finden. Sachlich ist die Frage des Standorts der Einfriedigung mit der Frage ihrer Beschaffenheit eng verbunden.

cc) Für eine Auslegung in dem Sinne, daß ebenso wie § 35 auch die den Standort regelnde Vorschrift des § 36 NachbG NW an die Einfriedigungspflicht anknüpft, spricht auch die Entstehung des Gesetzes. Das Nachbarrechtsgesetz für Nordrhein-Westfalen ist am 15. April 1969 verabschiedet worden und am 1. Juli 1969 in Kraft getreten (GV NW S. 190). Zu dieser Zeit waren bereits das Hessische Nachbarrechtsgesetz vom 24. September 1962 (GVBl S. 417) und das Niedersächsische Nachbarrechtsgesetz vom 31. März 1967 (GVBl S. 91) erlassen. Während das Niedersächsische Nachbarrechtsgesetz - ebenso wie später das Berliner Nachbarrechtsgesetz (vom 28. September 1973, GVBl S. 1654) - die Einfriedigung nach dem preußischen System geregelt haben, war für Nordrhein-Westfalen das Hessische Gesetz Vorbild (Dehner, Nachbarrecht, aaO. B § 9 III 2 c). Dieses bestimmt in § 14 Abs. 2 ausdrücklich, daß der Standort der Einfriedigung sich nach dem Absatz 1 derselben Vorschrift richtet, in der die Einfriedigungspflichten geregelt sind. Allein der Umstand, daß der nordrhein-westfälische Gesetzgeber die dem § 14 Abs. 2 entsprechende Regelung in eine gesonderte Vorschrift (§ 36) gekleidet hat, rechtfertigt nicht die Annahme, er habe eine andere sachliche Regelung treffen wollen, zumal die Vorschrift des § 36 NachbG NW sich inhaltlich eng an das hessische Vorbild anlehnt (vgl. auch Dehner, NJW 1975, 1972 f zum ähnlich gelagerten Problem der Beschaffenheit der Einfriedigung).

dd) Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, daß die Anwendung des § 36 Abs. 1 NachbG NW auf die der Einfriedigungspflicht unterfallenden Sachverhalte bei fehlendem Verlangen des berechtigten Grundstückseigentümers "sinnvoll" sei. Eine Einfriedigungspflicht entsteht nicht kraft Gesetzes, sondern - unter den Voraussetzungen der §§ 32, 33 NachbG NW - erst auf Verlangen des Eigentümers des angrenzenden Grundstücks (Zimmermann/Steinke, aaO., § 32 Anm. 4; Schwieren, aaO., S. 146; Rustige, SchsZtg 1993, 182, 184). Wenn dieser das Verlangen stellt, hat er dafür eine Einschränkung seines Eigentums durch die Erstellung der begehrten Einfriedigung auf der Grenze hinzunehmen. Stellt er das Verlangen nicht, entfällt die innere Rechtfertigung für eine solche Beschränkung seines Eigentums. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts läuft der Eigentümer, der sein Grundstück von sich aus an der Grenze in ortsüblicher Weise einfriedigt, im allgemeinen nicht Gefahr, die Einfriedigung bei einem späteren Verlangen des Nachbarn auf die Grenze setzen zu müssen. Denn dem Verlangen nach § 32 Abs. 2 NachbarG NW ist bereits dadurch Genüge getan, daß er eine (ortsübliche) Einfriedigung erstellt hat.

Das Urteil kann danach mit der gegebenen Begründung nicht bestehenbleiben.

III. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob der Kläger der Errichtung der Stützmauer auf der Grenze zugestimmt hat. Das Landgericht hat angenommen, die von den Beklagten behauptete Zustimmung sei nicht bewiesen. Dem sind die Beklagten in der Berufungsinstanz entgegengetreten. Hiermit wird sich das Berufungsgericht zu befassen haben. Dabei werden die Parteien Gelegenheit erhalten, ihren Vortrag zum Ausmaß der Grenzüberschreitung zu präzisieren.

Für den Fall, daß sich eine Zustimmung des Klägers nicht erweisen läßt, weist der Senat noch auf folgendes hin:

Ein Anspruch auf vollständige Beseitigung der Mauer kommt nur in Betracht, soweit diese auf dem Grundstück des Klägers steht. Ob hinsichtlich des Teils, der als Stützmauer für die Garage dient, Beseitigung verlangt werden kann, wird gegebenenfalls auch unter dem Blickwinkel des § 6 Abs. 11 Nr. 1 ggf. i.V.m. § 2 BauO NW aber auch des § 912 BGB zu prüfen sein.

Darüber hinaus hat der Kläger gegen die Beklagten einen Anspruch auf Beseitigung der Mauer gemäß §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 11 Nr. 2 BauO NW, soweit sie 2 m übersteigt. Denn nach öffentlich-rechtlichem Baurecht dürfen ohne Einhaltung eines Grenzabstandes Stützmauern und geschlossene Einfriedungen nur bis zu einer Höhe von 2 m errichtet werden. Bauordnungsrechtliche Vorschriften, die den Grenzabstand regeln, dienen (auch) dem Interesse des Nachbarn an ausreichender Belichtung und Belüftung seines Grundstücks sowie an einem freien Ausblick. Solche Normen sind im allgemeinen Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, deren Verletzung mit dem quasinegatorischen Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB begegnet werden kann (BGHZ 66, 354, 355 ff). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wird die gemäß § 6 Abs. 11 Nr. 2 BauO NW zulässige Höhe von der Mauer teilweise überschritten. Der Kläger kann deshalb eine Reduzierung der Mauer auf die zulässige Höhe verlangen. Sein auf - vollständigen - Abriß gerichtetes Klagebegehren stellt demgegenüber lediglich ein Mehr, kein Aliud, dar.