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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 06.04.1965, Az.: V ZR 42/64

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 26. November 1963 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Tatbestand

Durch notariellen Vertrag vom 17. März 1960 verkauften die Kläger ihr landwirtschaftliches Anwesen in W., das damals zur Durchführung der Zwangsversteigerung beschlagnahmt war, zum Preise von 50.000 DM an die Beklagten. Der Verkauf wurde bauerngerichtlich genehmigt und die Beklagten ins Grundbuch als neue Eigentümer eingetragen.

Die Kläger haben geltend gemacht, die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluß des Vertrages geisteskrank und geschäftsunfähig gewesen. Die Beklagten seien auch mit ihren Leistungen aus dem Vertrag in Verzug geraten, weshalb die Kläger mit Zustimmung des beklagten Ehemannes vom Vertrag zurückgetreten seien.

Die Kläger haben beantragt, die Beklagten zu verurteilen, in die Berichtigung des Grundbuchs dahin einzuwilligen, daß an Stelle der Beklagten die Kläger wieder als Eigentümer eingetragen werden, und zwar Zug um Zug gegen Erstattung der von den Beklagten auf Grund des Vertrags vom 17. März 1960 erbrachten Leistungen.

Die Beklagten haben um Klageabweisung gebeten. Sie sind allen tatsächlichen Behauptungen der Kläger entgegengetreten.

Das Landgericht hat über den Geisteszustand der Klägerin eine Auskunft des Landgerichtsarztes Dr. E. und sodann ein Gutachten des Professors Dr. K. erholt. Im Einklang mit der Auffassung des letztgenannten Sachverständigen, daß die Klägerin bei Vertragsabschluß nicht geisteskrank gewesen sei, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

In der Berufungsinstanz haben die Kläger ihren Anspruch nur noch auf den rechtlichen Gesichtspunkt der Geschäftsunfähigkeit der Klägerin gestützt und hilfsweise beantragt, festzustellen, daß der Kaufvertrag vom 17. März 1960 nichtig ist und die Beklagten verpflichtet sind, die im Jahre 1960 aus dem Anwesen gezogenen Nutzungen an die Kläger herauszugeben. Während des Berufungsverfahrens wurde bei der Klägerin eine elektro-encephalographische Untersuchung vorgenommen. Die Klägerin lehnte eine pneumo-encephalographische Untersuchung dagegen ab.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen diese ihre Berufungsanträge weiter; die Beklagten bitten um Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe

I.Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Kläger hätten den ihnen obliegenden Beweis nicht erbracht, daß die Klägerin am 17. März 1960 geschäftsunfähig gewesen sei. Dr. E., der die Klägerin am 18. November 1960 und am 17. März 1961 auf ihre strafrechtliche Verantwortung (es liefen damals zwei Ermittlungsverfahren wegen falscher eidesstattlicher Versicherung) untersucht habe, sei zwar zu dem Ergebnis gekommen, bei der Klägerin liege ein ausgeprägtes organisches Psychosyndrom vor. Der untersuchende Arzt habe aber selbst hervorgehoben, daß eine endgültige Stellungnahme erst nach Durchführung von Spezialuntersuchungen möglich sei. Der Sachverständige, Prof. Dr. K., Oberarzt der Nervenklinik der Universität M., sei dagegen zu der Auffassung gelangt, daß die Klägerin Geistesstörungen nur vorspiegle; er habe an der Geschäftsfähigkeit der Klägerin keine Zweifel. Mit Recht habe das Landgericht dieses Gutachten seiner Beurteilung zugrunde gelegt; es habe kein Anlaß bestanden, ein Obergutachten einzuholen. Auch die nachträgliche Lues-Untersuchung wie das Elektro-Encephalogramm hätten keine Anzeichen für das Vorliegen einer Geisteskrankheit ergeben. Ob bei der Klägerin eine hirnorganische Störung vorliege, könnte nur durch ein Pneumo-Encephalogramm festgestellt werden. Diese Beweisführung habe die Klägerin durch ihre Weigerung, sich dieser Untersuchung zu unterziehen, vereitelt; das müßten die Kläger sich anrechnen lassen.

II.Die Rügen der Revision greifen nicht durch.

1.Die Revision meint zunächst, das Berufungsgericht habe das Gutachten Dr. E. nicht zutreffend, vielmehr aktenwidrig gewürdigt. Das trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat die wesentlichen Gesichtspunkte des Gutachtens des Sachverständigen Dr. E. vom 18. November 1960 wiedergegeben. Wenn es abschließend erklärt, der Sachverständige habe selbst hervorgehoben, daß eine endgültige Stellungnahme nur nach Durchführung von Spezialuntersuchungen möglich sei, so entspricht dies dem Wortlaut der Stellungnahmen dieses Sachverständigen. In seinem Gutachten vom 18. November 1960 (GA 38) schrieb er: "Eine endgültige medizinische Diagnose kann nur nach Vornahme zusätzlicher Spezialuntersuchungen erfolgen". Und in der vom Landgericht herbeigeführten ärztlichen Auskunft vom 18. Juli 1961 führte er aus: "Zum Zeitpunkt meiner Untersuchungen bestanden bei Frau S. deutliche Hinweise auf eine geistige Störung, die in ihrer Art so ausgeprägt war, daß Zweifel an ihrer Geschäftsfähigkeit zu dem genannten Zeitpunkt bestand. Eine endgültige Stellungnahme kann jedoch nur nach Durchführung der notwendigen Zusatzuntersuchung nach klinischer Beobachtung erfolgen." Daß dieser Vorbehalt der endgültigen Stellungnahme sich nicht auf das Vorliegen einer Geisteskrankheit, sondern, wie die Revision meint, nur auf die vom Untersuchenden für möglich gehaltenen Grundkrankheiten und Ursachen bezog, kann der Revision nicht zugegeben werden. Die erwähnten beiden Äußerungen lassen sich vielmehr mit dem Oberlandesgericht dahin verstehen, daß sich der Sachverständige, nachdem er bisher lediglich Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit der Klägerin geäußert hatte, seine endgültige Diagnose des Befundes und nicht nur der sogenannten Grundursachen vorbehalten wollte.

2.Das Berufungsgericht brauchte sich mit dem Gutachten Dr. Englert nicht näher auseinanderzusetzen, weil es mit dem Sachverständigen Prof. Dr. K. zu der Überzeugung gelangt war, daß die Klägerin Geisteskrankheit vortäusche. Ob dieser Sachverständige, wie die Revision meint, die von Dr. E. für notwendig gehaltenen Spezialuntersuchungen für entbehrlich gehalten hat oder nicht, spielt keine Rolle. Denn die elektro-encephalographische Untersuchung wurde durchgeführt und die pneumo-encephalographische Untersuchung konnte nicht stattfinden, weil ihr die Klägerin widersprochen hatte. Ein Prozeßverstoß des Oberlandesgerichts ist in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich.

3.Die Kläger waren beweispflichtig für die Behauptung, die Klägerin sei bei Vertragsabschluß geisteskrank gewesen. Wenn das Berufungsgericht ausführt, die Kläger müßten das weigerliche Verhalten der Klägerin gegen sich gelten lassen, so hat es damit nur zum Ausdruck bringen wollen, daß das Verhalten der Klägerin die Beweisführung verhindert habe, was sich gegen die Klägerin auswirke. Ein Rechtsverstoß liegt darin nicht.

4.Zur Anordnung eines Obergutachtens war das Berufungsgericht durch die Prozeßordnung nicht verpflichtet. Die Auswahl des Sachverständigen oblag seinem pflichtgemäßen Ermessen; es ist nicht ersichtlich, daß es davon in gesetzwidriger Weise Gebrauch gemacht habe. Wenn das Berufungsgericht im Beweisbeschluß vom 12. Februar 1963 eine Ergänzung des Gutachtens durch Vornahme der beiden genannten Untersuchungen angeordnet hat, so ergibt sich daraus keineswegs, daß es das Gutachten des Professors Dr. K. für ungenügend erachtete. Es wollte, wie sich aus dem Beweisbeschluß selbst ergibt und in den Urteilsgründen noch einmal wiederholt wird, den Klägern jede Möglichkeit geben, alle Beweisquellen auszuschöpfen. Eine Verletzung des § 412 ZPO liegt nicht vor. Wenn in diesem Zusammenhang das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 14. Juli 1953, V ZR 97/52 (LM ZPO § 739 Nr. 2) die Notwendigkeit der Einholung eines Obergutachtens verneint hat, weil der Sachverständige nicht besonders schwierige Fragen habe beantworten müssen, so begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken.

Aus vorstehenden Ausführungen ergibt sich denn auch die Unbegründetheit des Einwandes der Revision, wenn das Berufungsgericht die Ergänzung des Gutachtens angeordnet habe, so sei es völlig unverständlich, wenn es in den Urteilsgründen doch ausführe, das Landgericht habe mit Recht des Gutachtens des Professors Dr. K. seiner Beurteilung zugrunde gelegt.

5.Schließlich trifft es nicht zu, daß das Berufungsgericht sich nicht ein eigenes Urteil gebildet, das Vorbringen der Kläger nicht selbständig gewürdigt und sich nicht mit den beiden Gutachten eingehend auseinandergesetzt habe; in Wahrheit habe es sich die Entscheidung vom Sachverständigen Professor Dr. K. abnehmen lassen. Das Berufungsgericht hat zwar einen Großteil seiner Ausführungen der Wiedergabe dieses Gutachtens gewidmet, aus mehreren Stellen der Urteilsbegründung ergibt sich aber, daß es sich diese Ausführungen hat zu eigen machen wollen ("Mit Recht hat das Landgericht dieses Gutachten seiner Würdigung zugrunde gelegt. Die Einwendungen der Kläger dagegen sind nicht gerechtfertigt. Aus dem vom Sachverständigen eingehend ausgeführten Untersuchungsergebnis ergibt sich überzeugend, daß die Klägerin bewußt falsche Angaben machte, wie sie von einem wirklich Geisteskranken nicht gegeben worden wären. Die Kläger haben den ihnen obliegenden Beweis der Geschäftsunfähigkeit nicht erbracht, es muß im Gegenteil davon ausgegangen werden, daß die Klägerin voll geschäftsfähig ist."). Da das Berufungsgericht auf die Sachkunde und die Zuverlässigkeit des Sachverständigen Professor Dr. K. Bezug nimmt, ist auch der Einwand der Revision nicht berechtigt, es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen sich das Berufungsgericht dem Gutachten angeschlossen habe. Eine Bemerkung dahin, "vor den Verkaufsverhandlungen und vor dem Abschluß des Vertrages habe sich die Klägerin nicht auffällig benommen", findet sich in den Urteilsgründen nicht. Es braucht daher zum Vorwurf der Revision, diese Bemerkung hätte das Berufungsgericht vom Sachverständigen nicht kurzerhand übernehmen dürfen, nicht Stellung bezogen zu werden.

6.Da das Berufungsurteil auch im übrigen zu Bedenken keinen Anlaß gibt, muß der Revision der Erfolg versagt werden.