Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 13.12.2013, Az.: V ZR 58/13
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger, ein Arzt, kaufte mit Vertrag vom 25. November 2010 einen neuen PKW der Marke BMW (fortan: BMW) für 46.490,80 €. Das Fahrzeug wurde ihm am 24. Januar 2011 übergeben. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Einer seiner Patienten, Herr G. , erklärte sich bereit, ihm gegen Stellung des BMW als Sicherheit ein Darlehen zu verschaffen, mit dem die übrigen Gläubiger ausgezahlt werden könnten. Der Kläger traf sich am 30. Januar 2011 mit Herrn G. in einem Hotel und unterzeichnete eine Vereinbarung mit einer W. Treuhand AG, deren Verwaltungsratspräsident Herr G. war, der zufolge er der AG seinen BMW übereignete. Tags darauf rief Herr G. den Kläger an und teilte ihm mit, in etwa 15 Minuten werde ein Herr F. bei ihm in der Praxis erscheinen und den BMW abholen. Als dieser erschien, übergab der Kläger ihm den BMW nebst einem der Fahrzeugschlüssel und beiden Teilen der Zulas-1 sungsbescheinigung (fortan Fahrzeugbrief bzw. Fahrzeugschein). Er behielt einen weiteren Fahrzeugschlüssel, das Originalbordbuch und das Servicescheckheft, fertigte eine Kopie des Personalausweises von Herrn F. und ließ sich von diesem die Übergabe und den Kilometerstand bestätigen. Am 22. Februar 2011 wurde der BMW in N. abgemeldet. Der Kläger erhielt ihn nicht zurück.
Am 7. April 2011 kaufte die Beklagte das Fahrzeug, dessen Laufleistung mit 1.960 km angegeben war, unter Inzahlunggabe ihres alten BMW für 42.500 € von einem Autohändler. Sie bezahlte in bar und erhielt einen Fahrzeugschlüssel und die Originalpapiere, in denen nicht der Verkäufer, sondern der Kläger als Halter ausgewiesen war, sowie auf Nachfrage den Hinweis, die Papiere zu dem BMW befänden sich im Handschuhfach. Der BMW wurde am folgenden Tag auf die Beklagte zugelassen. Den zweiten Schlüssel, das Bordbuch und das Scheckheft, die sich nicht im Fahrzeug befanden, sandte der Verkäufer der Beklagten wenige Tage später zu.
Das Landgericht hat die auf Herausgabe des BMW und Zahlung einer Nutzungsentschädigung gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihr verfolgt der Kläger seine Anträge weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in WM 2013, 1481 veröffentlicht ist, scheitern die geltend gemachten Ansprüche daran, dass die Beklagte gutgläubig Eigentum an dem BMW erworben hat. Das Landgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Beklagte bei dem Erwerb des BMW gutgläubig gewesen sei. Sie habe weder auf Grund der Antwort des Verkäufers auf ihre Frage nach dem Bordbuch und dem Servicescheckheft noch auf Grund der Umstände des Verkaufs misstrauisch werden müssen. Die Herabsetzung des Kaufpreises von rund 46.000 € auf 42.000 € sei angesichts der Laufleistung des Fahrzeugs angemessen gewesen. Dass der Verkäufer als Autohändler nicht als Halter eines Fahrzeugs in den Zulassungspapieren aufgeführt sei, sei nicht ungewöhnlich, da die Voreintragung aufwendig sei und die Eintragung zusätzlicher früherer Halter zu Wertverlusten führe. Vor allem habe er die Originalzulassungspapiere übergeben. Ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums an dem BMW durch die Beklagte scheitere auch nicht daran, dass der BMW dem Kläger abhandengekommen wäre. Ein Abhandenkommen infolge einer Unterschlagung des Fahrzeugs durch Herrn F. setze voraus, dass dieser Besitzdiener des Klägers gewesen sei. Das sei aber nicht der Fall. Nach den eigenen Einlassungen des Klägers habe Herr F. nicht in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Kläger gestanden. Ein Abhandenkommen des BMW folge auch nicht daraus, dass die Ehefrau des Klägers, die Zeugin M. , Mitbesitz an dem BMW gehabt habe. Die freiwillige Weggabe einer Sache durch deren Alleineigentümer schließe ein Abhandenkommen im Hinblick auf einen weiteren Mitbesitzer aus.
II.
Diese Erwägungen treffen zu. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Der Kläger kann von der Beklagten weder Herausgabe des BMW noch Herausgabe der Nutzungen des Fahrzeugs verlangen. Als Grundlage solcher Ansprüche kommen nur § 985 BGB (Herausgabe des BMW) und § 990 Abs. 1 Satz 1, § 987 Abs. 1 BGB (Herausgabe der Nutzungen) in Betracht. Diese Ansprüche stehen dem Kläger nur zu, wenn er Eigentümer des BMW geblieben ist. Diese Voraussetzung hat das Berufungsgericht zutreffend verneint. Die Beklagte hat gutgläubig Eigentum an dem BMW erworben.
2. Ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums an dem BMW durch die Beklagte setzt nach § 932 Abs. 1 Satz 1, § 929 Satz 1 BGB voraus, dass diese sich mit dem Verkäufer über den Übergang des Eigentums an dem Fahrzeug geeinigt, der Verkäufer ihr den unmittelbaren Besitz an dem Fahrzeug verschafft hat und dass die Beklagte bei Vollendung des Eigentumserwerbs gutgläubig war. Das war sie nach § 932 Abs. 2 BGB, wenn sie zu diesem Zeitpunkt weder wusste noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass der BMW nicht dem Verkäufer, sondern einem Dritten gehörte. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gegeben. Die Beklagte hat sich danach mit dem Verkäufer darüber geeinigt, dass sie (Zug um Zug gegen die geleistete Barzahlung des Kaufpreises und die Inzahlunggabe ihres alten Fahrzeugs) das Eigentum an dem BMW erhielt. Der Verkäufer hat ihr den BMW übergeben. Sie wusste nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu diesem Zeitpunkt nicht, dass der Verkäufer nicht Eigentümer des BMW war und hatte auch keinen hinreichenden Anlass, an dessen Eigentum zu zweifeln. Diese tatsächlichen Feststellungen sind revisionsrechtlich nur eingeschränkt über-5 prüfbar und in diesem Rahmen nicht zu beanstanden. Sie werden von dem Kläger mit der Revision auch nicht angegriffen.
3. Entgegen der Ansicht des Klägers scheitert der gutgläubige Erwerb des Eigentums an dem BMW durch die Beklagte auch nicht an der Vorschrift des § 935 Abs. 1 BGB. Danach scheidet der gutgläubige Erwerb des Eigentums an einer beweglichen Sache trotz der Gutgläubigkeit des Erwerbers aus, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war. Eine bewegliche Sache kommt ihrem Eigentümer abhanden, wenn dieser den Besitz an ihr unfreiwillig verliert (BGH, Urteile vom 15. November 1951 - III ZR 21/51, BGHZ 4, 10, 33 und vom 16. April 1969 - VIII ZR 64/67, WM 1969, 656, 657; RGZ 101, 224, 225; MünchKomm-BGB/Oechsler, 6. Aufl., § 935 Rn. 2; Staudinger/Wiegand, BGB [2011] § 935 Rn. 4). Der Kläger hat den Besitz an dem BMW nicht in diesem Sinne unfreiwillig verloren.
a) Ein unfreiwilliger Besitzverlust kann unter allerdings im Einzelnen streitigen Bedingungen eintreten, wenn der Eigentümer den Besitz an der Sache nach Maßgabe von § 855 BGB durch einen Besitzdiener ausübt und dieser die Sache ohne den Willen des Eigentümers einem Dritten überlässt (RGZ 71, 248, 253; OLG Köln, MDR 2006, 90; zu den Einzelheiten: MünchKomm-BGB/Oechsler, BGB. 6. Aufl., § 935 Rn. 10; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012] § 855 Rn. 28). Diese Voraussetzungen sind nach Ansicht des Klägers hier dadurch eingetreten, dass er den BMW dem Zeugen F. zur Vorführung bei der Bank überlassen und dieser das Fahrzeug dem Zeugen G. oder der von diesem vertretenen Gesellschaft überlassen hat, von denen der Autohändler das Fahrzeug erworben hat. Diese Annahme ist unzutreffend.
aa) Besitzdiener ist nach § 855 BGB, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Dazu muss ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden (BGH, Urteil vom 24. April 1952 - IV ZR 107/51, LM Nr. 2 zu § 1006 BGB, Bl. 876 Rückseite; Senat, Urteil vom 30. Mai 1958 - V ZR 295/56, BGHZ 27, 360, 363; RGZ 77, 201, 209), das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen (OLG Bamberg, NJW 1949, 716, 717; OLG Schleswig, SchlHA 1969, 43, 44; OLG Stuttgart, WM 2009, 1003; Soergel/Stadler, BGB, 13. Aufl., § 855 Rn. 8; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012] § 855 Rn. 16).
bb) Ein solches Rechtsverhältnis hat das Berufungsgericht mit Recht verneint.
(1) Der Kläger hat bislang die Ansicht vertreten, ein solches Rechtsverhältnis habe zwischen ihm und dem Zeugen F. bestanden. Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil dieser Zeuge von dem Zeugen G. beauftragt worden war, den BMW abzuholen, diesen Auftrag auch erledigt hat und ihn der Kläger, wie das Berufungsgericht formuliert hat, 'nicht einfach 'kraft WillensaktsÔ zu seinem Besitzdiener machen' konnte. Das hat das Berufungsgericht zutreffend gesehen. Dagegen wendet sich der Kläger nicht.
(2) Entgegen der Ansicht des Klägers waren auch weder der Zeuge G. selbst noch die von diesem vertretene Gesellschaft seine Besitzdiener.
(a) Der Kläger stützt seine gegenteilige Ansicht darauf, dass der Zeuge G. oder die von diesem vertretene Gesellschaft zu ihm in einem Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis gestanden und auf Grund dieses 10 Rechtsverhältnisses seine Weisungen zu befolgen gehabt hätten. Das allein macht aber weder den Zeugen noch die von ihm vertretene Gesellschaft zu Besitzdienern des Klägers. Besitzdiener ist nicht jeder, der Weisungen des Eigentümers der Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall auf Grund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst durchsetzen kann. Solche Befugnisse sehen weder das Auftrags- noch das Geschäftsbesorgungsrecht vor. Deshalb werden der Beauftragte, der Geschäftsbesorger ebenso wie Werkunternehmer als Besitzmittler angesehen (RGZ 100, 190, 193; 109, 167, 170 für Auftrag; OLG Hamm, NJW-RR 1995, 1010, 1011; OLG Brandenburg, OLGR 2006, 850 für Geschäftsbesorgungsvertrag; RGZ 98, 131, 134 für Geschäftsführung ohne Auftrag; BGH, Urteil vom 11. Oktober 1951 - IV ZR 90/50, Umdruck Seite 29, insoweit weder in LM Nr. 2 zu Art. 3 AHKG 13 noch in LM Nr. 1 zu § 855 BGB abgedruckt, und OGHZ 2, 157, 160 für Frachtvertrag; OLG Koblenz, NJW-RR 2003, 1563, 1564 aE für Werkvertrag), nicht als Besitzdiener.
(b) Nichts anderes ergibt sich aus dem von dem Kläger angestellten Vergleich des vorliegenden Rechtsverhältnisses mit dem Rechtsverhältnis des Verkäufers eines Fahrzeugs zu dem Kaufinteressenten, dem er eine Probefahrt ermöglicht. Es ist zwar richtig, dass der Kaufinteressent, der mit dem ihn interessierenden Fahrzeug eine Probefahrt unternimmt, als Besitzdiener des Verkäufers angesehen wird (OLG Köln, MDR 2006, 90; MünchKomm-BGB/Joost, 6. Aufl., § 855 Rn. 14; vorsichtig distanzierend: Staudinger/Gutzeit, BGB, [2012] § 855 Rn. 22). Ob dem ohne weiteres gefolgt werden kann, kann dahinstehen. Anerkannt ist jedenfalls, dass der Inhaber der Fahrzeugschlüssel jedenfalls dann nicht mehr nur Besitzdiener des Eigentümers, sondern selbst unmittelbarer Besitzer des Fahrzeugs ist, wenn sich der Eigentümer seiner Einflussmöglichkeiten begibt (OLG Schleswig, SchlHA 1969, 43, 44; Soergel/Stadler, BGB, 15 13. Aufl., § 855 Rn. 10 aE; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012] § 855 Rn. 16 Abs. 2). So liegt es hier. Der Kläger hat den BMW dem Zeugen F. übergeben, der von dem Zeugen G. beauftragt war, auf den wiederum der Kläger nicht unmittelbar einwirken konnte. Er hat dem Zeugen F. zudem nicht nur das Fahrzeug mit dem Schlüssel und dem für die Fahrt zur Bank benötigten Fahrzeugschein, sondern auch den Fahrzeugbrief übergeben. Welchen Zweck das hatte, muss hier nicht geklärt werden. Der Kläger hatte mit der von dem Zeugen G. vertretenen Gesellschaft am Tag zuvor vereinbart, dieser den BMW zu übereignen. Vor diesem Hintergrund hat er jedenfalls durch die Übergabe auch des Fahrzeugbriefs - im Unterschied zu dem Verkäufer bei der Übergabe eines Fahrzeugs zur Probefahrt - dem Zeugen G. oder der von diesem vertretenen Gesellschaft die Möglichkeit verschafft, als Eigentümer des Fahrzeugs aufzutreten. Er hat seinen unmittelbaren Besitz freiwillig aufgegeben und hatte auch keinen Besitzdiener, durch den er den Besitz noch ausüben konnte.
b) Ein Abhandenkommen des BMW ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger ihn dem Zeugen F. nicht zur beliebigen Verwendung, sondern nur dazu überlassen hat, das Fahrzeug der Bank vorzuführen und ihr gegebenenfalls zur Sicherheit zu übereignen. Damit hat der Kläger zwar, wie dargelegt, mit dem Zeugen G. , der den Zeugen F. zu ihm geschickt hatte, oder mit der von dem Zeugen G. vertretenen Gesellschaft einen Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen, auf Grund dessen er mittelbarer Besitzer des BMW blieb. Eine eigenmächtige Weggabe der Sache durch den Besitzmittler - hier des Zeugen G. oder der von diesem vertretenen Gesellschaft - steht aber, anders als ein eigenmächtiges Verhalten eines Besitzdieners, dem gutgläubigen Erwerb durch einen Dritten nicht entgegen (BGH, Urteile vom 16. April 1969 - VIII ZR 64/67, WM 1969, 656, 657 und vom 20. September 2004 - II ZR 318/02, NJW-RR 2005, 280, 281). Sie führt zwar 16 zur Beendigung des Besitzmittlungsverhältnisses und dazu, dass der mittelbare Besitzer - hier der Kläger - den mittelbaren Besitz ohne seinen Willen verliert. Der Verlust des mittelbaren Besitzes ist aber für den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs nach § 935 Abs. 1 BGB nicht entscheidend (BGH, Urteil vom 16. April 1969 - VIII ZR 64/67, WM 1969, 656, 657). Den unmittelbaren Besitz, auf dessen unfreiwilligen Verlust es nach der Vorschrift ankommt, hat der mittelbare Besitzer mit der Begründung des Besitzmittlungsverhältnisses freiwillig aufgegeben (MünchKomm-BGB/Oechsler, 6. Aufl., § 935 Rn. 9).
c) Ein Abhandenkommen des BMW ergibt sich schließlich entgegen der Ansicht des Klägers nicht daraus, dass seine Ehefrau Mitbesitz an dem BMW hatte und diesen verlor, als er den BMW dem Zeugen F. übergab.
aa) Dem Kläger ist allerdings einzuräumen, dass der gutgläubige Erwerb des Alleineigentums an einer in unmittelbarem Besitz mehrerer Mitbesitzer stehenden Sache nach wohl unbestrittener Ansicht ausscheidet, wenn der Erwerber den Besitz von einem Mitbesitzer ohne Wissen und Wollen der anderen Mitbesitzer erlangt (BGH, Urteil vom 6. März 1995 - II ZR 84/94, NJW 1995, 2097, 2099; OLG München, MDR 1993, 918; OLG Braunschweig, OLGE 26, 58, 59; Bamberger/Roth/Kindl, BGB, 3. Aufl., § 935 Rn. 4; jurisPK-BGB/Beckmann, 6. Aufl., § 935 Rn. 6; MünchKomm-BGB/Oechsler, 6. Aufl., § 935 Rn. 3; NK-BGB/Meller-Hannich, 3. Aufl., § 935 Rn. 4; Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 935 Rn. 9; Soergel/Henssler, BGB, 13. Aufl., § 935 Rn. 9; Staudinger/Wiegand, BGB [2011] § 935 Rn. 7). Diskutiert wird diese Möglichkeit bislang aber nur für den Fall, dass die Mitbesitzer der Sache auch Miteigentümer sind (BGH, Urteil vom 6. März 1995 - II ZR 84/94, NJW 1995, 2097, 2099; OLG Braunschweig, OLGE 26, 58, 59), und für den Fall, dass der Mitbesitzer, der sich oder einem Dritten den Alleinbesitz an der Sache verschafft, selbst nicht deren Eigentümer ist (OLG München, MDR 1993, 918; Staudinger/ 17 Wiegand, aaO Rn. 8). Hier geht es aber weder um die eine noch um die andere Fallgestaltung, sondern darum, dass der Dritte den Besitz von dem Mitbesitzer erlangt, in dessen Alleineigentum die Sache steht.
bb) Auf diesen Fall ist § 935 Abs. 1 BGB seinem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Vorschrift schließt den gutgläubigen Erwerb nur aus, wenn entweder der Eigentümer selbst (Absatz 1 Satz 1) oder der unmittelbare Besitzer, der ihm den Besitz vermittelt, den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verliert (Absatz 1 Satz 2). Der Verlust des Mitbesitzes der Ehefrau des Klägers erfüllt weder den Tatbestand des Satzes 1 noch den des Satzes 2 der Vorschrift. Der Kläger hat seinen unmittelbaren Mitbesitz nicht unfreiwillig verloren. Seine Ehefrau vermittelte ihm den Besitz an dem BMW nicht, da er selbst neben ihr unmittelbarer Mitbesitzer war.
cc) Die Vorschrift kann in beiden Alternativen auf diesen Fall auch nicht entsprechend angewandt werden. Das setzte voraus, dass die Vorschrift in der vorliegenden Fallkonstellation eine unbeabsichtigte Lücke aufwiese, die nach dem Plan des Gesetzes durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf diese Konstellation ausgefüllt werden müsste (vgl. Senat, Urteile vom 12. Juli 2013, V ZR 85/12, ZfBR 2013, 766, 768 Rn. 26 und vom 19. März 2004 - V ZR 214/03, VIZ 2004, 374, 375). Es fehlt schon an der planwidrigen Lücke.
(1) § 935 Abs. 1 BGB schützt den Eigentümer vor einem Eigentumsverlust durch den gutgläubigen Erwerb eines Dritten, wenn er seinen Besitz unfreiwillig verloren hat. Der unfreiwillige Besitzverlust entwertet nämlich den unmittelbaren Besitz und die an ihn anknüpfende Eigentumsvermutung (§ 1006 BGB) als Grundlage des gutgläubigen Erwerbs. Das ist in den bisher diskutierten Fallgestaltungen nicht anders. Erlangt der Erwerber ohne den Willen des Eigentümers den unmittelbaren Besitz von einem Mitbesitzer, dem die Sache 19 nicht gehört, verliert ihr Eigentümer den Besitz jedenfalls unfreiwillig. Ist der Mitbesitzer zugleich Miteigentümer, verlieren zwar nicht alle Miteigentümer den Besitz unfreiwillig, wohl aber die Miteigentümer, die dem Dritten den Besitz nicht (mit-)verschafft haben. In beiden Fallgestaltungen wäre die Anwendung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb nicht zu rechtfertigen. Beide Fälle werden nach Wortlaut und Zweck von § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB erfasst.
(2) Das Problem, das die Vorschrift des § 935 BGB bewältigen soll, stellt sich dagegen nicht, wenn der Dritte den unmittelbaren Besitz von einem Mitbesitzer erlangt, dem die Sache allein gehört. Der Eigentümer gibt in diesem Fall seinen unmittelbaren Besitz an der Sache zu Gunsten des Dritten freiwillig ganz auf und verschafft diesem damit den unmittelbaren Besitz, an den wiederum nach § 1006 BGB die Vermutung für dessen Eigentum knüpft. Es gibt deshalb keinen sachlichen Grund, ihn vor den Folgen des gutgläubigen Erwerbs zu schützen. Dass die Regelung in § 935 BGB auf diesen Fall keine Anwendung findet, entspricht dem Plan des Gesetzes und dem Zweck der Vorschrift. Daran ändert es entgegen der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht nichts, dass Mitbesitzerin des Fahrzeugs im vorliegenden Fall die Ehefrau des Klägers war. Für die Geltung oder Nichtgeltung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb kommt es nach § 935 Abs. 1 BGB allein darauf an, ob der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verlieren. Auf welcher Grundlage die maßgeblichen Besitzverhältnisse beruhen, spielt dagegen für die Geltung des Verkehrsschutzes keine Rolle.
(3) § 935 BGB kann, anders als der Kläger meint, auch nicht deshalb als lückenhaft angesehen werden, weil der Schutz des eigentumslosen Mitbesitzers in dieser Fallkonstellation unzureichend sei. 22
(a) Zweifelhaft ist schon, ob der Schutz des Mitbesitzers unzureichend ist. Dem eigentumslosen Mitbesitzer stehen gegen den Eigentümer die materiellrechtlichen Ansprüche auf Verschaffung oder Wiederverschaffung des Mitbesitzes aus dem Rechtsverhältnis zu, auf Grund dessen er den Mitbesitz erlangt hat. Außerdem stehen ihm die allgemeinen possessorischen Ansprüche zu, die bei der vollständigen Entziehung des Mitbesitzes durch § 866 BGB nicht ausgeschlossen sind (Senat, Urteil vom 6. April 1973 - V ZR 127/72, LM Nr. 8 zu § 854 BGB; OLG Düsseldorf, OLGZ 1985, 233, 235).
(b) Auch wenn der Schutz des Mitbesitzers gegenüber dem mitbesitzenden Eigentümer unzureichend sein sollte, bedeutet das nicht, dass gerade die Vorschrift des § 935 BGB planwidrig lückenhaft ist. Lückenhaft ist in einer solchen Situation vielmehr die Vorschrift, deren Zweck die Bewältigung des unzureichend geregelten Problems ist (vgl. Senat, Urteil vom 19. März 2004 - V ZR 214/03, VIZ 2004, 374, 375). Das wäre hier § 866 BGB, nicht § 935 BGB. Nur die erstgenannte Vorschrift befasst sich mit dem Schutz des Mitbesitzers. Die Vorschrift des § 935 BGB befasst sich dagegen mit dem Schutz des Eigentümers vor den Folgen des gutgläubigen Erwerbs bei einem unfreiwilligen Besitzverlust. Regelungsthema der Vorschrift ist damit der Schutz des Eigentümers, nicht der Schutz des Besitzers. Dass diese Vorschrift nicht lückenhaft sein kann, wenn der Schutz der Mitbesitzer untereinander unzureichend sein sollte, zeigt sich auch an den Folgen einer entsprechenden Anwendung auf die Entziehung des Mitbesitzes durch den mitbesitzenden Eigentümer. Die Vorschrift schlösse zwar den gutgläubigen Erwerb des Eigentums an der Sache durch einen Dritten aus und verhinderte, dass der Besitz an der Sache endgültig verlorengeht. Davon profitierte aber nur der Eigentümer. Für den eigentumslosen Mitbesitzer wäre nichts gewonnen. Er bliebe für die Wiederverschaffung des Mitbesitzes auf die materiellrechtlichen und possessorischen Ansprüche verwiesen, die ohnehin bestehen. 24 IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Lemke Schmidt-Räntsch Czub Brückner Kazele Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 20.07.2012 - 20 O 499/11 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 27.02.2013 - 3 U 140/12 - 26