zurück zur Übersicht

Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 24.01.2012, Az.: VI ZR 132/10

Tenor

Die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung vom 16. Dezember 2011 gegen den Senatsbeschluss vom 29. November 2011 werden auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Gehörsrüge und die Gegenvorstellung des Beklagten sind nicht begründet.

Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hingegen ist es nicht erforderlich, alle Einzelpunkte des Parteivortrags ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 96, 205, 216 f.; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2005 - III ZR 263/04, NJW 2005, 1432 f.). Nach § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO kann das Revisionsgericht von einer Begründung des Beschlusses, mit dem es über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet, absehen, wenn diese nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Entsprechendes gilt für den Beschluss, mit dem ein Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde abge-1 lehnt wird, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Von dieser Möglichkeit hat der Senat im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht. Der Senat hat bei seiner Entscheidung vom 29. November 2011 das Vorbringen des Beklagten in vollem Umfang geprüft, ihm aber keine Gründe für eine Zulassung der Revision entnehmen können. Die Rechtssache hat weder eine grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Akten eines Strafverfahrens und das rechtskräftige Strafurteil grundsätzlich als Beweisurkunden im Zivilprozess herangezogen werden können, auf die der Tatrichter seine Überzeugung stützen kann (vgl. Senat, Urteile vom 19. Dezember 1969 - VI ZR 128/68, VersR 1970, 322, 323; vom 19. April 1983 - VI ZR 253/81, VersR 1983, 667, 668; vom 9. Juni 1992 - VI ZR 215/91, VersR 1992, 1028, 1029; Beschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 31/10, VersR 2011, 1199 Rn. 13; BGH, Urteil vom 6. Juni 1988 - II ZR 332/87, NJW-RR 1988, 1527, juris Rn. 4). Zudem hat es beachtet, dass die im Strafurteil enthaltenen Feststellungen für das Zivilgericht nicht bindend sind. Demgemäß hat sich das Berufungsgericht eine eigene Überzeugung insbesondere aufgrund der Feststellungen in dem rechtskräftigen Strafurteil, aber auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten und durch Vernehmung der von ihm benannten Zeugin B. gebildet. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Kläger seinen Anspruch durch die mit der Klageschrift erfolgte Vorlage des ausführlich begründeten rechtskräftigen Strafurteils schlüssig dargelegt. Dies erhöhte nach allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozesses unter dem Gesichtspunkt der so genannten sekundären Darlegungslast die Darlegungslast des Beklagten (vgl. auch OLG München, MDR 2007, 1037, juris Rn. 44 ff.), ohne dass sich eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung stellte. 3 b) Die Aussage der Zeugin B. hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler gewürdigt. Soweit der Beklagte auf frühere Aussagen der Zeugin im Ermittlungsverfahren Bezug nimmt, hat er nicht dargelegt, dass diese in den Zivilprozess eingeführt worden sind. In der Hauptverhandlung des Strafverfahrens hatte die Zeugin von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

Unter diesen Umständen liegen die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts und ein Zulassungsgrund nicht deshalb vor, weil das Berufungsgericht den Beklagten nicht nach § 448 ZPO vernommen oder jedenfalls informatorisch nach § 141 ZPO angehört hat. Nach der auf die Entscheidung des EGMR vom 27. Oktober 1993 (NJW 1995, 1413 ff.) zurückgehenden Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteile vom 25. September 2003 - III ZR 384/02, NJW 2003, 3636; vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02, NJW-RR 2003, 1002, 1003; vom 16. Juli 1998 - I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364; vom 27. September 2005 - XI ZR 216/04, NJW-RR 2006, 61, juris Rn. 31; Beschluss vom 30. September 2004 - III ZR 369/03, juris Rn. 3; vgl. auch BVerfG NJW 2001, 2531 f.; NJW 2008, 2170 Rn. 10 ff.) haben die Gerichte grundsätzlich zur Wahrung der Waffengleichheit bzw. des Rechts auf ein faires Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs in Situationen, in denen nach Gesprächen unter vier Augen nur der einen Partei ein Zeuge zur Verfügung steht, der Beweisnot der anderen Seite dadurch Rechnung zu tragen, dass sie die prozessual benachteiligte Partei nach § 448 ZPO vernehmen oder gemäß § 141 ZPO anhören. Eine solche Situation hat im Streitfall nicht vorgelegen. Hier hat der Beklagte für sein Vorbringen eine Zeugin benennen können, deren Aussage allerdings nicht die aus anderen Beweismitteln gewonnene Überzeugung des Berufungsgerichts erschüttern konnte.

c) Entgegen der Auffassung der Revision liegt keine Überraschungsentscheidung vor. Auf den Inhalt der Strafakten, die 'zunächst zu Informations- 4 zwecken' beigezogen worden sind, hat das Berufungsgericht nicht abgestellt. Das Strafurteil und dessen Vorlegung mit der Klageschrift waren dem Beklagten bekannt. Neue, überraschende Gesichtspunkte haben sich aus der Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung am 9. März 2010 nicht ergeben. Die dort erörterten Gesichtspunkte waren Gegenstand des Strafverfahrens und des jetzigen Prozesses. Der Beklagte hatte auch genügend Zeit, die Strafakten vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung einzusehen.

d) Soweit der Beklagte beanstandet, das Berufungsgericht hätte beantragte Sachverständigengutachten einholen müssen, war dies aus prozessualen Gründen nicht erforderlich. Das Berufungsgericht hat als wahr unterstellt, dass es keine Möglichkeit gab, das Garagentor geräuschfrei zu öffnen. Soweit der Beklagte behauptet, die zur Verfügung stehende Fahrzeit habe nicht ausgereicht, liegt kein substantiierter Vortrag zu den Witterungsverhältnissen und eventuellen Geschwindigkeitskontrollen vor. Die im Übrigen vom Sachverständigen verlangten Bewertungen kann dieser nicht treffen, weil die Frage, ob die Zeugin oder Dritte bestimmte Umstände bemerkt hätten, nicht von einem Sachverständigen zu beantworten ist.

e) Zu dem am Tatort aufgefundenen Latexfragment, dem 'Zeitfenster', welches der Anwesenheit des Beklagten am Tatort entgegengestanden haben soll, und dem möglichen Tatmotiv hat das Revisionsurteil im Strafverfahren (Strafakten Band XVII 3652 bis 3656) Stellung genommen und die Bedenken des Generalbundesanwalts, auf die der Beklagte abstellt, zurückgewiesen. Für die Überzeugungsbildung des Tatrichters, dass der Angeklagte zur Tatzeit am Tatort war, war danach entscheidend, dass sich DNA-Spuren des Beklagten an dem Latexstück fanden, und nicht, ob zusätzlich eine Minimalbeimengung anderen Spurenmaterials vorhanden war. Eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende Gewissheit ist für die 7 Überzeugungsbildung des Tatrichters - auch hinsichtlich der weiteren Einwände des Beklagten - nicht erforderlich.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgesehen.

Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr Vorinstanzen:

LG Köln, Entscheidung vom 03.07.2008 - 15 O 6/08 -

OLG Köln, Entscheidung vom 20.04.2010 - 3 U 145/08 - 9