Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 13.07.1956, Az.: VI ZR 132/55
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main vom 4. März 1955 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte führte im Auftrage des Kaufmanns Fritz P. in D. in der Zeit vom 20. bis 22. Januar 1948 eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der im März 1947 gegründeten, damals noch nicht in das Handelsregister eingetragenen Firma Ludwig H. & Co GmbH in O./Rhön (im Folgenden als Firma H. bezeichnet) durch. Diese Prüfung erfolgte deshalb, weil P. eine Beteiligung an der Firma H. in Aussicht genommen hatte. In dem vom 30. Januar 1948 datierten Prüfungsbericht, in dem mitgeteilt war, daà der Beklagte die Bilanzposten formell und materiell geprüft habe, stellte er die wirtschaftliche Lage der Firma H. recht günstig dar und faÃte das Ergebnis seiner Prüfung in folgenden Sätzen zusammen:"1)Die Organisation des Unternehmens ist zweckmäÃig und wirtschaftlich, die Führung der Bücher ist ordnungsmäÃig.2.Obwohl das Unternehmen erst ein Jahr besteht, sind Vermögenslage und Liquidität angemessen günstig, die wahrscheinlichen Rentabilitätsaussichten gut.3.Gegen eine Beteiligung bestehen keine Bedenken, eine Beteiligung auch in Form eines Darlehens würde wie ein Stammanteil behandelt werden."
Poppenbuerger beteiligte sich auf Grund dieses Berichtes mit 350.000 RM an der Firma H..
Mitte April 1948 trat der Kläger mit der Firma H. wegen einer Geldbeteiligung in Verbindung. Bei einer Besprechung am 22. April 1948 legte der Geschäftsführer und Mitgesellschafter Fritsch der Firma H. dem Kläger den Prüfungsbericht des Beklagten vom 30. Januar 1948 vor. Am 1. Juni 1948 gewährte sodann der Kläger der Firma H. ein bares Darlehen von 300.000 RM. Gleichzeitig trat er als Angestellter in ihren Dienst. Am 2. November 1948 geriet die Firma H. in Konkurs. Der Kläger und P. haben in dem Konkursverfahren Befriedigung ihrer Forderungen nicht erlangen können. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hat den Schaden des P. ersetzt.
Der Kläger ist der Ansicht, daà der Beklagte auch ihm zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil er den Prüfungsbericht, der den Kläger zur Hingabe des Geldes bewogen habe, wissentlich falsch erstattet und der Firma H. überlassen habe.
Mit der Klage hat der Kläger Zahlung von 10.000 DM nebst Zinsen begehrt.
Das Landgericht hat zunächst die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen und, nachdem der Kläger Einspruch eingelegt hatte, das Versäumnisurteil aufrecht erhalten.
Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben.
Mit der Revision, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1)Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daà mangels vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien als Anspruchsgrundlage nur § 826 BGB in Betracht kommt. Es hat für erwiesen gehalten, daà der Beklagte in seinem Prüfungsbericht über die Firma H. teils bewuÃt, teils grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Es hat ferner angenommen, der Beklagte habe diesen Bericht vorsätzlich in die Hände der Firma H. gelangen lassen und ihr damit die Möglichkeit gegeben, den Kläger über ihre Kreditwürdigkeit zu täuschen und ihn zur Hingabe des Darlehens von 300.000 RM zu veranlassen. Dem Beklagten sei auch bewuÃt gewesen, so hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, daà der Geschäftsführer Fritsch der Firma H. das Gutachten möglicherweise bei Kreditverhandlungen verwenden würde, dennoch habe es der Beklagte in Kauf genommen, daà Dritte hierdurch zu Schaden kommen könnten. Das Berufungsgericht ist daher zu dem Ergebnis gelangt, der Beklagte habe dem Kläger in sittenwidriger Weise vorsätzlich Schaden zugefügt und hafte deshalb auf Ersatz dieses Schadens.
2)Entgegen der Ansicht der Revision rechtfertigen die von dem Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen den SchluÃ, daà der Beklagte sittenwidrig gehandelt hat. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daà ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten einen Sittenverstoà darstellen kann (BGHZ 10, 228 [233] mit Nachw). Das gilt insbesondere dann, wenn der Schädiger mit Rücksicht auf sein Ansehen oder seinen Beruf eine Vertrauensstellung einnimmt (RGZ 76, 313 [319]; RG JW 1914, 83 Nr. 14; 1929, 3149 Nr. 1; 1932, 937 Nr. 5; WarnRspr 1935, 236 Nr. 115; HRR 1936, 191; SeuffArch 93, 243 Nr. 91). Hier hatte der Beklagte, wie das Berufungsgericht rechtsirrtumsfrei im einzelnen dargelegt hat, in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsprüfer ein Gutachten erstattet, das bewuÃt wahrheitswidrige Angaben enthält und in dem er leichtfertig ein günstiges Urteil über die Kreditwürdigkeit der von ihm geprüften Firma H. abgegeben hat. Ein solches Verhalten verstöÃt in grober Weise gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist daher sittenwidrig.
3)Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten erstatteten Bericht als ursächlich für die Geldhingabe des Klägers an die Firma H. angesehen. Die Revision macht demgegenüber geltend, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, daà ein Gutachten über die Kreditwürdigkeit einer Firma nach einer gewissen Zeit die Eigenschaft verliere, als Unterlage für den Entschluà zu einer Kreditbewilligung zu dienen. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie im 1. Halbjahr 1948 vor der Währungsreform bestanden hätten, könne diese Frist, so meint die Revision, nur kurz bemessen werden. Sie sei zur Zeit der Hingabe des Darlehens längst verstrichen gewesen.
Diesen Erwägungen vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschlieÃen. Hat der unrichtige Prüfungsbericht den Kläger dazu veranlaÃt, den Geldbetrag der Firma H. zur Verfügung zu stellen, was das Berufungsgericht aus im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Gründen angenommen hat, so läÃt sich ein adäquater Ursachenzusammenhang mit der von der Revision gegebenen Begründung nicht verneinen. Daà ein unrichtiger Prüfungsbericht eines Wirtschaftsprüfers, auch wenn er längere Zeit zurückliegt, einen Kreditgeber in seinen Entschlüssen beeinfluÃt, entspricht dem regelmäÃigen Verlauf der Dinge und liegt nicht von vornherein auÃer aller Wahrscheinlichkeit (vgl. BGHZ 3, 261 [267]). Angesichts der allgemeinen Geldflüssigkeit und des Warenhungers vor der Währungsreform bestand gerade in dieser Zeit im allgemeinen kein AnlaÃ, bei einem günstig beurteilten Handelsunternehmen eine schnelle Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage zu befürchten. In der Nachinflationszeit, für die das Reichsgericht (Bankarchiv XXXII, 500) ähnlichen Gedanken Raum gegeben hat, wie sie von der Revision geäuÃert werden, waren die Verhältnisse ganz anders als in dem letzten halben Jahr vor der Währungsreform. Die Grundsätze, die in dem erwähnten Urteil des Reichsgerichts ausgesprochen sind, können daher auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt keine Anwendung finden. Die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs durch das Berufungsgericht läÃt sich mithin aus Rechtsgründen nicht beanstanden. Im übrigen bleibt es dem Beklagten unbenommen, in der ohnehin erforderlichen neuen Verhandlung vor dem Berufungsgericht die von der Revision erhobenen Bedenken vorzutragen.
4)Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, wird eine Schadensersatzpflicht des Beklagten gemäà § 826 BGB nicht schon durch sein sittenwidriges und für den Schaden ursächliches Handeln ausgelöst, sondern es ist weiter erforderlich, daà er den dem Kläger entstandenen Schaden vorsätzlich zugefügt hat. Unter dem Begriff "Vorsatz" ist der auf den rechtswidrigen Erfolg gerichtete Wille zu verstehen (Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 8. März 1951 - III ZR 44/50 - LM § 826 (Gc) BGB Nr. 1). Erforderlich ist einmal das BewuÃtsein, daà die Handlung den schädigenden Erfolg haben werde oder haben könne, und auÃerdem der Wille dieses Erfolges oder, im Falle des bedingten Vorsatzes, wenigstens die Billigung des Erfolges. Dabei braucht allerdings der Täter nicht zu wissen, wer der durch seine Handlung Geschädigte sein werde (RG Gruch Beitr 54, 972 [977]; 67, 180 [183]; RG JW 1936, 3111 Nr. 1; RGZ 157, 213 [220]). Der Anspruch wird mithin nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte den Kläger überhaupt nicht gekannt und von seiner Absicht der Firma H. Kredit zu gewähren, nichts gewuÃt hat. Ist der Beklagte sich dessen bewuÃt gewesen oder hat er damit gerechnet, daà sein leichtfertig falscher Prüfungsbericht in die Hände der Firma H. gelangen und von dieser bei Kreditverhandlungen mit Dritten zu deren Täuschung benutzt werden würde, und hat er vorausgesehen und es gebilligt, oder es in Kauf genommen, daà diese auf Grund seines Prüfungsberichts der Firma H. Kredit gewähren würden, so ist er entgegen der Ansicht der Revision für den diesen Dritten entstandenen Schaden ersatzpflichtig (vgl. RG JW 1903 Beil 142 Nr. 313).
5)Der Revision ist jedoch zuzugeben, daà die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts, die seiner Würdigung zugrunde liegen, der Beklagte habe den entsprechenden bedingten Vorsatz gehabt, aus Rechtsgründen einer Ãberprüfung bedürfen.
a)In diesem Zusammenhang ist der von der Revision hervorgehobene, bereits erwähnte Umstand beachtlich, daà die Kredithingabe durch den Kläger erst mehrere Monate nach der Erstattung des Gutachtens erfolgt ist, das den Stand der Firma H. vom 1. Januar 1948 wiedergibt. In der Zwischenzeit hatte nämlich Poppenbuerger, für den der Kläger das Gutachten angefertigt hatte, der Firma H. den Betrag von 350.000 RM zur Verfügung gestellt, mit dem Poppenbuerger sich an der Firma beteiligt hatte. Durch den Eingang dieses Betrages hatte sich der geschäftliche Status der Firma H. grundlegend geändert, vorallem gilt dies für ihre Liquidität. Angesichts des Auftrages, den der Beklagte von P. erhalten hatte, wäre zu prüfen gewesen, ob er nicht bei der Erstattung seines Prüfungsberichte damit gerechnet hat, P. werde sich an der Firma H. mit 350.000 RM beteiligen und dadurch würde die Firma saniert werden.
b)Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, liegt bedingter Vorsatz, den es dem Beklagten zur Last legt, nur dann vor, wenn der Täter mit der Möglichkeit rechnet, daà sein Handeln einen schädlichen Erfolg haben wird, und er auÃerdem dieses Ergebnis billigt oder in Kauf nimmt. Hat sich aber der Beklagte vorgestellt, daà P. sich mit 350.000 RM an der Firma H. beteiligen und diese damit wieder liquide werden würde, so kann dies dafür sprechen, daà der Beklagte nicht damit gerechnet hat, späteren Kreditgebern der Firma Hahn werde ein Schaden entstehen.
6)Wegen des aufgezeigten Rechtsmangels kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Es läÃt sich auch nicht mit anderer Begründung aufrecht erhalten (§ 563 ZPO), da sich wie ausgeführt, der vom Kläger erhobene Anspruch nur auf § 826 BGB stützen läÃt und diese Vorschrift voraussetzt, daà Vorsatz des Schädigers festgestellt ist. Das angefochtene Urteil muà daher aufgehoben werden (§ 564 ZPO), ohne daà auf die weiteren Angriffe der Revision eingegangen zu werden braucht.
Da weitere tatsächliche Aufklärung der Sache erforderlich ist, kann der erkennende Senat nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern muà sie nach § 565 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückverweisen, dem aus ZweckmäÃigkeitsgründen auch die Entscheidung über die Kosten der Revision übertragen worden sind.