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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 20.03.1979, Az.: VI ZR 152/78

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 11. Mai 1978 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:

Auf die Berufung des Klägers, die im übrigen zurückgewiesen wird, wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 21. Oktober 1977 geändert.

Es wird festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren Schaden zu 9/10 zu ersetzen, der ihm aus dem Unfall vom 16. August 1975 entstanden ist oder noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Arbeitgeber übergegangen sind.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Anschlußrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten beider Rechtsmittelzüge wird dem Landgericht übertragen.

Tatbestand

Am 16. August 1975 befuhr der Erstbeklagte mit seinem erstmalig im Jahre 1972 zugelassenen und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Mercedes 200 D die 8,20 m breite Bundesstraße 82 von R. in Richtung L. Vor ihm fuhr K. mit seinem Opel-Kadett, der zunächst den Opel-Kadett des Fahrers R. und danach den Peugeot des Fahrers M. überholte. Der Erstbeklagte schloß sich diesem Überholvorgang an. Als K. wieder nach rechts einscherte, überholte er auch diesen, obschon ihm jetzt auf der Gegenfahrbahn der Kläger mit seinem Ford-Taunus entgegenkam. Dabei streifte er diesen seitlich so, daß der Ford nach links auf die Gegenfahrbahn geriet und dort mit dem Peugeot des Fahrers M. zusammenstieß. M. wurde tödlich verletzt, auch der Kläger erlitt erhebliche Verletzungen. Die Zweitbeklagte hat die Erben und Hinterbliebenen des Fahrers M. mit einer Zahlung von 217.000 DM abgefunden. Auf den Schaden des Klägers hat sie 9.000 DM gezahlt, wovon dieser 4.000 DM auf seine materiellen Schäden und 5.000 DM auf das ihm geschuldete Schmerzensgeld anrechnet.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger von den Beklagten Zahlung weiterer 3.137,17 DM auf seinen materiellen Schaden, die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des materiellen Zukunftsschadens sowie die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Er hält den Erstbeklagten für allein schuldig an dem Unfall.

Die Beklagten meinen, der Kläger müsse sich eine Mitverschuldensquote von 3096 anrechnen lassen. Einmal habe er gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Zum anderen müsse er sich schadensmindernd entgegenhalten lassen, daß er seinen Kraftwagen nicht mit Sicherheitsgurten habe ausrüsten lassen; deren Benutzung hätte die Unfallfolgen erheblich vermindert. Die Beklagten rechnen deshalb mit einem angeblichen Gegenanspruch auf Zahlung von 72.333 DM (1/3 der an die Hinterbliebenen des M. gezahlten Abfindungssumme) gegen die Klageforderung auf.

Das Landgericht hat durch Teilurteil zunächst über die Feststellungsklage entschieden; es hat ihr in Höhe von 85 % stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Ersatzpflicht der Beklagten in Höhe von 9/10 festgestellt, hinsichtlich des durch die Nichtbenutzung von Sicherheitsgurten entstandenen Körperschadens indessen nur zu 8/10.

Mit seiner (zugelassenen) Revision begehrt der Kläger weiter die Feststellung der vollen Haftung der Beklagten. Diese haben Anschlußrevision eingelegt; sie beharren auf einer Begrenzung der Haftung auf 70 %.

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht - sein Urteil ist teilweise in VersR 1978, 627 veröffentlicht - geht davon aus, daß der Erstbeklagte (demnächst: der Beklagte) den Unfall durch eine grobe Verkehrswidrigkeit, nämlich Überholen trotz Behinderung des Gegenverkehrs (§ 5 Abs. 2 Satz 1 StVO) verschuldet habe. Den Kläger treffe aber in doppelter Hinsicht ein Mitverschulden. Er sei nämlich im Augenblick der Berührung beider Fahrzeuge mit den rechten Rädern seines Pkw etwa 2,50 m rechts der Mittellinie gefahren, hätte also angesichts der Örtlichkeit, so meint das Berufungsgericht, noch mindestens 1 m weiter rechts fahren können und müssen. Damit habe er gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen und den Zusammenstoß mitverursacht, weswegen er eine Haftungsquote von 1/10 zu tragen habe. Zum anderen meint das Berufungsgericht, der Kläger habe mindestens zum Teil seine beim Unfall erlittenen Verletzungen dadurch schuldhaft mitverursacht, daß er keine Sicherheitsgurte angelegt habe, bei deren Benutzung ein Teil seiner Verletzungen hätte vermieden werden können. Unter Hinweis auf sein Urteil vom 4. November 1976 (abgedruckt in NJW 1977, 299) führt es u.a. aus, zur Unfallzeit habe sich bereits eine allgemeine Überzeugung von der Notwendigkeit, auf Vordersitzen der Personenkraftwagen Gurte zu benutzen, gebildet. Unerheblich sei, daß für das im Jahre 1972 erstmals zugelassene Fahrzeug des Klägers zur Unfallzeit eine Pflicht zum Anbringen von Gurten noch nicht bestanden habe. Der Annahme einer Verpflichtung, Sicherheitsgurte anzulegen, stünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Hinsichtlich des durch die Nichtbenutzung der Gurte entstandenen Körperschadens lastet das Berufungsgericht dem Kläger deshalb eine weitere Haftungsquote von 1/10 an.

I.1.Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, ohne eine Beschränkung auf den aus der Nichtbenutzung eines Sicherheitsgurts hergeleiteten Mitverschuldenseinwands aus zusprechen. Mag es solches auch im Auge gehabt haben, so hätte sich das jedenfalls klar und eindeutig aus seinem Urteil ergeben müssen (BGH Urt.v.17. Dezember 1959 - II ZR 24/59 - LM Nr. 38 a zu § 546 ZPO; BGHZ 54, 152, 154) [BGH 09.04.1970 - KZR 7/69]. Da es daran fehlt, ist die Revision (und damit auch die Anschlußrevision) insgesamt zulässig.

2.Soweit sich die Revision des Klägers gegen die Annahme des Berufungsgerichts wendet, ihn treffe ein Mitverschulden an dem Unfall, weil er schuldhaft gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen habe, kann sie keinen Erfolg haben. Auch die Angriffe der Anschlußrevision gegen die Haftungsverteilung zu diesem Punkt sind nicht begründet.

a)Der Kläger ist nicht, wie § 2 Abs. 2 StVO vorschreibt, "möglichst weit rechts" gefahren, vielmehr hat er sich auf seiner Fahrbahnhälfte mehr zur Mitte hin gehalten.

Wie das Berufungsgericht feststellt, beträgt die Spurweite der Räder des vom Kläger gefahrenen Kraftwagens 1,40 m, die Gesamtbreite seines Kraftfahrzeuges 1,60 m. Wenn er mithin mit seinen rechten Rädern 2,50 m rechts der Mittellinie fuhr, hielt er einen Abstand zur Mittellinie von etwa 1 m und zur rechten Fahrbahnbegrenzung von etwa 1,50 m ein. Soweit sich die Revision des Klägers gegen diese tatsächlichen Feststellungen mit Verfahrensrügen wendet, greifen diese nicht durch. Von einer näheren Begründung sieht der Senat gemäß § 565 a ZPO ab.

Damit hat sich der Kläger nicht so weit rechts gehalten, wie dies angesichts der konkreten Verkehrslage angemessen war. § 2 Abs. 2 StVO stellt auch in seiner jetzigen Form keine starre Regel auf, wie schon die amtliche Begründung für die Einführung der Vorschrift (abgedruckt bei Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 2 StVO Rdn. 8-11) sagt. Was "möglichst weit rechts" ist, hängt von den Umständen ab, wie Örtlichkeit, Fahrbahnart und-beschaffenheit, Fahrgeschwindigkeit, Sichtverhältnisse, Vorhandensein von Gegenverkehr und dergl. (vgl. dazu Jagusch a.a.O. Rdn. 35; Cramer StVO 2. Aufl. § 2 Rz. 60 und 61; einschränkend Booß, StVO 2. Aufl. § 2 Anm. 4). Dabei hat der Kraftfahrer einen gewissen Spielraum, solange er sich wenigstens so weit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr "vernünftig" ist (vgl. die amtliche Begründung; so schon dasSenatsurteil vom 30. Juni 1964 - VI ZR 120/63 - VersR 1964, 1084). Im Streitfall gab es für den Kläger angesichts der Verkehrslage keinen vernünftigen Grund, sich auf der 4,10 m breiten rechten Fahrbahnhälfte der Bundesstraße nicht weiter rechts zu halten. Auf einen größeren Sicherheitsabstand zum rechten Seitenstreifen hin brauchte er nicht zu achten. Dieser gehörte nämlich zum ausgebauten Straßenkörper und war nur durch eine weiße, wenn auch nicht unterbrochene Linie abgeteilt. Er war frei, und die gesamte Straße einschließlich des so abgeteilten Seitenstreifens war gut übersehbar. Unter solchen Umständen brauchte der Kläger auch bei hoher Fahrgeschwindigkeit zunächst keinen größeren Sicherheitsabstand von der weißen Seitenlinie zu halten als etwa 1 m, wie ihn die Rechtsprechung in anderen Fällen für zulässig und notwendig gehalten hat (vgl. u.a. BayObLG VRS 44, 142; OLG Karlsruhe VRS 47, 18). Vielmehr wäre es zweckmäßiger gewesen, noch weiter rechts zu fahren. Darüber hinaus herrschte Gegenverkehr. Das mußte den Kläger jedenfalls veranlassen, weiter rechts zu fahren, als er es tat. Fernstraßen werden gerade deshalb so breit ausgebaut, um bei den auf ihnen gefahrenen hohen Geschwindigkeiten möglichst viel Raum für den Begegnungsverkehr zu lassen und diesen gefahrloser zu machen. Dieser Effekt würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn die Kraftfahrer trotz des ihnen nach rechts hin zur Verfügung stehenden Raumes jeweils in der Nähe der Mittellinie fahren würden. Nicht zuletzt verringert die größere Straßenbreite auch Gefahren durch überholende Fahrzeuge, weil diese notfalls bessere Ausweichmöglichkeiten haben. Deshalb verstößt gegen das Rechtsfahrgebot auch derjenige, der ohne vernünftigen Grund auf einer breiten Fernstraße sich nicht auf seiner Fahrbahn rechts hält (so zutreffend Mühlhaus, StVO 8. Aufl. § 2 Anm. 5 a; vgl. auch Möhl DAR 70, 227). Im Streitfall kommt hinzu, daß der Kläger vor sich jedenfalls das Überholmanöver des Fahrers K., der dann rechtzeitig vor ihm wieder nach rechts einscherte, beobachten konnte. Damit aber, daß sich an diesen ein anderer Überholer "anhängen" könnte, hätte der Kläger, wenn er es nicht gesehen haben sollte, mindestens rechnen müssen und hätte zur Sicherheit, ohne sich dadurch irgendwie gefährden zu müssen, weiter nach rechts lenken müssen. Angesichts der konkreten Verkehrslage, die ihm auch für den entgegenkommenden Verkehr erkennbar ermöglichte, durch eine solche Fahrweise notfalls Platz zu machen, durfte er auch nicht darauf vertrauen, der Beklagte werde vor ihm sein Überholmanöver rechtzeitig abbrechen. Daß dieser Fahrfehler des Klägers für den Unfall mitursächlich gewesen ist, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Zusammenhang der Begründung des angefochtenen Urteils.

b)Ist das Berufungsgericht mithin zu Recht davon ausgegangen, daß den Kläger deshalb ein Mitverschulden trifft, weil er weiter rechts hätte fahren können und müssen, so ist die von ihm gemäß § 17 StVG vorgenommene Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile letztlich nicht zu beanstanden.

Das Verschulden des Beklagten wiegt in der Tat schwer: er hat grob fahrlässig ein risikoreiches, wegen der damit verbundenen Behinderung und Gefährdung des Gegenverkehrs verbotenes Überholmanöver durchgeführt. Demgegenüber ist dem Kläger nur ein leichter Verstoß gegen die Regeln des Straßenverkehrs vorzuwerfen. Die Übertretung des Rechtsfahrgebotes brachte auf der übersichtlichen, breiten Fahrbahn angesichts des immer noch nicht ganz unerheblichen Abstandes zu der Mittellinie nur eine geringe Gefährdung des Gegenverkehrs mit sich. Entgegen der Ansicht der Beklagten in ihrer Anschlußrevision kann dem Kläger nicht auch noch vorgeworfen werden, daß er seine Fahrtrichtung beibehalten hat, obwohl er erkannte, daß er dadurch den Überholvorgang des Beklagten behindern und einengen würde. Solches hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Zu Gunsten des Klägers muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß er den hinter K. fahrenden Beklagten zunächst nicht bemerkt oder aber sich jedenfalls, wenn auch nicht ohne Risiko, darauf verlassen hat, der Beklagte werde hinter K. ebenfalls nach rechts einscheren, wozu reichlich Platz war, und daß er deshalb von dem weiteren Fahrverhalten des Beklagten überrascht worden ist.

Da mithin die Betriebsgefahr des vom Kläger gesteuerten Kraftfahrzeuges, wenn auch erheblich geringer als die des Kraftfahrzeuges des Beklagten, erhöht war, ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht auch dem Kläger eine geringe Haftungsquote angelastet hat. Allerdings ist die Belastung eines der Beteiligten mit einer Haftungsquote von nur 1/10 wenig überzeugend; bei solch geringem Verursachungsanteil wird es im allgemeinen nahe liegen, eine volle Haftung des anderen Teiles anzunehmen. Doch hält sich die dem Tatrichter obliegende Entscheidung noch in den Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens.

II.Die Revision des Klägers hat indessen im Ergebnis Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, daß das Berufungsgericht dem Kläger nach § 254- BGB ein Mitverschulden wegen der "Nichtanlegung von Sicherheitsgurten" (richtig: wegen der unterlassenen Nachrüstung seines Kraftwagens mit Gurten) anlastet.

1.a)Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, bestand zur Unfallzeit im August 1975 keine gesetzliche Verpflichtung, Sicherheitsgurte während der Fahrt anzulegen. Die Anschnallpflicht ist erst durch die Verordnung über Maßnahmen im Straßenverkehr vom 27. November 1975 (BGBl I 2967) in § 21 a Abs. 1 StVO mit Wirkung vom 1. Januar 1976 eingeführt worden. Das Kraftfahrzeug des Klägers brauchte nach den geltenden gesetzlichen Vorschriften aber auch nicht mit Sicherheitsgurten ausgestattet zu sein. Eine allgemeine Ausrüstungsvorschrift traf erst die Änderungsverordnung zur StVZO v.20. Juni 1973 (BGBl I 638) mit der Einfügung des Abs. 7 in § 35 a StVZO, der für Personenkraftwagen die Mitführung eines Dreipunktgurtes im betriebsfertigen Zustand vorschreibt, und zwar nach § 72 Abs. 2 StVZO mit Wirkung vom 1. Januar 1974 an für erstmals in den Verkehr kommende Fahrzeuge. Für Fahrzeuge, die vom 1. April 1970 an erstmalig in den Verkehr gekommen sind und vom Hersteller bereits mit Verankerungen für Sicherheitsgurte ausgestattet waren, hat Art. 2 der Verordnung vom 27. November 1975 die Überleitungsvorschrift des § 72 Abs. 2 StVZO zu § 35 a Abs. 7 StVZO hinsichtlich der Nachrüstungspflicht begrenzt: für sie trat sie erst am 1. Januar 1978 in Kraft; falls allerdings diese Fahrzeuge in den Jahren 1976 oder 1977 einer Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO (oder einer gleichwertigen Untersuchung in dafür zugelassenen Werkstätten) unterzogen werden, müssen sie bereits vom Tage der Untersuchung an mit Gurten ausgestattet sein. Das bedeutet für den Streitfall: der Personenkraftwagen des Klägers fiel zur Unfallzeit weder unter die - bereits geltende - Ausrüstungsvorschrift für neu zugelassene Kraftfahrzeuge, noch war zu jener Zeit für ihn eine Nachrüstungspflicht angeordnet.

b)Nun ist allerdings ein Mitverschulden des Verletzten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer acht läßt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (BGHZ 9, 316, 318 [BGH 29.04.1953 - VI ZR 63/52]; BGH Urteil vom 28. September 1978 - VII ZR 116/77 - NJW 1979, 495, 496; zuletztSenatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77 - m.w.Nachw., zur Veröffentlichung bestimmt). Der Kraftfahrer, der sich in den Verkehr begibt, muß sich zu seinem eigenen Schutz "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur nach den geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern nach den konkreten Umständen und Gefahren des Verkehrs, sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (Steffen in Krumme, Straßenverkehrsgesetz, § 9 Rz. 5).

aa)So hat der erkennende Senat in seinemUrteil vom 9. Februar 1965 (VI ZR 253/63 - VersR 1965, 497 = NJW 1965, 1075), obschon damals noch eine entsprechende Ausrüstungsvorschrift fehlte (jetzt § 21 a Abs. 2 StVO), einem Motorradfahrer, der keinen Schutzhelm trug, deswegen ein Mitverschulden an der Verursachung der bei einem Unfall erlittenen Kopfverletzung angelastet, weil sich bereits zur Unfallzeit (Juli 1961) ein allgemeines Verkehrsbewußtsein dahingehend gebildet hatte, daß dem Schutzhelm größte Bedeutung zur Abwehr und Minderung von Unfallverletzungen zukam. Das hat alsbald den Anstoß zu Überlegungen gegeben, ob Ähnliches für das Anlegen von Sicherheitsgurten gelten müsse (vgl. dazu die Anm. zu diesem Urteil von Knippel NJW 1965, 1708 einerseits und von H.W. Schmidt, VersR 1965, 1095 andererseits). Zu dieser Frage hat der erkennende Senat in seinemUrteil vom 10. März 1970 (VI ZR 98/68 = NJW 1970, 944) für einen Kraftfahrzeugunfall, der sich im April 1965 ereignet hatte, Stellung genommen. Er hat für den damaligen Zeitpunkt angenommen, daß sich im April 1965 noch kein allgemeines Bewußtsein über den Wert der Gurte und darüber gebildet habe, ob es zur Vermeidung von Verletzungen notwendig sei, sich anzuschnallen, und daß nach den bisherigen Erfahrungen das Anschnallen im Kraftwagen (anders als das Tragen eines Schutzhelms beim Motorradfahrer) mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden sei, so daß eine Verpflichtung zu einer solchen Schutzmaßnahme mangels Zumutbarkeit nicht angenommen werden könne.

Seitdem ist die Rechtsfrage, insbesondere wegen der zunehmenden Ausrüstung von Kraftfahrzeugen mit Vorrichtungen für Sicherheitsgurte und mit diesen selbst, aufgrund neuerer Untersuchungen aus medizinischer und technischer Sicht mit unterschiedlichen Ergebnissen weiter diskutiert worden. So wollen im Sinne des Berufungsgerichts, das seinen Standpunkt im Anschluß an Knippel NJW 1973, 1489 und NJW 1976, 884 schon in seinem Urteil vom 4. November 1976 eingehend begründet hat (NJW 1977, 299 = VersR 1977, 477), ein Mitverschulden des Fahrers (und auch des Beifahrers) bei Fehlen eines Sicherheitsgurtes auch ohne Ausrüstungsverpflichtung bejahen: Schlund DAR 1975, 15; DAR 1976, 57 und JR 1977, 113 ff; LG Hanau NJW 1978, 378 [LG Hanau 11.11.1977 - 7 O 272/77] = VersR 1978, 453 (mit kaum vertretbarer Begründung). Dagegen stellen auf das Vorhandensein von Sicherheitsgurten ab: OLG Köln, VersR 1977, 1133; AG Hamburg, VersR 1978, 164; AG Balingen VersR 1978, 454; ferner Cramer, StVO, 2. Aufl., § 21 a Rz. 23, 29; wohl auch Wussow, Unfallhaftpflichtrecht 12. Aufl., Rz. 1273 b. Einige Gerichte haben demgegenüber daran festgehalten, daß der Mitverschuldenseinwand nicht erhoben werden könne (OLG Stuttgart, VersR 1978, 188 - gegen dieses Urteil wieder Knippel VersR 1978, 1028 -; OLG Celle VersR 1975, 665; aus dem Schrifttum insbesondere Jagusch NJW 1976, 135, 137 und NJW 1977, 940; ders. in Straßenverkehrsrecht 24. Aufl. § 21 a StVO Rz. 5, 5a).

bb)Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß an der damaligen Begründung des Senats nach dem heutigen Kenntnisstand über den Wert und die Gefahren von Sicherheitsgurten (dies auch im Hinblick auf inzwischen entwickelte Verbesserungen, insbesondere auf die Einführung des neuen "Dreipunktgurts") nicht mehr festgehalten werden kann. Vielmehr bedarf es einer erneuten Prüfung, ob und gegebenenfalls von welchem Zeitpunkt an ein vernünftiger und einsichtiger Kraftfahrer die Ausrüstung seines Kraftwagens mit Sicherheitsgurten und deren Benutzung während der Fahrt als eine zu seinem eigenen Schutz erforderliche und zumutbare Maßnahme ansehen muß mit der Folge, daß eine Unterlassung dieser Schutzmaßnahmen grundsätzlich als schuldhafter Verstoß gegen sein eigenes wohlverstandenes Interesse gemäß § 254 BGB zu einer Minderung seines Ersatzanspruches insoweit führt, als der Schaden nachweisbar auf dieser Säumnis beruht.

2.Wie das Berufungsgericht mit Recht hervorhebt, muß nach dem heutigen Erkenntnisstand bejaht werden, daß die Benutzung von Sicherheitsgurten im Interesse eines jeden Kraftfahrers liegt. Sie sind in zahlreichen Fällen geeignet, schwere Verletzungen der Insassen bei Unfällen zu verhindern, jedenfalls deren Auswirkungen zu vermindern, während zusätzliche Gefahren, die von dem Gurt ausgehen können, eine derart seltene Ausnahme darstellen, daß sie vernünftigerweise einer Entscheidung für die Benutzung der Gurte nicht entgegenstehen (vgl. auch die Entschließungen des 12. und 16. Deutschen Verkehrsgerichtstages 1974 und 1978). Infolgedessen hält der Senat an den im Urteil vom 10. März 1970 a.a.O. geäußerten Bedenken hierzu nicht mehr fest.

a)Die Benutzung der Dreipunktgurte setzt das Verletzungsrisiko der Insassen entscheidend herab. Die Ergebnisse neuerer Untersuchungen aus medizinischer und technischer Sicht, die nur geringfügig voneinander abweichen, lassen sich dahin zusammenfassen: Etwa 30 bis 40 % aller Verletzungen können durch Gurte überhaupt vermieden werden; schwere Verletzungen lassen sich beim Fahrer etwa um 70 %, beim Beifahrer etwa um 50 %, tödliche Verletzungen um mindestens 30 % reduzieren (vgl. die tabellarische Aufstellung über Erfahrungen im In- und Ausland bei Friedel/Krupp/Lenz/Löffeiholz, Sicherheitsgurte im Pkw, Heft 17 aus 1978 "Unfall- und Sicherheitsforschung, Straßenverkehr", herausgegeben von der Bundesanstalt für Straßenwesen, S. 23; Richard/Brühning/Löffelholz, Auswirkungen des Sicherheitsgurtes auf die Folgen der Unfälle im Straßenverkehr, 1976, herausgegeben von der Bundesanstalt für Straßenwesen; aus im wesentlichen medizinischer Sicht exemplarisch Walz u.a., Unfalluntersuchung Sicherheitsgurten Bern, 1977; aus technischer Sicht exemplarisch Langwieder, Aspekte der Fahrzeugsicherung pp, Berlin 1975, S. 129 ff, ferner Danner 14. Verkehrsgerichtstag 1976 S. 22, 36 ff und 16. Verkehrsgerichtstag 1978 S. 42 ff).

b)Demgegenüber zeigen die Ergebnisse der modernen Untersuchungen, daß der Sicherheitsgurt nur in sehr seltenen Fällen Unfallfolgen verschlimmert oder gar erst herbeiführt (vgl. zuletzt den Bericht des Batelle-Instituts vom Juni 1978 über die Schutzwirkungen von Sicherheitsgurten). Das scheint höchstens in 0,5 bis 1 % der Fälle vorzukommen (Luff, Verkehrsgerichtstag 1974 S. 78; s. auch den Bericht von Händel NJW 1976, 2297, 2298). Verletzungen durch den Gurt selbst pflegen überdies meist nicht schwer zu sein. Sie werden weitgehend aufgewogen durch die Verhinderung erheblich schwererer Verletzungen, die bei Nichtbenutzung der Gurte zu befürchten gewesen wären. Das gilt auch für Seitenkollisionen, Unfälle durch Aufprall auf die Heckpartie und Unfälle, bei denen sich der Kraftwagen überschlägt.

c)Für einen vernünftigen Kraftfahrer nicht durchgreifend sind auch Bedenken dagegen, ein angegurteter Insasse könne sich in gewissen kritischen Situationen nicht rechtzeitig befreien und sich vor ihm sonst drohenden Gefahren retten. Auch darüber besteht unter den Fachleuten nach den bisherigen Erfahrungen Einigkeit. So sind Unfälle, bei denen das Fahrzeug in Brand gerät, ohnehin sehr selten (Walz u.a. a.a.O. S. 92). Zudem pflegen Fahrzeuge nicht so schnell zu brennen, daß keine Zeit mehr für die Befreiung der Insassen aus den Gurten durch andere bleibt; sie selbst haben jedoch auch für ihre eigene Befreiung eine erheblich größere Chance, weil durch die Rückhaltewirkung der Gurte schwere Kopfverletzungen, die zu Bewußtlosigkeit führen können, vermieden werden, und sie so überhaupt erst in die Lage versetzt werden, sachgemäße Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Abstürze in tiefes Wasser kommen noch seltener vor; daß dabei angeschnallte Fahrer sich schlechter haben retten können, ist nicht bekannt geworden. Bei den verschiedentlich außerdem angeführten Abstürzen in Abgründe, Schluchten usw. dürften die Insassen ebenso wie in Brandfällen eindeutig mehr Vorteile als Nachteile aus dem Umstand ziehen, daß sie angeschnallt gewesen sind.

Somit kann insgesamt gesehen inzwischen die Benutzung von Sicherheitsgurten für einen einsichtigen und vernünftigen Kraftfahrer nicht mehr ein ernst zu nehmendes Risiko darstellen (vgl. auch Berger Verkehrsgerichtstag 1974 S. 82 ff = VersR 1974, 520 ff). Vielmehr sind Gurte angesichts der erheblichen Gefahren für Leib und Leben, die auch dem besten und sorgfältigsten Kraftfahrer im modernen Straßenverkehr drohen, derzeit das wirksamste Mittel, um sich zu schützen. Daß die geringe Unbequemlichkeit, die das Anlegen von Gurten mit sich bringt, demgegenüber nicht ins Gewicht fällt, steht außer Frage. Psychologische Hemmungen, einen Gurt anzulegen (Fesselungsangst und dergl.), mögen einzelne Kraftfahrer davon abhalten, sich anzuschnallen. Auch davon kann jedoch nicht das Urteil abhängen, ob im Verhältnis zum Schädiger der verunglückte Kraftfahrer die "Obliegenheit", die vorhandene und wirksame Sicherungsmaßnahme des Anschnallens zu ergreifen, verletzt hat (so jetzt auch das Eidgenössische Versicherungsgericht in ZfV 1978, 707 =BGE 104 V 36).

In besonders gelagerten Fällen mag bei Abwägung aller Umstände den Insassen eines Kraftfahrzeuges, der keine Sicherheitsgurte angelegt hatte, im Verhältnis zum Schädiger kein Mitverschulden treffen. So sieht übrigens auch § 46. Abs. 1 Nr. 5 b StVO die Möglichkeit vor, Ausnahmegenehmigungen von den Vorschriften über das Anlegen der Gurte zu erteilen. Indessen nötigt der Streitfall nicht dazu, mögliche Ausnahmefälle zu erörtern.

Selbstverständlich muß stets im Einzelfall für die Beurteilung im Rahmen des § 254 BGB sorgfältig geprüft werden, ob nach der Art des Unfalls der Tod oder die Verletzungen tatsächlich hätten verhindert werden können, wenn der verunglückte Insasse sich angeschnallt hätte. Das kann etwa bei hohen Aufprallgeschwindigkeiten zweifelhaft sein.

3.Den zunächst von Streicher (12. Verkehrsgerichtstag 1974, S. 92 ff; auch NJW 1977, 202 ff) erörterten und sodann von Jagusch (Straßenverkehrsrecht 18. Aufl. § 9 StVG Rdn. 5 und in den folgenden Auflagen Rdn.5, 5 a zu § 21 a StVO; NJW 1976, 135 und NJW 1977, 940) vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Anschnallpflicht und ihre Berücksichtigung bei der Schadensabwägung nach § 254 BGB (auch Geiger, DAR 1976, 319, 324 und Mühlhaus StVO 8. Aufl. § 21 a Anm. 1 b) kann sich der Senat nicht anschließen (ebenso Gramer, Straßenverkehrsordnung 2. Aufl. § 21 a Rdn. 1; Schlund DAR 1976, 61; vgl. auch Böhmer JZ 1977, 170).

a)§ 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO, der die Anschnallpflicht regelt, verstößt nicht gegen Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Vorschrift beschränkt die Handlungsfreiheit des Verteehrsteilnehmers nicht unzulässig, sondern macht nur einen Gemeinschaftsbezug sichtbar, in dem er hier betroffen ist. Es kann schon zweifelhaft sein, ob die Verpflichtung, sich während der Fahrt anzuschnallen, den Autofahrer überhaupt in seiner Handlungsfreiheit tangieren kann. Jedenfalls gehört § 21 a Abs. 1 S. 1 StVO zur verfassungsmäßigen Ordnung, an der die Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG ihre Grenze findet; insbesondere sind die rechtsstaatlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt (BVerfGE 6, 32 = NJW 1957, 217 ff), Zwar verbietet unser Rechtssystem, solange nicht überwiegende Belange der Allgemeinheit entgegenstehen, dem Einzelnen nicht jede Selbstgefährdung. Begibt er sich indessen als Insasse eines Kraftfahrzeuges in cen allgemeinen Straßenverkehr, dann handelt er nicht nur auf sein eigenes Risiko, sondern entscheidet auch über das Ausmaß des im heutigen Straßenverkehr immer gegenwärtigen Risikos des anderen mit, rechtlich oder wenigstens moralisch für schwere Verletzungen oder gar den Tod des "Gurtgegners" mitverantwortlich zu werden.

Darüber hinaus schützt die Anschnallpflicht in vielfacher Weise berechtigte Interessen der Allgemeinheit (so auch die amtliche Begründung zu § 21 a StVO in VerkBl 1975, 675). So wird nach einem Unfall ein Beteiligter, der, weil er angeschnallt war, nicht oder nur leicht verletzt ist, noch sachgerecht reagieren können, wo das erforderlich ist, um die Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer zu vermeiden. Vor allem wiegt die Belastung der Allgemeinheit durch Verletzungsschäden im Straßenverkehr schwer. So nimmt auch der "Gurtgegner" bereitgehaltene, aber nur begrenzt zur Verfügung stehende Rettungseinrichtungen in Anspruch. Die Folgekosten der unerträglich hohen Anzahl von Unfällen mit schweren und schwersten Personenschäden für die Allgemeinheit sind erheblich. Unfallopfer fallen zuweilen ihr Leben lang der Fürsorge privater und öffentlicher Pflegepersonen zur Last.

Demgegenüber wird dem Insassen des Kraftfahrzeugs nichts zugemutet, was in den Kernbereich seiner Persönlichkeit eingreift. Zwar mag seine Abneigung, den Gurt anzulegen, durch. - rational schwer zu beeinflussende -"Fesseüungsängste" erklärbar sein; häufiger wird sie allerdings auf bloßer Bequemlichkeit oder auf der Selbsttäuschung beruhen, gerade ihm "werde schon nichts passieren" (vgl. dazu: Psychologische Forschung zum Sicherheitsgurt, Heft 2 aus 1974 der Schriftenreihe "Unfall- und Sicherheitsforschung" - Bundesanstalt für Straßen wesen). In Lebensbereichen, in denen wie hier im Straßenverkehr die eigene Interessensphäre in Konflikt mit den Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer tritt, kann jedoch der Einzelne ganz allgemein nicht erwarten, daß auf seine besondere Sensibilität Rücksicht genommen wird, wenn das nur auf Kosten schutzwürdiger Belange der Anderen möglich ist. Sich um die Herabsetzung der Risiken im Straßenverkehr zu bemühen, ist jeder Verkehrsteilnehmer aufgerufen. Angesichts dieses Anliegens, das für jeden einsichtig ist, kann sich der Einzelne nicht persönlich von der Gemeinschaft "gegängelt" fühlen, wenn diese von ihm Sieherungsvorkehrungen verlangt, die wie das Anschnallen als wirksam festgestellt und einfach anzuwenden sind, selbst wenn mit ihnen Risiken verbunden sind, die aber sehr fern liegen und gegenüber dem Nutzen der Maßnahmen für jeden vernünftigen, verantwortungsbewußten Kraftfahrer kein Gewicht beanspruchen können.

b)Im Blick auf das geringe Risiko, das das Anlegen des Sicherheitsgurts für den Insassen bedeutet, und das hohe Maß des Schutzes, den der Gurt ihm gewährt, ist deshalb die Anschnallpflicht auch gegenüber der verfassungsmäßigen Gewährleistung der körperlichen Integrität (Art. 2 Abs. 2 GG) keine unverhältnismäßige Maßnahme. Aufs Ganze gesehen steht sie vielmehr gerade im Dienst dieses Schutzes, indem sie das Verletzungsrisiko, dem sich der Insasse durch seine Teilnahme am Straßenverkehr aussetzen muß, entscheidend verringert. Angesichts des Interesses der Allgemeinheit daran, daß der Sicherheitsgurt auch tatsächlich benutzt wird, erscheinen auch durch den Zwang zur Anlegung des Gurtes nur die Schranken verwirklicht, unter denen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gewährleistet ist (Satz 3 des Art. 3 Abs. 2 GG).

c)Es kommt hinzu, daß es im hier zu entscheidenden Schadensersatzprozeß nicht um eine etwaige Ahndung des Verhaltens des Klägers als Ordnungswidrigkeit, sondern um die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt schadensrechtlicher Obliegenheiten des Verletzten nach § 254 Abs. 1 BGB (das Berufungsgericht beruft sich zu Unrecht auf § 254 Abs. 2 BGB) geht, d.h. darum, ob der Kläger als Geschädigter gegen Treu und Glauben verstößt, wenn er von den Beklagten vollen Schadensersatz verlangt (BGHZ 34, 355, 363) [BGH 14.03.1961 - VI ZR 189/59]. Insoweit ist ein anderer Interessenkonflikt betroffen, als er sich im Verhältnis vom Staat zum Bürger stellt; auch das kann für die Frage, inwieweit die Anschnallpflicht hier mit der Wertordnung des Grundgesetzes im Einklang steht, nicht unberücksichtigt bleiben. Dem Verletzten haftungsrechtlich das Risiko aufzubürden, das er durch den Verzicht auf den Gurt selbst eingegangen ist, kann, sofern ihm solche Vorsicht zuzumuten war, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen. Insoweit wird ihm nur angesonnen, sich haftungsrechtlich an seinem eigenen Verhalten messen zu lassen. Daß ihm das Anlegen des Gurtes zum eigenen Schutz zuzumuten, ihm sogar dringend anzuraten ist, ergibt sich aus dem Zuvorgesagten. Auch bei voller Würdigung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung seiner persönlichen Entscheidungsfreiheit würde der Verletzte gegen Treu und Glauben handeln, wenn er vom Schädiger die haftungsrechtliche Abnahme auch dieses persönlich eingegangenen Risikos verlangen würde.

4.Mit den vorstehenden Erwägungen ist freilich die Frage noch nicht beantwortet, ob dem Berufungsgericht auch insoweit zugestimmt werden kann, als es schon für den Unfallzeitpunkt von einer verantwortungsbewußten Überzeugung aller Kraftfahrer ausgegangen ist, daß die Benutzung der Sicherheitsgurte eine zur Schadensminderung geeignete und erforderliche Maßnahme dargestellt hat. Denn nur dann kann der Schädiger die Unterlassung dem Geschädigten als Mitverschulden vorwerfen.

a)Das Berufungsgericht nimmt an, daß eine solche Überzeugung sich schon im August 1975 gebildet hatte, soweit es darum ging, daß vorhandene Sicherheitsgurte während der Fahrt auch angelegt werden sollten. Ob dem zugestimmt werden kann, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Das Berufungsgericht macht nämlich dem Kläger nicht zum Vorwurf, vorhandene Sicherheitsgurte nicht benutzt zu haben. Sein Kraftwagen war, wie dargelegt, mit solchen Gurten noch nicht ausgerüstet; für sein Fahrzeug bestand auch noch keine gesetzliche Ausrüstungs- oder Nachrüstungspflicht. Gleichwohl meint das Berufungsgericht, eine sich von der bloßen Anschnallpflicht unterscheidende Überzeugung, der Halter müsse den Kraftwagen schon vorher mit Gurten ausrüsten, wollten sich nicht Fahrer wie Insassen einer Kürzung ihrer Ersatzansprüche gemäß § 254 BGB aussetzen, habe sich nicht herausgebildet; es sei dem Kläger zuzumuten, gewesen, sich auch ohne gesetzliche Vorschrift für sein Fahrzeug Gurte zu beschaffen.

b)Bedenklich ist schon, daß das Berufungsgericht nichts dazu sagt, ob das Fahrzeug des Klägers überhaupt schon mit den Verankerungen versehen war, die zur Ausrüstung mit Gurten unabdingbar waren. Aber auch im übrigen kann der Senat dem Standpunkt des Berufungsgerichts nicht folgen. Selbst wenn man ihm darin zustimmen wollte, daß im August 1975 sich eine allgemeine Überzeugung in der Bevölkerung gebildet hatte, wonach Sicherheitsgurte eine sinnvolle und vernünftige Schutzmaßnahme darstellten, so folgt daraus nicht, daß sich auch schon die Überzeugung davon durchgesetzt hatte, Jeder sorgfältige Kraftfahrer müsse nun alsbald seinen Kraftwagen mit Gurten ausrüsten, wollte er nicht Gefahr laufen, sich bei durch Gurte zu verhindern gewesenen Verletzungen gemäß § 254 BGB Abstriche an seinen Ersatzansprüchen gefallen lassen zu müssen; offenbar will das Berufungsgericht auch den Beifahrern ansinnen, von der Fahrt dann abzusehen, wenn der Halter sein Fahrzeug nicht nachgerüstet hatte. Das geht indessen sicher zu weit. Denn es ist eine Sache, ob Sicherheitsgurte für notwendig gehalten wurden und ob, falls sie schon eingebaut waren, auch ihre Benutzung erforderlich schien; eine andere Sache ist es Jedoch, ob diese Schutzmaßnahme nach der Bewußtseinslage maßgebender Bevölkerungskreise und insbesondere der Kraftfahrer als so dringend angesehen wurde, daß es sich als eine Obliegenheit gegenüber dem Schädiger darstellte, nun sofort fehlende Gurte zu beschaffen. Es mag sein, daß die Anschaffungs- und Einbaukosten im Verhältnis zum Nutzen der Gurte gering waren; immerhin fielen sie ins Gewicht. Es wird aber bei den Kraftfahrern einer besonderen Entschlußkraft und eines besonderen Verantwortungsgefühls für sich selbst und die Allgemeinheit bedurft haben, alsbald die Initiative dazu zu ergreifen, obwohl der Gesetzgeber, wie oben im einzelnen dargelegt, zunächst nur die Ausrüstung neu zugelassener Kraftwagen mit Gurten angeordnet hatte und dann später in § 72 Abs. 2 StVZO für die Nachrüstung älterer Fahrzeuge großzügige Fristen setzte. Befragungen darüber, ob seinerzeit die eindeutige Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere der Kraftfahrer ein aisbaldiges Nachrüsten für erforderlich gehalten hat, haben offenbar nicht stattgefunden. Jedenfalls läßt sich die Überzeugung des Tatrichters, es habe auch dafür ein allgemeines Bewußtsein gegeben, nicht belegen. Abgesehen davon aber bedeutet es eine Übersteigerung der Schadensminderungspflicht, die alsbaldige Ausrüstung für alle im Verkehr befindliche Kraftfahrzeuge mit Gurten schon für den Sommer 1975 zu verlangen; das war dem "Normalbürger" nicht zumutbar (ebenso u.a. OLG Köln VersR 1977, 1133; Schlund DAR 1976, 574; Gramer a.a.O. Rdz. 23, 29; a.A. Schlund JR 1977, 113 ff).

5.Damit entfällt im Streitfall ein zusätzliches Mitverschulden des Klägers wegen unterlassener Ausrüstung seines Kraftwagens mit Sicherheitsgurten. Insoweit war das angefochtene Urteil abzuändern.