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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 26.05.2009, Az.: 4 STR 148/09

Entscheidungsgründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung sowie der Beleidigung und der Sachbeschädigung jeweils in zwei Fällen wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit einer Verfahrens- und der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung zu versagen, hält bereits der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Anordnung der Maßregel selbst weist allerdings keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sind die Schuldunfähigkeit des Angeklagten und seine künftige Gefährlichkeit infolge seines Zustandes (Vorliegen von Schwachsinn sowie einer "organischen Persönlichkeitsstörung" als Folge eines Verkehrsunfalls mit Schädigung der Hirnsubstanz) hinreichend belegt. Auch handelt es sich bei den - nach den von der Strafkammer für überzeugend erachteten Ausführungen des Sachverständigen - mit "hoher Sicherheit" zu erwartenden "ähnlichen Delikten" jedenfalls insofern um erhebliche Taten im Sinne des § 63 StGB, als sie der im angefochtenen Urteil festgestellten Körperverletzung entsprechen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03).

Jedoch ist nach § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung geboten, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch ohne deren Vollzug erreicht werden kann. Bei dieser Prüfung sind zwar auch die vom Landgericht herangezogenen Umstände zu berücksichtigen, nämlich dass der Angeklagte keine Krankheitseinsicht zeigt, eine Therapie ablehnt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2001 - 4 StR 385/01) und nicht gewillt ist, sein derzeitiges soziales Umfeld zu verlassen. Jedoch hätte die Strafkammer erörtern müssen, ob sich die vom Angeklagten ausgehende Gefahr insbesondere durch die Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB (vgl. BGH NStZ 2002, 367; BGH NStZ-RR 1997, 290 f.) und durch geeignete Weisungen im Rahmen der Bewährung (§ 268a Abs. 2 StPO) und der mit ihr verbundenen Führungsaufsicht (§§ 67b Abs. 2, 68b StGB) abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen lässt, dass ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann. Denn die damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Angeklagten zu verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung solcher Weisungen mit dem Vollzug der Unterbringung rechnen zu müssen, können geeignet sein, die vom Sachverständigen und der Strafkammer angeführten Voraussetzungen einer erfolgversprechenden ambulanten Therapie herbeizuführen, zumal der Angeklagte zur Einhaltung solcher Regeln bereit ist, die seinen Interessen dienen (UA 12; vgl. auch BGH NStZ 2007, 465 m.w.N.). Dies gilt umso mehr, als sich der Angeklagte trotz seines Zustandes bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten weitgehend straffrei geführt hat und auch danach ohne weitere relevante Auffälligkeiten auf freiem Fuß verblieben ist (vgl. BGH NStZ 2002, 367; BGH NStZ-RR 1997, 290 f.).

2. Im selben Umfang hat auch die Verfahrensrüge Erfolg, mit der der Beschwerdeführer die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung des Zeugen L. beanstandet. Dies führt zur Aufhebung der vom Landgericht zur Aussetzung der Maßregel zur Bewährung getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).

a) Zwar ist es zulässig, im Frei- oder Strengbeweisverfahren zu klären, ob Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrags vorliegen (vgl. MeyerGoßner StPO 51. Aufl. § 244 Rdn. 7). Das Landgericht durfte daher den Angeklagten zu der von seinem Verteidiger aufgestellten Behauptung anhören, dass der Zeuge L. "aus eigener Wahrnehmung" über das Verhältnis des Angeklagten zu den Dorfbewohnern und die ständigen Provokationen und Hänseleien des Angeklagten durch einige Gemeindemitglieder berichten kann. Aufgrund der Mitteilung des Angeklagten, "dass der Zeuge das nur aus Erzählungen der Mutter und des Angeklagten weiß", war das Landgericht jedoch nicht berechtigt, die Beweisbehauptung des Verteidigers entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut dahin zu verstehen, der Zeuge könne lediglich über Berichte des Angeklagten und seiner Mutter über Provokationen der Dorfbewohner Angaben machen und durfte es den Beweisantrag nicht mit der Begründung ablehnen, die so verstandene Beweisbehauptung könne als wahr behandelt werden. Die Strafkammer hat damit unbeachtet gelassen, dass dem Verteidiger ein selbstständiges und vom Willen des Angeklagten unabhängiges Beweisantragsrecht zusteht, mit dem er - hier auf Grund des Schreibens des Zeugen L. vom 11. August 2008 - mögliche, sich mit dem Vorbringen des Angeklagten nicht notwendigerweise deckende Behauptungen unter Beweis stellen kann (vgl. Fischer in KK StPO 6. Aufl. § 244 Rdn. 73, 97). Das Landgericht hat zudem den zulässigen Rahmen der Auslegung eines Beweisantrags (dazu Meyer-Goßner aaO Rdn. 39) überschritten und die Beweisbehauptung nicht mehr ohne jede Einengung, Verschiebung oder sonstige Änderung als wahr behandelt (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 71 m.w.N.), weil es im Urteil "keinerlei Anhaltspunkte" dafür als gegeben erachtet, dass der Angeklagte von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt werde (UA 9), und feststellt, dass der Angeklagte nur in einer solchen "wahnhaften Vorstellung gefangen" sei (UA 6) und er sich selbst "ins Abseits gestellt" habe (UA 10).

b) Auch auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil indes nur, soweit die Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in der psychiatrischen Anstalt nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen und Ausführungen der Strafkammer war für die Anordnung der Unterbringung nämlich die auf den Zustand des Angeklagten zurückzuführende erhebliche Störung seiner Impulskontrolle sowie der Fähigkeit, angemessene Lösungen für konflikthafte soziale Situationen zu finden, maßgeblich (UA 12). Ob solche Konflikte auf die "wahnhafte Vorstellung" des Angeklagten, von der Dorfgemeinschaft seines Heimatortes missachtet und ausgegrenzt zu werden, oder auf Provokationen von Gemeindemitgliedern zurückzuführen waren, hatte demgegenüber ersichtlich allein Bedeutung bei der Prüfung der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung.

Waren die tatauslösenden Konflikte nicht auf wahnhafte Vorstellungen des Angeklagten, sondern in erheblicher Weise auf Provokationen von Dorfbewohnern zurückzuführen, so könnte ein im Rahmen des Betreuungsverhältnisses veranlasster Wechsel des Aufenthaltsorts des Angeklagten der Gefahr erneuter Rechtsverstöße maßgeblich entgegenwirken. Dies liegt umso näher, als der Zeuge L. in dem im Zusammenhang mit dem Beweisantrag seines Verteidigers in die Hauptverhandlung eingeführten Schreiben vom 11. August 2008 dargelegt hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit bereits gezeigt hat, dass in einer ihn akzeptierenden Umgebung solche Konflikte nicht entstanden sind oder jedenfalls nicht zu rechtswidrigen Taten durch den Angeklagten geführt haben.