Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 14.07.1965, Az.: VII ZB 6/65
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in München vom 14. Mai 1965 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.
Entscheidungsgründe
Assessor Müller legte als amtlich bestellter Vertreter des Rechtsanwalts Dr. B. am 19. Februar 1965 für die Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts in Landshut vom 17. Dezember 1964 am 19. Februar 1965 Berufung ein. Er erwirkte am 9./12. März 1965 die Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 19. April 1965; da dies ein Feiertag (Ostermontag) war, lief sie am 20. April 1965 ab.
Am 21. April 1965 reichte die Klägerin die Berufungsbegründung sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, den sie am 27. April 1965 ergänzte. Das Oberlandesgericht hat durch Beschluß vom 14. Mai 1965 den Antrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin ist frist- und formgerecht eingelegt worden. Ihr ist jedoch der Erfolg zu versagen.
1.)Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat der Klägerin eine abgekürzte beglaubigte Abschrift des Urteils am 22. Januar 1965 zugestellt.
Die Klägerin meint, diese Zustellung sei nicht wirksam, weil in der beglaubigten Abschrift an den Stellen, an denen sich die Unterschriften der Richter zu befinden hatten, nur die Buchstaben "gez." eingesetzt seien; der Mangel sei nicht dadurch behoben, daß unter diesen Buchstaben die Namen der Richter in Klammern mit Schreibmaschine stünden.
Dieser Einwand ist erheblich. Denn wenn das Urteil des Landgerichts noch nicht zugestellt worden wäre, könnte in der Berufungsbegründung vom 21. April 1965 eine wirksame neue Berufung nebst Begründung gesehen werden. Er ist jedoch unbegründet.
Die beglaubigte Abschrift muß zwar mit der Urschrift übereinstimmen. Das bedeutet aber nicht, daß die Namen der Richter dort, wo sie unterschrieben haben, wörtlich wiedergegeben werden müssen. Vielmehr genügt es, wenn eindeutig erkennbar ist, daß sie unterzeichnet haben, und wenn über die Identität keine Zweifel bestehen (vgl. RGZ 164, 53, 57 und Urt. des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 1964 VIII ZR 286/63 = VersR 1964, 848 f).
Diese Erfordernisse sind hier erfüllt. Die Buchstaben "gez." ergeben, daß an dieser Stelle in der Urschrift die Richter unterschrieben haben, und ihre Identität wird durch die in Klammern beigefügten Namen nachgewiesen, falls es eines solchen Nachweises überhaupt noch bedürfen sollte.
2.)Die Klägerin hat in der Beschwerdeschrift neue Tatsachen vorgetragen, die Assessor M. nach ihrer Behauptung dem Berichterstatter des beschließenden Senats beim Oberlandesgericht noch während des Laufs der Wiedereinsetzungsfrist mitgeteilt habe. Dazu gehört die von ihr glaubhaft gemachte Angabe, Assessor M. habe bei seinem Eintreffen im Büro des Rechtsanwalts Dr. B. sofort gefragt, ob fristgebundene Sachen vorlägen, habe jedoch eine verneinende Antwort erhalten.
Es kann dahinstehen, ob die Behauptung hinreichend glaubhaft gemacht ist, Assessor M. habe in diesem Sinne mit dem Berichterstatter gesprochen, und ob die neuen Tatsachen unter diesen Umständen berücksichtigt werden dürfen (vgl. dazu BGHZ 2, 342 und § 236 ZPO). Denn auch wenn man das bejaht, ist nicht dargetan, daß Rechtsanwalt Dr. B. und Assessor M. jede ihnen zumutbare Sorgfalt aufgewendet haben.
a)Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs hat der Rechtsanwalt in wichtigen Fristsachen Vorkehrungen zu treffen, damit die Frist auch dann gewahrt wird, wenn außergewöhnliche Umstände eintreten. Zu diesen Vorkehrungen gehört mindestens bei Berufungsbegründungen die Anordnung, daß vor dem Ablaufsdatum eine Vorfrist notiert wird (BGH LM § 233 ZPO Anh. Nr. 12; Beschl. d. Sen. v. 30. November 1961 VII ZB 14/61). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs NJW 1962, 1165 [BGH 23.03.1962 - 4 StR 475/61] bezieht sich auf eine Berufungsschrift, die - anders als eine Berufungsbegründung - ohne großen Zeitaufwand angefertigt werden kann; abgesehen davon lagen dort besondere Umstände vor.
Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, daß dem Lehrmädchen des Rechtsanwalts Dr. B. wiederholt Anweisung gegeben worden ist, Fristsachen im Terminskalender 5 Tage vor Fristablauf vorzumerken, daß Assessor M. die Einhaltung dieser Anweisung laufend überwacht und daß das Lehrmädchen im vorliegenden Fall die Vorfrist nicht ein getragen hat.
Diese Anführungen genügen nicht, um Rechtsanwalt Dr. B. und Assessor M. voll zu entlasten. Es ist bereits bedenklich, die verantwortungsvolle Aufgabe der Eintragung der Vorfristen einem Lehrmädchen nur durch allgemeine mündliche Anweisung zu übertragen. Wenn man dies überhaupt für angängig hält, so ist jedenfalls Voraussetzung dafür, daß es sich um eine während längerer Zeit erprobte Kraft handelt, die sich in ihrem gesamten Arbeitsbereich als zuverlässig erwiesen hat.
In dieser Richtung hat die Klägerin nichts vorgetragen. Sie hat somit nicht die Möglichkeit ausgeräumt, daß Organisationsmängel im Büro des Rechtsanwalts B. zur Versäumung der Frist geführt haben. Das hat sie zu vertreten.
b)Assessor Müller trifft zudem in anderer Richtung ein Verschulden.
Als er seinen kurzen Osterurlaub antrat und mit dem Kraftwagen nach Venedig fuhr, mußte er mit Zwischenfällen bei der Rückkehr rechnen. Es ist allgemein bekannt, daß der Osterverkehr häufig zu einer Überfüllung der Straßen führt und daß er auf den Hauptstrecken vielfach ganz zum Erliegen kommt. Solche Zwischenfälle sind insbesondere auf den Verbindungen zwischen Bayern und Norditalien zu befürchten, zumal witterungsbedingte Schwierigkeiten in den Alpen, wie sie hier aufgetreten sind, im Frühjahr nicht zu den Seltenheiten gehören.
Unter diesen Umständen mußte Assessor M. für den Fall Vorsorge treffen, daß sich seine Rückkehr verzögerte. Das hätte er vor allem dadurch tun können und müssen, daß er sich vor seiner Abreise alle Sachen vorlegen ließ, in denen wichtige Fristen kurz nach Ostern abliefen. Hätte er das getan, so hätte er bemerken müssen, daß die Sache K. gegen H. sofort bearbeitet werden mußte. Entweder hätte er dann die Berufungsbegründung alsbald anfertigen oder aber dafür sorgen müssen, daß sie bei einer Verzögerung seines Eintreffens in München von anderer Seite gefertigt wurde.
Die Unterlassung dieser Vorsichtsmaßnahmen ist ihm als Verschulden anzurechnen, so daß die Wiedereinsetzung auch aus diesem Grunde zu versagen ist.
3.)Die Kostenentscheidung folgt aus dem § 97 ZPO.