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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 30.04.1992, Az.: VII ZR 159/91

Tatbestand

Die Klägerin stand mit der Beklagten, die als Generalübernehmerin eine Vielzahl von Bauvorhaben in B. durchführt, über lange Zeit in Geschäftsbeziehung. Die Parteien arbeiteten zunächst derart zusammen, daß die Klägerin Architektenleistungen erbrachte, die der Beklagten die Prüfung ermöglichten, ob ein Bauprojekt realisierbar war. Diese Arbeit leistete die Klägerin absprachegemäß auf eigenes Risiko. Wurde das Projekt durchgeführt, erhielt sie den Auftrag für die Architekten- und Ingenieurarbeiten, auf die sie spezialisiert war. Ferner wurden ihr die zuvor erbrachten Leistungen vergütet.

1987 befürchtete die Klägerin Einschränkungen in der bis dahin praktizierten Zusammenarbeit. Die hierüber geführten Besprechungen faßte die Beklagte mit Schreiben vom 1. Juni 1988 zusammen, dem die Klägerin zustimmte (künftig: Abmachung). Danach sollte sich die weitere Zusammenarbeit auf mehrere Objekte, u.a. auch auf den Hotelneubau in der J.-Straße, beziehen. Desweiteren heißt es:

"Wir gehen davon aus, daß Sie uns bereits in der Planungsphase mit Rat und Tat ohne Berechnung zur Seite stehen und daß vor Baubeginn Architektenverträge mit Ihnen abgeschlossen werden, in denen eine pauschale Honorierung vereinbart wird für die Leistungen gem. HOAI

§ 15 Abs. 1 Ziffer 1 - 5 Teilleistungen (insbesondere Kostenschätzungen, Kostenberechnungen)

Ziff. 6 - 9

Für die Honorierung gelten die Bestimmungen der HOAI. Das jeweilige Pauschalhonorar ist für jedes Projekt einzeln zu verhandeln und zu vereinbaren.

..."

Die Klägerin erbrachte zur Vorbereitung des Hotelneubaus Grundleistungen nach der HOAI. Ende Januar 1989 bot sie der Beklagten den Abschluß eines Architektenvertrages an; als Honorar schlug sie eine Pauschalvergütung von 250.000 DM zuzüglich Nebenkosten und Mehrwertsteuer vor. Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, das vorgeschlagene Honorar falle im Vergleich mit anderen Angeboten zu hoch aus; gleichzeitig bat sie die Klägerin, die bisher erbrachten Leistungen abzurechnen.

Die Klägerin hat für erbrachte Architektenleistungen 43.895 DM und für nicht erbrachte Architektenleistungen unter Berücksichtigung eines Abzugs von 40 % 138.231 DM, hilfsweise Schadensersatz gefordert. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 54.346 DM stattgegeben. Nachdem sich die Parteien, die beide Rechtsmittel eingelegt hatten, über die erbrachten Architektenleistungen verglichen hatten, hat das Berufungsgericht die Klage im übrigen abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I. Das Berufungsgericht meint, ein Architektenvertrag, der die nicht erbrachten Leistungen für den Hotelneubau umfasse, sei nicht geschlossen worden, da die Beklagte das Angebot der Klägerin abgelehnt habe. Die Abmachung vom 1. Juni 1988 enthalte auch keinen die Beklagte bindenden Vorvertrag. Sie stelle lediglich eine Absichtserklärung dar, die Dienste der Klägerin bei künftigen Bauvorhaben in Anspruch zu nehmen; eine Verpflichtung der Beklagten, ein Honorar zu zahlen, habe erst mit Abschluß eines Architektenvertrages vor Baubeginn begründet werden sollen. Besondere Umstände, die darauf schließen ließen, die Parteien hätten sich hier ausnahmsweise schon vor Regelung aller Vertragspunkte binden wollen, seien nicht ersichtlich. Vielmehr sei die Honorarfrage weiteren Verhandlungen und damit einer späteren Bestimmung vorbehalten worden.

II. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Das Berufungsgericht hat den Inhalt der Abmachung rechtlich nicht umfassend gewürdigt.

1. Gegen die berufungsgerichtliche Wertung, ein Architektenvertrag über die noch nicht erbrachten Leistungen der Klägerin sei nicht zustande gekommen, wendet sich die Revision ohne Erfolg. Ihre Auffassung, bereits mit Beginn der Planungsphase des Hotelneubaus J.-Straße sei ein Vertrag zustande gekommen, der allein von der Durchführung des Bauvorhabens abhängig gewesen sei, steht im Widerspruch zum Inhalt der Abmachung. Nach dem eindeutigen, einer Auslegung nicht bedürftigen Wortlaut waren Architektenverträge erst jeweils vor Baubeginn zu schließen, wobei das Pauschalhonorar für jedes Projekt einzeln zu verhandeln und zu vereinbaren war. Dem steht nicht entgegen, daß die Parteien vor der Abmachung anders verfahren waren. Die Revision zeigt nicht auf, daß das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung insoweit wesentlichen Tatsachenvortrag übergangen hat.

2. Zu Unrecht beanstandet die Revision ferner die Annahme des Berufungsgerichtes, die Parteien hätten mangels Bindungswillens keinen Vorvertrag über den Hotelneubau geschlossen. Diese Würdigung beruht auf einer rechtsfehlerfreien tatrichterlichen Auslegung der Abmachung und läßt weder erheblichen Parteivortrag noch die Interessen der Beteiligten außer acht.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind Vorverträge schuldrechtliche Vereinbarungen, durch die für beide Teile oder auch nur einen von ihnen die Verpflichtung begründet wird, demnächst einen anderen schuldrechtlichen Vertrag, den Hauptvertrag, zu schließen (BGHZ 102, 384, 388) [BGH 17.12.1987 - VII ZR 307/86]. Dabei tritt im Rahmen von Vertragsverhandlungen, die zu einem endgültigen Abschluß führen sollen, in der Regel erst dann eine rechtsgeschäftliche Bindung ein, wenn der in Aussicht genommene Vertrag nach Einigung über alle Einzelheiten abschlußreif ist; die Annahme eines Vorvertrages ist nur dann gerechtfertigt, wenn besondere Umstände darauf schließen lassen, daß sich die Parteien ausnahmsweise schon binden wollen, bevor sie alle Vertragspunkte abschließend geregelt haben (BGH Urteile vom 23. November 1972 II ZR 126/70 = WM 1973, 67 und vom 26. März 1980 VIII ZR 150/79 = NJW 1980, 1577). Zudem muß ein Vorwerkvertrag derart hinreichend bestimmt sein, daß das herzustellende Werk und die zu zahlende Vergütung einschließlich der von den Vertragsparteien für wesentlich angesehenen Nebenpunkte geregelt sind oder sich bestimmen lassen (vgl. BGH Urteil vom 20. September 1989 - VIII ZR 143/88 = NJW 1990, 1234, 1235). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht seiner Auslegung, die Abmachung enthalte keinen rechtsgeschäftlichen Bindungswillen zum Abschluß eines Vorvertrages für den Hotelneubau, rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt.

aa) Entgegen der Meinung der Revision hat das Berufungsgericht den Anwendungsbereich des § 154 Abs. 1 BGB nicht verkannt. Nach dieser Vorschrift ist ein Vertrag nur "im Zweifel" nicht geschlossen, solange sich die Parteien nicht über alle Punkte geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden sollte. Die Auslegungsbestimmung gilt - wie das Berufungsgericht ausgeführt hat - dann nicht, wenn sich die Parteien trotz des offenen Punktes erkennbar vertraglich binden wollten. Gerade das hat aber das Berufungsgericht nicht feststellen können.

bb) Das Berufungsgericht hat bei seiner Auslegung der Abmachung allerdings die früher geübte Praxis der Parteien nicht ausdrücklich berücksichtigt. Dies ist indessen im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es steht nämlich gerade nicht fest, daß die Parteien in der Abmachung ausschließlich die früher geübte Zusammenarbeit festschreiben wollten. Dann ist die Auslegung, der Wortlaut der Abmachung lasse zweifelsfrei erkennen, daß die Beklagte zu diesem Zeitpunkt noch keine zu Vergütungsansprüchen führende vertragliche Bindung eingehen wollte, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

cc) Die Meinung der Revision, die Parteien hätten sich vorvertraglich binden wollen, zumal sie mit der Ausführung des Vorvertrages begonnen hätten und die Vergütungsfrage hinreichend bestimmbar geregelt sei, geht fehl.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes steht es den Vertragsparteien eines Vorvertrages frei, zunächst nur über gewisse Punkte eine Vereinbarung zu treffen und andere Punkte einer späteren Vereinbarung vorzubehalten; in diesen Fällen kann die Willenseinigung der Parteien dahin gehen, daß trotz Offenbleibens einzelner Punkte ein bindender Vorvertrag im übrigen geschlossen werden sollte (Senatsurteil vom 25. Mai 1961 - VII ZR 28/60 = BB 1961, 1027 = WM 1961, 1052; Urteil vom 9. November 1966 V ZR 39/64 = NJW 1967, 153; vgl. auch Urteil vom 24. Februar 1983 - I ZR 14/81 = NJW 1983, 1727).

Die tatrichterliche Auslegung hierzu ist jedoch revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zum einen ist der Beginn der Tätigkeit der Klägerin kein tragfähiges Indiz für einen Bindungswillen. Denn die Klägerin hatte die Planungsphase stets zunächst auf eigenes Risiko und damit außerhalb einer werkvertraglichen Bindung zu erbringen. Zum anderen hatte sie auch nach Abschluß dieser Arbeit keinen durchsetzbaren Anspruch, mit den Architektenleistungen umfassend beauftragt zu werden, sofern das Bauvorhaben verwirklicht wurde. Zwar haben die Parteien die HOAI als Maßstab für die Berechnung des zu vereinbarenden Pauschalhonorars festgelegt. Jedoch haben sie die Höhe ausdrücklich weiteren Verhandlungen vorbehalten und für den Fall mangelnder Einigung keine Regelung getroffen. Daher können auch die Mindestsätze entsprechend § 4 Abs. 4 HOAI nicht als vereinbart gelten. Die Klägerin hatte aufgrund ihrer Arbeit lediglich die begründete Aussicht, einen Vertrag schließen zu können; damit war ihr Interesse hinreichend gewahrt. Nach alledem setzt die Revision lediglich ihre eigene Auslegung der Abmachung gegen die des Berufungsgerichts.

b) Zu Unrecht meint die Revision, die Beklagte habe treuwidrig den Abschluß eines Architektenvertrages verweigert. Zwar kann das Berufen auf einen offenen Einigungsmangel dann einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen, wenn die eine Vertragspartei auf diesem Wege sich nur ihrer eigenen Verpflichtung entziehen, die erlangten Vorteile aus einer Vereinbarung aber für sich behalten will (BGH Urteil vom 20. Januar 1954 - II ZR 1/53 = LM BGB § 154 Nr. 2).

Dies ist hier nicht der Fall. Vielmehr haben sich die Parteien über die von Anfang an dem Grunde nach nicht streitige Verpflichtung der Beklagten, die hier erbrachten Leistungen der Klägerin zu vergüten, verglichen.

3. Das Berufungsgericht hat jedoch die Tragweite der Abmachung nicht vollständig gewürdigt. Es hat die mögliche Auslegung als Rahmenvertrag mit einer Verhandlungspflicht der Beklagten nicht in Betracht gezogen und deshalb naheliegende Schadensersatzansprüche der Klägerin nicht geprüft.

a) Rahmenverträge, die eine auf Dauer angelegte Geschäftsverbindung eröffnen und dabei bestimmte Einzelheiten künftig abzuschließender Verträge festlegen, sind in Rechtsprechung und Literatur anerkannt (vgl. BGH Urteil vom 6. November 1967 - VIII ZR 175/65 = LM BGB § 157 (B) Nr. 7; Staudinger/Dilcher BGB 12. Aufl. Vorbem. zu §§ 145 ff Rdn. 50; Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag und Vorrechtsvertrag, 1965 S. 117); sie sind auch im Architektenrecht nicht ungebräuchlich (Locher/Koeble/Frik, HOAI, 6. Aufl. § 4 Rdn. 6; Hesse/Korbion/Mantscheff/Vygen HOAI 3. Aufl. § 4 Rdn. 35; Werner/Pastor, Der Bauprozeß 6. Aufl. Rdn. 667). Aus einem Rahmenvertrag kann grundsätzlich mangels Bestimmtheit der Einzelverträge nicht auf Abschluß eines definitiven Vertrages geklagt werden; jedoch kann das Nichtabschließen von Einzelverträgen eine positive Vertragsverletzung der Rahmenvereinbarung sein, die zum Schadensersatz verpflichtet (so Staudinger/Dilcher und Henrich, jeweils aaO).

b) Die Abmachung legt schon ihrem Wortlaut nach einen derartigen Rahmenvertrag nahe.

aa) Nach den bisher getroffenen Feststellungen hatte sich zwischen den Parteien vor dem Wechsel des Oberbauleiters der Klägerin zur Beklagten eine erkennbar feste Übung im Rahmen ihrer Zusammenarbeit gebildet. Danach beauftragte die Beklagte die Klägerin mit Architektenleistungen, sofern die Klägerin - zunächst auf eigenes Risiko - die Planungsphase erbracht hatte und sich die Beklagte daraufhin entschloß, das Bauvorhaben zu verwirklichen. Aufgrund des Wechsels ihres Oberbauleiters bestand die Klägerin auf einer schriftlichen Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit. Die Abmachung enthält, wie das Berufungsgericht feststellt, zunächst die Absichtserklärung der Beklagten, die Klägerin - auch - zukünftig für die näher bezeichneten Bauvorhaben in der Planungsphase heranzuziehen. War die Klägerin damit einverstanden, so hatte sie die Leistungen der Planungsphase auf eigenes Risiko und damit unentgeltlich zu erbringen. Daß diese Leistungen letztlich aber nicht in rechtsfreiem Raum stehen sollten, legt der weitere Inhalt der Abmachung nahe. Danach sollte ein Architektenvertrag geschlossen werden, sofern das Bauvorhaben verwirklicht wurde. Die Gegenleistung war in Form eines Pauschalhonorars zu vereinbaren; dies ist aus Rechtsgründen unbedenklich (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 1988 - VII ZR 239/86 = BauR 1988, 364 = ZfBR 1988, 133). Der Verhandlungsrahmen ergab sich damit erkennbar aus den in der HOAI festgesetzten Mindest- und Höchstsätzen.

bb) Allerdings hatte die Klägerin nur einen Anspruch darauf, daß die Beklagte mit ihr über den Abschluß eines Architektenvertrages verhandelte. Zum Inhalt und zur Tragweite der Verhandlungspflichten im einzelnen fehlt es an Feststellungen. Jedenfalls konnte sich die Beklagte dieser Pflicht nicht mit dem Bemerken entziehen, das Angebot der Klägerin sei zu hoch, ohne der Klägerin ihre Auffassung zu erläutern und ihr die Möglichkeit zu einer fairen, erfolgversprechenden Verhandlung zu geben. Der Beklagte wußte nämlich, daß die Klägerin auf der Grundlage der Abmachung die Leistungen der Planungsphase auf eigenes Risiko bereits erbracht hatte und zumindest einen Gegenvorschlag im Rahmen der Mindest- und Höchstsätze der HOAI erwartete. War die Beklagte dazu ohne sachlichen Grund nicht bereit, so steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch zu. Dieser Anspruch kann sich auf das positive Interesse der Klägerin erstrecken, wenn sich feststellen läßt, daß die Parteien bei vertragsgerechtem Verhalten der Beklagten einen Architektenvertrag geschlossen hätten. Dies wird das Berufungsgericht, gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien, zu würdigen haben. Ein etwaiges Konkurrenzangebot, das die Mindestsätze nach der HOAI unterschritt, durfte der Beklagten keinen Anlaß geben, die Verhandlungen scheitern zu lassen.