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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 05.05.1983, Az.: VII ZR 174/81

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 31. März 1981 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Kläger, der einen 9-jährigen Trakehner Wallach als Reit- und Dressurpferd kaufen wollte, beauftragte den in einer Tierklinik als leitenden Arzt tätigen Beklagten, das Pferd einer tierärztlichen "Ankaufsuntersuchung" zu unterziehen. Der Beklagte, dem bekannt war, daß der Kläger Vertragsabschluß und Zahlung des geforderten Kaufpreises (79.000,- DM) vom Ergebnis dieser Untersuchung abhängig machen wollte, erstattete daraufhin am 26. Mai 1978 folgenden "tierärztlichen Untersuchungsbefund":"Am 26.5.78 untersuchten wir im Rahmen einer Ankaufsuntersuchung den 9-Jährigen Trakehner Schimmelwallach Sternblick.Bei der klinischen Untersuchung zeigte das Pferd eine positive Beugeprobe hinten rechts. Bei der Röntgenuntersuchung stellten wir vorne links am Strahlbein geringgradige Veränderungen im Sinne von Podotrochlose fest.Am rechten Sprunggelenk zeigten sich geringgradige Veränderungen im Sinne von Spat.Den Podotrochlose-Veränderungen messen wir für das Pferd keinen Krankheitswert zu, den Spätveränderungen hinten rechts messen wir einen geringen Krankheitswert zu.Das Pferd war zur Zeit unserer Untersuchung frei von Hauptmängeln."

Aufgrund dieses Untersuchungsergebnisses kaufte der Kläger das Pferd. Dabei gab der Verkäufer folgende, auf dem "Untersuchungsbefund" vermerkte Erklärung ab:"Als Verkäufer des Pferdes erkläre ich, daß ich bis zum 26. Mai 1979 das Risiko für die Mängel am Sprunggelenk gemäß dem vorstehenden Gutachten übernehme, und im Falle einer Unbrauchbarkeit infolgedessen das Pferd zum Preise von DM 60.000,- zurücknehme."

Vier Monate später lahmte das Pferd stark; es ist als Dressurpferd unbrauchbar. Bei einer tierärztlichen Untersuchung im Januar 1979 zeigten sich an den Strahlbeinen "hochgradige Veränderungen des distalen Strahlbeinrandes vorne beiderseits im Sinne von Podotrochlose (Kanälchenbildung in Form von ca. 1 mm breiten und 3-4 mm tiefen Aufhellungen über den gesamten margo ligamenti, distaler Rand gezackt und unscharf)." Auch ergab ein Vergleich von Röntgenaufnahmen mit den bei der Ankaufsuntersuchung gefertigten Röntgenbildern, daß die röntgenologischen Veränderungen beider Strahlbeine seit dem Kauf nur unwesentlich zugenommen hatten.

Der Kläger forderte im Klageweg zunächst von dem Verkäufer des Pferdes einen Teil des Kaufpreises zurück. In diesem Rechtsstreit verkündete er im August 1979 dem Beklagten den Streit. Da diese Klage erfolglos geblieben ist, verlangt er nunmehr von dem Beklagten, dessen Untersuchungsbefund er für unrichtig hält, Schadensersatz in Höhe von 72.000,- DM (nebst Zinsen).

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage wegen Verjährung des Schadensersatzanspruches abgewiesen. Mit der - angenommenen - Revision, um deren Zurückweisung der Beklagte bittet, verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe

I.Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Schaden, den der Kläger als Folge des Gutachtens erlitten habe, sei ein Mangelfolgeschaden. Der Ersatzanspruch könne deshalb ausschließlich auf die Regeln über die positive Vertragsverletzung gestützt werden und unterliege nach § 195 BGB grundsätzlich der Verjährungsfrist von 30 Jahren.

Das läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision nicht angegriffen.

II.Das Berufungsgericht meint weiter, ausnahmsweise sei hier der Klageanspruch jedoch der kurzen Verjährung nach § 638 BGB zu unterwerfen. Nach der Vereinbarung der Parteien sollte der Untersuchung keine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zukommen. Als "Ankaufsuntersuchung" sei sie vielmehr eng mit dem Kaufvertrag verknüpft gewesen, den sie vorbereiten und dessen Bedingungen sie festlegen sollte. Ein Mangel des Gutachtens habe sich daher unmittelbar in dem abgeschlossenen Kaufvertrag realisiert. Auch die gebotene Güter- und Interessenabwägung führe zur Anwendung des § 638 BGB, weil die Gewährleistungsansprüche aus Kaufverträgen über Tiere besonders kurzen Ausschlußfristen unterworfen seien und eine 30-jährige Verjährungsfrist mit der "Regelungsstruktur" solcher Verträge unvereinbar wäre.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1.Der Senat hat im Interesse zweckgerechter Anwendung der Verjährungsbestimmung des § 633 BGB gewisse Mangelfolgeschäden in die Gewährleistungshaftung nach §§ 635, 638 BGB einbezogen und für aus diesen Schäden hergeleitete Ansprüche die 30-jährige Regelverjährung nach § 195 BGB ausgeschlossen. Eine derartige Erweiterung des Schadensbegriffs nach § 635 BGB hat der Senat allerdings nur für solche Folgeschäden zugelassen, die zwar außerhalb des Werkes auftreten, aber in "engem Zusammenhang" mit dem Mangel stehen. Dagegen gelten die Regeln der positiven Vertragsverletzung (mit der Folge 30-jähriger Verjährungsfrist) für alle "entfernteren" Mangelfolgeschäden (vgl. BGHZ 46, 238, 239 f;  48, 257, 258 [BGH 18.09.1967 - VII ZR 88/65];  54, 352, 358;  58, 85, 87 ff [BGH 20.01.1972 - VII ZR 148/70];  58, 225, 228 [BGH 09.03.1972 - VII ZR 202/70];  58, 305, 307 f;  58, 332, 338;  67, 1, 5 f; 72, 257, 259; NJW 1969, 838, 839;  1969, 1710;  1970, 421, 423;  1979, 1651;  1981, 2182, 2183;  1982, 2244, 2245 m.w.N.).

Bei fehlerhaften Plänen hat der Senat einen Mangelfolgeschaden, der in engem Zusammenhang mit dem Mangel steht, dann bejaht, wenn der Fehler sich zwangsläufig auf ein anderes Werk überträgt, also sich notwendig in diesem Werk selbst "realisiert" bzw. "verkörpert". Der Senat hat daher bei Fehlern des Werkes eines Architekten, Statikers oder Vermessungsingenieurs, die zu Mängeln im Bauwerk geführt haben, einen solchen engen Zusammenhang angenommen (vgl. BGHZ 37, 341, 344;  48, 257, 261 f [BGH 18.09.1967 - VII ZR 88/65];  58, 85, 92 [BGH 20.01.1972 - VII ZR 148/70];  58, 225, 228 f [BGH 09.03.1972 - VII ZR 202/70]). Diesen Zusammenhang hat er auch dann bejaht, als Schäden an einem Gebäude auf Fehlern eines geologischen Baugrundgutachtens beruhten (vgl. BGHZ 72, 257, 259 f). Dagegen hat der Senat einen "entfernteren", mithin der 30-Jährigen Verjährung unterliegenden Mangelfolgeschaden angenommen, als ein Gutachten über den Wert von Grundstücken sich als mangelhaft erwies (vgl. BGHZ 67, 1, 8 f [BGH 10.06.1976 - VII ZR 129/74]; vgl. auch BGHZ 58, 85, 91) [BGH 20.01.1972 - VII ZR 148/70]. Dabei ist er davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber bei der Regelung der §§ 635, 638 BGB an in ihren Auswirkungen unverhältnismäßig schwere Mangelfolgeschäden nicht gedacht hat, die gerade im Bereich des Werkvertrags, insbesondere aus unrichtigen Gutachten, nach Ablauf der kurzen Verjährungsfrist des § 638 BGB auftreten und nicht in engem Zusammenhang mit dem Werkmangel stehen (vgl. BGHZ 67, 1, 9 [BGH 10.06.1976 - VII ZR 129/74] m.w.N.).

Diese Rechtsprechung des Senats hat im Schrifttum inzwischen weitgehend Zustimmung gefunden (vgl. etwa Jauernig/Schlechtriem, BGB, 2. Aufl., § 635 Anm. 4 b; Palandt/Thomas, BGB, 42. Aufl., § 638 Anm. 2 a; Soergel in MünchKomm, BGB, § 635 Rdn. 40; Ballerstedt JZ 1977, 230; Schienger ZfBR 1978, 6, 8; a.A. z.B. Schubert JR 1975, 179, 183 f;  1977, 110 f; BB 1975, 585, 586). An ihr ist festzuhalten.

2.Danach ist der Schaden, der dem Kläger aufgrund des angeblich unrichtigen tierärztlichen Untersuchungsbefundes entstanden ist, als entfernterer Mangelfolgeschaden anzusehen. Der Schadensersatzanspruch unterliegt daher - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht der kurzen Verjährung nach § 638 BGB, sondern der 30-jährigen Verjährung nach § 195 BGB.

a)Anders als der Plan eines Architekten, die Berechnung eines Statikers oder Vermessungsingenieurs, das Baugrundgutachten eines Geologen "realisiert" oder "verkörpert" sich ein tierärztlicher Untersuchungsbefund nicht ausschließlich in einem anderen "Werk". Während sich solche Pläne und Berechnungen regelmäßig in einem Bauwerk verwirklichen und somit erst durch die Ausführung dieses Werkes einen Wert gewinnen, hat ein ärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand eines Tieres auch ohne Verknüpfung mit einem nachfolgenden Kaufvertrag selbständige wirtschaftliche Bedeutung. Zwar kann ein tierärztlicher Untersuchungsbefund - wie im Streitfall - für den Abschluß eines bestimmten Kaufvertrags maßgebend sein. Auch bei einer solchen Verknüpfung mit einem Kaufvertrag erschöpft sich die wirtschaftliche Bedeutung des Gutachtens aber nicht in der Verwendung bei den Vertragsverhandlungen.

Der Untersuchungsbefund kann vielmehr darüberhinaus für andere Sachverhalte Bedeutung erlangen, in denen der Gesundheitszustand des Tieres eine Rolle spielt. So ist denkbar, daß auf das Gutachten nicht nur bei Abschluß des vom Auftraggeber beabsichtigten Kaufvertrags, sondern bei einem Weiterverkauf des Tieres durch den Käufer zurückgegriffen wird. Auch ist möglich, daß der tierärztliche Untersuchungsbefund dem Abschluß eines Mietvertrags oder eines Versicherungsvertrags zugrundegelegt wird, für dessen Zustandekommen und Ausgestaltung der Gesundheitszustand des Tieres maßgebend ist. Schließlich kann das Gutachten z.B. bei einer zunächst nicht beabsichtigten Veräußerung eines landwirtschaftlichen Anwesens oder eines Gewerbebetriebes als Nachweis für den Wert des mitveräußerten Tieres dienen.

Ein tierärztlicher Untersuchungsbefund, auch wenn er aufgrund einer "Ankaufsuntersuchung" erstellt wird, hat also aufgrund seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten - anders als der Plan des Architekten, die Berechnung des Statikers, das Einmessen eines Gebäudestandorts, die Baugrundbegutachtung - durchaus selbständige wirtschaftliche Bedeutung. Ein fehlerhafter Befund "realisiert" sich daher nicht lediglich in dem Kaufvertrag, für dessen Abschluß er erhoben worden ist. Schäden aus solchen Gutachten treten deshalb gerade, ja sogar vorwiegend als entferntere Mangelfolgeschäden auf. Daher darf hier der auf den angeblich unrichtigen Untersuchungsbefund gestützte Schadensersatzanspruch nicht der kurzen Verjährung des § 638 BGB unterworfen werden.

b)Bei dieser Sachlage kann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - die subjektive Vorstellung der Vertragsparteien über den Zweck des Gutachtens nicht ausschlaggebend sein. Auch wenn die Parteien - wie im Streitfall - mit dem Untersuchungsbefund zunächst bestimmte Ziele verfolgen und ihn mit dem beabsichtigten Kaufvertrag verknüpfen wollten, bleibt dem Befund doch eine selbständige wirtschaftliche Bedeutung, die sich in ihren Auswirkungen erst später zeigen kann. So ist denkbar, daß ein aufgrund einer "Ankaufsuntersuchung" erstattetes tierärztliches Gutachten bei einem Scheitern des Kaufvertrags der Vorbereitung und inhaltlichen Ausgestaltung eines anderen Kaufvertrags dient. Auch kann - wie schon erwähnt - der zunächst mit einem bestimmten Kaufvertrag verknüpfte Untersuchungsbefund in der Folgezeit für andere Rechtsgeschäfte (z.B. für Mietverträge oder Versicherungsverträge) maßgebend werden. Die Vorstellung der Vertragsparteien allein, auf die das Berufungsgericht vorwiegend abstellt, vermögen deshalb die Anwendung der kurzen Verjährungsfrist des § 638 BGB nicht zu begründen. Maßgebend ist vielmehr die objektive Verwendungsmöglichkeit des Untersuchungsbefundes und seine sich daraus ergebende selbständige wirtschaftliche Bedeutung.

c)Die gebotene Güter- und Interessenabwägung führt - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat hat in BGHZ 58, 85, 91 [BGH 20.01.1972 - VII ZR 148/70] ausgeführt, daß für die Beurteilung entfernterer Mangelfolgeschäden bei zweckgerechter Gesetzesauslegung die berechtigten Belange des Bestellers denen des Werkunternehmers vorgehen. Auch im Streitfall erfordern die berechtigten Belange des Klägers, den Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung der längeren Verjährungsfrist zu unterwerfen. Als Besteller des in Auftrag gegebenen Untersuchungsbefundes wollte der Kläger erreichen, daß ihm etwaige Mängel des als Dressur- und Reitpferd verwendeten Tieres bekannt werden und er durch die kurzen Gewährleistungsfristen des § 482 BGB i.V.m. der Verordnung vom 27. März 1899 keine Nachteile erleidet.

Darüberhinaus wollte er sich, wie der auf dem Untersuchungsbefund vermerkte Zusatz für die vom Beklagten festgestellten Veränderungen am rechten Sprunggelenk des Pferdes zeigt, für zur Zeit des Vertragsschlusses bestehende, die Eignung des Wallachs als Reit- und Dressurpferd aber zunächst nicht beeinträchtigende Mängel den Rücktritt vom Vertrag vorbehalten, sofern das Pferd aufgrund dieser Mängel unbrauchbar werden sollte. Der Kläger und der Verkäufer gingen bei Abschluß des Kaufvertrags also davon aus, daß Mängel des Pferdes durchaus noch während der vorgesehenen Jahresfrist auftreten können und nicht - wie das Berufungsgericht meint - innerhalb "kürzester Frist" auftreten müssen. Der Kläger wiederum war bestrebt, die Gewährleistungshaftung des Verkäufers auf einen längeren Zeitraum auszudehnen, um mit dem Kauf kein Risiko einzugehen. Bei dieser Sachlage kann die vom Berufungsgericht angeführte "Regelungsstruktur" des Kaufvertragsrechts für die Begründung einer kurzen Verjährungsfrist nicht herangezogen werden. Entscheidend ist vielmehr die Interessenlage des Klägers, die hier für die Annahme einer längeren Verjährungsfrist spricht.

d)Etwaige Beweisschwierigkeiten führen ebenfalls nicht zu anderer Beurteilung. Ein ärztlicher Untersuchungsbefund wird regelmäßig schriftlich niedergelegt; er beruht auf Unterlagen wie Röntgenaufnahmen, Aufzeichnungen über Blutuntersuchungen usw. Auch im Streitfall wurden während der "Ankaufsuntersuchung" Röntgenbilder angefertigt. Die Richtigkeit des vom Beklagten festgestellten Befundes läßt sich also nach längerer Zeit noch überprüfen; mit unüberwindbaren Beweisschwierigkeiten ist nicht zu rechnen.

Nach alledem ist es nicht gerechtfertigt, bei einem tierärztlichen Untersuchungsbefund wie dem vom Beklagten erstatteten die Frage der Verjährung von Ansprüchen auf Ersatz von Mangelfolgeschäden anders zu beurteilen als allgemein bei Gutachten, die lediglich aus einem bestimmten Anlaß in Auftrag gegeben worden sind (vgl. BGHZ 67, 1, 4, 10) [BGH 10.06.1976 - VII ZR 129/74].

III.Die Klage scheitert somit jedenfalls nicht an der Verjährung des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs, mit der sich das Berufungsgericht bisher ausschließlich befaßt hat. Sein Urteil kann daher keinen Bestand haben. Da das Berufungsgericht keine weiteren Feststellungen getroffen hat, ist der Senat zu eigener Sachentscheidung nicht in der Lage. Auf die Revision des Klägers ist das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr damit zu befassen haben, ob und inwieweit der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Mängel des von dem Beklagten erstatteten Untersuchungsbefundes zurückzuführen ist.