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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 15.05.1986, Az.: VII ZR 274/85

Tatbestand

Der Kläger - ein Unfallversicherungsverband, bei dem aufgrund gesetzlicher Vorschriften Schüler unfallversichert sind - übernahm die Kosten der Heilbehandlung nach einem Verkehrsunfall, den die am 25. Januar 1966 geborene Tochter des Beklagten am 10. November 1977 beim Besuch einer Musikunterrichtsstunde erlitten hatte. Als ihm bekannt wurde, daß sich der Unfall auf dem Weg zur selbständigen Musikschule der Stadt E. und nicht - wie zunächst angenommen - zu dem Städtischen Gymnasium E.-L. ereignet hatte, teilte er am 22. März 1978 dem Beklagten mit, daß der Besuch der Musikschule nicht dem gesetzlichen Unfallversicherungsschutz unterliege. Anschließend forderte er ihn wiederholt auf, die erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 3.961,50 DM zurückzuerstatten.

Der auf Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen gerichteten Klage hat das Landgericht stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision, die der Beklagte zurückzuweisen bittet, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.Das Berufungsgericht nimmt an, dem Kläger stehe ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nicht zu, weil er - in der Annahme, der Tochter des Beklagten aufgrund gesetzlicher Vorschriften Heilbehandlung zu schulden - ausschließlich ein eigenes Geschäft besorgt habe.

Das läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird von der Revision nicht angegriffen.

II.Das Berufungsgericht führt weiter aus, der Kläger könne seinen Anspruch auch nicht auf ungerechtfertigte Bereicherung stützen. Empfängerin der erbrachten Sachleistungen sei die Tochter des Beklagten gewesen. Ein Leistungsverhältnis bestehe deshalb nur zwischen ihr und dem Kläger. Für einen Rückgriff des Klägers beim Beklagten fehle eine gesetzliche Grundlage. Eine unmittelbare Kondiktion scheide aus, weil der Kläger mangels eines entsprechenden Willens nicht bewußt auf eine fremde Schuld - die Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner Tochter - geleistet habe. Der Kläger könne auch nicht nachträglich erklären, er verzichte auf die Bereicherungsforderung gegen die Tochter des Beklagten - die Gläubigerin - und lasse seine zunächst zu Unrecht erbrachte Leistung für den Beklagten - den wirklichen Schuldner - gelten. Ein solches "Wahlrecht" des irrtümlich Leistenden trage den berechtigten Interessen des Schuldners nicht Rechnung; auch berücksichtige es nicht hinreichend die Interessen des Gläubigers und Dritter.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Dem Kläger steht gegen den Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Erstattung der für die Heilbehandlung erbrachten Aufwendungen zu.

1.Der Kläger ist aufgrund der besonderen gesetzlichen Regelung des Unfallversicherungsschutzes für Schüler nicht verpflichtet, für den von der Tochter des Beklagten erlittenen Unfall Versicherungsleistungen zu erbringen. Durch die von ihm übernommenen Heilbehandlungskosten ist die Tochter des Beklagten daher ungerechtfertigt bereichert. Mit der Aufforderung an den Beklagten, die Aufwendungen zu erstatten, brachte der Kläger zum Ausdruck, daß er auf den ihm zustehenden Bereicherungsanspruch gegen die Tochter des Beklagten verzichtet und seine irrtümliche Eigenleistung als für den Beklagten erbracht gelten soll. Da - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - eine solche nachträgliche Tilgungsbestimmung möglich ist, hat der Kläger gemäß § 267 BGBdie Zahlung der Heilbehandlungskosten für den Beklagten bewirkt, der seiner Tochter gegenüber unterhaltspflichtig ist. Er kann deshalb bei ihm Rückgriff nehmen.

2.Ob bei irrtümlicher Eigenleistung die Tilgungsbestimmung nachträglich geändert und die erbrachte Leistung auf diese Weise als Leistung des wahren Schuldners bestimmt werden kann, ist umstritten.

a)Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, der Leistende könne die Tilgungsbestimmung seiner Leistung entsprechend § 267 BGB nachträglich ändern (v. Caemmerer JZ 1962, 385, 386; ders. in Festschrift für Dölle, (1963) Bd. I, S. 135, 148 ff; Ehmann NJW 1969, 398, 403 Fn. 58 a; ders. NJW 1969, 1833, 1835 [BGH 05.05.1969 - II ZR 115/68]; Flume JZ 1962, 281, 282 [BGH 05.10.1961 - VII ZR 207/60]; Heimann-Trosien in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 812 Rdn. 31; Jauernig/Schlechtriem, BGB, 3. Aufl., § 812 Anm. 2 d; Kaehler, Bereicherungsrecht und Vindikation, (1972) S. 80; Palandt/Thomas, BGB, 45. Aufl., § 812 Anm. 5 B c dd; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, S. 473 f; Schlechtriem NJW 1966, 1795, 1796; Thomä JZ 1962, 623, 627; Zeiss AcP 165, 332, 337 f).

Die Gegenansicht lehnt ein solches nachträgliches Bestimmungsrecht ab, weil es den irrtümlich Leistenden einseitig bevorzuge (Derleder AcP 169, 97, 103 ff; Erman/H.P. Westermann, BGB, 7. Aufl., § 812 Rdn. 31; Esser/Weyers, Schuldrecht Bd. II, 6. Aufl., § 48 III 6 a; Hassold, Zur Leistung im Dreipersonenverhältnis, S. 124 ff; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts Bd. II, 12. Aufl., § 68 III e 1; Lieb in MünchKomm, BGB, 2. Aufl., § 812 Rdn. 76 f; Lorenz in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, (1967) S. 267 ff; ders. AcP 168, 286, 306 ff u. Staudinger/Lorenz, BGB, 12. Aufl., § 812 Rdn. 59; Medicus, Bürgerliches Recht, 12. Aufl., Rdn. 951; Meyer, Der Bereicherungsausgleich in Dreiecksverhältnissen, S. 100 ff).

Eine vermittelnde Meinung hält ein nachträgliches Wahlrecht des irrtümlich Leistenden zwar für zulässig, beschränkt es jedoch auf eine Wirkung ex nunc (Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, S. 54 f; Schnauder, Grundfragen zur Leistungskondiktion bei Drittbeziehungen, S. 183 ff; Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung als Grundlagen und Grenzen des Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung, S. 175).

b)Der Bundesgerichtshof war mit der umstrittenen Frage wiederholt befaßt. In einem Fall zweier nicht als Gesamtschuldner haftender Schädiger, in dem ein nur bis zu einer Höchstgrenze haftender Schädiger darüber hinausgehende Zahlungen an den Geschädigten geleistet hat, hat er eine nachträgliche Tilgungsbestimmung des Leistenden und damit einen Bereicherungsausgleich unter den Schädigern zugelassen. Damit wollte er das unbillige Ergebnis vermeiden, daß sich die großzügige Schadensregulierung des einen der beiden Schädiger als "unverdientes Geschenk" für den zweiten Schädiger auswirkt, der mit seiner Leistung zurückgehalten hat (BGH NJW 1964, 1898, 1899 [BGH 14.07.1964 - VI ZR 129/63]; vgl. a. LAG Düsseldorf Betrieb 1978, 1136). Ebenso hat er sich dafür ausgesprochen, daß ein Leistender, der in der irrigen Annahme einer eigenen Schuld Leistungen erbracht hat, nachträglich klarstellen oder erklären kann, daß er auf Bereicherungsansprüche gegen den Gläubiger verzichtet und seine Leistungen als für den ersatzpflichtigen Schuldner erbracht gelten sollen (BGH NJW 1983, 812, 814) [BGH 18.01.1983 - VI ZR 270/80]. Der Senat hat bisher einen Bereicherungsanspruch aus §§ 267, 812 BGB nur dann bejaht, wenn der Dritte die Leistung mindestens auch für den wahren Schuldner erbringen wollte. Die Frage, ob eine nachträgliche Tilgungsbestimmung bei irrtümlich erfüllter fremder Schuld zulässig ist, hat er offen gelassen (BGHZ 70, 389, 397) [BGH 23.02.1978 - VII ZR 11/76].

3.Das Bereicherungsrecht unterliegt in besonderem Maße dem Gebot der Billigkeit. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hat daher für Bereicherungsansprüche besondere Bedeutung (BGHZ 36, 232, 235 [BGH 21.12.1961 - III ZR 130/60]; 55, 128, 134) [BGH 07.01.1971 - VII ZR 9/70]. Davon ausgehend hält der Senat jedenfalls im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten eine nachträgliche Tilgungsbestimmung des Klägers für zulässig.

a)Der Kläger stellte spätestens im März 1978 - also schon etwa 4 Monate nach dem Unfall - fest, daß er aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht zur Leistung an die Tochter des Beklagten verpflichtet ist. Wenn er daraufhin auf den ihm an sich zustehenden Bereicherungsanspruch gegen die damals 12-jährige Tochter verzichtete und stattdessen den unterhaltsberechtigten Beklagten auf Rückzahlung der Heilbehandlungskosten in Anspruch nahm, so darf ihm das zumindest nach Treu und Glauben nicht verwehrt werden. Dabei steht für den Kläger ersichtlich nicht in Rede, im Beklagten etwa einen "besseren" Schuldner suchen oder gar dem von ihm zu tragenden "Insolvenzrisiko" ausweichen zu wollen. Er will sich vielmehr lediglich an den durch die rechtsgrundlos erbrachten Leistungen aus einer gesetzlichen Versicherung letztlich allein Begünstigten halten. Das muß ihm nach Treu und Glauben gestattet sein. Es wäre unbillig, wenn ihm gerade daraus Nachteil entstünde, daß er ohne genaue vorherige Prüfung seiner Eintrittspflicht als gesetzlicher Unfallversicherungsträger die anfallenden Heilbehandlungskosten erst einmal übernommen und damit die notwendige ärztliche Versorgung des verunglückten Kindes ermöglicht hat. Das kam auch dem Beklagten zugute, der sich insofern zunächst um nichts zu kümmern brauchte, was sonst seine Sache gewesen wäre. Deshalb muß der Kläger hier berechtigt sein, nachträglich die irrtümlich geleistete Zahlung gemäß§ 267 BGB als eine für den Beklagten erbrachte Leistung zu bestimmen.

b)Schutzwürdige Interessen des Beklagten stehen einer solchen nachträglichen Tilgungsbestimmung des Klägers nicht entgegen. Der Beklagte war zur Zeit des Unfalls seiner Tochter gegenüber unterhaltspflichtig; für die Kosten der Heilbehandlung mußte er aufkommen. Da er als Unterhaltspflichtiger die Übernahme der Kosten nicht hätte ablehnen können, wird ihm durch die Tilgungsbestimmung des Klägers keine Leistung aufgedrängt. Auch wird er durch die Inanspruchnahme seitens des Klägers nicht schlechter gestellt. Denn er hat bisher Leistungen an seine Tochter nicht erbracht; auch wird nicht etwa eine Aufrechnungslage zwischen ihm und seiner Tochter beseitigt. Andererseits wäre es unbillig, durch die dem Wohl des Kindes dienende irrtümliche Leistung des Klägers gerade den unterhaltspflichtigen Beklagten ersatzlos zu entlasten.

Daß der Beklagte nunmehr - aufgrund Zeitablaufs - unter Umständen Ersatzansprüche gegen den Unfallverursacher oder gegen seine Krankenkasse bzw. - als Beihilfeberechtigter - Beihilfeansprüche gegen seine Behörde nicht mehr durchsetzen kann, ändert daran nichts. Dem Beklagten war spätestens seit März 1978 bekannt, daß der Kläger als gesetzlicher Unfallversicherungsträger nicht zur Leistung verpflichtet ist und aus diesem Grund die bezahlten Behandlungskosten zurückfordert. Es war ihm deshalb zuzumuten, bereits damals etwaige Ansprüche gegen den Schädiger seiner Tochter oder bei seiner Krankenkasse bzw. der für die Beihilfe zuständigen Behörde geltend zu machen. Da der Kläger schon kurze Zeit nach der irrtümlich erbrachten Leistung die Tilgungsbestimmung erklärte, bestand für den Beklagten auch kein unzumutbar langer Schwebezustand. Vielmehr wurde er wiederholt von dem Kläger auf seine Verpflichtung hingewiesen. Deshalb kommt auch ein Wegfall der Bereicherung des Beklagten nicht in Betracht (§ 819 BGB).

c)Schutzwürdige Interessen der Tochter des Beklagten, die die Tilgungsbestimmung des Klägers unbillig erscheinen lassen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die Heilbehandlung der Tochter wurde durchgeführt und von dem Kläger bezahlt; die Tochter wurde hierfür nicht in Anspruch genommen. Daß für die aufgewendeten Kosten letztlich der unterhaltspflichtige Beklagte einzustehen hat, berührt die Interessen der Tochter des Beklagten nicht unmittelbar. Denn als Unterhaltsberechtigte hätte sie ohnedies auch von dem Beklagten Übernahme der Heilbehandlungskosten verlangen können.

III.Nach alledem steht dem Kläger gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen den Beklagten ein Bereicherungsanspruch zu. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.