Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 13.10.2011, Az.: VII ZR 29/11
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil der Zivilkammer 54 des Landgerichts Berlin in Berlin-Mitte vom 3. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gegenstandswert: 3.890,62 €
Entscheidungsgründe
I.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Restwerklohn von 3.552,12 € und vorgerichtliche Anwaltskosten von 338,50 €. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das am 13. April 2010 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 11. Mai 2010 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 29. Juni 2010 begründet. In der Vorbereitung des Verhandlungstermins vom 3. Dezember 2010 hat das Berufungsgericht die Fristversäumung erkannt und den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 30. November 2010 entsprechend informiert.
Die Klägerin hat behauptet, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 7. Juni 2010 eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der Schriftsatz sei von der Notarfachgehilfin L. in ein Kuvert verpackt und an das Landgericht B. adressiert worden. Die Gerichtspost sei gegen 20:00 Uhr von seinem Sozius in den Briefkasten des Amtsgerichts C. eingeworfen worden. Der Eingang der Post sei vom dort eingerichteten Zustelldienst um 20:10 Uhr registriert und die Post um 22:48 Uhr an das Landgericht zugestellt worden. Die Klägerin hat die entsprechende Bestätigung des Zustelldienstes vorgelegt und sich zum Beweis auf die eidesstattliche Versicherung der Notarfachgehilfin L. und die anwaltliche Versicherung des Sozius berufen. Sie hat zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da sie nach ihrer Auffassung eine Fristversäumung nicht zu vertreten habe.
II.
Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen. Es meint, nicht feststellen zu können, dass der Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 7. Juni 2010 beim Berufungsgericht eingegangen sei. Dem Zustellungsnachweis des Zustelldienstes könne lediglich entnommen werden, dass im Auftrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. Juni 2010 Sendungen in den Briefkasten des Landgerichts Berlin eingeworfen worden seien. Welche Sendungen eingeworfen worden seien, ergebe sich aus dem Zustellnachweis nicht. Die nach dem Zustellnachweis für die Identifizierung der Sendung erforderliche Zuordnung zu dem Fristverlängerungsantrag im Postausgangsbuch der Anwaltskanzlei habe die Klägerin nicht vorgenommen, obwohl die Frage der Zuordnung Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 2 3. Dezember 2010 gewesen sei und die Beklagte bestritten habe, dass der Fristverlängerungsantrag vom Zustelldienst zugestellt worden sei.
Den Wiedereinsetzungsantrag hat das Berufungsgericht zurückgewiesen, weil den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der Fristversäumung treffe. Er habe nicht durch geeignete Maßnahmen sichergestellt, dass vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, deren Verlängerung beantragt worden sei, das wirkliche Ende der Frist - gegebenenfalls durch Rückfrage beim Gericht - festgestellt werde. Wären er und seine Anwaltsgehilfin nicht irrtümlich davon ausgegangen, dass die Fristverlängerung stillschweigend erfolge, hätten sie sich erkundigt und dabei festgestellt, dass der Verlängerungsantrag nicht eingegangen sei.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.
1. Soweit das Berufungsgericht in seiner Begründung davon ausgegangen ist, dass die Berufungsbegründung nicht am 7. Juni 2010, sondern verspätet eingegangen ist, sieht der Senat von einer Begründung ab, weil diese nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO.
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wendet, dürfte allerdings ein Klärungsbedarf bestehen, inwieweit die Entscheidung des VI. Zivilsenats (Beschluss vom 4 24. November 2009 - VI ZB 69/08, FamRZ 2010, 370), auf die sich das Berufungsurteil stützen lässt, mit Entscheidungen anderer Senate in Übereinstimmung zu bringen ist, wonach ein Rechtsanwalt nicht verpflichtet ist, sich vor Ablauf der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist bei dem Gericht nach dem Eingang seines Schriftsatzes zu erkundigen, wenn er mit einem ersten Antrag auf einmonatige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist einen erheblichen Grund geltend gemacht hat (BGH, Beschlüsse vom 11. September 2007 - VIII ZB 73/05, in juris; vom 10. März 2009 - VIII ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933; vom 16. April 2009 - VII ZB 66/08, BauR 2009, 1328). Darf ein Anwalt darauf vertrauen, dass einem Verlängerungsantrag stattgegeben wird und treffen ihn insoweit keine Erkundigungspflichten, wäre es schwer verständlich, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand deshalb zu versagen, weil er sich nicht so organisiert hat, dass er sich rechtzeitig erkundigen kann.
3. Die Zulassung einer Revision kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die zu klärende Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich ist (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2003 - X ZR 82/02, BGHZ 153, 254, 256). An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es, wenn die angegriffene Entscheidung aus anderen Gründen unabhängig von der Beantwortung der klärungsbedürftigen Rechtsfrage im Ergebnis richtig ist (BGH, Urteil vom 18. Juli 2003 - V ZR 187/02, NJW 2003, 3205, 3206). So liegt es hier. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich deshalb als richtig, weil der Wiedereinsetzungsantrag verspätet gestellt und die Wiedereinsetzung deshalb im Ergebnis zu Recht versagt worden ist.
a) Wie die Beschwerde einräumt, hat der Rechtsanwalt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen, dass nach Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist und ausbleibender Reaktion des Gerichts hierauf noch 8 vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde (BGH, Beschlüsse vom 27. Januar 2011 - VII ZB 44/09, NJW 2011, 1971; vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99, NJW-RR 1999, 1663). Kommt er dem nicht nach, wird spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem er eine klärende Antwort auf die Nachfrage erhalten hätte, die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. Denn die Wiedereinsetzungsfrist beginnt, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2008 - V ZB 29/08, JurBüro 2009, 448; vom 21. März 2006 - VI ZB 31/05, VersR 2006, 1141; vom 13. Juli 2004 - XI ZB 33/03, NJW-RR 2005, 76; vom 13. Dezember 1999 - II ZR 225/98, NJW 2000, 592; vom 7. Februar 1996 - XII ZB 107/94, FamRZ 1996, 934; vom 25. Mai 1994 - XII ZB 57/94, XII ZB 92/94, VersR 1995, 69; vom 13. Mai 1992 - VIII ZB 3/92, NJW 1992, 2098; vom 12. Oktober 1989 - I ZB 3/89, NJW-RR 1990, 379; vom 29. November 1984 - X ZB 33/84, VersR 1985, 283).
b) Dem steht nicht die Entscheidung des VIII. Zivilsenats entgegen (Beschluss vom 11. September 2007 - VIII ZB 73/05, in juris). Der VIII. Zivilsenat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er an dieser Entscheidung - sollte ihr eine abweichende Würdigung entnommen werden können - nicht festhalte.
c) Der erst im Dezember 2010 gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist daher, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt vor Ablauf der beantragten Fristverlängerung man den Rechtsanwalt als zur Nachfrage verpflichtet ansieht, verfristet. Denn bei der gebotenen Nachfrage hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits im Juli 2010 erfahren, dass der Fristverlängerungsantrag nicht eingegangen und die Berufungsbegründungsfrist deshalb versäumt worden ist.
Kniffka Kuffer Bauner Safari Chabestari Leupertz Vorinstanzen:
AG Berlin-Wedding, Entscheidung vom 08.04.2010 - 17 C 605/07 -
LG Berlin, Entscheidung vom 03.12.2010 - 54 S 73/10 -