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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 18.01.1995, Az.: VIII ZR 23/94

Tatbestand

Die Klägerin handelt mit gebrauchten Maschinen, die in der Druckindustrie Verwendung finden. Nach vorausgegangenen Verkaufsgesprächen und einem Angebot der Klägerin vom 26. September 1990 veräußerte sie entsprechend der von der Beklagten gegengezeichneten Auftragsbestätigung vom 4. Oktober 1990 drei Maschinen als generalüberholt und mit einer Garantie von neun Monaten zum Preis von insgesamt 174.420 DM (einschließlich Mehrwertsteuer) an die Beklagte, eine Buchbinderei. Diese leistete vereinbarungsgemäß eine Anzahlung von 57.000 DM. Weitere Zahlungen verweigerte sie; mit Anwaltsschreiben vom 21. Dezember 1990 ließ sie den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung über das Alter der Maschinen anfechten.

Mit der Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung des Restkaufpreises von 117.420 DM nebst Zinsen, hilfsweise auf Rückgabe der Maschinen Zug um Zug gegen Rückgewähr der Anzahlung in Anspruch genommen.

Die Beklagte ist dem Hauptbegehren unter Hinweis auf die erklärte Anfechtung entgegengetreten. Hierzu hat sie vorgebracht, bei dem Verkaufsgespräch vom 26. September 1990 habe der Vertreter der Klägerin auf Befragen versichert, die Maschinen seien zehn, allenfalls elf Jahre alt. Das Landgericht hat dem Zahlungsbegehren stattgegeben, weil die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Arglistanfechtung nicht festgestellt werden könne. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Deren Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung (Senatsurteil vom 31. März 1993 - VIII ZR 91/92 = NJW 1993, 1926).

Im Zuge der erneuten Verhandlung des Rechtsstreits vor dem Berufungsgericht hat die Beklagte ergänzend vorgetragen, bei dem Betrieb der verkauften Maschinen seien nach einigen Monaten zunehmend Störungen aufgetreten. Der von ihr daraufhin beauftragte Sachverständige habe festgestellt, daß eine Vielzahl von Verschleißteilen, deren Austausch im Zuge einer Generalüberholung erforderlich gewesen wäre, nicht ausgetauscht worden seien. Weiter habe das Gutachten ergeben, daß die Zusammentragmaschine nur mit drei der "lieferüblichen" 18 Saug- und Blasluftaggregate ausgestattet sei. Auch im Hinblick auf diese Umstände hat die Beklagte den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Für den Fall, daß ihr ein Nachbesserungsrecht zustehe, hat sie hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht bis zur ordnungsgemäßen Nachbesserung geltend gemacht. Ein Zurückbehaltungsrecht leitet sie ferner daraus her, daß die Klägerin ihr Schadensersatz wegen Produktionsausfalls sowie Ersatz von Gutachter- und Reparaturkosten schulde.

Die Klägerin hat bestritten, daß die Beklagte sich nach dem Alter der Maschinen erkundigt und sie, die Klägerin, ein Höchstalter der Maschinen zugesichert habe. Sie ist ferner den von der Beklagten erhobenen Ersatzansprüchen entgegengetreten und hat sich gegenüber Gewährleistungsansprüchen auf Verjährung berufen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten abermals zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt erneut zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I. Das Berufungsgericht hält die Behauptung der Beklagten, der Geschäftsführer der Klägerin habe ihrem damaligen Geschäftsführer bei dem Verkaufsgespräch vom 26. September 1990 auf Nachfrage zugesichert, die Maschinen seien zehn, höchstens elf Jahre alt, nicht für erwiesen. Der Zeuge R., der einen Teil des Verkaufsgesprächs mit angehört habe, habe zwar eine solche Äußerung bestätigt, aber nicht angeben können, ob mit ihr diejenigen Maschinen gemeint gewesen seien, die die Beklagte später von der Klägerin erworben habe. Auch mit der Aussage des Zeugen D. sei der der Beklagten obliegende Nachweis nicht geführt. Dieser habe zwar bekundet, der Geschäftsführer der Klägerin habe erklärt, die Maschinen seien zehn, maximal elf Jahre alt, Maschinen mit einem Alter von mehr als zehn Jahren kaufe seine Firma nicht auf. Ob diese Aussage nach ihrem objektiven Gehalt zum Nachweis einer arglistigen Täuschung ausreiche, könne dahinstehen, denn es bestünden Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Als Gesellschafter, damaliger Geschäftsführer und für den Vertragsabschluß Verantwortlicher habe der Zeuge D. ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits. Umstände, die die hieraus abzuleitenden Bedenken zerstreut hätten, seien bei der Vernehmung des Zeugen nicht zutage gefördert worden. Eine Altersangabe in bezug auf die verkauften Maschinen sei schließlich auch dem Inhalt des von der Beklagten geschilderten Telefonats ihres damaligen Prozeßbevollmächtigten mit dem Geschäftsführer der Klägerin nicht zu entnehmen.

Diese Beweiswürdigung beanstandet die Revision mit Recht.

1. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze ist dem Berufungsgericht allerdings entgegen der Auffassung der Revision nicht vorzuwerfen. Auch wenn es nach eigenem Vorbringen der Klägerin bei dem Verkaufsgespräch, das der Zeuge R. zum Teil mit angehört hat, neben den drei verkauften nur noch um eine weitere, nämlich eine Brehmer Zusammentragmaschine ging, die dann nicht mitverkauft worden ist, kann sich die von dem Zeugen bekundete Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin, die Maschinen seien nicht älter als zehn Jahre, maximal vielleicht elf Jahre, auf andere als die verkauften, nämlich eben auf Brehmer Zusammentragmaschinen bezogen haben.

2. Mit Recht beanstandet die Revision aber die Würdigung der Aussage des Zeugen D. durch das Berufungsgericht. Das Oberlandesgericht hat ihm allein deshalb nicht geglaubt, weil er ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits habe und bei seiner Vernehmung keine Umstände zutage gefördert worden seien, welche die aus seinem Engagement abzuleitenden Bedenken zerstreut hätten. Das verstößt gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, weil die Entscheidung des Gerichts sich nicht, wie es § 286 Abs. 1 ZPO gebietet, auf eine individuelle Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme, sondern in verfahrensrechtlich unzulässiger Weise auf eine abstrakte Beweisregel gründet, die das Gesetz nicht kennt (BGH, Urteil vom 3. November 1987 - VI ZR 95/87 = VersR 1988, 416 = BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweisregel 1 zur sogenannten Beifahrer-Rechtsprechung). Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß Zeugen, die einer Prozeßpartei nahestehen und/oder am Abschluß des dem Prozeß zugrundeliegenden Vertrages beteiligt waren, von vornherein als parteiisch und unzuverlässig zu gelten haben und ihre Aussagen grundsätzlich unbrauchbar sind (vgl. BGH aaO.). Es ist deshalb verfahrensfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht ohne weitere Würdigung von vornherein von der Unglaubwürdigkeit des Zeugen D. ausgeht und seiner Aussage jeglichen Beweiswert allein deswegen abspricht, weil seine Vernehmung keine Umstände zutage gefördert hat, die die von vornherein angenommenen Bedenken zerstreut hätten. Das gilt hier um so mehr, als die Aussage des Zeugen D. mit den Angaben des Zeugen R., dessen Neutralität und Glaubwürdigkeit das Berufungsgericht nicht in Zweifel zieht, übereinstimmt, soweit letztere reichen.

3. Die Revision beanstandet ferner mit Recht, daß das Berufungsgericht den Sachvortrag der Beklagten zum Inhalt des Telefongesprächs zwischen ihrem früheren Prozeßbevollmächtigten und dem Geschäftsführer der Klägerin nur unvollständig gewürdigt hat. Nach dem unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag der Beklagten hat der Geschäftsführer der Klägerin bei dem Telefongespräch mit dem Zeugen eingeräumt, er habe das Alter der verkauften Maschinen mit ca. zehn bis 15 Jahren angegeben. Auch diese Altersangabe trifft nach der Darstellung der Beklagten, von der mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren auszugehen ist, nur auf eine der drei verkauften Maschinen zu. Bezüglich der beiden anderen stellt die unrichtige Altersangabe eine arglistige Täuschung dar, wenn der Geschäftsführer der Klägerin das wahre Alter der Maschinen kannte oder die Erklärung zu deren Alter ohne tatsächliche Grundlage "ins Blaue hinein" abgegeben hat (st.Rspr. des Senats, z.B. BGHZ 63, 382, 388;  74, 383, 391 f; Urteil vom 18. März 1981 - VIII ZR 44/80 = WM 1981, 560 unter II 2 a).

II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat auch die neuerliche Täuschungsanfechtung der Beklagten vom 28. Januar 1992 keinen Erfolg, weil weder die schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten noch das von ihr vorgelegte Privatgutachten den Schluß auf ein arglistiges Verhalten der Klägerin rechtfertigten. Die Maschinen seien lediglich mit der Bezeichnung "generalüberholt" ohne weitere Erläuterung dieses Begriffes angeboten und verkauft worden. Diese Angabe habe der Käufer nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte dahin verstehen müssen, daß die Klägerin die Maschinen einer Überprüfung unterzogen und sie in einen funktionstüchtigen Zustand versetzt habe. Die von der Beklagten erhobenen Beanstandungen beträfen nur die Qualität einer solchen Generalüberholung, für die indessen weder eine besondere Zusicherung gegeben noch die Abwesenheit von Fehlern vorgespiegelt worden sei. Die in dem Privatgutachten festgehaltenen Mängel unterfielen daher nur der allgemeinen Sachmängelhaftung, der gegenüber die Klägerin sich mit Erfolg auf Verjährung (§ 477 BGB) berufe.

Auch diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. Sie beruhen auf einer Verkennung der Bedeutung des Begriffs "generalüberholt".

1. Die Auslegung der im Handel mit gebrauchten Maschinen und Kraftfahrzeugen typischen und häufig verwendeten Eigenschaftsangabe "generalüberholt" unterliegt auch als individualrechtliche Erklärung im Interesse einer einheitlichen Handhabung und damit der Rechtssicherheit inhaltlich der vollen Nachprüfung durch das Revisionsgericht (Senatsurteil BGHZ 122, 256, 260 m.w.Nachw. zu der Eigenschaftsangabe "fahrbereit" im Gebrauchtwagenhandel).

2. Die Bedeutung, die das Berufungsgericht dem Begriff "generalüberholt" beilegen will, ist mit dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Verkehrsanschauung unvereinbar. Der Käufer, der einen gebrauchten technischen Gegenstand als generalüberholt kauft, erwartet mehr als dessen bloße Funktionstüchtigkeit. Diese schuldet der Verkäufer, wenn nichts anderes vereinbart ist, auch beim Verkauf gebrauchter technischer Geräte als Normalbeschaffenheit ohnedies. Wird ein solcher Gegenstand als generalüberholt verkauft, so erwartet der Käufer mit Recht einen höherwertigen Zustand, als er durch eine bloße Überprüfung und Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit durch den Verkäufer zu erzielen ist. Demgemäß wird im Gebrauchtwagenhandel unter der Generalüberholung eines Motors verstanden, daß in einer beliebigen Werkstatt sämtliche beweglichen Motorteile ausgebaut und, soweit erforderlich, entweder hergerichtet oder erneuert und die feststehenden Teile auf ihre Unversehrtheit hin untersucht werden (OLG Nürnberg DAR 1962, 202; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 5. Aufl. Rdnr. 1679; vgl. auch Senatsurteil vom 25. September 1985 - VIII ZR 175/84 = WM 1985, 1418 = NJW 1986, 316 unter II 1 a).

Das geht weit über die bloße Prüfung und Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit hinaus. Nach dieser Definition sind im Zuge einer Generalüberholung alle beweglichen Teile, die bereits Verschleißspuren aufweisen, zu erneuern oder so herzurichten, daß sie Neuteilen möglichst nahe kommen, und zwar auch dann, wenn der Motor vor der Generalüberholung noch funktionstüchtig war. Die Generalüberholung zielt also darauf ab, den Eintritt der alters- und verschleißbedingten Funktionsuntüchtigkeit dadurch hinauszuschieben, daß Verschleißteile erneuert oder aufgebessert werden. Wer ein gebrauchtes Kraftfahrzeug mit generalüberholtem Motor kauft, kann zwar keinen neuwertigen, wohl aber einen solchen Zustand des Motors erwarten, der der Neuwertigkeit möglichst nahe kommt und den unter Berücksichtigung des Alters und der Dauer des Gebrauchs des Fahrzeugs zu erwartenden Normalzustand deutlich übertrifft. Die mit der Generalüberholung verbundene gesteigerte Qualitätserwartung des Käufers pflegt sich denn auch erfahrungsgemäß in einer nicht unerheblichen Kaufpreisdifferenz gegenüber dem Verkauf eines Gebrauchtwagens mit bloß funktionstüchtigem Motor niederzuschlagen.

Es gibt keinen Grund, an die Generalüberholung zum Verkauf bestimmter gebrauchter Maschinen geringere Anforderungen zu stellen. Sie unterliegen ebenso wie gebrauchte Kraftfahrzeugmotoren dem mit fortschreitendem Alter und Verschleiß zunehmenden Risiko des Eintritts der Funktionsuntüchtigkeit. Ebenso wie beim Gebrauchtwagenkauf ist das Interesse des Käufers darauf gerichtet, die Verwirklichung dieses Risikos soweit als möglich hinauszuschieben. Auch der Käufer einer generalüberholten gebrauchten Maschine erwartet deshalb mit Recht, daß alle beweglichen und deshalb besonderem Verschleiß unterliegenden Maschinenteile erneuert oder so hergerichtet worden sind, daß ihre Lebenserwartung derjenigen von Neuteilen gleich- oder doch zumindest nahekommt. Schließlich werden Käuferinteresse und Preisvorstellungen der Vertragspartner auch beim Verkauf gebrauchter Maschinen entscheidend davon abhängen, ob eine gebrauchte Maschine lediglich als funktionstüchtig oder aber als generalüberholt zum Kauf angeboten wird.

3. Die geringeren Anforderungen, die das Berufungsgericht an die Eigenschaftsangabe "generalüberholt" stellt, bleiben darüber hinaus hinter dem zurück, was die Klägerin selbst unter einer Generalüberholung versteht. In einem an den früheren Prozeßbevollmächtigten der Beklagten gerichteten Schreiben vom 15. Januar 1991 hat die Klägerin den Vorgang der Generalüberholung dahin beschrieben, daß "sämtliche Verschleißteile gegen Neuteile ausgetauscht" würden. Gerade diese Generalüberholung führt die Klägerin als Argument dafür ins Feld, daß das Alter der Maschinen "irrelevant" sei.

4. Daß die verkauften Maschinen im Zeitpunkt der Übergabe an die Beklagte in dem soeben dargelegten Sinne generalüberholt waren, ist nicht festgestellt. Nach dem für die Revisionsinstanz zu unterstellenden Vortrag der Beklagten war dies nicht der Fall, weil zahlreiche Verschleißteile, deren Austausch im Rahmen einer Generalüberholung erforderlich gewesen wäre, nicht ausgetauscht worden sind. Mit dieser Behauptung hat die Beklagte entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht lediglich die Qualität der Generalüberholung bemängelt, sondern geltend gemacht, eine solche habe mangels der hierfür erforderlichen Erneuerung einer Vielzahl von Verschleißteilen gar nicht stattgefunden.

III. Das Berufungsurteil kann wegen der aufgezeigten Rechtsfehler keinen Bestand haben. Dem Senat ist es nicht möglich, in der Sache selbst zu entscheiden, weil es hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. Die Sache war deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hierbei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Im Zuge der neuerlichen Verhandlung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz werden die Parteien Gelegenheit haben, ihren Sachvortrag im Hinblick auf Arglist der Klägerin zu ergänzen. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu entnehmen, daß die Klägerin wußte oder damit rechnete, daß die der Beklagten verkauften Maschinen nicht generalüberholt waren, noch, daß sie die Erklärung, die Maschinen seien generalüberholt, "ins Blaue hinein" abgegeben hat. Kenntnis und damit Arglist der Klägerin läge freilich auf der Hand, falls sie die Generalüberholung der von ihr vertriebenen Maschinen selbst durchführt, wofür der Inhalt ihres Schreibens vom 15. Januar 1991 spricht, in welchem von der "Qualität unserer Erzeugnisse" die Rede ist.