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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 20.03.2014, Az.: X ZB 18/13

Tenor

Der Beschluss des Vergabesenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. Dezember 2013 wird im Ausspruch zu 1 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 26. August 2013 wird zurückgewiesen, soweit die Antragstellerin begehrt, die Aufhebung des Vergabeverfahrens aufzuheben.

Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, dass die Vergabestelle das Vergabeverfahren infolge der Verwendung einer missverständlichen Leistungsbeschreibung aufgehoben hat.

Von den Kosten beider Instanzen des Nachprüfungsverfahrens haben die Antragstellerin und der Antragsgegner zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 410.000 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I. Das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf die unionsweite Ausschreibung von Straßenbau-, insbesondere Fahrbahnerneuerungsarbeiten im Bereich des Autobahnkreuzes Heidelberg der Bundesautobahn A 5, an der sich sieben Bieter beteiligten.

1. Bei Prüfung und Wertung der Angebote traten unterschiedliche Vorstellungen der Beteiligten darüber zutage, wie die Vergabeunterlagen hinsichtlich der Ausführung der Fahrbahndecke zu verstehen waren. Während andere Anbieter einen über die gesamte Fahrbahnbreite einstreifigen Einbau der geforderten Betondeckenabschnitte anboten, sah das Angebot der Antragstellerin, welches das günstigste war, eine Ausführung in zwei Streifen vor. Die Vergabestelle sah darin eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen und schloss das Angebot aus. In dem daraufhin von der Antragstellerin angestrengten Nachprüfungsverfahren wurde darum gestritten, ob in den Vergabeunterlagen mit der gebotenen Eindeutigkeit eine einstreifige Ausführung vorgegeben war. Die Vergabekammer verneinte dies und verpflichtete die Vergabestelle, das Angebot der Antragstellerin in die Wertung einzubeziehen. Diese Entscheidung ist bestandskräftig geworden.

2. In der Folge hob die Vergabestelle das Vergabeverfahren auf und verband dies mit der Ankündigung, ein neues Verfahren einzuleiten. Sie begründete ihre Entscheidung damit, der Einbau einer einstreifigen Fahrbahndecke biete erhebliche qualitative Vorteile, wobei bei Beauftragung der Antragstellerin und einer nachfolgenden Änderungsanordnung nach § 1 Abs. 3 VOB/B Mehrkosten entstünden, die, wenn sie im aufgehobenen Vergabeverfahren berücksichtigt worden wären, möglicherweise zu einer Änderung der Bieterreihenfolge geführt hätten, zumal die teureren Mitbewerber, wenn sie das Leistungsverzeichnis so verstanden hätten wie die Antragstellerin, im Zusammenhang mit der dann besseren Erreichbarkeit der Brückenbauwerke wesentliche Kostenvorteile hätten berücksichtigen können.

Dagegen hat sich die Antragstellerin mit einem weiteren Nachprüfungsantrag gewandt und beantragt, die Aufhebung des Vergabeverfahrens aufzuheben, hilfsweise, festzustellen, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtswidrig war und sie in ihren Rechten verletzt hat.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Dagegen hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.

3. Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat die sofortige Beschwerde im Umfang des auf Aufhebung der Aufhebung des Vergabeverfahrens gerichteten Hauptantrags zurückgewiesen. Im Übrigen hat er die Sache dem Bundesgerichtshof 'zur Entscheidung hinsichtlich folgender Frage vorgelegt: Setzt ein sonstiger schwerwiegender Grund im Sinne von § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A uneingeschränkt voraus, dass der Auftraggeber diesen Grund nicht selbst verschuldet hat?'.

II. Die Vorlage ist zulässig.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine zulässige Divergenzvorlage nach § 124 Abs. 2 GWB grundsätzlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Vergabesenat voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2003 - X ZB 12/02, BGHZ 154, 96). Dass der Vergabesenat vorliegend so verfahren ist, ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss zwar nicht. Darin werden entgegen den entsprechend anzuwendenden Bestimmungen in § 313 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ZPO (§ 120 Abs. 2 i.V.m. § 73 GWB, vgl. dazu K. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB, 4. Aufl., § 73 Rn. 5) weder die Namen der Richter mitgeteilt, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, noch der Tag, an dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist. Auch einen Verkündungsvermerk (§ 315 Abs. 3 ZPO entsprechend) weist der Beschluss nicht auf; auf seinem Deckblatt findet sich lediglich seitlich neben dem großen Wappen des Landes Baden-Württemberg isoliert die Datumsangabe '4. Dezember 2013'. Den Verfahrensakten lässt sich jedoch entnehmen, dass am 15. November 2013 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, an der die Richter teilgenommen haben, die den Vorlagebeschluss unterzeichnet haben, und dass eine Entscheidung nach einer Verlegung des am Schluss der Sitzung vom 15. November 2013 beschlossenen Verkündungstermins am 4. Dezember 2013 verkündet worden ist. Es ist mit noch hinreichender Sicherheit anzunehmen, dass es sich dabei um den Vorlagebeschluss handelt.

2. Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB für eine Divergenzvorlage liegen vor.

a) Eine Divergenzvorlage erfolgt nach ständiger Rechtsprechung, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der sich mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht in Einklang bringen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 - S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr). So verhält es sich hier. Der vorlegende Vergabesenat meint, dass der von der Antragstellerin in erster Linie verfolgte Antrag, die Aufhebungsentscheidung der Vergabestelle aufzuheben, unbegründet sei, weil die Vergabestelle auf der Grundlage von § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A berechtigt gewesen sei, das Vergabeverfahren aufzuheben, und möchte aus dem gleichen Grund auch den Feststellungsantrag zurückweisen.

Damit würde das Beschwerdegericht sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf setzen. Dieses vertritt die Rechtsauffassung, dass die Aufhebung einer Ausschreibung die Rechte des Bieters aus § 97 Abs. 7 GWB verletze, wenn die vom öffentlichen Auftraggeber vorgebrachten Aufhebungsgründe im Sinne des vergleichbaren § 26 Nr. 1 VOL/A aF ihm als Verschulden oder Obliegenheitsverletzung zuzurechnen seien. Das sei der Fall, wenn der Auftraggeber die Aufhebung damit begründe, das Leistungsverzeichnis sei von den Bietern nicht zweifelsfrei in dem vom Auftraggeber gemeinten Sinne zu verstehen gewesen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Februar 2005 - Verg 72/04, bei juris).

b) Dem Bundesgerichtshof ist mit dem Vorlagebeschluss nicht nur der Hilfsantrag oder gar nur die vom Vergabesenat vorformulierte Frage zur Entscheidung angefallen, sondern der gesamte Streitstoff des Beschwerdeverfahrens. Diese Rechtsfolge ist im Interesse der Rechtssicherheit und Klarheit zweckmäßigerweise durch Aufhebung des Tenors zu 1 des Vorlagebeschlusses zum Ausdruck zu bringen, auch wenn, worauf zurückzukommen sein wird, die diesbezügliche Entscheidung des Vergabesenats im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden ist (unten III).

aa) Soweit der Vergabesenat den Hauptantrag der sofortigen Beschwerde abschließend beschieden und dem Bundesgerichtshof nur die erwähnte Frage zur Beantwortung vorgelegt hat (oben I 3), hat er nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Bundesgerichtshof bei einer zulässigen Divergenzvorlage grundsätzlich über die sofortige Beschwerde zu entscheiden hat. Dies ergibt sich aus § 124 Abs. 2 Satz 2 GWB, wonach der Bundesgerichtshof 'anstelle' des Oberlandesgerichts entscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - X ZB 14/00, BGHZ 146, 202, 205). Das Gesetz sieht lediglich in der seit dem 24. April 2009 geltenden Fassung vor, dass der Bundesgerichtshof sich auf die Entscheidung der Divergenzfrage beschränken und dem Beschwerdegericht die Entscheidung in der Hauptsache übertragen kann, wenn dies nach dem Sach- und Streitstand angezeigt erscheint. Daraus folgt aber nicht im Gegenschluss, dass das Beschwerdegericht den Bundesgerichtshof verpflichten könnte, sich auf die Beantwortung einer vorformulierten Frage zu beschränken.

bb) Die Beschränkung der Divergenzvorlage auf den Hilfsantrag ist in entsprechender Anwendung der für die Zulässigkeit von Teilurteilen und die wirksame Beschränkung der Revisionszulassung geltenden höchstrichterlichen Grundsätze unzulässig.

(1) Grundsätzlich ist es dem Gericht in einem bürgerlichen Rechtsstreit zwar, wenn der Kläger einen Haupt- und einen Hilfsantrag gestellt hat, unbenommen, Ersteren durch Teilurteil abzuweisen und die Entscheidung über den Letzteren zurückzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 1992 - III ZR 28/90, NJW 1992, 2080 mwN). Das gilt naturgemäß aber nur dann, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen ein Teilurteil überhaupt ergehen kann. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist dies nur der Fall, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Diese Gefahr wird namentlich auch dadurch begründet, dass in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Sie muss nicht notwendigerweise den Entscheidungstenor betreffen. Es reicht aus, wenn die Gefahr der widersprüchlichen Bewertung von Streitstoff entsteht, die als solche weder in Rechtskraft erwächst noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren bindet (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10, BGHZ 189, 356 Rn. 13).

(2) Bei entsprechender Anwendung dieser Grundsätze verbot sich eine Entscheidung des Vergabesenats über den mit der sofortigen Beschwerde in erster Linie weiterverfolgten Antrag und eine Vorlage nur des Hilfsantrags an den Bundesgerichtshof. Damit geht die Gefahr einer widersprüchlichen rechtlichen Bewertung der Entscheidung der Vergabestelle einher, das Vergabeverfahren aufzuheben. Denn der Vergabesenat begründet seine die Beschwerde hinsichtlich des Hauptantrags zurückweisende Entscheidung - worauf im Einzelnen zurückzukommen sein wird (unten III) - unter anderem damit, dass ein die Vergabestelle nach § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zur Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigender anderer schwerwiegender Grund vorgelegen habe. Danach wäre ein Schadensersatzanspruch der Antragstellerin von vornherein ausgeschlossen, weil der Auftraggeber in einem solchen Fall bei Aufhebung des Verfahrens nicht rechtswidrig gehandelt hätte (BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283; vgl. dazu auch Wagner in: Heuvels/Höß/Kuß/Wagner, Vergaberecht, § 17 VOB/A Rn. 8 mwN). Der prozessuale Sinn und Zweck des Hilfsantrags der Antragstellerin besteht vor dem Hintergrund der Regelung in § 124 Abs. 1 GWB aber darin, die gerichtliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs vorzubereiten. Hätte der die Bescheidung des Beschwerdehauptantrags betreffende Teil des Beschlusses des Vergabesenats vom 4. Dezember 2013 Bestand und gäbe der Bundesgerichtshof dem Hilfsantrag statt, hätte das zur Folge, dass hinsichtlich derselben entscheidungserheblichen Frage, ob der Umstand, dass die Vergabeunterlagen hinsichtlich der Ausführung der Fahrbahndeckenabschnitte mehrdeutig sind, zur Aufhebung des Vergabeverfahrens nach § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A berechtigte, widerstreitende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auf der einen und des Vergabesenats auf der anderen Seite vorlägen. Nach der Entscheidung des Vergabesenats stünde fest, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens vergaberechtlich nicht zu beanstanden ist, weshalb die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt sein könnte, während eine dem Hilfsantrag stattgebende Entscheidung voraussetzte, dass eine Rechtsverletzung vorliegt. Um dies zu vermeiden muss über Haupt- und Hilfsantrag einheitlich entschieden werden.

(3) Der Erstreckung der Divergenzvorlage auf den gesamten Streitstoff des Beschwerdeverfahrens stehen auch Rechtskraftsgesichtspunkte nicht entgegen. Die Beschlüsse der Vergabesenate werden als prinzipiell letztinstanzliche Entscheidungen zwar grundsätzlich mit ihrem Wirksamwerden rechtskräftig. Ebenso wenig, wie im Zivilprozess eine unzulässige Beschränkung der Revisionszulassung dazu führt, dass der von der Zulassung ausgenommene Teil in Rechtskraft erwächst, sondern in einem solchen Fall von einer unbeschränkten Zulassung auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 - XI ZR 248/02, ZIP 2003, 1240), wird auch über den in unzulässiger Weise von der Divergenzvorlage ausgenommenen Teil nicht rechtskräftig entschieden. Unzulässig ist die beschränkte Revisionszulassung, wenn der damit ins Auge gefasste Teil des Streitstoffs nicht in dem Sinne selbständig ist, dass er in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs entstehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - III ZR 127/10, WM 2011, 526 Rn. 5), also im Wesentlichen unter den gleichen Voraussetzungen, unter denen der Erlass eines Teilurteils unzulässig ist. So verhält es sich hier; auf die vorstehenden Ausführungen dazu wird Bezug genommen.

III. Den mit der sofortigen Beschwerde in erster Linie weiterverfolgten Antrag, die Aufhebungsentscheidung der Vergabestelle zu kassieren, hat der Vergabesenat in der Sache im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet.

1. Die Vergabe von Bau- bzw. Instandsetzungsarbeiten an einer Bundesautobahn, auf die sich das vorliegende Nachprüfungsverfahren bezieht, ist ein Gegenstand der Auftragsverwaltung nach Art. 85 ff. GG. Diese ist eine Form der Landesverwaltung, bei der die Länder Landesstaatsgewalt ausüben und ihre Behörden als Landesorgane handeln, wobei dieses Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen, im Verhältnis zu Dritten, stets Landesangelegenheit bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1990 - 2 BvG 1/88, NVwZ 1990, 955, 957). Als öffentlicher Auftraggeber und Antragsgegner im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren ist dementsprechend das jeweils betroffene Land anzusehen und nicht die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2003 - 4 C 9/02, NVwZ-RR 2004, 84 f.; OLG Celle, Beschluss vom 6. Juni 2011 - 13 Verg 2/11, VergabeR 2011, 783 ff.; Müller in: Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 3. Aufl., § 106a GWB Rn. 13). Dementsprechend fällt die Vergabenachprüfung in diesen Fällen auch in die Zuständigkeit der Vergabekammern der Länder (§ 106a Abs. 2 Satz 1 GWB).

Die infolge missverständlicher Formulierungen im Rubrum des Nachprüfungsantrags und der sofortigen Beschwerdeschrift möglichen Zweifel daran, dass der Nachprüfungsantrag und die sofortige Beschwerde sich gegen das betroffene Land richten, hat die Antragstellerin auf den Hinweis des Senats durch Berichtigung des Passivrubrums, der das Land nicht entgegengetreten ist, ausgeräumt.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Bieter die Aufhebung des Vergabeverfahrens, von engen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen, nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einem der in den einschlägigen Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnungen (§ 17 Abs. 1, § 17 EG Abs. 1 VOB/A; § 17 Abs. 1, § 20 EG Abs. 1 VOL/A) aufgeführten Gründe gedeckt und deshalb von vornherein rechtmäßig ist. Aus den genannten Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnungen folgt nicht im Gegenschluss, dass ein öffentlicher Auftraggeber gezwungen wäre, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2002 - X ZR 232/00, VergabeR 2003, 163). Vielmehr bleibt es der Vergabestelle grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt. Dies folgt daraus, dass die Bieter zwar einen Anspruch darauf haben, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält (§ 97 Abs. 7 GWB), aber nicht darauf, dass er den Auftrag auch erteilt und demgemäß die Vergabestelle das Vergabeverfahren mit der Erteilung des Zuschlags abschließt (vgl. BGH, VergabeR 2003, 163).

Während eine von den Vergabe- und Vertragsordnungen gedeckte und somit rechtmäßige Aufhebung zur Folge hat, dass die Aufhebung keine Schadensersatzansprüche wegen eines fehlerhaften Vergabeverfahrens begründet, kann der Bieter im Falle einer nicht unter die einschlägigen Tatbestände fallenden Aufhebung auf die Feststellung antragen, dass er durch das Verfahren in seinen Rechten verletzt ist (§ 114 Abs. 2 Satz 2 GWB entsprechend; § 123 Satz 3, 4 GWB). Ein Schadensersatzanspruch beschränkt sich in solchen Fällen allerdings regelmäßig auf die Erstattung des negativen Interesses (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 143/10, BGHZ 190, 89 Rn. 16 - Rettungsdienstleistungen II; Scharen in Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl., 13. Los Rn. 54). Weitergehende Ansprüche, wie ein Schadensersatzanspruch auf Erstattung des positiven Interesses oder - zur Vermeidung eines entsprechenden Schadenseintritts - ein Anspruch auf Weiterführung des Vergabeverfahrens, können unter besonderen Voraussetzungen zwar in Betracht kommen, etwa dann, wenn der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit, ein Vergabeverfahren aufzuheben, in rechtlich zu missbilligender Weise dazu einsetzt, durch die Aufhebung die formalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, den Auftrag außerhalb des eingeleiteten Vergabeverfahrens an einen bestimmten Bieter oder unter anderen Voraussetzungen bzw. in einem anderen Bieterkreis vergeben zu können. Nach den vom Vergabesenat rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen liegt ein solcher Ausnahmetatbestand hier aber nicht vor. Die Vergabestelle will den Auftrag zwar umgehend erneut vergeben, aber nicht unter manipulativen Umständen, sondern in einem offenen, auch der Antragstellerin erneut eröffneten Wettbewerb.

Der Vergabesenat hat auch mit zutreffenden Erwägungen, denen der Senat beitritt, eine vergaberechtswidrige Diskriminierung der Antragstellerin ausgeschlossen. Die Vergabestelle ist nicht aus Wettbewerbsgründen verpflichtet, eine zweistreifige Ausführung abzunehmen. Ob das Gewicht der mit dieser Ausführungsvariante verbundenen Nachteile anders bewertet werden kann, als es der Einschätzung der Vergabestelle entspricht, ist unerheblich, solange es sich dabei nicht um Argumente handelt, die lediglich zu dem Zweck vorgeschoben sind, eine bestimmte Ausführung als vorzugswürdig darzustellen, um die wirklich hinter der Entscheidung stehenden Gründe zu verdecken. Davon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden.

IV. In der den Hilfsantrag betreffenden Divergenzfrage kann der vom Beschwerdegericht befürworteten Sichtweise nicht beigetreten werden. Der Hilfsantrag ist begründet, da die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist.

1. Die Antragstellerin möchte mit dem Antrag, wie seine Auslegung ergibt, festgestellt wissen, dass die Aufhebung nicht von einem der in § 17 EG Abs. 1 VOB/A genannten Gründe, namentlich nicht von § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, gedeckt und deshalb rechtswidrig war. Für die Frage, ob die Vergabestelle nach dieser Bestimmung berechtigt war, das Vergabeverfahren aufzuheben oder ob die Aufhebung einen Bieter in seinen Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt, sind nach dem zu III dargestellten Zweck der Bestimmung die gesamten Umstände, die für die Aufhebungsentscheidung erheblich waren, zu berücksichtigen. Dazu gehören im Streitfall vor allem auch die Mängel der Ausschreibung, die zum ersten Nachprüfungsverfahren geführt haben. Nach den von der Vergabekammer dort getroffenen, in entsprechender Anwendung von § 124 Abs. 1 GWB bindenden Feststellungen war die Leistung in einer Weise beschrieben, dass darunter auch eine zweistreifige Ausführung verstanden werden konnte. Danach hatte die Antragstellerin ein wertungsfähiges Angebot abgegeben. Die Vergabestelle hat das Vergabeverfahren im Anschluss an diese Entscheidung der Vergabekammer aufgehoben, um zu vermeiden, auf dieses zwar den Vergabeunterlagen, aber nicht ihren Vorstellungen von der Ausführung entsprechende Angebot den Zuschlag erteilen zu müssen. Die Aufhebungsentscheidung stellt somit eine Maßnahme zur Korrektur eines eigenen vergaberechtlichen Fehlers dar.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind bei der Prüfung eines zur Aufhebung berechtigenden schwerwiegenden Grundes strenge Maßstäbe anzulegen. Ein zur Aufhebung der Ausschreibung Anlass gebendes Fehlverhalten der Vergabestelle kann danach schon deshalb nicht ohne weiteres genügen, weil diese es andernfalls in der Hand hätte, nach freier Entscheidung durch Verstöße gegen das Vergaberecht den bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestehenden Bindungen zu entgehen. Das wäre mit Sinn und Zweck des Vergabeverfahrens nicht zu vereinbaren. Berücksichtigungsfähig sind grundsätzlich nur Mängel, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschließen, wie etwa das Fehlen der Bereitstellung öffentlicher Mittel durch den Haushaltsgesetzgeber. Im Einzelnen bedarf es für die Feststellung eines schwerwiegenden Grundes einer Interessenabwägung, für die die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich sind (BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 - X ZR 150/99, NZBau 2001, 637).

3. Der Vergabesenat berücksichtigt bei seiner Interessenabwägung die eigentliche Ursache für die Aufhebung (vorstehend III) nicht hinreichend. Sein Befund, ohne die Aufhebung könne dem Grundsatz eines gesunden und transparenten Wettbewerbs nicht mehr Genüge geleistet werden, nachdem es an einer konkreten, eindeutigen und erschöpfenden Beschreibung der nachgefragten Leistung fehle und das Ergebnis des Wettbewerbs unter Umständen anders zu bewerten wäre, wenn die übrigen Bieter die Vergabeunterlagen so verstanden hätten wie die Antragstellerin (oben I 2), wird dem gesamten Geschehen nur bei vordergründiger Betrachtung gerecht. Er berücksichtigt nicht angemessen, dass dieses Ergebnis Folge der missverständlichen Abfassung der Vergabeunterlagen durch die Vergabestelle ist und die Verneinung eines schwerwiegenden Grundes zur Aufhebung der Ausschreibung die Frage nicht präjudiziert, ob und inwieweit das Vergabeverfahren fortgesetzt werden durfte. Die beteiligten Interessen wären im Streitfall nicht angemessen berücksichtigt, wenn der Verursacher von den Folgen seines eigenen Handelns freigestellt und diese den Bietern aufgebürdet würden. Dies gilt, wie der Vergabesenat zutreffend erwägt, unabhängig von Fragen des Verschuldens. Das auf § 114 Abs. 2 Satz 2, letzter Halbs., § 123 Satz 3 GWB gestützte Feststellungsbegehren betrifft lediglich die Frage der Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen. An deren Beurteilung durch die Nachprüfungsinstanzen soll das ordentliche Gericht im Schadensersatzprozess nach § 124 Abs. 1 GWB im prozessökonomischen Interesse an einer arbeitsteiligen Verwertung der im Nachprüfungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse gebunden sein (vgl. Beck'scher VOB/A-Komm./Gröning, 1. Aufl., § 124 GWB Rn. 2 f.). Alle weiteren mit der Frage zusammenhängenden Gesichtspunkte, ob hierdurch das von § 241 Abs. 2 BGB geschützte Interesse der Bieter daran verletzt ist, dass der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren so anlegt und durchführt, dass der mit der Angebotserstellung verbundene Aufwand nicht von vornherein unnütz ist (vgl. BGHZ 190, 89 Rn. 12 - Rettungsdienstleistungen II), betreffen die schadensrechtliche Auseinandersetzung und sind dementsprechend gegebenenfalls im Schadensersatzprozess zu klären.

Unergiebig für den Standpunkt des Beschwerdegerichts ist auch die von ihm angeführte Passage im Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 11. Mai 2009 (VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47) zu den Möglichkeiten des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren aufzuheben, wenn sich infolge der Verzögerung der Vergabe durch ein Nachprüfungsverfahren die Preise gravierend erhöht haben. Diese Ausführungen stellen zum einen nur ein obiter dictum dar. Zum anderen weist der Bundesgerichtshof dort darauf hin, der Auftraggeber habe in solchen Fällen 'unter den Voraussetzungen von § 26 Abs. 1 Buchst. c VOB/A' (aF, die § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2012 entspricht) die Möglichkeit, die Ausschreibung aufzuheben. Entgegen dem Beschwerdegericht ist der Entscheidung also gerade nicht die Rechtsauffassung zu entnehmen, auch vom Auftraggeber zu vertretende Verzögerungen stellten einen schwerwiegenden, zur Aufhebung berechtigenden Grund dar. Vielmehr stellt der Hinweis in der Entscheidung, der Auftraggeber könne das Vergabeverfahren aufheben, dies ausdrücklich unter den Vorbehalt, dass (zusätzlich) die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Buchst. c VOB/A aF vorliegen.

Soweit die Vergabestelle die Aufhebung unter Hinweis auf von ihr geschätzte verzögerungsbedingte Mehrkosten von 500.000 € als gerechtfertigt ansehen möchte, kann dies schon deshalb keinen Erfolg haben, weil in Anbetracht des ursprünglichen Auftragsvolumens von rund 7.500.000 € in einer Verteuerung in dieser Größenordnung keine grundlegende Änderung der Preisermittlungsgrundlagen gesehen werden kann.

Nach allem sind keine i. S. von § 17 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A schwerwiegenden Gründe für die Aufhebung anzuerkennen.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 GWB; die Entscheidung der Vergabekammer über die Höhe der Gebühren und Auslagen bleibt unberührt.

Meier-Beck Gröning Schuster Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:

OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 04.12.2013 - 15 Verg 9/13 -