Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 17.06.2014, Az.: X ZB 8/13
Tenor
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers beim Oberlandesgericht Düsseldorf vom 24. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Entscheidungsgründe
I. Die Divergenzvorlage bezieht sich auf die Kostenfestsetzung in einem Nachprüfungsverfahren, das den Abschluss einer Rabattvereinbarung gemäß § 130a Abs. 8 SGB V zum Gegenstand hatte. Die Antragstellerin nahm ihren Nachprüfungsantrag zurück, nachdem die Vergabekammer des Bundes diesen zurückgewiesen und der Vergabesenat die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Entscheidung der Vergabekammer gerichteten sofortigen Beschwerde nach § 118 Abs. 1 GWB abgelehnt hatte.
Nach dem Beschluss des Vergabesenats vom 13. Februar 2012 hat die Antragstellerin den Antragsgegnerinnen die zu ihrer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten für die Hinzuziehung eines anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten zu erstatten und ihre im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu tragen.
Die Antragsgegnerinnen, deren Verfahrensbevollmächtigte für sie auf der Grundlage einer zeitbezogenen Honorarvereinbarung tätig waren, beantragten, soweit hier von Interesse, die Festsetzung einer 1,1-Geschäftsgebühr für das Verfahren vor der Vergabekammer nach §§ 2, 13 RVG, Nr. 2301 RVG VV sowie einer 1,6-Verfahrensgebühr und einer 0,9-Erhöhungsgebühr für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht (§§ 2, 13 RVG, Nr. 3200 und 1008 RVG VV).
Der Rechtspfleger beim Oberlandesgericht hat die Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens angerechnet und sie dementsprechend um 744,70 € gekürzt. Dagegen haben die Antragsgegnerinnen fristgerecht Erinnerung eingelegt, mit der sie die Anrechnung der Geschäftsgebühr unter Hinweis auf die getroffene Honorarvereinbarung bekämpfen und geltend machen, im Falle des Abschlusses einer solchen Vereinbarung schulde der Auftraggeber des Rechtsanwalts nicht die gesetzliche Gebühr, sondern die aufgrund der Vereinbarung entstandene Vergütung. Der vorlegende Vergabesenat möchte die Erinnerung zurückweisen, sieht sich daran aber durch die Rechtsprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
II. Die Divergenzvorlage ist zulässig.
1. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 124 Abs. 2 GWB auf Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Rechtspflegers beim Oberlandesgericht entsprechend anzuwenden, um eine planwidrige Lücke im Anwendungsbereich von § 124 Abs. 2 GWB zu vermeiden. Der Sinn und Zweck dieser Regelung, eine bundeseinheitliche Rechtsprechung in Vergabesachen zu gewährleisten, gilt auch für Entscheidungen über vergaberechtsbezogene Gebührenfragen (BGH, Beschluss vom 29. September 2009 - X ZB 1/09, VergabeR 2010, 66 Rn. 5 - Gebührenanrechnung im Nachprüfungsverfahren).
2. Die Vorlage ist auch im Übrigen zulässig. Die Voraussetzungen für eine Divergenzvorlage nach § 124 Abs. 2 GWB sind nach ständiger Rechtsprechung erfüllt, wenn das vorlegende Oberlandesgericht seiner Entscheidung als tragende Begründung einen Rechtssatz zugrunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts tragenden Rechtssatz nicht vereinbar ist (BGH, VergabeR 2010, 66 - Gebührenanrechnung im Nachprüfungsverfahren). So verhält es sich hier; die vom vorlegenden Oberlandesgericht ins Auge gefasste Entscheidung wäre mit der von ihm angeführten Rechtsprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts nicht in Einklang zu bringen.
III. In der Sache tritt der Senat der Auffassung des vorlegenden Vergabesenats bei. Die Geschäftsgebühr ist entsprechend RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens anzurechnen. Die Erinnerung bleibt deshalb ohne Erfolg.
1. Der Vergabesenat ist unausgesprochen zutreffend davon ausgegangen, dass die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300, 2301 RVG VV für die Vertretung im Verfahren vor der Vergabekammer in dem Kostenfestsetzungsverfahren beim Oberlandesgericht, das sich an das sofortige Beschwerdeverfahren (§§ 116 ff. GWB) anschließt, berücksichtigt werden kann.
Soweit eine vorprozessual zur Anspruchsabwehr angefallene Geschäftsgebühr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs prinzipiell nicht zu den Kosten des Rechtsstreits gehört und deshalb im Allgemeinen nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung gemäß §§ 103 ff. ZPO ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2006 - VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560; Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323), erleidet dieser Grundsatz im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren aufgrund der hier bestehenden Besonderheiten eine Durchbrechung. Bei dem Verfahren vor der Vergabekammer handelt es sich einerseits zwar um ein in die Exekutive eingebettetes Verwaltungsverfahren, das kostenrechtlich, wie sich aus der Regelung in § 128 Abs. 4 Satz 4 GWB ergibt, dem verwaltungsrechtlichen Widerspruchsverfahren gleichgesetzt ist (BGH, VergabeR 2010, 66 Rn. 18 mwN - Gebührenanrechnung im Nachprüfungsverfahren). Deshalb entstehen für die Vertretung in diesem Verfahren keine Gebühren nach RVG VV Teil 3, sondern Geschäftsgebühren nach Teil 2 Abschnitt 3 (RVG VV Nr. 2300, 2301). Dieses Verfahren ist andererseits aber gerichtsähnlich als kontradiktorisches Streitverfahren zwischen Auftraggeber- und Auftragnehmerseite ausgestaltet. Es hat naturgemäß stets die Geltendmachung der Verletzung des Anspruchs der Unternehmen auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren durch den Auftraggeber zum Gegenstand (§ 97 Abs. 7 GWB), und die mit der Geschäftsgebühr abgegoltene Tätigkeit des Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren weist typischerweise gewisse Bezüge zur Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren auf. Deshalb begegnet die Praxis der Vergabesenate (vgl. zu den Unterschieden Losch in: Ziekow/Völlink, Komm. zum Vergaberecht, 2. Aufl., § 128 GWB Rn. 45 f.), in der das Beschwerdeverfahren betreffenden Kostenfestsetzung auch die Geschäftsgebühr für die Vertretung von der Vergabekammer zu berücksichtigen, keinen rechtlichen Bedenken. Das gilt auch, nachdem § 128 Abs. 4 GWB in der durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 790) erhaltenen Fassung bestimmt, dass ein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren vor der Vergabekammer nicht mehr stattfindet. Denn bei dieser Regelung ging es nicht darum, die Titulierung von im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren entstandenen Kosten durch Kostenfestsetzungsbeschlüsse generell zu untersagen, sondern nur darum, der Gefahr von Ungleichbehandlungen der Unternehmen auf der einen und der öffentlichen Auftraggeber auf der anderen Seite vorzubeugen (vgl. Reider in: MünchKommBeihVgR, Band 3, § 128 GWB Rn. 18).
2. Das Oberlandesgericht hat die Geschäftsgebühr zu Recht auch ungeachtet dessen in der Kostenfestsetzung berücksichtigt, dass die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerinnen für diese auf der Grundlage einer wirksamen, privaten Vergütungsvereinbarung tätig geworden sind. Soweit der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass der vorgerichtlich auf der Grundlage einer Honorarvereinbarung für den Auftraggeber tätig gewordene Rechtsanwalt grundsätzlich nicht die Geschäftsgebühr beanspruchen kann, sondern sein Vergütungsanspruch auf dieser vertraglichen Vereinbarung beruht (BGH, Beschluss vom 18. August 2009 - VIII ZB 17/09, NJW 2009, 3364 Rn. 6 ff.; Beschluss vom 9. September 2009 - Xa ZB 2/09, NJW-RR 2010, 359 Rn. 7), betraf dies jeweils Pauschalhonorarvereinbarungen. Es ist schon fraglich, ob Gleiches für Stundenhonorarvereinbarungen zu gelten hat, weil das Honorar hier, anders als bei einer pauschalen Vergütung, zweifelsfrei dem jeweiligen Auftrag zugeordnet werden kann. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Beurteilung, weil die Festsetzung der Geschäftsgebühr bei der angezeigten wertenden Betrachtung sachgerecht und geboten erscheint. Müsste der Erstattungsberechtigte seinen aus einer Vergütungsvereinbarung hergeleiteten Erstattungsanspruch klageweise geltend machen, weil das Nachprüfungsverfahren nicht in die Beschwerdeinstanz gelangt ist, und entstünde Streit über die Angemessenheit der Höhe des erstattungsfähigen Honorars, würde die gerichtliche Entscheidung darüber sich an dem § 632 Abs. 2 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken orientieren und die Bestimmung des angemessenen Erstattungsbetrages wiederum an der Höhe der Geschäftsgebühr ausrichten, die im jeweiligen Fall zu erstatten wäre, wenn der erstattungsberechtige Verfahrensbeteiligte keine private Vergütungsvereinbarung mit seinem Rechtsanwalt getroffen hätte. Im Hinblick darauf wäre es sinnwidrig, dem Erstattungsberechtigten, der von vornherein die Geschäftsgebühr als maßgeblichen Parameter für seine Forderung wählt, den Weg der Festsetzung dieser Gebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu verwehren, zumal dies aus prozessökonomischen Gründen ohnehin dem Klageweg vorzuziehen ist.
3. Das Oberlandesgericht hat die Geschäftsgebühr zu Recht entsprechend RVG VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 im dort vorgesehenen Umfang auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens angerechnet. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, ist die das erstinstanzliche Nachprüfungsverfahren betreffende Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des Beschwerdeverfahrens anzurechnen (BGH, VergabeR 2010, 66 - Gebührenanrechnung im Nachprüfungsverfahren). Nach dem vorstehend (III 1 und 2) Ausgeführten ist eine Ausnahme von der gesetzlich vorgesehenen Anrechnung allein aufgrund des Umstands, dass eine Honorarvereinbarung geschlossen wurde, nicht veranlasst.
Meier-Beck Gröning Schuster Deichfuß Kober-Dehm Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.05.2013 - VII Verg 103/11 -