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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 23.01.1990, Az.: X ZB 9/89

Entscheidungsgründe

I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des am 10. November 1979 angemeldeten deutschen Patents 29 45 504, das eine Vorrichtung zum Verbinden von Textilfäden betrifft. Die Patentschrift wurde am 29. Dezember 1983 veröffentlicht.

Diese enthält acht Patentansprüche. In der Beschreibung ist ein in den Zeichnungen dargestelltes Ausführungsbeispiel der Erfindung geschildert, anhand dessen die Erfindung näher erläutert und beschrieben wird. Zunächst ist die äußere Gestaltung der Vorrichtung zum Verbinden zweier Fadenenden eines gerissenen Fadens mit einer Vielzahl von Details durch Verweisung auf die unübersichtlichen Figuren dargestellt. Dabei sind u.a. zwei steuerbare Fadenklemmvorrichtungen 52/53 ihrer Lage und konstruktiven Ausgestaltung nach beschrieben (Sp. 3, Z. 60 - Sp. 4, Z. 9; Sp. 5, Z. 65-67). Sodann wird die Funktionsweise der erfindungsgemäßen Vorrichtung erläutert (Sp. 6, Z. 39 ff.). Dabei ist auch die Funktionsweise der Fadenklemmvorrichtungen 52/53 geschildert (Sp. 7, Z. 23-43; Sp. 7, Z. 56-62 u. Sp. 8, Z. 39-45). Es ist dort ferner ausgeführt, daß in dem Augenblick, in dem sich die beiden Fadenklemmvorrichtungen 52/53 schließen, das Druckluftdosierventil 39 und das Saugluftdosierventil 124 für die Blas- und Saugzeiten eingeschaltet werden, während der Blaszeit schwenkten die beiden Arme des Fadenzubringers 62, so daß sie schließlich die Endstellung (Fig. 2) erreichten (Sp. 7, Z. 61 - Sp. 8, Z. 6).

Nach Prüfung von drei Einsprüchen hat die Patentabteilung 26 des Deutschen Patentamtes das Patent mit Beschluß vom 7. Februar 1986 widerrufen, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung vom 2. Mai 1985 durch den Inhalt der älteren Anmeldung P 29 34 481.8-26, die als deutsche Offenlegungsschrift 29 39 481 veröffentlicht worden ist, neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Die Unteransprüche würden mit dem Hauptanspruch entfallen.

Die Patentinhaberin hat Beschwerde erhoben und die Teilung des Patents erklärt.

Das Bundespatentgericht hat bezüglich der Teilanmeldung das Verfahren abgetrennt und die Teilanmeldung zur Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patentamt zurückverwiesen. Bezüglich der Stammanmeldung hat es die Beschwerde zurückgewiesen und zwar sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit zwei Hilfsanträgen. Die Rechtsbeschwerde hat es beschränkt auf die beiden Hilfsanträge zugelassen.

Die Patentinhaberin begehrt mit der Rechtsbeschwerde,

den Beschluß des Bundespatentgerichts vom 21. November 1988 im Umfang der Entscheidung über die beiden Hilfsanträge aufzuheben und die Sache insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet (die Änderung gegenüber der erteilten Fassung ist durch Unterstreichen kenntlich gemacht):

Vorrichtung zum Verbinden von Textilfäden, bestehend aus einer Spleißkammer mit gegebenenfalls abdeckbarer Längsnut zum Verbinden der Fäden, einem in den Innenraum der Spleißkammer einmündenden Druckluftkanal, einem von einer Fadenaufnahmestellung in eine Fadenabgabestellung zwischen Spleißkammer und steuerbaren Fadenklemmvorrichtungen bewegbaren, jeweils einen in einer Ebene unterhalb und in einer Ebene oberhalb der Spleißkammer verschwenkbaren Arm aufweisenden Fadenzubringer zum Einlegen der Fäden in die Längsnut der Spleißkammer und mit folgenden in Abhängigkeit von der Stellung des Fadenzubringers steuerbaren Teilen:

a) gegebenenfalls einem Deckel zum vorübergehenden Verschließen der Spleißkammer,

b) Fadentrennvorrichtungen zum Abtrennen der Fadenenden,

c) einem steuerbaren und einstellbaren Druckluftdosierventil,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, daß oberhalb der Spleißkammer eine pneumatische Vorrichtung zur Aufnahme und zur Halterung des gekürzten Fadenendes des einen Fadens und unterhalb der Spleißkammer eine pneumatische Vorrichtung zur Aufnahme und zur Halterung des gekürzten Fadenendes des anderen Fadens angeordnet ist, und daß den mit ihren Enden in den pneumatischen Vorrichtungen gehaltenen Fäden jeweils auf der diesen pneumatischen Vorrichtungen gegenüberliegenden Seite der Spleißkammer eine bevor der Fadenzubringer seine Endstellung erreicht schließende Fadenklemmvorrichtung zugeordnet ist.

Dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 sind noch die Worte "und daß die in den pneumatischen Vorrichtungen erforderlichen Luftströme durch Druckluft erzeugt werden" angefügt.

Die Patentinhaberin rügt eine Verletzung sachlichen und formellen Rechts.

Die Einsprechende II beantragt,

die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

II. Die Rechtsbeschwerde hat nur wegen der Aufrechterhaltung des Patents im Rahmen ihrer Hilfsanträge einen Aufhebungsantrag gestellt. Wegen der Zurückweisung ihrer Beschwerde hinsichtlich ihres Hauptantrages hat die Patentinhaberin mit der Rechtsbeschwerde keinen Antrag gestellt, wohl aber Ausführungen gemacht, die eine Sachrüge der Entscheidung über den Hauptantrag enthalten. Dem beschließenden Senat ist es verwehrt, insoweit in eine sachliche Überprüfung des angefochtenen Beschlusses einzutreten.

1. Das Bundespatentgericht hat die Fassung des Patentanspruchs 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag nicht für zulässig gehalten, weil aus einem Ausführungsbeispiel einzelne Merkmale willkürlich herausgegriffen und zusätzlich in den Patentanspruch eingefügt seien, andere Merkmale, die ebenfalls in gleichem Maße der Aufgabenlösung f ö r d e r l i c h seien, dagegen nicht. Aus der Beschreibung gehe zwar hervor, den Faden zu klemmen, bevor der Fadenzubringer die Endstellung erreiche, dort sei jedoch zusätzlich beispielsweise ausgeführt, daß der Fadenzubringer w ä h r e n d der Blaszeit verschwenkt werde (Sp. 7, Z. 60 - Sp. 8, Z. 6). Das zuletzt genannte Merkmal fehle in der Patentanspruchsfassung nach dem ersten Hilfsantrag. Der Fachmann habe nicht erkennen können, daß nur das zuerst genannte Merkmal, jedoch nicht auch das zuletzt genannte Merkmal zur Aufgabenlösung erforderlich sei.

Es handele sich bei dieser neuen Kombination von Merkmalen somit um ein "Aliud", eine neue Kombination von Merkmalen, weil ein Merkmal aus einem Ausführungsbeispiel übernommen werde unter Außerachtlassen der in diesem Beispiel genannten weiteren Parameter, obwohl diese Merkmale zusammenwirkten. Es handele sich um einen neuen, in dieser Merkmalskombination noch nicht offenbarten Gegenstand.

2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Sie rügt vor allem die Ansicht des Bundespatentgerichts, der Anmelder müsse sich auf alle Merkmale des gesamten Ausführungsbeispiels beschränken. Dies sei weder zwingend noch sachgerecht und praktikabel. Unklar sei auch, was das Bundespatentgericht unter "allen" Merkmalen des "gesamten" Ausführungsbeispiels verstehe. Vorliegend seien das Ausführungsbeispiel und seine Funktion in der Patentschrift in mehr als sechs Spalten mit über 50 Bezugsziffern beschrieben. Im übrigen habe das Bundespatentgericht nicht begründet, worin das notwendige Zusammenwirken des von ihm benannten weiteren Merkmals mit dem Merkmal, das die Anmelderin in den Patentanspruch aufgenommen habe, liege. Es habe den Zusammenhang dieses Merkmals mit der Aufgabenlösung konkret prüfen müssen.

3. a) Für die Beurteilung des Streitfalles ist § 22 Abs. 1 letzter Halbsatz PatG 1981 heranzuziehen, der die Erweiterung des Schutzbereichs des Patents als Nichtigkeitsgrund aufführt und damit voraussetzt, daß eine Erweiterung auch schon im Einspruchsverfahren unzulässig ist. Diese Vorschrift ist zwar erst am 1. Januar 1981 - also nach Anmeldung des Streitpatents am 10. November 1979 - in Kraft getreten (Art. 17 Abs. 3 GPatG), gilt aber mangels spezieller Übergangsregelung in Art. 12 GPatG auch für vorher eingereichte Patentanmeldungen, deren Bekanntmachung am 1. Januar 1981 noch nicht beschlossen war.

b) Das Bundespatentgericht verdient im rechtlichen Ausgangspunkt seiner Beurteilung Zustimmung. Der Patentinhaber kann sein Patent im Einspruchsverfahren beschränken, wie das für das Nichtigkeitsverfahren anerkannt ist (BGHZ 21, 8 ff.). Er darf aber weder dessen Schutzbereich erweitern (§ 22 Abs. 1 a.E. PatG 1981), noch an die Stelle der ihm erteilten patentgeschützten Erfindung eine andere setzen (BGH, Beschl. v. 16.01.1990 - X ZB 24/87 - Spreizdübel - zur Veröffentlichung bestimmt; BGHZ 66, 17, 29 Alkylendiamine I - für das Nichtigkeitsverfahren). Die Einfügung eines weiteren Merkmals aus der Beschreibung in den Patentanspruch ist nicht zulässig, wenn es dort zwar erwähnt, in seiner Bedeutung für die im Anspruch umschriebene Erfindung jedoch nicht zu erkennen ist (s. BGH GRUR 1977, 598, 599 1. Sp. - Autoscooter-Halle). Mit anderen Worten muß dieses Merkmal in der Beschreibung als zu der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre gehörig zu erkennen sein. Andernfalls würde sich der Patentschutz dann nicht mehr auf die ursprünglich beanspruchte Erfindung beziehen, sondern auf ein davon wesensverschiedenes "Aliud", was vor allem mit dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht mehr vereinbar wäre (vgl. dazu BGH GRUR 1988, 287, 288/289 - Abschlußblende). Ebenso wäre es unzulässig, aus der Beschreibung einen Ausschnitt in den Patentanspruch zu übernehmen, der sich nur unter Aufbietung schöpferischer Tätigkeit der Beschreibung entnehmen läßt (vgl. BGHZ 66, 17, 29).

Das Bundespatentgericht möchte diese Grundsätze erweitern, und zwar die Aufnahme des gesamten Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch zur Beschränkung des Patentbegehrens zulassen, nicht aber zulassen, einzelne Merkmale eines Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch einzufügen, wenn andere Merkmale des Ausführungsbeispiels, die der Aufgabenlösung in gleichem Maße f ö r d e r l i c h sind, nicht ebenfalls in den Patentanspruch übernommen werden. Das - ist mit der Freiheit des Patentinhabers, sein Patent nach Belieben einzuschränken, unvereinbar und ist mit Rücksicht auf das Allgemeininteresse an überschaubaren Schutzrechten nicht geboten. Dienen in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, die für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg f ö r - d e r n, dann hat es der Patentinhaber in der Hand, ob er sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale beschränkt. In dieser Hinsicht können dem Patentinhaber keine Vorschriften gemacht werden. Einen Rechtssatz des Inhalts, daß ein Patentanspruch nur in der Weise beschränkt werden könnte, daß sämtliche Merkmale eines Ausführungsbeispiels, die der Aufgabenlösung "förderlich" sind, insgesamt in den Patentanspruch eingefügt werden müßten, gibt es nicht.

Das Bundespatentgericht ist an anderer Stelle (S. 14 oben des angefochtenen Beschlusses) der Frage nachgegangen, ob der Fachmann erkennen konnte, daß nur das in den Patentanspruch übernommene Merkmal, "den Faden noch vor Erreichen der Endstellung der Fadenzubringer zu klemmen", nicht aber auch das Merkmal, "die Fadenzubringer während der Blaszeit zu verschwenken", zur Aufgabenlösung erforderlich sei. Das ist eine Frage der Offenbarung.

Das Bundespatentgericht hält die neue Merkmalskombination gemäß dem Hilfsantrag aus den von ihm genannten Gründen für eine andere Erfindung (Aliud) gegenüber der im Ausführungsbeispiel beschriebenen Erfindung, bei der weitere Parameter (gemeint sind damit wohl ihre Merkmale) mit dem in den Anspruch übernommenen Merkmal zusammenwirkten (S. 14 Abs. 2 des angefochtenen Beschlusses). Es handele sich um einen neuen, in dieser Merkmalskombination noch nicht offenbarten Gegenstand (aaO).

Diese Ausführungen im angefochtenen Beschluß lassen sich entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeerwiderung nicht als tatsächliche Feststellung auffassen, der Durchschnittsfachmann könne der Beschreibung des Ausführungsbeispiels nicht ohne Aufbietung schöpferischer Tätigkeit die Kombination der Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag unter Einschluß des in den Anspruch übernommenen Merkmals, "den Faden zu klemmen noch bevor der Fadenzubringer die Endstellung erreicht", aber abgesehen von dem weiteren dort beschriebenen Merkmal "die Fadenzubringer während der Blaszeit zu verschwenken", entnehmen. Es hätte insoweit eines näheren Eingehens auf das Problem, die zu seiner Lösung beschriebenen Merkmale, deren Zusammenwirken und das vom Durchschnittsfachmann zu erwartende Können bedurft, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt. Der Senat kann diese Feststellungen nicht nachholen.

IV. Für die Beurteilung der Änderung des Gegenstandes des Patentanspruches 1 gemäß Hilfsantrag 2 gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

V. Der angefochtene Beschluß ist hinsichtlich der Entscheidung über die Hilfsanträge der Patentinhaberin aufzuheben und die Sache insoweit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen.

VI. Der Senat hat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten (§ 10Abs. 1 PatG).