Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 05.06.1997, Az.: X ZR 139/95
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Oktober 1995 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verletzung eines Gebrauchsmusters in Anspruch.
Der Kläger ist Inhaber des deutschen Gebrauchsmusters 88 16 911.1 sowie weiterer Schutzrechte, die Vorrichtungen zum Zertrennen von Leiterplattennutzen, d.h. Platinen, auf denen sich mehrere gedruckte Schaltkreise befinden, betreffen. Das Gebrauchsmuster beruht auf der Anmeldung des - mittlerweile erteilten - deutschen Patents 38 06 984.9 vom 3. März 1988, auf das der Kläger seine Klage nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gestützt hat. Die Schutzansprüche des Gebrauchsmusters lauten:1.Vorrichtung zum Trennen eines Leiterplattennutzens mit zwei planparallelen Flächen,gekennzeichnet durch zwei Trennstücke, die zum Trennen des zwischen diesen Trennstücken angeordneten Leiterplattennutzens in einer Trennebene parallel zueinander und aufeinander zu aus einer Ruhelage heraus in eine Endlage bewegbar sind, in der die Trennkanten einen konstanten Abstand voneinander aufweisen.2.Vorrichtung nach Anspruch 1,dadurch gekennzeichnet, daß die Trennkanten in der Ruhelage einen Abstand voneinander aufweisen, der kleiner als die Dicke des Leiterplattennutzens ist.3.Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2,gekennzeichnet durch eine Halterung mit einem ersten stationären Trennstück und mit einem zweiten, an dieser Halterung bewegbar geführten Trennstück sowie durch einen Arm zum Bewegen des zweiten Trennstücks.
Die Beklagte vertreibt von der Firma N. in M. hergestellte Maschinen zum Trennen von Leiterplattennutzen, die von der Lehre des Klagegebrauchsmusters 1 identisch Gebrauch machen. Gegenüber der Inanspruchnahme aus dem Schutzrecht hat sich die Beklagte in erster Linie mit einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme verteidigt, die sie darauf stützt, daß der Kläger zwei Maschinen, die die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters identisch verwirklichten, am 16. November 1986 und am 2. Dezember 1986 an die Firma S. AG an deren Standort in Regensburg geliefert habe, wo sie seither genutzt würden.
Mit der Begründung, eine neuheitsschädliche Vorwegnahme liege nicht vor, weil sowohl mit dem Hersteller des Prototyps als auch mit der Firma S. AG eine Geheimhaltungsvereinbarung bestanden habe und die Maschine nur zur Geheimhaltung verpflichteten Personen zugänglich gewesen sei, hat der Kläger Klage auf Unterlassung, Feststellung der Ersatzpflicht und Auskunft erhoben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hatte Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach den zuletzt gestellten Anträgen mit der Maßgabe verurteilt, daß die Auskunft unter einen Wirtschaftsprüfervorbehalt gestellt wurde. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung und Auskunft sowie die Feststellung der Ersatzpflicht nicht. Es bedarf noch weiterer Aufklärung zur Wirksamkeit des Klageschutzrechtes.
I.1.Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann das Verbot, die der Entscheidungsformel der angefochtenen Entscheidung näher bezeichnete Vorrichtung zum Trennen eines mehrere gedruckte Schaltkreise aufweisenden Leiterplattennutzens herstellen zu lassen, feilzuhalten und/oder in den Verkehr zu bringen, seine rechtliche Grundlage in § 24 Abs. 1 GebrMG finden. Nach dieser Vorschrift kann von den Berechtigten auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer ein fremdes Gebrauchsmuster den §§ 11-14 GebrMG zuwider benutzt. Eine Benutzung in diesem Sinne hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen.
Nach seinen im Einklang mit dem unstreitigen Vorbringen der Parteien getroffenen Feststellungen macht die von der Beklagten eingesetzte Vorrichtung zum Trennen von Leiterplattennutzen mit mehreren gedruckten Schaltkreisen von der Lehre des Klagegebrauchsmusters wortlautgemäß Gebrauch.
Das Klagegebrauchsmuster betrifft eine Vorrichtung zum Trennen von sog. Leiterplattennutzen. Das sind größere Platinen, auf denen sich mehrere kleine Leiterplatten mit der jeweils aufgedruckten Verdrahtung eines vollständigen Schaltkreises oder elektronischen Moduls befinden. Die für die weitere Verwendung der einzelnen Leiterplatten erforderliche Trennung wurde nach der einleitenden Schilderung in der Gebrauchsmusteranmeldung im Stand der Technik dadurch bewirkt, daß der Leiterplattennutzen an einer zwischen den einzelnen Leiterplatten vorhandenen Ritzkante manuell gebrochen oder geschnitten wurde. Von diesem Stand der Technik hebt sich die Lehre des Klagegebrauchsmusters - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - durch eine besondere Anordnung und Ausgestaltung der Schneidvorrichtung ab. Diese ermöglicht es, die Schneidwerkzeuge gegenläufig aufeinander und lotrecht auf die Ritzkante zuzubewegen. Dabei treffen sie in ihrer Endlage nicht unmittelbar aufeinander, sondern bleiben in einem Abstand voneinander stehen, der bei der bevorzugten Ausführungsform nach dem Unteranspruch 2 kleiner ist als die Dicke des Leiterplattennutzens, Auf diese Weise wird eine von oben lotrecht auf die Platte auftreffende Quetschbewegung ausgeführt. Diese vermeidet weitgehend die im Stand der Technik auftretenden Spannungen im Leiterplattennutzen, die zu Beschädigungen der nur dünnen Leiterbahnen auf der Platine führen können.
Von dieser Lehre macht die in der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils bezeichnete Vorrichtung Gebrauch. Auch diese wird, wie sich aus dem dort unter h) dargestellten Merkmal ergibt, durch eine gegenläufige Bewegung der Schneidwerkzeuge bestimmt, die sich beim Schneiden aufeinander zu und lotrecht zum Leiterplattennutzen bewegen. In der Endstellung treffen die äußeren Kanten der Schneidwerkzeuge nicht unmittelbar aufeinander, sondern bleiben in einigem Abstand voneinander stehen.
2.Diese Benutzung der Lehre des Klagegebrauchsmusters war, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat, rechtswidrig.
II.Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist jedoch nicht abschließend zu entscheiden, ob das Klageschutzrecht wirksam ist.
1.Die Wirksamkeit des Klagegebrauchsmusters ist im vorliegenden Verletzungsrechtsstreit zu prüfen. Daß die Beklagte die mangelnde Beständigkeit des Schutzrechtes auch in einem gesonderten Löschungsverfahren nach §§ 16 ff. GebrMG verfolgen könnte, schließt im Prozeß über die unberechtigte Benutzung eines Gebrauchsmusters den Einwand mangelnder Schutzfähigkeit des Klageschutzrechtes nicht aus. Er kann - anders als im Patentverletzungsverfahren - nicht nur zur Begründung einer Aussetzung des Verletzungsverfahrens mit Rücksicht auf ein selbständiges Verfahren zur Prüfung der Schutzfähigkeit erhoben werden. Das hat der Senat für das frühere Recht bereits mehrfach ausgesprochen (vgl. BGH, Urt. v. 28.3.1963 - Ia ZR 19/63, GRUR 1963, 494 - Rückstrahlerdreieck; Beschl. v. 26.1.1967 - Ia ZB 19/65, GRUR 1967, 477, 479 - UHF-Empfänger II). Die Novellierung des Gebrauchsmusterrechtes durch das Gesetz zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes vom 15. August 1986 (BGBl. I, 1446) hat hieran nichts geändert (vgl. Benkard, Patentgesetz/Gebrauchsmustergesetz, 9. Aufl., § 24 GebrMG Rdn. 14), wie durch § 19 GebrMG bestätigt wird. Die dort getroffenen Regelungen über die Bindung des Gerichts des Verletzungsprozesses an im Löschungsverfahren ergangene Entscheidungen werden verständlich nur dann, wenn das Verletzungsgericht im übrigen in der Beurteilung der Wirksamkeit des Schutzrechtes frei ist.
2.Allerdings ist die in dem Klageschutzrecht unter Schutz gestellte Lehre als solche gebrauchsmusterfähig. Entgegen der Auffassung der Revision betrifft sie nach dem Inhalt der Schutzansprüche eine Vorrichtung zum Zertrennen von Leiterplattennutzen. Deren einzelne Merkmale werden in den Schutzansprüchen gegenständlich beschrieben. Soweit dort auf Verfahrensschritte sowie Arbeitsweise und Funktion einzelner Merkmale Bezug genommen wird, dient dies lediglich einer erleichterten Beschreibung, die keinen Bedenken begegnet; Darstellung und Erläuterung der technischen Einzelheiten anhand ihrer Funktion sind auch im Gebrauchsmusterrecht grundsätzlich zulässig. Das gilt auch für die Angaben zum Zusammenwirken der beiden Schneidmesser, das den erfinderischen Kern der beanspruchten Erfindung ausmacht. Durch die Angaben zu ihrer Wirkung wird eine bestimmte räumliche Anordnung der Messer erläutert, die eine vom Stand der Technik abweichende Art der Trennung der Leiterplatten an der als Sollbruchstelle für die Trennung vorgesehenen Einkerbung ermöglichen soll. Das hat das Berufungsgericht in der angefochtenen Ent- scheidung zwar knapp, aber in sich folgerichtig und nachvollziehbar dargelegt und damit dem Begründungszwang (§ 551 Nr. 7 ZPO) genügt. Dieser verlangt lediglich, daß die Entscheidung erkennen läßt, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren (vgl. BGH, Beschl. v. 7.3.1978 - X ZB 1/77, GRUR 1978, 423 - Mähmaschine u.v. 10.6.1986 - X ZB 13/85, Mitt. 1986, 195 - Kernblech, sowie v. 4.12.1990 - X ZB 6/90, GRUR 1991, 442, 443 - Pharmazeutisches Präparat, jeweils für die vergleichbare Vorschrift des § 100 PatG).
Die Behandlung des Einwandes der Beklagten, unter Schutz gestellt werde in Wahrheit ein Verfahren, nicht aber eine Vorrichtung, knüpft an die vorausgegangene Auslegung des Klageschutzrechtes an, bei der das Berufungsgericht als Gegenstand der unter Schutz gestellten Lehre überzeugend und zutreffend eine Schneidvorrichtung entwickelt hat, bei der die besondere Gestaltung der Messer und ihrer Führung eine von der im Stand der Technik üblichen Schneidbewegung abweichende Quetschung des Nutzens ermöglicht, durch die eine schonendere Behandlung erreicht und damit das Risiko einer Beschädigung der empfindlichen Leiterbahnen auf der Platine erreicht wird. Die Trennbewegung als solche ist lediglich das Ergebnis der im Schutzrecht beanspruchten Lehre, nicht ihr Gegenstand. Daß ihr Ziel die Ausführung einer solchen Bewegung ist, verleiht ihr nicht den Charakter eines auf ein Verfahren gerichteten Schutzrechtes. Maschinen oder Geräte betreffende technische Lehren dienen in der Regel der Ausführung von Arbeiten oder der Bewältigung technischer Aufgaben, ihr Gegenstand ist gleichwohl die Vorrichtung und nicht die mit ihrer Hilfe vorgenommene Handlung.
3.Derzeit nicht abschließend zu beurteilen ist jedoch die Frage, ob das Klagegebrauchsmuster im Prioritätszeitpunkt neu war. Eine Vorwegnahme der dort unter Schutz gestellten Lehre durch den druckschriftlich belegten Stand der Technik und eine offenkundige Vorbenutzung hat das Berufungsgericht verneint. Das greift die Revision im Ergebnis mit Erfolg an. Allerdings ist, wie auch die Beklagte nicht in Abrede genommen hat, in keiner, der vorliegenden Druckschriften eine Vorrichtung zum Trennen von Leiterplattennutzen mit den Merkmalen des Klagegebrauchsmusters identisch beschrieben. Diese lehren entweder nicht einen Trennvorgang in der Weise, daß die Schneidwerkzeuge lotrecht zum Leiterplattennutzen und in einer Ebene aufeinander zugeführt werden, oder betreffen keine Vorrichtung zum Trennen von derartigen Platinen. Eine über den vorliegenden Stand der Technik hinausgehende druckschriftliche Vorveröffentlichung ist weder geltend gemacht, noch lassen sich hierfür sonst Anhaltspunkte im Parteivortrag finden. Hingegen ist eine offenkundige Vorbenutzung, nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht auszuschließen.
a)Nach der Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 GebrMG gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik wird nach der Legaldefinition in Satz 2 der gleichen Vorschrift gebildet durch die Kenntnisse, die der Öffentlichkeit durch eine vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch eine schriftliche Beschreibung oder eine im Geltungsbereich des Gesetzes erfolgte Benutzung zugänglich gemacht wurde. Eine Benutzung der Erfindung vor dem Anmeldetag hat das Berufungsgericht hier festgestellt. Nach der angefochtenen Entscheidung war am Anmeldetag seit mehreren Monaten eine Einrichtung zum Zerteilen von Leiterplattennutzen mit sämtlichen Merkmalen des Schutzrechts auf dem Gelände der Firma S. und wurde von dieser benutzt.
Ob darin eine die Neuheit und damit die Schutzfähigkeit ausschließende offenkundige Vorbenutzung liegt, richtet sich gemäß dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 GebrMG danach, ob der Öffentlichkeit durch diese Benutzungshandlung die Lehre des Klagegebrauchsmusters zugänglich gemacht worden ist. Mit dem Begriff der Zugänglichkeit greift die Vorschrift seit ihrer Änderung durch das Gesetz zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes vom 15. August 1986 den Wortlaut der entsprechenden Vorschrift des Patentgesetzes (ebenfalls § 3 Abs. 1) auf. Zwar hat das Gebrauchsmusterrecht in der geltenden Fassung nicht den absoluten Neuheitsbegriff des Patentgesetzes übernommen. Anders als bei § 3 Abs. 1 PatG sind neuheitsschädlich nur schriftliche Vorveröffentlichungen und Vorbenutzungen im Inland. Mündliche Beschreibungen der beanspruchten Lehre schaden gegenüber der Neuheit ebensowenig wie Benutzungen im Ausland (vgl. Ullmann, GRUR 1988, 333, 339). Im übrigen stimmen beide Vorschriften nach ihrem Wortlaut jedoch weitgehend überein. Darin kommt eine auch in der Sache bestehende Übereinstimmung zum Ausdruck, die zu einem sachlich gleichen Verständnis des Begriffes der Zugänglichkeit führt. Wie das Patent (vgl. dazu BGHZ 100, 67, 70 - Tollwut - virus; Urt. v. 11.7.1995 - X ZR 99/92, GRUR 1996, 109 [BGH 11.07.1995 - X ZR 99/92] - Klinische Versuche; siehe auch Hieber GRUR 1996, 439, 440) dient auch das Gebrauchsmuster dazu, dem Erfinder den ihm gebührenden Lohn zukommen zu lassen. Die Gewährung des - zeitlich beschränkten - Ausschließlichkeitsrechtes soll ihn zugleich veranlassen, seine Erfindung im Interesse des technischen Fortschrittes der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Patent und Gebrauchsmuster schützen den Berechtigten auch vor dem Nachbau von aufgrund seiner Lehre hergestellten Produkten und gewähren ihm insoweit einen weitergehenden Schutz, als er mit einer bloßen Geheimhaltung seiner Lehre zu erreichen wäre. Für eine so weitreichende Privilegierung besteht jedoch nur dort Anlaß, wo der Allgemeinheit mit der beanspruchten Lehre bisher nicht Vorhandenes zur Verfügung gestellt wird. In gleicher Weise auch bereits das ihr zur Verfügung stehende Wissen zugunsten einzelner zu reservieren, fehlt hingegen jede sachliche Rechtfertigung. Das gilt gleichermaßen für die von der Allgemeinheit bereits genutzten Kenntnisse wie für solche, auf die sie lediglich Zugriff nehmen könnte. In beiden Fällen ist das betroffene Wissen bereits Allgemeingut, bei dem eine Beschränkung des Zugriffs zugunsten einzelner mit Zweck und Funktion der technischen Schutzrechte nicht zu vereinbaren wäre.
Aus diesem Ansatz erklärt sich die bei beiden Schutzrechten übereinstimmende Formulierung, die bereits die der Öffentlichkeit zugänglichen Kenntnisse als neuheitsschädlich bezeichnet. Nach der Funktion der Neuheit im System der Schutzvoraussetzungen setzt diese Zugänglichkeit nicht voraus, daß es sich bereits um im Stand der Technik aktiv genutztes Wissen handelt. Neuheitsschädlich ist vielmehr das gesamte in einer Weise bereitstehende Wissen, daß die Fachwelt hierauf Zugriff nehmen könnte. Damit bringt das Gesetz deutlicher als im früheren Recht (vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 22.1.1963 - Ia ZR 60/63, GRUR 1963, 311, 313 - Stapelpresse; Urt. v. 25.11.1965 - Ia ZR 117/64, GRUR 1966, 484, 486 - Pfennigabsatz) zum Ausdruck, daß eine Vorbenutzung bereits dann die Neuheit der beanspruchten Lehre ausschließt, wenn sie lediglich eine tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme der beanspruchten Lehre durch die Öffentlichkeit bietet (ebenso für das europäische Patentrecht EPA, Große Beschwerdekammer, Entsch. v. 8.12.1992 - G 1/92, GRUR Int. 1993, 698 = ABl. 1993, 277 - Öffentliche Zugänglichkeit).
b)In der Lieferung der Vorrichtungen zum Trennen von Leiterplattennutzen an die Firma S. AG haben die Vorinstanzen die Eröffnung einer solchen Zugänglichkeit nicht gesehen. Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß dem Empfänger der Lieferung im Verhältnis zum Kläger jedenfalls hinsichtlich dieser Geräte eine Geheimhaltungspflicht oblag. Das Berufungsgericht ist dem nach dem Gesamtzusammenhang seiner Entscheidungsgründe gefolgt. In dieser Würdigung liegt ein vertretbares Verständnis des Parteivortrages; die tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts wird von der Revision nicht beanstandet und läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Auch die hieran anschließende rechtliche Würdigung, daß die Geheimhaltungsverpflichtung eine Offenkundigkeit dieser Vorbenutzung und damit die Zugänglichkeit der durch sie vermittelten Kenntnisse ausschließt, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
Der Senat hat bereits für das frühere Recht angenommen, daß eine vor dem Prioritätszeitpunkt erfolgte Benutzung der beanspruchten Lehre gegenüber zur Geheimhaltung verpflichteten Personen der Neuheit jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn die Beteiligten ihre Pflicht zur Verschwiegenheit einhalten (vgl. BGH, Urt. v. 8.6.1962 - I ZR 9/61, GRUR 1962, 518, 520; Urt. v. 25.11.1965 - Ia ZR 117/64, GRUR 1966, 484, 486 - Pfennigabsatz; Urt. v. 21.11.1972 - X ZR 64/68, GRUR 1973, 263, 264 - Rotterdam-Geräte u. Urt. v. 13.12.1977 - X ZR 28/75, GRUR 1978, 297, 298 - Hydraulischer Kettenbandantrieb). Insoweit hat das neue Recht ebenfalls keine Änderung mit sich gebracht. Auch danach schadet eine Vorbenutzung gegenüber zur Geheimhaltung verpflichteten Personen jedenfalls dann nicht, wenn die Geheimhaltung gewahrt wird (so auch im Ergebnis EPA, Entsch. v. 11.12.1990 - T 482/89, ABl. 1992, 646 - Stromversorgung u. 23.11.1993 - T 830/90, ABl. 1994, 713 - Geheimhaltungsvereinbarung - für die entsprechende Regelung in Art. 54 Abs. 2 EPÜ). Zwar ist der Begriff der Zugänglichkeit nach Wortsinn und Funktion der Vorschrift erfüllt, wenn die Möglichkeit eines Zugriffs der Öffentlichkeit auf die in der Ausführungsform verkörperte Information besteht, so daß es auch nach dem neuen Recht nur einer nicht entfernt liegenden, d.h. nicht nur theoretischen Möglichkeit der Kenntnisnahme von dem beanspruchten Gegenstand und seinen Eigenschaften durch beliebige Sachverständige bedarf. In diesem Sinne der Öffentlichkeit zugänglich wird eine solche Information jedoch nur dann, wenn ihre Weitergabe an beliebige Dritte jedenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Daran fehlt es, wenn sie ausschließlich an zur Verschwiegenheit verpflichtete Dritte gelangt und keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen sind, daß diese die Geheimhaltungsverpflichtung nicht einhalten werden.
c)Ob die S. AG sämtlichen Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern von Drittfirmen, die auf dem Gelände Arbeiten für sie ausführen, ausnahmslos eine Pflicht zur Vertraulichkeit auferlegt hat, läßt sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen.
Das Berufungsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, daß es hierzu nicht notwendig einer ausdrücklichen Vereinbarung bedürfe, sondern eine Geheimhaltungspflicht auch auf andere Weise, insbesondere stillschweigend begründet werden könne. Daß und in welcher Weise dies im vorliegenden Fall geschehen sei, hat es hingegen nicht dargelegt. In dieser Hinsicht enthält das angefochtene Urteil auch sonst keinerlei nähere Feststellungen, auf die eine abschließende Entscheidung im Revisionsverfahren gestützt werden könnte. Allein aus der Erlaubnis, das Gelände zu betreten, läßt sich eine solche Pflicht nicht ableiten. Daß ein Unternehmen seinen Lieferanten und Abnehmern gestattet, sein Werksgelände zu betreten, bedeutet auch bei auf das Angebot technischer Waren ausgerichteten Unternehmen wie der Siemens AG nicht zwangsläufig, daß diese sämtliche dort erlangten Informationen geheimhalten müßten. Das gleiche gilt für die dort tätigen Handwerker. Zwar erscheint es denkbar, daß der Auftrag zur Ergänzung oder Überarbeitung von in einem Industriebetrieb vorhandenen Maschinen und Einrichtungen eine Verpflichtung des beauftragten Unternehmers einschließt, die dabei erlangten Informationen geheimzuhalten (ähnl. EPA, Entsch. v. 3.2.1994 - T 799/91 - Schwenkbügelschloß) und die gleiche Verpflichtung auch seinen Mitarbeitern aufzuerlegen. Vorhandene Einrichtungen sind vielfach an die besonderen Bedürfnisse des Unternehmens angepaßt und enthalten dann ein Know-how, an dessen Vertraulichkeit dem Geschäftsinhaber aus der Sicht des mit der Überarbeitung betrauten Unternehmers selbst dann gelegen sein muß, wenn es sich ursprünglich um ein Gerät aus einer laufenden Serie handelt. Dem Berufungsurteil ist jedoch nichts dafür zu entnehmen, daß in dem hier maßgeblichen Zeitraum von der Aufstellung der Trennvorrichtung bis zur Anmeldung des Klagegebrauchsmusters ausschließlich mit derartigen Arbeiten betraute Handwerker das Gelände der S.AG betreten haben.
Eine Rechtspflicht zur vertraulichen Behandlung von auf dem Gelände erworbenen Kenntnissen kann sich für diese Personen daher nur aus - ausdrücklich oder stillschweigend getroffenen - Vereinbarungen zwischen der S. AG und ihnen ergeben, deren Abschluß der Kläger zwar unter Beweisantritt behauptet, zu dem das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen hat. Das wird, insbesondere unter Würdigung des Ergebnisses der hierzu bereits erhobenen Beweise nachzuholen sein.
d)Damit fehlt zugleich für die Annahme des Berufungsgerichts eine hinreichende tatsächliche Grundlage, die Mitarbeiter der S. AG seien in gleicher Weise wie Dritte zur Geheimhaltung verpflichtet, soweit sie bei Arbeiten an oder mit der Trennvorrichtung oder auf andere Weise von ihrem Aufbau und ihrer Arbeitsweise Kenntnis erlangt haben.
Daß die S. AG ihren Arbeitnehmern in den Arbeitsvertragen oder auf andere Weise generell die Pflicht auferlegt hat, aufgrund ihrer Betriebszugehörigkeit erlangte Kenntnisse vertraulich zu behandeln, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Das gleiche gilt für spezielle, die Vorrichtung zum Trennen der Leiterplattennutzen betreffende Absprachen mit allen Mitarbeitern oder jedenfalls denen, die Zugang zu den Maschinen hatten.
Eine Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit muß allerdings nicht durch ausdrückliche schriftliche Vereinbarung begründet werden; sie kann sich auch aus einem konkludenten Verhalten der Beteiligten oder den Umständen ergeben (vgl. Sen. Beschl. v. 28.11.1963 - Ia ZB 204/63, GRUR 1964, 259 - Schreibstift). Auf die bisher getroffenen Feststellungen läßt sich die Annahme eines solchen Sachverhalts hier jedoch nicht stützen. Zwar spricht viel dafür, daß die Mitwirkung an einer Erfindung die Beteiligten regelmäßig zur Geheimhaltung verpflichten wird. So werden Mitarbeiter des Erfinders oder sonst an der Erfindung Berechtigten regelmäßig auch ohne besondere ausdrückliche Absprache gehalten sein, ihre Kenntnisse nicht weiterzugeben (ebenso EPA, Entsch. v. 10.11.1994 - T 1085/92 - Elektrische Maschine mit kleiner Leistung - für das europäische Patentrecht).
Dieser Grundsatz läßt sich jedoch nicht ohne weiteres auf jedes Arbeitsverhältnis übertragen. Hier wird es vielmehr einer Abwägung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls bedürfen. Zwar wird einem Unternehmer regelmäßig an der Vertraulichkeit aller seinen Betrieb betreffenden Interna gelegen sein. Das gilt in besonderem Maße für dessen technische Ausrüstung. Selbst wenn dem aus der Serienproduktion stammende Geräte zugrunde liegen, sind diese oft an die Bedürfnisse des Unternehmens angepaßt und optimiert; das darin liegende technische Know-how ist im allgemeinen nicht ohne Einfluß auf die Stellung des Betriebs im Wettbewerb. Verstärkt gilt das, wenn es sich - wie hier - um auf dem allgemeinen Markt nicht oder jedenfalls noch nicht ohne weiteres erhältliche Vorrichtungen handelt. Deren abgesonderte Aufstellung, die nur wenigen besonders zur Geheimhaltung verpflichteten Personen den Zugang erlaubt, wird nicht immer möglich sein. Differenzierte Einzelanweisungen zur Geheimhaltung von Teilen des betrieblich erlangten Wissens werden insbesondere bei größeren Betrieben schon aus praktischen Gründen ausscheiden, zumal sie die Gefahr bergen, daß dabei einzelne Informationen übersehen werden und deshalb unerwünscht an Dritte gelangen. Aus dem gleichen Grund wird es regelmäßig auch dem Interesse des Unternehmers zuwiderlaufen, seinen Mitarbeitern die Entscheidung über den Umfang der Geheimhaltung zu überlassen.
Dieser Interessenlage müssen auch die Arbeitnehmer des Betriebes aufgrund der arbeitsrechtlichen Treuepflicht Rechnung tragen und daher grundsätzlich auch ohne ausdrückliche Vereinbarung die Vertraulichkeit der im Betrieb erlangten Informationen wahren. Für eine Geheimhaltung besteht jedoch andererseits kein Anlaß, wenn der Unternehmer die betreffenden Geräte selbst für Dritte frei zugänglich macht. Das ist hier nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht auszuschließen. Der Geheimhaltungspflicht fehlt ferner dann eine Grundlage, wenn auf einem Betriebsgelände aus der Sicht des Unternehmens und seiner Betriebsangehörigen geheimhaltungsbedürftige Informationen nicht zu erwerben sind. Auch hier können Treu und Glauben eine vertrauliche Behandlung nicht gebieten. Auch für die Entscheidung dieser Frage fehlen bislang ausreichende tatsächliche Feststellungen. Ob danach für das hier in Frage stehende Gelände der S. AG und deren dort tätige Mitarbeiter eine aus der Zugehörigkeit zum Betrieb abzuleitende Geheimhaltungsverpflichtung besteht, ist ohne weitere tatsächliche Aufklärung nicht abschließend zu beurteilen.
e)Eine ausreichende tatsächliche Grundlage fehlt derzeit auch für die Annahme des Berufungsgerichts, die Besichtigung des Werksgeländes der S. AG durch die in größeren Gruppen angereisten Besuchergruppen habe die in der dort aufgestellten Vorrichtung verkörperten Informationen der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht.
Daß von diesen, überwiegend mit Bussen angereisten Besuchern der Abschluß einer Geheimhaltungsverpflichtung verlangt wurde, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Aus anderen Gründen kann derzeit eine Zugänglichkeit der in der aufgestellten Vorrichtung verkörperten Informationen für die Öffentlichkeit nicht endgültig ausgeschlossen werden.
Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts, daß es an der Zugänglichkeit auch-dann fehlt, wenn der Öffentlichkeit zwar die Benutzung der erfindungsgemäßen Lehre zugänglich ist, sie das für Erkennen und Verstehen erforderliche Wissen über diese Benutzung nicht erwerben kann. Bei der Zugänglichkeit sind zwei Stufen zu unterscheiden: die Zugänglichkeit der Informationsquelle und die Zugänglichkeit der Informationen, die sich aus dieser Quelle gewinnen lassen (ebenso EPA, Entsch. v. 17.8.1994, T 952/91, ABl. 1995, 755 - Vorbenutzung, für das europäische Patentrecht). Das Wissen von der Existenz einer Vorrichtung macht die ihr zugrundeliegende technische Lehre der Fachwelt nicht in jedem Fall zugänglich. Eine Zugriffsmöglichkeit auf sie wird vielmehr erst dann eröffnet, wenn ihr damit zugleich das für ihr Erkennen und Verstehen erforderliche Wissen vermittelt werden kann. Neben der Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Vorrichtung hinaus bedarf es daher auch der Feststellung der Informationen, die sich aus dieser Zugänglichkeit erschließen oder herleiten lassen (ebenso EPA, Entsch. v. 17.8.1994 - T 952/91, ABl. 1995, 755 - Vorbenutzung, für das europäische Patentrecht). Erforderlich ist daher nicht nur, daß die aus der Vorbenutzung ersichtliche Lehre mit der des späteren Schutzrechtes übereinstimmt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 10.7.1988 - X ZR 22/86, GRUR 1988, 755, 756 - Druckguß; siehe auch EPA, Entsch. v. 23.11.1993 - T 830/90, ABl. 1994, 713 - Geheimhaltungsvereinbarung), sondern auch, daß ein hinreichend sachkundiger Betrachter auf diese Weise die benutzte technische Lehre erkennen und verstehen kann (ähnlich für das frühere deutsche Recht BGH, Urt. v. 12.7.1988 - X ZR 22/86, GRUR 1988, 755, 756 - Druckguß; vgl. auch EPA, Entsch. v. 11.10.1994 - T 1085/92). Das setzt die Möglichkeit einer Kenntnisnahme voraus, die ihm auch diese Informationen vermittelt. An einer Offenkundigkeit fehlt es daher, wenn bei der jeweils möglichen Betrachtung die erfindungswesentlichen Merkmale nicht augenfällig und der mit ihnen erfolgte Zweck nicht ersichtlich werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß dies bei einer bloß aus größerer Entfernung möglichen und kurzzeitigen Betrachtung der beiden Vorrichtungen nicht gewährleistet ist, ist daher als solche aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen jedoch keine abschließende Bewertung der Frage zu, ob der vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Abstand von mindestens 3 m, in dem die Besuchergruppen nach seiner Würdigung der Beweisaufnahme an der Maschine vorbeigeführt worden sind, eine Kenntnisnahme der zum Verstehen erforderlichen technischen Einzelheiten ausschloß. Angaben zu den Größenverhältnissen sind dem angefochtenen Urteil ebensowenig zu entnehmen wie zur Arbeitsgeschwindigkeit der Vorrichtung. Die Darstellung in den Schutzansprüchen und der Gebrauchsmusteranmeldung beschränkt sich auf das technische Prinzip. Bei diesem Sach- und Streitstand kann daher im Revisionsverfahren nicht davon ausgegangen werden, daß - wofür nach den Angaben in der Anmeldung allerdings manches spricht - Größe und Arbeitsgeschwindigkeit nur bei genauer Betrachtung aus der Nähe die für das Erkennen und Verstehen der erfindungsgemäßen Lehre erforderlichen Kenntnisse vermitteln.