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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 23.02.1988, Az.: X ZR 93/85

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt die Nichtigerklärung des Patents 2 335 167 der Beklagten, das eine Maschine zum Ausstreuen von körnigem Material (Düngerstreuer) betrifft.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Lehre des Streitpatents sei mangels Neuheit, technischen Fortschritts und erfinderischer Leistung nicht patentfähig. Die Beschreibungsteile der Streitpatentschrift, die sich nur auf einen einzigen Prallkörper bezögen, seien außerdem vom Anspruch 1 nicht gedeckt und daher zu streichen. Die Klägerin hat beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären, hilfsweise in der Beschreibung den in Spalte 2 Zeile 52 mit »Hierdurch (von der weiteren Darstellung wird abgesehen)« beginnenden Satz ersatzlos zu streichen.

Das Bundespatentgericht hat die Klage mit der Maßgabe abgewiesen, daß in der Beschreibung der Patentschrift in Spalte 2 der in der Zeile 52 beginnende Satz »Hierdurch (von der weiteren Darstellung wird abgesehen) durchzuführen« gestrichen wird.

Die Berufung der Beklagten führte zur Klageabweisung in vollem Umfang.

Entscheidungsgründe

I.Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Das Bundespatentgericht hat zwar nach dem Wortlaut der Entscheidungsformel die gegen die Beklagte gerichtete Nichtigkeitsklage abgewiesen. Es hat jedoch die Streitpatentschrift durch Streichung eines Satzes »zur Klarstellung des geschützten Gegenstandes« geändert und ausgeführt, Gegenstand des Patentschutzes sei nach der Anspruchsfassung »nur« eine Streumaschine mit je zwei hintereinander angeordneten Prallkörpern. Damit stünden Teile der Beschreibung, in denen nur von »je einem Prallkörper pro Austrittsöffnung« die Rede sei, in Widerspruch; die Steuerung des Materialluftstromes mit nur einem Prallkörper je Austrittsöffnung sei mit der Lehre des Patentanspruchs 1 unvereinbar. Das Bundespatentgericht hat den nach seiner Ansicht sinnwidrigen und widersprüchlichen Teil der Beschreibung gestrichen, um der Beklagten die Möglichkeit zu nehmen, sich bei einer Auslegung des Patentanspruchs 1 auf diese Beschreibungsstelle zu stützen. Das verkürzt die Rechte der Beklagten aus ihrem Patent und beschwert diese.

II. - IV. (von der weiteren Darstellung wird abgesehen)

V.Die Berufung der Beklagten ist begründet.

Das Bundespatentgericht hat, wie es in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, »zur Klarstellung des« im Streitpatent »geschützten Gegenstandes« einen Teil der Beschreibung gestrichen. Obwohl es an einer gesetzlichen Grundlage hierfür fehlt, hat die Rechtsprechung seit langem im Nichtigkeitsverfahren selbst dann Klarstellungen der Patentansprüche vorgenommen, wenn es an gesetzlichen Gründen für eine Teil-Nichtigerklärung des Patents mangelte. Sie wollte damit dem »Bedürfnis des Rechtsverkehrs nach klar gefaßten Schutzrechten und Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten infolge unzulänglicher Patentansprüche Rechnung tragen«, wie es das Reichsgericht einmal ausgedrückt hat (RGZ 170, 346, 357 - Graviermaschine). Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Praxis zunächst angeschlossen (siehe die Nachweise bei Liedel, Das deutsche Nichtigkeitsverfahren, 1979, S. 153 ff.). Der erkennende Senat hat aber schon seit Jahren keine »Klarstellungen« von Patentansprüchen mehr vorgenommen, wenn die Nichtigkeitsklage unbegründet war. Er gibt diese ohne gesetzliche Grundlage eingeführte und zunächst aufrechterhaltene Praxis nunmehr auf.

Abgesehen davon, daß ein Bedürfnis zur Klarstellung unzulänglicher Patentansprüche es nicht rechtfertigen kann, im Nichtigkeitsverfahren vom Gesetz nicht vorgesehene Entscheidungen zu treffen, haben die ohne gesicherte Rechtsgrundlage vorgenommenen Klarstellungen zu Mißhelligkeiten geführt, die nicht länger als tragbar hingenommen werden können. Einmal ist schon die Frage, ob die Berufung des Nichtigkeitsbeklagten gegen ein die »Klarstellung« aussprechendes Urteil als zulässig anzusehen ist, im Einzelfall schwierig zu beurteilen, da die hierfür maßgeblichen Kriterien nicht hinreichend gesichert sind. Sodann ist es ungerechtfertigt, im Nichtigkeitsverfahren eine Entscheidung zu treffen, von der in der Literatur gesagt wird, sie könne allein nicht Ziel einer Nichtigkeitsklage sein (Benkard, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz, 7. Aufl. 1981, § 22 Rdn. 59 a. E.; Schulte, Patentgesetz 4. Aufl. § 21 Rdn. 35). Es erscheint auch nicht gerechtfertigt, einen beklagten Patentinhaber, der mit seinem Klageabweisungsbegehren Erfolg hat, weil sich die Klage gegen sein Patent als unbegründet erweist - wie im vorliegenden Falle -, mit einem Teil der Kosten zu belasten, nur weil das angegriffene Patent durch Streichung eines Beschreibungsteils wegen eines öffentlichen Bedürfnisses »klargestellt« wird. Zudem verwischt die »Klarstellung« die Grenzen der Voraussetzungen einer Teilnichtigerklärung, die nur möglich ist, wenn wegen eines Teils des Patentgegenstandes ein Nichtigkeitsgrund vorliegt. Ferner führen Klarstellungen, gleichgültig ob sie sich auf die Ansprüche oder - wie hier - auf sonstige Teile der Patentschrift beziehen, zu Eingriffen der Nichtigkeitsinstanzen in die allein den ordentlichen Gerichten übertragene Aufgabe, in dem dazu gesetzlich vorgesehenen Verfahren über den Schutzumfang des Patents zu entscheiden. Das Bundespatentgericht hat dem für Klagen aus Patentverletzungen zuständigen Gericht keinen Hinweis für eine Auslegung des Streitpatents geben wollen; es hat dieses Gericht dann aber gleichwohl, ohne die im Verletzungsprozeß angegriffene Ausführungsform festgestellt zu haben, durch Streichung eines Teils der Beschreibung, die ein wesentliches Mittel für die Auslegung in bezug auf seinen Schutzumfang bildet, binden wollen. Eine zutreffende Auslegung des Patents ist in der Regel aber nur möglich, wenn zuvor die angegriffene Ausführung festgestellt wird.

Schließlich verführt die »Klarstellung« dazu, undefinierte Beurteilungskriterien, wie »Widerspruch zum Patentgegenstand« oder »Unvereinbarkeit mit dem Patentanspruch« heranzuziehen und auf Grund derartiger Kriterien, die im Gesetz keine Stütze finden, das Recht des Patentinhabers aus seinem Patent, das sich erst bei der Auslegung der Patentansprüche voll entfaltet, zu schmälern. Der Gesetzgeber hat dieses Recht des Patentinhabers dadurch garantiert, daß er die vollständige oder teilweise Beseitigung der Rechte des Patentinhabers durch die Nichtigerklärung des Patents nur bei Vorliegen besonders genannter Nichtigkeitsgründe vorgesehen hat, nicht aber bei Vorliegen anderer Gründe, z. B. Mängel des Erteilungsverfahrens. Mögen die Vorschriften über sonstige Erfordernisse der Anmeldung gemäß § 35 Abs. 4 PatG auch beispielsweise vorsehen, daß in die Beschreibung keine Angaben aufzunehmen sind, die zur Erläuterung der Erfindung offensichtlich nicht notwendig sind (§ 5 Abs. 3 Satz 1 PatAnmVO), so rechtfertigt ein Verstoß hiergegen doch weder eine Teilnichtigerklärung noch eine die Rechte des Patentinhabers schmälernde »Klarstellung« in der Patentschrift durch Streichung einer Passage in der Beschreibung der Erfindung. Die Kompetenzen im Patenterteilungsverfahren, im Nichtigkeitsverfahren und im Verletzungsprozeß sind klar gegeneinander abgegrenzt. Im Erteilungsverfahren ist für Patentansprüche zu sorgen, die die unter Schutz gestellte Erfindung klar und deutlich umschreiben. Das Gesetz gibt den Nichtigkeitsinstanzen nicht die Befugnis, in dieser Hinsicht nachzubessern, wenn keine Nichtigkeitsgründe vorliegen; nur wenn Nichtigkeitsgründe vorliegen, ist das Patent auf Antrag ganz oder teilweise für nichtig zu erklären. Weder im Erteilungs - noch im Nichtigkeitsverfahren ist jedoch darüber zu befinden, ob eine als Verletzung beanstandete Ausführungsform eines Dritten unter das Patent fällt. Darüber notfalls durch Auslegung der Patentansprüche zu entscheiden, ist allein Sache des Verletzungsrichters. Da »Klarstellungen« im Nichtigkeitsverfahren diese eindeutige Kompetenzverteilung zu verwischen drohen, werden sie nunmehr als mit dem Gesetz unvereinbar aufgegeben. Sie sind auch nicht erforderlich. Lassen es die Patentansprüche auf den ersten Blick an der im Interesse der Rechtssicherheit wünschenswerten Klarheit (Eindeutigkeit) fehlen, dann genügt es, wenn sich die Nichtigkeitsinstanzen ein solches Bild vom Patentgegenstand verschaffen, das ihnen die Prüfung der Frage möglich macht, ob in bezug auf den Patentgegenstand ein vom Kläger geltend gemachter Nichtigkeitsgrund vorliegt oder nicht. Ist dazu eine Auslegung der im Patentanspruch verwendeten Worte anhand des Gesamtinhalts der Patentschrift im Lichte des Verständnisses der Fachleute durchschnittlichen Könnens erforderlich, reicht es aus, das Auslegungsergebnis und die Gesichtspunkte, auf Grund deren es gewonnen wurde, in den Gründen der zu treffenden Entscheidung festzuhalten. Im Falle der Klageabweisung, um den es hier allein geht, sind zwar die Urteilsgründe für den Verletzungsrichter nicht bindend (Sen.Urt. v. 26. Januar 1988 - X ZR 6/87 - Betonstahlmattenwender, zur Veröffentlichung vorgesehen); sie können ihm jedoch eine wertvolle Hilfe bei der Beurteilung der Frage vermitteln, ob eine als Verletzung beanstandete Ausführung von der im Patent unter Schutz gestellten Lehre Gebrauch macht oder nicht. Ist das Auslegungsergebnis in den Urteilsgründen überzeugend begründet, so wird das seinen Eindruck beim Verletzungsrichter nicht verfehlen; ist das jedoch nicht der Fall, so verdient es das Auslegungsergebnis auch nicht, dem Verletzungsrichter im Wege der »Klarstellung« bindend vorgeschrieben zu werden. Daraus folgt, daß die Nichtigkeitsinstanzen nicht befugt sind, die Verletzungsgerichte im Falle der Abweisung der Nichtigkeitsklage an ihr Verständnis des Patentgegenstandes zu binden und die Verletzungsgerichte, was die Beurteilung des Schutzumfanges des betreffenden Patents angeht, zu präjudizieren. Für die vom Bundespatentgericht vorgenommene Klarstellung fehlt es demnach an einer sie rechtfertigenden Rechtsgrundlage.