Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 09.10.1990, Az.: XI ZR 200/89
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die vom Beklagten aus einer Grundschuld mit Unterwerfungsklausel betriebene Zwangsvollstreckung. Der Vollstreckungsgegenklage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Als Sicherheit für ein aufzunehmendes Sparkassendarlehen seiner Tochter und ihres damaligen Lebensgefährten P. bestellte der Kläger im Juni 1985 für die Sparkasse eine Buchgrundschuld über 250.000 DM. Die Sparkasse bewilligte ein Darlehen über 190.000 DM erst, als der Beklagte als weitere Sicherheit eine selbstschuldnerische Bürgschaft in gleicher Höhe übernahm. Anders als die Bürgschaftserklärung des Beklagten enthält die am gleichen Tage zwischen der Sparkasse und dem Kläger getroffene Formularvereinbarung über die Zweckbestimmung der Grundschuld maschinenschriftlich folgende "Zusatzvereinbarung":
"Für den Fall, daà die Sparkasse den Bürgen dieses Darlehens ... in Anspruch nimmt, erkläre ich mich schon heute damit einverstanden, die umseitig genannte Buchgrundschuld auf den Bürgen in Höhe des gesetzlichen Forderungsübergangs zu übertragen (Abtretung der Buchgrundschuld in grundbuchamtlich vollziehbarer Form)."
Das Darlehen wurde von den Schuldnern nicht zurückgezahlt Die Sparkasse nahm deshalb den Beklagten als Bürgen in Anspruch und trat ihm nach Zahlung von 190.179,96 DM die Buchgrundschuld in Höhe eines Teilbetrages von 190.000 DM ab.
Den anderen - nicht valutierten - Grundschuldteilbetrag von 60.000 DM hatte die Sparkasse bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgrund eines Auftrags, den der Kläger auf Veranlassung von P. erteilt hatte, an den Beklagten abgetreten. Dieser Teilbetrag sichert ein Darlehen des Beklagten an P. über 60.000 DM, das dieser ebenfalls nicht zurückgezahlt hat.
Der Kläger macht geltend, die vorn Beklagten aus beiden Grundschuldteilbeträgen betriebene Zwangsvollstreckung sei unzulässig. Den Auftrag zur Abtretung des Teilbetrages über 60.000 DM habe er nur erteilt, weil der Beklagte seine Frage nach dem Lebenswandel von P. bewuÃt falsch beantwortet habe. Dem Grundschuldteilbetrag über 190.000 DM liege eine Forderung nicht mehr zugrunde. Aus seiner Inanspruchnahme als Bürge habe der Beklagte keine Ausgleichsforderung gegen ihn.
Das Landgericht hat die Vollstreckungsgegenklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr in Höhe von 155.000 DM stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die AnschluÃrevision des Klägers hat der Senat nicht angenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts.
I.1. In Höhe eines Teilbetrages von 60.000 DM hat das Berufungsgericht der Vollstreckungsgegenklage mit der Begründung stattgegeben, der Kläger könne dem Beklagten insoweit einen Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluà entgegenhalten. Der Beklagte habe bei Abschluà des Vertrages über die Abtretung der Grundschuld in Höhe von 60.000 DM seine Aufklärungspflicht verletzt. Er habe den Kläger ungefragt über die schlechten Vermögensverhältnisse P. und die mit der Gewährung des Sparkassendarlehens über 190.000 DM eingetretene negative Entwicklung der finanziellen Verhältnisse informieren müssen.
2. Diese Beurteilung hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Gläubiger grundsätzlich nicht verpflichtet, ungefragt den künftigen Bürgen über den Umfang seines Risikos oder die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners zu unterrichten. Weil das Risiko, aus einer Bürgschaft ohne Gegenleistung des Gläubigers in Anspruch genommen zu werden, allgemein bekannt und es zudem durch die Schriftform offengelegt ist, kann der Gläubiger davon ausgehen, daà der Bürge sich über die Wahrscheinlichkeit, in Anspruch genommen zu werden, ausreichend informiert hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur für den Fall anerkannt, daà der Gläubiger durch sein Verhalten erkennbar einen Irrtum des Bürgen über dessen erhöhtes Risiko veranlaÃt hatte (BGH, Urteil vom 7. Mai 1987 - IX ZR 198/85, WM 1987, 853, 857; BGH, Urteil vom 22. Oktober 1987 - IX ZR 267/86, WM 1987, 1481, 1483; BGH, Urteil vom 16. März 1989 - IX ZR 171/88, WM 1989, 667, 668).
Entsprechendes muà angesichts vergleichbarer Interessenlage für den Grundstückseigentümer gelten, der eine Grundschuld zur Sicherung von Ansprüchen gegen einen Dritten bestellt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1987 - IX ZR 198/85, WM 1987, 853, 857 f.) oder - wie hier - den Auftrag zur Abtretung einer bisher nicht valutierten Grundschuld zur Sicherung solcher Ansprüche erteilt. Das gilt besonders, wenn der Schuldner - wie hier - der Lebensgefährte der Tochter des Grundstückseigentümers ist und der Abtretungsauftrag an den bisherigen Grundschuldinhaber nicht auf Veranlassung des Gläubigers, sondern des Schuldners erfolgt. Der Grundstückseigentümer kann insbesondere in einem solchen Fall grundsätzlich nicht erwarten, über den Umfang seines Risikos oder die finanziellen Verhältnisse des Schuldners vom Gläubiger ohne Nachfrage unterrichtet zu werden. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Aufklärungspflichtverletzung bejaht hat, ist deshalb nicht tragfähig.
b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine Verpflichtung des Beklagten, ihn über die schlechten finanziellen Verhältnisse P. zu informieren, auch nicht durch seine Frage nach dem Lebenswandel des P. begründet worden. Die an den Beklagten gerichtete Frage hatte keinen für ihn erkennbaren Bezug zur Abtretung der Grundschuld. Bei seiner Vernehmung als Partei hat der Kläger ausgesagt, er habe mit dem Beklagten "nur im Zusammenhang mit dem angeblichen Lebenswandel des Herrn P. telefoniert, nicht aber wegen der Grundschuldabtretung". Danach hat der Kläger zwischen seiner Frage und der Grundschuldabtretung selbst keinen Zusammenhang hergestellt, sondern war an dem Lebenswandel des P. offenbar, jedenfalls durfte der Beklagte das annehmen, deshalb interessiert, weil P. der Lebensgefährte seiner Tochter war. Der Beklagte war daher nicht verpflichtet, den Kläger auf dessen Frage nach dem Lebenswandel des P. über das mit der Grundschuldabtretung verbundene Risiko oder die schlechten Vermögensverhältnisse P. aufzuklären.
Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus Verschulden bei Vertragsschluà besteht daher nicht.
II.1. Die Zwangsvollstreckung des Beklagten aus der Grundschuld über 190.000 DM hat das Berufungsgericht in Höhe von 95.000 DM für unzulässig erachtet. Dazu hat es ausgeführt: Zwischen dem Beklagten als Bürgen und dem Kläger als dinglichem Sicherungsgeber für das Sparkassendarlehen bestehe entsprechend §§ 774 Abs. 2, 426 BGB ein Ausgleichsverhältnis. Da eine andere Bestimmung über den Haftungsausgleich im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BGB nicht ersichtlich sei, sei von einer gleichwertigen Haftung der Parteien auszugehen. Die Ausgleichspflicht nach Einlösung der Bürgschaft durch den Beklagten bestehe daher in Höhe von 50 %.
2. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg. Der Beklagte kann vom Kläger vollen Ausgleich verlangen.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Er entspricht im wesentlichen der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Nach dem Urteil des IX. Zivilsenats vom 29. Juni 1989 (BGHZ 108, 179, 186) besteht zwischen mehreren auf gleicher Stufe stehenden Sicherungsgebern im Falle der Inanspruchnahme eines von ihnen bei Fehlen einer zwischen ihnen getroffenen besonderen Vereinbarung eine Ausgleichsverpflichtung entsprechend den Regeln über die Gesamtschuld (§ 426 Abs. 1 BGB). Die Entscheidung hat im Schrifttum insoweit weitgehend Zustimmung gefunden (Palandt/Thomas, BGB, 49. Aufl., § 774 Anm. 2 g; Bayer/Wandt ZIP 1989, 1047; Rehbein WuB I F a.-25.89; Tiedtke EWiR § 426 BGB 2/1989, 863; ZIP 1990, 413, 425 und WM 1990, 1270, 1274, seine Kritik richtet sich gegen andere Punkte der Entscheidung). Auch der erkennende Senat schlieÃt sich dem Urteil an. Die Kritik von Bülow WM 1989, 1877, 1880 f., der grundsätzlich einen vollen RegreÃanspruch des zuerst Leistenden befürwortet, vermag nicht zu überzeugen. Sie führt zu Zufallsergebnissen und widerspricht dem Grundsatz ausgleichender Gerechtigkeit.
b) Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, daà die Parteien als Sicherungsgeber vorliegend nicht auf gleicher Stufe stehen. Es hat, wie die Revision zu Recht rügt, die Zusatzvereinbarung in der Vereinbarung über die Zweckbestimmung der Grundschuld unberücksichtigt gelassen. Darin hat sich der Kläger als dinglicher Sicherungsgeber für den Fall der Inanspruchnahme des Beklagten als Bürgen mit der Abtretung der Grundschuld an ihn in Höhe des gesetzlichen Forderungsübergangs einverstanden erklärt. Die vom Berufungsgericht unterlassene Auslegung der Zusatzvereinbarung, die der Senat selbst vornehmen kann (BGHZ 65, 107, 112 [BGH 25.09.1975 - VII ZR 179/73] m.w.N.), ergibt eine vertragliche Privilegierung des Beklagten. Er soll im Falle der Einlösung der Bürgschaft in Höhe der nach § 774 BGB auf ihn übergegangenen Darlehensforderung der Sparkasse nicht nur gegen die Hauptschuldner, sondern auch gegen den Kläger Rückgriff nehmen können. Im Verhältnis der Parteien soll letztlich der Kläger für die Darlehensschuld seiner Tochter und ihres Lebensgefährten einzustehen haben.
Das folgt aus dem Sinn und Zweck der Zusatzvereinbarung unter Berücksichtigung der Interessenlage und der maÃgeblichen Umstände des Falles. Der Beklagte hat die Bürgschaft in Kenntnis der bereits erfolgten Grundschuldbestellung nur übernommen, weil der Sparkasse die Grundschuld des Klägers als Sicherheit nicht ausreichte. Hinzu kommt, daà die am gleichen Tage wie die Zusatzvereinbarung unterzeichnete Bürgschaft keine Erklärung des Beklagten enthält, er sei für den Fall der Inanspruchnahme des Klägers aus der Grundschuld mit der Abtretung der Darlehensforderung und dem Ãbergang der Bürgschaftsansprüche der Sparkasse auf diesen einverstanden.
Gegen eine im Verhältnis zum Beklagten vorrangige Haftung des Klägers spricht entgegen dessen Ansicht nicht, daà der Sparkassenangestellte B. den Kläger nach den vom Berufungsgericht in anderem Zusammenhang getroffenen Feststellungen über die Folgen einer Inanspruchnahme des Beklagten als Bürgen rechtlich unzutreffend dahin belehrt hat, die Grundschuld gehe kraft Gesetzes auf den Beklagten über. Wenn der Kläger sich im Anschluà an diese Belehrung, wie geschehen, durch Unterzeichnung der Zusatzvereinbarung mit der Abtretung der Grundschuld an den Beklagten einverstanden erklärt hat, so hat er damit den vollen Rückgriff des Beklagten und seine eigene vorrangige Haftung akzeptiert. Ob die Erklärung des Klägers auf einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum beruht, ist ohne Belang, da es an einer Anfechtungserklärung des Klägers gegenüber der Sparkasse fehlt. Diese Erklärung kann auch nicht mehr fristgerecht erfolgen (§ 121 Abs. 1 BGB). Ausweislich der Revisionserwiderung vom 2. Januar 1990 ist dem Kläger die Unrichtigkeit der Belehrung des Sparkassenangestellten B. seit Monaten bekannt. Anders als der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemeint hat, war es deshalb auch aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht geboten, ihm durch Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache Gelegenheit zu geben, die Anfechtung der vom Berufungsgericht unberücksichtigt gelassenen Zusatzvereinbarung nachzuholen.
Daà die Zusatzvereinbarung nicht zwischen den Parteien, sondern zwischen der Sparkasse und dem Kläger getroffen worden ist, ist entgegen der Ansicht des Klägers ebenfalls ohne Belang. Es kommt auch nicht darauf an, ob es sich bei der Zusatzvereinbarung um einen echten Vertrag zugunsten des Beklagten handelt. Ein Rangverhältnis zwischen zwei Sicherungsgebern kann durch eine einfache Vereinbarung zwischen einem von ihnen und dem Sicherungsnehmer geschaffen werden (vgl. BGHZ 88, 185, 188 [BGH 14.07.1983 - IX ZR 40/82]; BGH, Urteil vom 23. Juni 1982 - VIII ZR 333/80, WM 1982, 842, 844).
III.Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, war das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.