Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 29.05.1990, Az.: XI ZR 231/89
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 9. November 1988 aufgehoben und das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 3. Dezember 1987 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 54.608 DM nebst 7% Zinsen seit dem 21. August 1987 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte (Bank) gewährte dem Kläger am 30. September 1982 ein Darlehen von 1.000.000 DM mit einer Zinsfestschreibung auf 10 Jahre. Der Auszahlungskurs betrug 91%, der Nominalzins 7,5%, die jährliche Tilgung 2%. Am 27. Februar 1985 erhielt der Kläger von der Beklagten ein weiteres Darlehen von 510.000 DM. Bei einer Zinsfestschreibung auf 5 Jahre betrug der Auszahlungskurs 98%, der Nominalzins 7,5%, die jährliche Tilgung 1%. Der zweite Darlehensvertrag enthielt die Formularbestimmung: "Bei einem vereinbarten Disagio handelt es sich um Kapitalbeschaffungskosten, die bei einer vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens nicht zurückverlangt werden können".
Ende April/Anfang Mai 1987 kam es zwischen den Parteien zu Verhandlungen, bei denen der Kläger sich auf sein Kündigungsrecht nach § 247 BGB a.F. berief. Im übrigen sind Verhandlungsverlauf und -ergebnis streitig: Der Kläger behauptet, er habe die Kündigung der laufenden Darlehensverträge erklärt, der Vertreter der Beklagten habe die Kündigung angenommen, ohne auf Einhaltung einer Kündigungsfrist zu bestehen; zur Ablösung der Restschuld seien zwei neue Darlehensverträge mit günstigeren Bedingungen geschlossen worden. Die Beklagte behauptet dagegen, es sei - ohne Kündigung - nur eine Konditionenänderung vereinbart worden. Unstreitig unterzeichneten die Parteien am 5./11. Mai 1987 unter den bisherigen Darlehenskontonummern zwei neue Vertragsformulare über Darlehen von 1.000.000 DM und 499.104,92 DM; der Auszahlungskurs betrug 100%, der Nominalzins 6,5%.
Mit seiner Klage hat der Kläger 54.608 DM als anteilige Rückzahlung des in den beiden Ursprungsverträgen vereinbarten Auszahlungsverlustes verlangt, weil das Disagio eine verschleierte Zinszahlung darstelle. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Danach hat der Kläger die Darlehensverträge mit Schreiben vom 16. Dezember 1987 gemäß § 247 BGB a.F. zum 30. Juni 1988 gekündigt und am 14. Juli 1988 die von der Beklagten berechnete Restschuld bezahlt, jedoch weiter Rückzahlung des anteiligen Disagios verlangt. Seine Berufung gegen die Klageabweisung ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Verurteilung der Beklagten gemäß dem Klageantrag.
I.Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt: Der Klageanspruch auf anteilige Erstattung der Auszahlungsverluste finde in § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alternative BGB keine Grundlage. Rechtsgrund der Leistung des Klägers seien die Darlehensvereinbarungen von 1982 und 1985. Die damals geschlossenen Verträge seien im Mai 1987 nicht durch Kündigung beendet, sondern nur modifiziert worden. Im übrigen habe es sich bei den Auszahlungsverlusten ohnehin nicht um laufzeitabhängige Leistungen gehandelt, sondern um laufzeitunabhängige Kapitalbeschaffungskosten, die bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens nicht zurückverlangt werden könnten. Das ergebe sich beim Darlehensvertrag vom 27. Februar 1985 schon aus seinem Wortlaut. Beim Vertrag vom 30. September 1982 führe dessen Auslegung zum gleichen Ergebnis: Es fehlten Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei dem vereinbarten Disagio in Wirklichkeit um laufzeitabhängige Zinsen habe handeln sollen. Dagegen spreche, daß der Vertrag keine sonstigen Nebenkosten ausweise. Der Kläger habe den vollen Darlehensnennbetrag zurückzahlen sollen, eine Ermäßigung für den Fall vorzeitiger Kündigung sei nicht vorgesehen. Auch der Höhe nach liege ein Disagio von 9% noch im Bereich des Üblichen. Der Kläger habe nach seinem eigenen Vorbringen bei Vertragsschluß zwischen verschiedenen Vertragsgestaltungen wählen können. Er sei offensichtlich wegen der steuerlichen Abzugsmöglichkeiten oder der geringeren laufenden Belastung daran interessiert gewesen, das Disagio den einmaligen Nebenkosten zuzuordnen.
II.1. Zu Recht wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, bei den vereinbarten Auszahlungsverlusten handele es sich um laufzeitunabhängige Nebenkosten, die der Beklagten als Darlehensgeberin selbst bei vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses verbleiben müßten.
a) Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung auf die frühere Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Urteile BGHZ 81, 124 und vom 2. Juli 1981 - III ZR 17/80 = NJW 1981, 2181; vgl. ferner Urteile vom 21. Februar 1985 - III ZR 207/83 = WM 1985, 686, 687 zu II 2 b und vom 12. Dezember 1985 - III ZR 184/84 = WM 1986, 156, 157 zu 4 b bb).
Danach läßt sich ein Disagio nicht generell den (laufzeitunabhängigen) Darlehensnebenkosten oder den (laufzeitabhängigen) Zinsen zuordnen; es liegt vielmehr im Ermessen der Parteien, wie sie im Rahmen der Vertragsgestaltungsfreiheit das Disagio einstufen und die rechtliche Behandlung bei vorzeitiger Vertragsbeendigung regeln wollen; im Wege der Auslegung ist ihr Wille im Einzelfall zu erforschen (BGHZ 81, 126 f. [BGH 02.07.1981 - III ZR 8/80]).
Dieser Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden; insoweit folgt auch der erkennende Senat der bisherigen Rechtsprechung.
b) Nicht zu billigen ist dagegen eine Vertragsauslegung, nach der ein Disagio im Regelfall dem Darlehensgeber unabhängig von Laufzeit und Durchführung des Vertrags endgültig verbleiben soll, wenn die Vereinbarungen keine ausdrückliche Rückzahlungsregelung für den Fall vorzeitiger Vertragsbeendigung enthalten und das Disagio der Höhe nach die - bei etwa 10% anzusetzende (vgl. Littmann/Wolff-Diepenbrock Einkommensteuerrecht 14. Aufl. § 9 EStG Rdn. 200 Stichwort: Damnum Anm. 5) - Grenze des Marktüblichen nicht überschreitet.
Eine solche Auslegungsregel wird den wirtschaftlichen Gegebenheiten und den Interessen der Beteiligten, insbesond