Bundesgerichtshof
Entscheidung vom 16.07.2014, Az.: 2 StR 495/12
Tenor
Auf den Anfragebeschluss des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014 - 2 StR 495/12 - erklärt der Senat, dass er an seiner Rechtsprechung zur ungleichartigen Wahlfeststellung festhält.
Entscheidungsgründe
Die vom Gesetzgeber bewusst der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassene (vgl. BT-Drucks. I/3713 S. 19) höchstrichterlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen (gesetzesalternativen) Wahlfeststellung verstößt nach Ansicht des Senats nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG; er sieht im Anfrageverfahren nach § 132 GVG daher keinen Grund zur Änderung seiner Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. November 2012 - 5 StR 377/12).
1. Der Grundsatz nulla poena sine lege (Art. 103 Abs. 2 GG) wird nicht berührt oder gar verletzt. Durch die ungleichartige Wahlfeststellung werden weder gesetzliche Tatbestandsvoraussetzungen abgeschwächt, noch wird ein neuer Tatbestand konstruiert. Auch auf wahldeutiger Grundlage erfolgt die Verurteilung nur nach den bei der Begehung der Tat bestehenden Straftatbeständen, den in ihnen enthaltenen Merkmalen und Strafandrohungen (vgl. Nüse, GA 1953, 33, 38).
2. Die ungleichartige Wahlfeststellung ist eine prozessuale Entscheidungsregel (vgl. KMR/Stuckenberg, 68. EL, § 261 StPO Rn. 106 und 149; Wolter, GA 2013, 271, 273). Sie wurde ursprünglich von den Vereinigten Strafsenaten des Reichsgerichts für die Verurteilung von Diebstahl oder Hehlerei entwickelt, wobei diese nach zutreffender eigener Einschätzung ausschließlich in das Verfahrensrecht rechtsschöpferisch eingegriffen haben (vgl. RG - Vereinigte Strafsenate - , Beschluss vom 2. Mai 1934 - 1 D 1096/33, RGSt 68, 257, 262).
Sie stellt ihrerseits eine Ausnahme von der Entscheidungsregel "in dubio pro reo" dar (vgl. dazu BVerfG - Kammer, Beschlüsse vom 17. Juli 2007 - 2 BvR 496/07, NStZ-RR 2007, 381, 382, und vom 26. August 2008 - 2 BvR 553/08) und gelangt erst dann zur Anwendung, wenn nach dieser keine eindeutige Tatsachengrundlage zustande kommt, insbesondere keine eindeutige Verurteilung nach einem sachlogischen (vgl. LR/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 129; LK/Dannecker, 12. Aufl., Anh. § 1 Rn. 58, 72 f.) oder aber einem normativethischen Stufenverhältnis (vgl. LK/Dannecker, aaO Rn. 60, 91 f.; LR/Sander, aaO, Rn. 133; BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 - 5 StR 464/09, BGHSt 55, 148, 150 f.; kritisch: KMR/Stuckenberg, aaO, Rn. 116) der Geschehensabläufe erfolgen kann. Ein Freispruch aufgrund doppelter Anwendung des Zweifelssatzes nach je unterschiedlicher Blickrichtung wäre in Fällen, in denen ein strafloses Verhalten des Angeklagten sicher ausscheidet ("tertium non datur"), schlechthin unvereinbar mit unverzichtbaren Geboten der Gerechtigkeit, wonach eine am Gleichheitssatz orientierte, dem Rechtsgüterschutz verpflichtete Ausgestaltung eines effektiven Strafverfahrens zu gewährleisten ist.
Der Senat gibt bei dieser Gelegenheit zu erwägen, ob in Fällen der Gesetzesalternativität nicht schon allein die Anwendung des Zweifelssatzes eine eindeutige Verurteilung nach dem im Einzelfall mildesten Gesetz (vgl. dazu RGSt 69, 369, 373) - hier Verurteilung wegen Diebstahls, nicht aber wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei - ermöglichen und so eine Belastung des Angeklagten mit einem alternativen Schuldspruch vermeiden würde (so schon Dreher, MDR 1970, 369, 371; vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 - 5 StR 464/09 aaO S. 152). Hier wäre naheliegend auch die Konkurrenzfrage mit zu bedenken, die sich gerade im Vorlagefall stellen kann.
3. Die ungleichartige Wahlfeststellung zieht keine Ungenauigkeiten bei der Strafzumessung nach sich. Dass die Strafe dem mildesten Gesetz zu entnehmen ist, führt nicht nur zu einem "quantitativen Strafrahmenvergleich". Denn welches Gesetz das mildeste ist, wird nicht abstrakt nach der gesetzlichen Strafandrohung entschieden. Anzuwenden ist vielmehr das Gesetz, das nach der Lage des konkreten Falls die mildeste Bestrafung zulässt, wobei zu prüfen ist, auf welche Strafe zu erkennen wäre, wenn die eine oder andere strafbare Handlung eindeutig feststünde (vgl. RGSt 69, 369, 373 f.; 70, 281; BGH, Urteile vom 29. Oktober 1958 - 2 StR 375/58, BGHSt 13, 70, 72, und vom 15. Mai 1973 - 4 StR 172/73, BGHSt 25, 182, 186; LR/Sander, aaO, Rn. 165 mwN; LK/Dannecker, aaO, Rn. 160; SK/Wolter, StGB, 8. Aufl., Anh. zu § 55 Rn. 46). Dazu gehört es auch, die alternativen Tatbilder im Hinblick auf die Person des Angeklagten zu beurteilen (vgl. RGSt 69, 369, 374). Unmögliches oder Unzumutbares wird hierbei vom Tatgericht nicht verlangt.