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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 07.03.2012, Az.: XII ZR 25/10

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 2. Senats für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 10. Februar 2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien sind geschiedene Eheleute und streiten über die Abänderung des durch Vergleich festgelegten nachehelichen Unterhalts.

Die Parteien haben zwei gemeinsame Söhne. Der Sohn V. wurde im April 1990 geboren. Seit 1990/1991 lebten die Parteien zusammen. Im September 1991 wurde der Sohn F. geboren. Im März 1996 schlossen die Parteien die Ehe. Nachdem sie sich im November 2001 getrennt hatten, wurde die Ehe auf den im Oktober 2002 zugestellten Scheidungsantrag, rechtskräftig seit Oktober 2003, geschieden. In einem anlässlich der Scheidung geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Kläger zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 250 €.

Der 1951 geborene Kläger ist angestellter Facharzt für Psychiatrie. Er ist seit Juni 2005 wiederverheiratet. Aus der jetzigen Ehe ist eine im Oktober 2008 geborene Tochter hervorgegangen. Die Ehefrau des Klägers ist seit der Geburt der Tochter nicht mehr berufstätig.

Die 1957 geborene Beklagte ist Zahnärztin. Sie war bis zur Geburt des zweiten Sohnes als Angestellte mit einer vollen Stelle bei der Bundeswehr tätig. Seit September 1992 ist sie angestellte Schulzahnärztin mit einer Wochenarbeitszeit von 19,25 Stunden, außerdem ist sie nebenberuflich selbstständig als Gutachterin tätig. Die Söhne der Parteien wohnten bis August 2006 bei der Beklagten, seit September 2006 wohnt der Sohn F. beim Kläger.

Der Kläger hat mit der Klage den Wegfall des Unterhalts ab 1. Januar 2006 geltend gemacht, die Beklagte hat widerklagend eine Erhöhung des Unterhalts verlangt. Die Parteien haben in den Vorinstanzen insbesondere darüber gestritten, ob die Beklagte zur Ausübung einer Vollzeittätigkeit gesundheitlich in der Lage und ob der Unterhalt zu befristen ist. Das Amtsgericht hat der Klage bis August 2006 teilweise stattgegeben, auf die Widerklage aber den Unterhalt ab September 2006 auf zuletzt laufend 432 € Elementarunterhalt und 108 € Altersvorsorgeunterhalt erhöht. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht den Unterhalt von September 2006 bis Dezember 2009 vom Amtsgericht abweichend festgesetzt, es aber überwiegend bei der Erhöhung belassen. Ab 1. Januar 2010 hat das Berufungsgericht den Unterhalt wegfallen lassen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, dass der Unterhalt schon ab Januar 2006 entfallen soll.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 179/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).

Das Berufungsgericht hat den Unterhaltsanspruch teilweise aus § 1573 Abs. 1 (gemeint: Abs. 2) BGB und teilweise aus § 1572 BGB hergeleitet. Nach der über die Arbeitsfähigkeit der Beklagten durchgeführten Beweisaufnahme und danach festgestellter gesundheitlicher Einschränkungen genüge die Beklagte mit der Teilzeittätigkeit und der zusätzlichen Gutachtertätigkeit ihrer Erwerbsobliegenheit.

Bei seiner Einkommens- und Unterhaltsberechnung hat das Berufungsgericht den Unterhalt der jetzigen Ehefrau des Klägers in den Jahren 2006 und 2007 unberücksichtigt gelassen, weil dieser nachrangig sei. Ab Januar 2008 sei die Unterhaltspflicht aufgrund der Gesetzesänderung (§ 1609 BGB) zu berücksichtigen und der Bedarf nach der Dreiteilungsmethode zu bestimmen. Bei dem wiederverheirateten Kläger sei ein "Zusammenlebensvorteil" wegen der Ersparnisse aufgrund gemeinschaftlicher Lebensführung zu berücksichtigen. Der Kindesunterhalt sei ab Volljährigkeit der beiden Söhne aufgrund des zusammengerechneten Einkommens zu ermitteln. Er sei von den Parteien anteilig zu tragen und insoweit - auch wenn nachrangig - vom jeweiligen Einkommen vorweg abzuziehen.

Eine Befristung des Unterhalts auf einen Zeitpunkt vor dem 31. Dezember 2009 komme nicht in Betracht. Zu berücksichtigen sei, dass der Unterhaltsanspruch, soweit er als Krankheitsunterhalt geschuldet werde, bis zum 31. Dezember 2007 nicht habe befristet werden können. Bis zu diesem Zeitpunkt komme auch eine Befristung des Aufstockungsunterhalts nicht in Betracht, weil die Beklagte mit nicht unerheblichen beruflichen Nachteilen die beiden Söhne um der Ehe willen betreut habe. Es spiele keine Rolle, dass die Söhne vor Eingehung der Ehe geboren worden seien, denn durch die Eingehung der Ehe seien die beiden Söhne ehelich geworden, was einen Unterschied zu nicht verheirateten Eltern begründe. Ehebedingte Nachteile lägen auch über den 31. Dezember 2007 hinaus vor, weil die Beklagte wegen der Geburt des zweiten Sohnes ihre Vollzeitstelle bei der Bundeswehr aufgegeben habe. Es liege auch keine Ehe von kurzer Dauer vor. Denn außer der für die Bemessung der Ehedauer maßgeblichen Zeit von der Eheschließung bis zur Zustellung des Scheidungsantrags seien Verflechtungen aus dem vorehelichen Zusammenleben ausnahmsweise dann zu berücksichtigen, wenn sie auf der Betreuung und Erziehung gemeinsamer Kinder beruhten.

Auch für die Zeit der ab 1. Januar 2008 geltenden gesetzlichen Neuregelung komme eine Befristung vor dem 31. Dezember 2009 nicht in Betracht. Ehebedingte Nachteile, die allein auf der Betreuung und Erziehung der beiden Söhne beruhten, ließen sich nach der Beweisaufnahme nicht mehr feststellen. Denn die krankheitsbedingt eingeschränkte Erwerbsfähigkeit der Beklagten sei unabhängig von der ehelichen Rollenverteilung eingetreten. Ohne die Erkrankung hätte die Beklagte die Möglichkeit gehabt, ein ihrer früheren Tätigkeit bei der Bundeswehr entsprechendes Einkommen zu erreichen. Im Rahmen der zu treffenden Billigkeitsentscheidung sei die Ehedauer von rund 6 1/2 Jahren zu berücksichtigen, außerdem seien jedoch auch die "in die Ehezeit reichenden Verflechtungen" aus der Zeit des vorherigen Zusammenlebens mit den gemeinsamen Kindern sowie deren Erziehung und Betreuung zu berücksichtigen.

Das hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Das Berufungsgericht hat den Unterhaltsanspruch, der nach der im vorausgegangenen Vergleich getroffenen Vereinbarung ohne Bindung an die seinerzeitige Unterhaltsregelung festzusetzen ist, teilweise auf § 1572 BGB und teilweise auf (richtig:) § 1573 Abs. 2 BGB gestützt. Das hält den Angriffen der Revision stand.

Der von der Revision erhobene Einwand, das Berufungsgericht habe bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit der Beklagten die von ihr selbst vorgetragenen 350 Überstunden nicht berücksichtigt, verfängt nicht. Denn es ist zu beachten, dass die Überstunden sich nach dem Prozessvortrag der Beklagten über einen längeren Zeitraum von 15 Jahren angesammelt hatten. Des weiteren folgt aus der Tatsache, dass die Beklagte Überstunden leistete, noch nicht zwingend, dass sie aus gesundheitlichen Gründen allgemein zu einer weitergehenden Tätigkeit in der Lage war, als vom sachverständig beratenen Berufungsgericht angenommen worden ist.

2. Das Berufungsgericht hat wegen der weiteren Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner jetzigen Ehefrau den Unterhaltsbedarf nach § 1578 Abs. 1 BGB entsprechend der früheren Senatsrechtsprechung nach der Dreiteilungsmethode berechnet. Der Senat hat diese Rechtsprechung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011 (FamRZ 2011, 836) inzwischen aufgegeben (Senatsurteile vom 7. Dezember 2011 - XII ZR 151/09 - FamRZ 2012, 281 und - XII ZR 159/09 - FamRZ 2012, 292). Die Berücksichtigung der Unterhaltspflicht beim Bedarf hat sich indessen jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers - als Revisionskläger - ausgewirkt. Zwar würde der vom Berufungsgericht bedarfserhöhend zugrunde gelegte Vorteil aus dem Zusammenleben in der neuen Ehe isoliert betrachtet den Kläger benachteiligen. Da die Einbeziehung des Vorteils aber jedenfalls nach der früheren Rechtsprechung des Senats (nur) im Zusammenhang mit der Bedarfsermittlung nach der Dreiteilungsmethode zulässig war und auch die Bedarfsermittlung des Berufungsgerichts im Ergebnis nicht zu einem unzulässigen erhöhten Bedarf der Beklagten aufgrund der Wiederverheiratung des Klägers gelangt ist (vgl. auch Senatsurteil vom 7. Dezember 2011 - XII ZR 151/09 - FamRZ 2012, 281 Rn. 26), ist der Kläger in diesem Punkt nicht beschwert. Zudem hat das Berufungsgericht die (bis Oktober 2008 nachrangige) Unterhaltspflicht hinsichtlich der jetzigen Ehefrau gegenüber der Beklagten zu Unrecht bereits ab Januar 2008 berücksichtigt, was zu einer nicht gerechtfertigten Unterhaltsreduzierung geführt hat (vgl. dazu nunmehr Senatsurteile vom 7. Dezember 2011 - XII ZR 151/09 - FamRZ 2012, 281 und XII ZR 159/09 - FamRZ 2012, 288 sowie Borth FamRZ 2012, 253).

3. Die vom Berufungsgericht zur Befristung des Unterhalts nach § 1578 b Abs. 1, 2 BGB bzw. § 1573 Abs. 5 BGB aF angestellten Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern, die sich im Ergebnis aber nicht auswirken.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen die aus der vorehelichen Kindererziehung hervorgegangenen Verflechtungen der Annahme einer Ehe von kurzer Dauer entgegen. Damit hat das Berufungsgericht ersichtlich die Zeiten der vorehelichen Kinderbetreuung der Ehedauer gleichgestellt. Ferner hat es - wenn auch im Widerspruch zu seiner Betrachtung für die Zeit ab 1. Januar 2008 - die Aufgabe der Vollzeitstelle aus Anlass der Geburt des zweiten Sohnes als fortwirkenden ehebedingten Nachteil angesehen.

a) Die gesetzliche Regelung stellt in § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB darauf ab, inwiefern "durch die Ehe" Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Auch Nachteile gemäß § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB, die infolge der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes entstanden sind, beziehen sich auf "solche Nachteile", also durch die Ehe entstandene Nachteile und zudem auf die Kindererziehung "während der Ehe". Auch wenn damit nicht ausgeschlossen ist, dass noch durch die nacheheliche Kinderbetreuung Nachteile entstehen oder vergrößert werden können, ist jedenfalls eine mehrere Jahre praktizierte voreheliche Kinderbetreuung davon nicht erfasst. Dementsprechend hat der Senat entschieden, dass eine mehrere Jahre vor Eheschließung vollzogene berufliche Veränderung keinen ehebedingten Nachteil begründet, auch wenn diese durch das voreheliche Zusammenleben veranlasst worden war (Senatsurteil vom 6. Oktober 2010 - XII ZR 202/08 - FamRZ 2010, 1971 Rn. 25; BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 39; vgl. auch Senatsurteil vom 2. Februar 2011 -XII ZR 11/09 -FamRZ 2011, 1377 Rn. 20).

Damit steht im Einklang, dass allein das Zusammenleben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung keine rechtlich gesicherte Position begründet. Ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1615 l Abs. 2 Satz 2 BGB beruht allein auf der Kinderbetreuung (vgl. Senatsurteil BGHZ 177, 272 = FamRZ 2008, 1739 Rn. 32 f.), während ein über die Kindesbetreuung hinausgehender Unterhalt selbst dann nicht geschuldet ist, wenn dem Elternteil durch die Betreuung bleibende Nachteile entstanden sind. Die spätere Eheschließung wirkt nicht auf die Zeit des vorherigen Zusammenlebens und der Betreuung gemeinschaftlicher Kinder zurück. Soweit die Revisionserwiderung darauf hinweist, dass sich der Anspruch aus § 1615 l BGB auch aus elternbezogenen Gründen verlängern kann, gilt dies nur im Rahmen der fortbestehenden Kinderbetreuung, ohne einen darüber hinausgehenden Unterhaltsanspruch begründen zu können.

b) Ein ehebedingter Nachteil kann sich allerdings aus der Fortsetzung der Kinderbetreuung nach der Eheschließung ergeben, soweit ein Ehegatte mit Rücksicht auf die Ehe und die übernommene oder fortgeführte Rollenverteilung auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Ein Nachteil entsteht dem Ehegatten in diesem Fall dann, wenn er bei Eheschließung aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe keine (weitergehende) Erwerbstätigkeit aufnimmt und ihm dadurch eine dauerhafte Einkommenseinbuße entsteht.

c) Die Zeit der vorehelichen Kinderbetreuung und -erziehung kann aus denselben Gründen auch nicht der Ehedauer zugeschlagen werden. Denn eine über den Unterhalt nach § 1615 l BGB hinausgehende Rechtsposition wird erst durch die Eheschließung begründet. Da diese nicht auf den Beginn des Zusammenlebens oder der Betreuung gemeinsamer Kinder zurückwirkt, ist auch insoweit eine geraume Zeit vor Eheschließung aufgenommene Kinderbetreuung und -erziehung nicht zu berücksichtigen.

d) Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht einen ehebedingten Nachteil nur in Bezug auf die Zeit bis Dezember 2007 angenommen, während es für die Zeit ab Januar 2008 davon ausgegangen ist, dass sich ehebedingte Nachteile "nicht mehr feststellen" ließen. Dies hat es damit begründet, dass die Beklagte nach den Feststellungen des Sachverständigen krankheitsbedingt nur eingeschränkt erwerbsfähig sei, während sie ohne die Erkrankung ihr früheres Einkommen wieder erreichen könnte. Aus diesem Grund hätte das Berufungsgericht einen (fortwirkenden) ehebedingten Nachteil indessen durchgehend verneinen müssen, weil die Krankheit schon früher bestand und sich aus der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2008 im Hinblick auf die Berücksichtigung ehebedingter Nachteile im Bereich des Aufstockungsunterhalts keine materielle Änderung ergeben hat.

Zum Nachteil des Klägers kann sich indessen nur ausgewirkt haben, dass das Berufungsgericht für die Zeit bis zum 31. Dezember 2007 eine Befristung nicht für zulässig erachtet hat. Da dieses aber im Hinblick auf den Krankheitsunterhalt durchaus zutreffend war, ist insoweit nicht davon auszugehen, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts davon maßgeblich beeinflusst worden ist. Zwar ist vom Berufungsgericht zudem wegen der vorehelichen Kinderbetreuung eine kurze Ehedauer verneint und die fragliche Zeit daher der Sache nach der Ehedauer zugerechnet worden. Die Entscheidung zur Befristung (erst) zum 31. Dezember 2009 erweist sich dennoch im Ergebnis als zutreffend. Denn allein der längeren Ehedauer ist kein wesentliches Gewicht zugemessen worden, was sich an der Befristung bereits zum 31. Dezember 2009 und somit rund sechs Jahre nach Rechtskraft der Ehescheidung zeigt. Des W eiteren hat das Berufungsgericht den Unterhalt zu Unrecht schon ab Januar 2008 wegen der Wiederverheiratung des Klägers deutlich vermindert, obwohl aufgrund seiner Feststellungen bis Oktober 2008 von einem unterhaltsrechtlichen Nachrang der jetzigen Ehefrau auszugehen ist. Da sich deswegen die Unterhaltsverpflichtung des Klägers verringert hat und dies - da zu Gunsten des Klägers als Revisionsführers - auch nicht mehr nachträglich korrigiert werden wird, erscheint trotz der unrichtigen Erwägungen zur Ehedauer eine Unterhaltszahlung in dem zuerkannten - teilweise zu niedrig festgesetzten - Umfang bis zum 31. Dezember 2009 jedenfalls nicht als unbillig. Daher kann der Senat abschließend entscheiden, zumal mit einer abweichenden tatrichterlichen Beurteilung zu Gunsten des Klägers nicht zu rechnen ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 41).