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Bundesverfassungsgericht

Entscheidung vom 07.11.2008, Az.: 1 BvQ 43/08

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung des Polizeipräsidiums Aachen vom 29. Oktober 2008 – ZA 31 – 57.02.01 – wird nach Maßgabe des Tenors des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Aachen vom 4. November 2008 – 6 L 478/08 – wiederhergestellt.

2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die notwendigen Auslagen des Antragstellers zu erstatten.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot. Die Kammer hat die Begründung ihrer Entscheidung gemäß § 32 Abs. 5 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich abgefasst.

I.

1. Der Antragsteller meldete mit Schreiben vom 16. Oktober 2008 bei der Versammlungsbehörde der Stadt Aachen eine als Aufzug geplante Versammlung unter freiem Himmel an. Die Versammlung sollte am Sonnabend, den 8. November 2008 von 12.00 Uhr bis 22.00 Uhr unter dem Motto „Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung! Gedenkt der deutschen Opfer!“ in Aachen stattfinden. Der Antragsteller teilte mit, dass er mit zirka 150 Teilnehmern rechne. Am 24. Oktober 2008 fand ein Kooperationsgespräch zwischen der Versammlungsbehörde und dem Antragsteller statt. Darin erklärte dieser, dass der 8. November 2008 bewusst als Datum der Versammlung gewählt worden sei. Allerdings gehe es dabei nicht um einen Bezug zum 9. November 1938, sondern um andere historisch bedeutende Ereignisse, die sich am 8. oder 9. November ereignet hätten, so zum Beispiel der Putschversuch in München 1923 und der Mauerfall 1989.

2. Am 29. Oktober 2008 untersagte der Polizeipräsident Aachen als Versammlungsbehörde die Versammlung gestützt auf § 15 Abs. 1 VersG und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führte er aus, dass die geplante Versammlung sowohl die öffentliche Sicherheit als auch die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährde. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ergebe sich daraus, dass bei der Durchführung der Versammlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Teilnehmer der Versammlung Straftatbestände, namentlich nach § 86a, § 130 Abs. 3 und 4, § 189 StGB erfüllen würden. Ebenso sei damit zu rechnen, dass durch Versammlungsteilnehmer zur Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowie der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Einrichtungen aufgerufen werde. Darüber hinaus sei ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass von der Art und Weise des geplanten Aufzugs unerträgliche Provokationen ausgehen würden, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen und damit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen würden sowie die Menschenwürde der Opfer des NS-Regimes, deren am 8. und 9. November 2008 in Aachen gedacht werde, verletzen würden.

Der Polizeipräsident stützte seine Gefahrenprognose wesentlich auf Erkenntnisse über die Person des Antragstellers, den zu erwartenden Teilnehmerkreis sowie Motto und Datum der angemeldeten Versammlung. Der Antragsteller sei seit Jahren in exponierter Stellung in der rechtsextremen Szene aktiv und mehrfach einschlägig vorbestraft, unter anderem wegen Straftaten, die im Zusammenhang mit Versammlungen begangen worden seien. Ein von ihm mitbegründetes „Aktionsbüro“, das für die hier in Frage stehende Demonstration werbe, diene der Vernetzung mit den sogenannten Freien Nationalisten, die das „vorherrschende System in der BRD“ offen ablehnten. Infolgedessen sei bei der angemeldeten Demonstration mit einem Teilnehmerkreis zu rechnen, der für ein autoritäres politisches System eintrete und dessen Weltbild teilweise von nationalistischen und auch antisemitischen Anschauungen geprägt werde. Dafür, dass aus der Demonstration heraus der Umfang des Holocaust in Zweifel gezogen werde, spreche insbesondere, dass der Antragsteller im Kooperationsgespräch klar zu erkennen gegeben habe, dass für ihn nur der 8. November 2008 als Versammlungsdatum in Frage komme, da mit Rücksicht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung bewusst nicht der 9. November 2008 als Versammlungstag gewählt worden sei.

Ein milderes Mittel als das Versammlungsverbot komme nicht in Betracht. Insbesondere sei die Erteilung von Auflagen nicht geeignet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung hier hinreichend vor Gefahren zu schützen. Geeignete Auflagen wie zum Beispiel eine zeitliche Verlegung der Versammlung auf einen anderen Tag oder eine örtliche Verlegung des Aufzugs würden zu einem ähnlichen Erfolg wie die Verbotsverfügung führen und würden vom Antragsteller nicht toleriert. Auch die zu erwartende Störung des öffentlichen Friedens lasse sich nicht durch Auflagen ausschließen. Es sei ein Vertrauensverlust der Bevölkerung in den Rechtsstaat zu erwarten, wenn die Versammlung von rechtsextremen Demonstranten am Vortag des Gedenktages für die Opfer der Novemberpogrome von 1938 unter dem Schutz der Verfassung durchgeführt werden dürfe und von der Polizei zu schützen sei. Die Ausübung des Versammlungsrechts zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung stelle jedoch einen Grundrechtsmissbrauch dar, der nicht schützenswert sei.

3. Gegen die Verbotsverfügung wandte sich der Antragsteller mit einer Klage an das Verwaltungsgericht Aachen, verbunden mit dem Antrag, deren aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass er mit der angemeldeten Versammlung vorrangig auf die Gefahren und Probleme hinweisen wolle, die aus seiner Sicht mit einem einseitigen Gedenken verbunden seien. So würden aus seiner Sicht insbesondere die Belange der deutschen Opfer vernachlässigt. Konkreter Anlass sei ein Tötungsdelikt vom 4. April 2008 zum Nachteil eines deutschen Heranwachsenden in der Nähe von Aachen. Er habe sich zudem um Kooperation bemüht, indem er für den Fall der Rücknahme des Verbots der Versammlung einen weiteren Versammlungsleiter benannt habe. Außerdem habe er nach der Ankündigung des Verbots dargelegt, dass hinsichtlich der Konzeptionierung der Versammlung Verhandlungsbereitschaft bestehe.

4. Mit Beschluss vom 4. November 2008 gab das Verwaltungsgericht Aachen dem Antrag teilweise statt. Es stellte die aufschiebende Wirkung der Klage mit der Einschränkung wieder her, dass der Antragsteller nicht selbst als Redner und Versammlungsleiter auftreten dürfe. Wenn der Antragsteller in diesen Funktionen agiere, würde es zu einem Verstoß gegen § 130 Abs. 4 StGB kommen. Dies folge hier aus dem Versammlungsmotto und den Begleitumständen, insbesondere aus der Person des Antragstellers, der zugleich Veranstalter, Anmelder und Versammlungsleiter sein und damit den Charakter der Versammlung in besonderem Maße prägen würde. Der Einwand des Antragstellers, er habe bei den angeführten fünf Auftritten als Redner auf Versammlungen nicht strafrechtlich relevant gehandelt, lasse die hier angestellte Gefahrenprognose nicht entfallen, weil der Antragsteller vorliegend durch die eigene Wahl eines vergangenheitsbezogenen Versammlungsthemas unter einem besonderen Druck stehe, die kritisierte „einseitige Geschichtsschreibung“ der „Gegner des deutschen Volkes“ richtigzustellen, indem er zumindest konkludent die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft und deren führende Vertreter vor dem von ihm eingeladenen bundesweiten rechtsextremen Publikum billige und rechtfertige.

Im Übrigen falle die vorzunehmende Interessenabwägung hingegen zulasten des Antragsgegners des Ausgangsverfahrens aus, weil das vollständige Verbot der Versammlung sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweise. Soweit der Antragsgegner unabhängig von dem Auftritt des Antragstellers als Versammlungsleiter und als Redner eine Störung der öffentlichen Sicherheit befürchte, trügen die zur Begründung angeführten Tatsachen seine Gefahrenprognose nicht. So habe der Antragsgegner lediglich dargetan, dass es nach früheren Versammlungen in den Jahren 2004 bis 2008, deren Teilnehmer demselben rechtsextremen Spektrum angehörten wie die bei der jetzt angemeldeten Versammlung zu erwartenden und die teilweise von dem Antragsteller geleitet oder mit gleichem Versammlungsmotto wie jetzt angemeldet worden seien, zu Strafanzeigen beziehungsweise Ermittlungsverfahren gegen Versammlungsteilnehmer wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Volksverhetzung, der Nötigung, des Widerstandes und weiterer Delikte gekommen sei. Da indes nicht dargetan sei, ob dies zu Anklagen oder gar Verurteilungen geführt habe, und zudem die Frage der Übereinstimmung zwischen dem damaligen und dem jetzt zu erwartenden Teilnehmerkreis ungewiss sei, begründe dies allenfalls eine einfache Wahrscheinlichkeit strafbarer Handlungen. Auf dieser Grundlage sei ein vollständiges Verbot der Versammlung jedenfalls unverhältnismäßig. Soweit der Antragsgegner im Übrigen eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit damit begründe, dass Versammlungsteilnehmer zur Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowie der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Einrichtungen aufrufen würden, sei nicht erkennbar, inwieweit zu erwarten sei, dass ein solcher Aufruf gerade in verbotener oder strafbarer Weise erfolgen werde. Soweit er schließlich die Verbotsverfügung auch auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung stütze, sei dies offensichtlich rechtswidrig, weil einer möglichen Gefährdung dieses Schutzgutes jedenfalls durch geeignete Auflagen, etwa hinsichtlich der Streckenführung, begegnet werden könne.

5. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen wandte sich der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens, der Polizeipräsident Aachen, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde. Zu deren Begründung führte er aus, dass die Durchführung der angemeldeten Versammlung unter dem Motto „Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung! – Gedenkt der deutschen Opfer!“ am Vortag des 70. Gedenktages der Reichspogromnacht für sich genommen bereits den Straftatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfülle. Bei verständiger Würdigung des Versammlungsmottos sei davon auszugehen, dass der Genozid an den Juden insgesamt relativiert werden solle. Das Versammlungsmotto erwecke nämlich für einen unvoreingenommenen Dritten den Eindruck, dass die Zeit gekommen sei, mit einem Gedenken an die jüdischen Opfer aufzuhören und endlich auch der deutschen Opfer zu gedenken. Dies geschehe aber regelmäßig am Volkstrauertag.

6. Mit Beschluss vom 7. November 2008 gab das Oberverwaltungsgericht der Beschwerde des Antragsgegners des Ausgangsverfahrens statt, indem es den Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen aufhob und den Antrag des Antragstellers vollen Umfangs ablehnte. Zur Begründung führte es aus, dass die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers ausfalle, weil nach der gegenwärtigen Erkenntnislage mit Verstößen gegen § 130 Abs. 3 und 4 StGB zu rechnen sei, und zwar entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nur dann, wenn der Antragsteller selbst als Leiter und Redner auftrete. Dieser Gefahr könne nicht durch Auflagen, sondern nur durch ein Versammlungsverbot begegnet werden. Die Durchführung der angemeldeten Versammlung unter dem genannten Motto in unmittelbarer Nähe zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht stelle bei summarischer Prüfung bereits als solche eine Verharmlosung der als Völkermord zu qualifizierenden Ereignisse am 9. November 1938 und konkludent auch eine die Würde der Opfer verletzende Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft dar, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Hieran ändere auch die Benennung eines anderen Versammlungsleiters nichts.

Nach dem Akteninhalt sei es offensichtlich, dass der Antragsteller mit seiner jetzt erstmals für den 8. November geplanten Versammlung ebenfalls an die Ereignisse des 9. November 1938 anknüpfen wolle. Die Nähe der bis 22.00 Uhr angemeldeten Versammlung zum 9. November sei provokativ gewählt. Die Verbindung der Kritik an einer angeblich einseitigen Vergangenheitsbewältigung mit der Aufforderung, auch gerade am 9. November der deutschen Opfer zu gedenken, beanstande zugleich das Gedenken an die jüdischen Opfer als einseitig. Dies könne vernünftigerweise nur so verstanden werden, dass es dem Antragsteller vor allem darum gehe, die flächendeckenden Angriffe auf die jüdische Bevölkerung am 9. November 1938, die den Tatbestand des Völkermordes erfüllten, in einer Weise zu billigen und zu verharmlosen, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören.

Zutreffend habe der Antragsgegner das Versammlungsverbot auch auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt. Durch das Bundesverfassungsgericht sei geklärt, dass dieses Schutzgut betroffen sein könne, wenn einem bestimmten Tag ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit wichtiger Symbolkraft zukomme. Der Sinngehalt werde bei der Durchführung einer Versammlung an diesem Tag in einer Weise angegriffen, dass dadurch zugleich die grundlegenden sozialen oder ethischen Anschauungen in erheblicher Weise verletzt würden.

7. Gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 32 BVerfGG, mit dem er begehrt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage nach Maßgabe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Aachen wieder herzustellen.

II.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn - wie hier - aus Anlass eines Versammlungsverbots über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu entscheiden ist und ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des Hauptsacheverfahrens den Versammlungszweck mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, 147 <152 f.>).

2. So liegt der Fall hier. Die dem Bundesverfassungsgericht im Eilrechtsschutzverfahren allein mögliche vorläufige Prüfung lässt eine Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Versammlungsverbot nicht erkennen. Das Bundesverfassungsgericht legt der Prüfung des Eilantrags in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde. Etwas anderes gilt, wenn die Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trägt (vgl. BVerfGE 110, 77 <87 f.>; 111, 147 <153>; BVerfGK 3, 97 <99>). Einstweiliger Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die Behörde oder die Gerichte ihre Gefahrenprognose auf Umstände gestützt haben, deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG offensichtlich widerspricht (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 – 1 BvQ 23/00 –, NJW 2000, S. 3053 <3054>; vom 1. September 2000 – 1 BvQ 24/00 –, NVwZ 2000, S. 1406 <1407>; vom 6. Juni 2007 – 1 BvR 1423/07 –, NJW 2007, S. 2167 <2168>).

3. Ist die behördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestützt (§ 15 VersG), erfordert die von der Behörde oder den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfGE 69, 315 <353 f.>; 87, 399 <409>). Im Rahmen der Folgenabwägung – und ebenso bei der Prüfung der Erfolgsaussichten – berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 8/01 –, NJW 2001, S. 1407 <1408 f.>). Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zu Grunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 – 1 BvQ 23/00 –, NJW 2000, S. 3053 <3055>; vom 11. April 2002 – 1 BvQ 12/02 –, NVwZ-RR 2002, S. 500). Bedeutsam für die Folgenabwägung wie auch für die Prüfung der Erfolgsaussichten kann auch werden, ob die Einschätzung der Erforderlichkeit einer Maßnahme durch das sach- und ortsnahe erstinstanzliche Gericht durch das Rechtsmittelgericht bestätigt worden ist oder ob bereits die mangelnde Übereinstimmung zwischen den Gerichten bei der Gefahrenbeurteilung auf besondere Unsicherheiten der Prognose hinweist (vgl. BVerfGK 8, 195 <199>).

a) Soweit das Oberverwaltungsgericht das Versammlungsverbot im Hinblick auf das Schutzgut der öffentlichen Ordnung für gerechtfertigt hält, sind seine Erwägungen verfassungsrechtlich offensichtlich nicht tragfähig. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar bereits mehrfach entschieden, dass die öffentliche Ordnung verletzt sein kann, wenn Rechtsextremisten einen Aufzug an einem speziell der Erinnerung an das Unrecht des Nationalsozialismus und den Holocaust dienenden Gedenktag so durchführen, dass von seiner Art und Weise Provokationen ausgehen, die das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 – 1 BvQ 9/01 –, NJW 2001, S. 1409 <1410>; vom 26. Januar 2006 – 1 BvQ 3/06 –, NVwZ 2006, S. 585). Es hat jedoch stets klargestellt, dass aus der bloßen zeitlichen Nähe des Zeitpunkts der Versammlung zu einem solchen Gedenktag allein eine solche provokative Wirkung nicht abgeleitet werden kann. Der bloßen Nähe zu einem der Erinnerung an das nationalsozialistische Unrechtsregime und seine Opfer gewidmeten Gedenktag kommt in der Gesellschaft kein eindeutiger Sinngehalt zu, der bei Durchführung eines Aufzugs an solchen Tagen in einer Weise angegriffen wird, dass hierdurch in gleicher Weise grundlegende soziale oder ethische Anschauungen erheblich verletzt werden, wie dies für gerade an solchen Gedenktagen stattfindende Versammlungen der Fall sein kann (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2006 – 1 BvQ 3/06 –, NVwZ 2006, S. 585 f.; vom 27. Januar 2006 – 1 BvQ 4/06 –, NVwZ 2006, S. 586 <588>). Auch aus der Gesamtschau eines für sich genommen unbedenklichen Versammlungsdatums und eines für sich genommen ebenfalls unbedenklichen Versammlungsmottos folgt nichts anderes (vgl. BVerfG, NVwZ 2006, S. 585 <586>; NVwZ 2006, S. 586 <588>).

b) Die von der Versammlungsbehörde aufgezeigten Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit tragen das Versammlungsverbot ebenfalls nicht. Gleiches gilt für die vom Oberverwaltungsgericht ergänzend zu den Darlegungen der Versammlungsbehörde zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Gesichtspunkte.

Soweit die Versammlungsbehörde ihre Gefahrenprognose auf strafrechtlich relevante Vorkommnisse bei früheren Versammlungen stützt, hat das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung angenommen, dass hiermit eine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage für die Erwartung strafbaren Verhaltens nicht dargetan ist. Ergänzend sei hier nur hervorgehoben, dass die Versammlungsbehörde bei ihrer Würdigung früherer Versammlungen auch auf das angebliche Skandieren der Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ abstellt, welches für sich genommen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls seinerzeit gerade nicht strafbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 2005 – 3 StR 60/05 –, NJW 2005, S. 3223; BVerfGK 8, 159). Das Oberverwaltungsgericht beanstandet diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht, sondern stellt hinsichtlich der von ihm angenommenen Gefahr für die öffentliche Sicherheit allein auf diejenigen Umstände ab, die das Verwaltungsgericht veranlasst haben, dem Antrag nur teilweise stattzugeben. Eine tragfähige Begründung dafür, dass aus diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die sich allein auf das beabsichtigte Auftreten des Antragstellers als Redner und Versammlungsleiter beziehen, zugleich eine unmittelbare Gefahr von Verstößen gegen § 130 Abs. 3 und 4 StGB für den Fall folge, dass der Antragsteller diese Funktionen nicht ausübt, lässt der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts indes nicht erkennen. Dabei kann offenbleiben, ob die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die sich das Oberverwaltungsgericht hier zueigen macht, geeignet sind, die erstinstanzlich angeordneten Auflagen zu rechtfertigen, denn hiergegen wendet sich der Antragsteller nicht. Jedenfalls soweit das Oberverwaltungsgericht ein vollständiges Verbot auf sie stützen will, hätte es sich allerdings näher mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass der Antragsteller im Jahr 2008 – wie im fachgerichtlichen Verfahren unstreitig geblieben ist – bereits auf einer Vielzahl von Versammlungen, die ebenfalls unter nationalistischen Mottos standen, als Redner aufgetreten ist, ohne hierbei Straftaten zu begehen.

Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lässt sich auch aus dem Motto und dem Datum der hier gegenständlichen Versammlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ein zu erwartender Verstoß gegen Strafvorschriften begründen. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Auffassung der Versammlungsbehörde bestätigt, dass die Durchführung einer Versammlung unter dem Motto „Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung! Gedenkt der deutschen Opfer!“ am 8. November 2008 bereits für sich genommen den Straftatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB erfülle, liegt dem eine verfassungsrechtlich nicht mehr vertretbare Deutung des Versammlungsmottos zugrunde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Gerichtsentscheidungen, die den Sinn einer umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Im Falle mehrdeutiger Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrunde zu legen (vgl. BVerfGE 93, 266 <295 ff.>; 94, 1 <9>; 114, 339 <349>). Diese insbesondere für die Anwendung der §§ 185 ff. StGB entwickelten Grundsätze gelten entsprechend, wenn es um die Subsumtion einer Äußerung oder eines Verhaltens unter die Tatbestandsmerkmale des § 130 StGB geht (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. September 2000 – 1 BvR 1056/95 –, NJW 2001, S. 61 <62>; vom 7. April 2001 – 1 BvQ 17/01 u.a. –, NJW 2001, S. 2072 <2074>; vom 1. Dezember 2007 – 1 BvR 3041/07 –). Die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wird ihnen ersichtlich nicht gerecht.

Zwar durfte das Gericht die von dem Antragsteller vorgetragene Deutung als fernliegend außer Betracht lassen, nach der es auf der Versammlung allein um die „Zukunftsbewältigung“ gehen sollte. Nicht tragfähig begründet ist indes die Auffassung des Gerichts, wonach dem Motto im Zusammenhang mit dem Datum der geplanten Versammlung der eindeutige Aussagegehalt beizumessen sei, dass die Gewalttaten gegen jüdische Bürger und Einrichtungen am 9. November 1938 in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gebilligt und verharmlost würden. Zwar ist mit dem Oberverwaltungsgericht davon auszugehen, dass die vorliegenden Erkenntnisse die Annahme nahelegen, die zeitliche Nähe zu dem 9. November sei hier bewusst und – entgegen den Beteuerungen des Antragstellers – auch gerade im Hinblick auf den 70. Jahrestag der Novemberpogrome des Jahres 1938 gewählt worden. Im Ergebnis mag daher eine Deutung der Aussage der Versammlung dahingehend, dass dem Gedenken an die jüdischen Opfer – mit dem Ziel einer neu gewichteten Gesamtbewertung – das Gedenken an andere „deutsche“ Opfer zur Seite gestellt werden müsse, nicht fernliegend sein und sich aus den objektiven Umständen begründen lassen. Nicht mehr nachvollziehbar ist aber, dass das Gericht der Gesamtschau aus Versammlungsmotto und -datum darüber hinaus zugleich eine zur Störung des öffentlichen Friedens geeignete Billigung und Verharmlosung der Angriffe auf die jüdische Bevölkerung am 9. November 1938 entnimmt. Eine solche Deutung verkennt, dass das Versammlungsmotto sich hier auf die Art und Weise der Auseinandersetzung mit den vergangenen Ereignissen beschränkt, ohne diese aber selbst ausdrücklich zu bewerten. Auch würdigt sie nicht hinreichend, dass der Aufruf zu einem Gedenken an  die – nicht näher bestimmten – „deutschen Opfer“ vorliegend verbunden wird mit der ausdrücklichen Ablehnung einer „einseitigen Vergangenheitsbewältigung“, mithin explizit einer beide Seiten in den Blick nehmenden Geschichtsbetrachtung das Wort redet. Zwar mag eine solche Aufforderung im zeitlichen Zusammenhang mit dem 9. November als nicht veranlasst und unangemessen angesehen werden sowie aus Sicht einer in der Öffentlichkeit lange errungenen Geschichtsdeutung als moralisch verwerflich gelten. Hierdurch verliert sie aber nicht den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht erfasst vielmehr Meinungsäußerungen unabhängig von ihrer inhaltlichen „Richtigkeit“ oder ihrem ethischen Wert (vgl. BVerfGE 33, 1 <14 f.>; 111, 147 <156>). Geschützt sind – in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG – auch rechtsextreme Aussagen (vgl. BVerfGK 8, 159 <163>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2006 – 1 BvQ 3/06 –, NVwZ 2006, S. 585 <586>).

Soweit das Oberverwaltungsgericht hervorhebt, dass der Antragsteller weithin als Anhänger Adolf Hitlers bekannt sei, kann dies eine solche Deutung gleichfalls nicht tragen. Zwar mag hieraus folgen, dass der Antragsteller einem Gedankengut, wie es das Gericht hier durch die Gesamtschau von Versammlungsmotto und -datum ausgedrückt sieht, innerlich nahesteht. Dies reicht aber nicht hin, um dem Motto der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung einen Verstoß gegen die Strafgesetze zu entnehmen. Denn die Deutung einer Äußerung kann nur insoweit auf eine subjektive Einstellung des Äußernden, die dieser hegen und bei früherer Gelegenheit auch geäußert haben mag, gestützt werden, als sie gerade im konkreten Fall auch kundgeben wird (vgl. BVerfGE 82, 43 <53>). Da das Recht nur äußere Gefolgschaft verlangt, können Ermächtigungen zur Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten nicht an die Gesinnung als solche, sondern stets nur an Gefahren für Rechtsgüter anknüpfen, die aus konkreten Handlungen folgen (vgl. BVerfGE 25, 44 <58>; 111, 147 <159>). Demjenigen, der sich in einer die Rechtsgüter anderer nicht beeinträchtigenden Weise äußert, kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass seine eigentliche Meinung eine andere sei und er allein zur Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung davon abgesehen habe, diese deutlich zum Ausdruck zu bringen. Für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose kommt es daher darauf an, welche Bedeutung die Versammlung ihrem äußeren Erscheinungsbild und Erklärungswert nach haben wird. Dabei ist zwar nicht nur auf den formalen Aussagegehalt der verwendeten Worte abzustellen, sondern auf eine Würdigung der Aussagen in ihrem tatsächlichen Kontext und ihrer erkennbar gewollten und vermittelten Bedeutung. Der angegriffenen Entscheidung sind hierzu jedoch, wie dargelegt, keine hinreichenden Feststellungen zu entnehmen, auf die sich die Deutung des Oberverwaltungsgerichts stützen ließe.

Schließlich kann eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch nicht auf den vom Oberverwaltungsgericht auch nicht mehr aufgegriffenen Gesichtspunkt gestützt werden, dass aus der Versammlung voraussichtlich zur Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland aufgerufen werde, denn auch diese Prognose der Versammlungsbehörde geht weder über den Bereich der Vermutung hinaus noch substantiiert sie, inwiefern dieser Aufruf auf ein strafbares Tun gerichtet ist.

4. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.