Bundesverwaltungsgericht
Entscheidung vom 15.11.2007, Az.: 1 C 45.06
Entscheidungsgründe
Der Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland.
Der 1975 geborene Kläger reiste 1993 in das Bundesgebiet ein. Nach einem erfolglosen Asylverfahren heiratete er im Juli 1996 eine deutsche Staatsangehörige und erhielt daraufhin zunächst eine befristete und im Juli 1999 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. 2002 wurde die Ehe geschieden, und der Kläger heiratete erneut. Seine jetzige Ehefrau lebt zusammen mit dem im Oktober 2002 geborenen gemeinsamen Kind bei den Eltern des Klägers im Kosovo.
Der Kläger wurde 1999 wegen Anordnens oder Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen und 2002 wegen Geldwäsche zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.
Die letzte Verurteilung nahm das Landratsamt Bodenseekreis zum Anlass, den Kläger mit Bescheid vom 4. November 2002 aus Deutschland auszuweisen. Zugleich lehnte es den zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung ab und drohte ihm die Abschiebung an. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium am 12. Februar 2003 zurück. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die auf spezial- und generalpräventive Erwägungen gestützte Ausweisung ermessensgerecht und nicht unverhältnismäßig sei.
Die vom Kläger erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im Mai 2003 abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 16. März 2006 die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die ergangenen Bescheide hinsichtlich der Ausweisung aufgehoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung sei nach der im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu beurteilen. Zu diesem Zeitpunkt hätten die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausweisung vorgelegen. Die Ausweisung sei aber unverhältnismäßig. Dabei seien neben dem langen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet die damit verbundene wirtschaftliche und soziale Integration und die erreichte Aufenthaltsverfestigung in Gestalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis zu berücksichtigen. Die beiden Verurteilungen hätten bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln einer weiteren Verfestigung nicht entgegengestanden. Dies habe auch bestimmenden Einfluss auf die Gewichtung der Taten bei der Frage der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung. Mit Rücksicht auf das Gewicht der zugunsten des Klägers sprechenden Belange, der zweifelhaften spezialpräventiven Zielsetzung und der besonderen Umstände der letzten Straftat bilde diese keinen hinreichenden Anlass für eine Ausweisung des Klägers.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision wendet sich das beklagte Land gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Übernahme von Wertungen aus dem Recht der Erteilung von Aufenthaltstiteln in das Ausweisungsrecht.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht teilt die Auffassung des beklagten Landes.
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung über die Revision verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung im Revisionsverfahren ist die Rechtslage, die das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> [BVerwG 01.11.2005 - 1 C 21/04]). Entschiede der Verwaltungsgerichtshof jetzt über die Anfechtungsklage, müsste er das während des Revisionsverfahrens - am 28. August 2007 - in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - beachten. Aus diesem Gesetz ergibt sich, dass die Gerichte nunmehr - anders als bisher - bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung generell auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihrer letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen haben (1.). Dies hat vorliegend zur Folge, dass der Kläger sich aufgrund des mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle des Ausländergesetzes getretenen Aufenthaltsgesetzes auf besonderen Ausweisungsschutz berufen und nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann (2.).
1.Seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich.
a)Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Prozessrecht einen Grundsatz, wonach im Rahmen einer Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes stets nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen ist, nicht kennt (vgl. Urteil vom 25. November 1981 - BVerwG 8 C 14.81 - BVerwGE 64, 218 <221> [BVerwG 25.11.1981 - 8 C 14/81]), sondern letztlich dem materiellen Recht nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 3. November 1986 - BVerwG 9 C 254.86 - BVerwGE 78, 243 <244> [BVerwG 03.11.1986 - 9 C 254/86]). In Anwendung dieser Grundsätze ist der Senat in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass es bei Ausweisungen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten verwaltungsbehördlichen Entscheidung ankommt und danach eingetretene neue Tatsachen allein im Verfahren auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG zu berücksichtigen sind (vgl. etwa Beschlüsse vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - und vom 26. Februar 1997 - BVerwG 1 B 5.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5 und 8, jeweils m.w.N.). Dies galt allerdings schon vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nicht uneingeschränkt. Mit Urteilen vom 3. August 2004 (- BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <308 f.> [BVerwG 03.08.2004 - 1 C 30/02] und - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> [BVerwG 03.08.2004 - 1 C 29/02]) hat der Senat im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entschieden, dass für die gerichtliche Überprüfung einer Ausweisung sowohl bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern als auch bei türkischen Staatsangehörigen, die ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80 - besitzen, der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist. Denn Angehörige beider Personengruppen dürfen kraft Gemeinschaftsrechts nur ausgewiesen werden (bzw. darf der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 6 FreizügG/EU bei Unionsbürgern grundsätzlich nur festgestellt werden), wenn ihr Verhalten eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit darstellt. Dies verpflichtet die Tatsachengerichte zu der Prüfung, ob die behördliche Gefahrenprognose und die Ermessensentscheidung bezogen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. Urteile vom 3. August 2004 a.a.O.).
b)Nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei der Ausweisung sonstiger Drittstaatsangehöriger nicht mehr fest. Er geht vielmehr davon aus, dass für die Beurteilung einer gerichtlich angefochtenen Ausweisung nunmehr generell - und nicht wie in der Vergangenheit nur bei einzelnen Personengruppen - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR - bewertet bei Ausweisungen die Verhältnismäßigkeit der innerstaatlichen Entscheidungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK regelmäßig vor dem Hintergrund der Situation, in der die Ausweisung rechtskräftig wurde (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Juni 2007, Kaya ./. Deutschland, Beschwerde Nr. 31753/02, InfAuslR 2007, 325, m.w.N.). Dies spricht dafür, auch schon im Rahmen der innerstaatlichen gerichtlichen Überprüfung auf einen möglichst späten Beurteilungszeitpunkt abzustellen, um auf diese Weise der durch Transformation in nationales Recht im Rang eines Bundesgesetzes stehenden Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Auslegung durch den EGMR bei der Interpretation des nationalen Rechtes so weit wie möglich Geltung zu verschaffen.
In diese Richtung weist auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen. Danach stellt jede Ausweisung aufgrund des damit verbundenen Entzugs des Aufenthaltsrechts und der daraus folgenden Verpflichtung zur Ausreise unabhängig von weiteren mit der Ausweisung verbundenen Rechtsnachteilen und einer alsbaldigen Durchsetzbarkeit der Ausreisepflicht einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländers dar. Den sich daraus ergebenden Anforderungen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit tragen die ausländerrechtlichen Ausweisungsvorschriften mit ihrem System der Abstufung in Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung und der Gewährung besonderen Ausweisungsschutzes für bestimmte Ausländer nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zwar grundsätzlich in ausreichender Weise Rechnung. Dies entbindet jedoch nicht davon, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auch die Umstände des Einzelfalles zu prüfen, da nur diese Prüfung sicherstellen kann, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des betroffenen Ausländers gewahrt bleibt. Diese - unter Heranziehung der gemäß Art. 8 EMRK geltenden Maßstäbe durchzuführende - einzelfallbezogene Würdigung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers und deren Abwägung gegeneinander obliegt - mit Einschränkungen, die sich aus der begrenzten gerichtlichen Überprüfbarkeit behördlicher Ermessensausübung ergeben - den Verwaltungsgerichten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007,1300). Der diese Rechtsprechung tragende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz spricht dafür, dass auch die Gerichte bei ihrer Entscheidung über die Anfechtung einer Ausweisung auf eine möglichst aktuelle, d.h. nicht bereits überholte Tatsachengrundlage abstellen.
Zudem wurde der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Gemeinschaftsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, inzwischen nochmals erweitert. So dürfen nach Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl EU 2004 Nr. 1 158 S. 77) - Freizügigkeitsrichtlinie - die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers und seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit u.a. nur beschränken, wenn das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Des Weiteren können nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 (ABl EU 2004 Nr. 1 16 S. 44) - Daueraufenthaltsrichtlinie - nunmehr auch Drittstaatsangehörige, denen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten verliehen worden ist, nur ausgewiesen werden, wenn sie eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellen.
Diesen materiellen Vorgaben entnimmt der Senat im Wege einer Gesamtschau, dass mit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes, das u.a. der Umsetzung der beiden angeführten Richtlinien dient, nunmehr generell bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist. Dies steht nicht im Widerspruch zu der nach wie vor geltenden gesetzlichen Regelung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, früher § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG). Denn diese Regelung behält auch bei der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung ihre Bedeutung, weil sie es ermöglicht, auch solchen Veränderungen Rechnung zu tragen, die nach Bestandskraft der Ausweisung eintreten.
Die zur Verlagerung des Beurteilungszeitpunktes führenden materiellen Vorgaben haben zur Folge, dass bei der Anfechtung einer Ausweisung nunmehr auch entscheidungserhebliche neue Tatsachen bis zu diesem Zeitpunkt umfassend zu berücksichtigen sind. Die Tatsachengerichte müssen mithin im Rahmen der ihnen nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht prüfen, ob die Ausweisung bezogen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung rechtmäßig ist. Dies gilt auch bei Ermessensausweisungen oder in Fällen, in denen eine ursprünglich gebundene Ausweisung aufgrund nachträglicher Änderungen einer Ermessensentscheidung bedarf.
Damit korrespondierend trifft die Ausländerbehörden in allen Ausweisungsverfahren die Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Verfügung (vgl. auch Urteile vom 3. August 2004 a.a.O.). Kommt die Behörde hierbei zu dem Ergebnis, dass ihre Verfügung infolge nachträglich eingetretener Umstände keinen Bestand mehr haben kann, oder macht sie aufgrund nachträglicher Änderungen von ihrem Ermessen zugunsten des Ausländers Gebrauch und erledigt sich dadurch der Rechtsstreit, hat das Gericht bei der Entscheidung über die Kosten des erledigten Verfahrens die ursprüngliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Ausweisung mit zu berücksichtigen. Hält die Behörde trotz nachträglicher Änderungen an ihrer Verfügung fest, muss sie bei einer Ermessensausweisung ihre Ermessenserwägungen entsprechend anpassen. Im Falle einer ursprünglich gebundenen, aufgrund nachträglicher Änderungen aber nur noch im Ermessenswege zulässigen Ausweisung muss sie ihr Ermessen erstmalig ausüben.
Ob und inwieweit derartige aufgrund nachträglicher Änderungen erforderlich werdende Aktualisierungen bei Ermessensausweisungen, insbesondere# im Falle einer ursprünglich gebundenen Ausweisungsentscheidung, im anhängigen Gerichtsverfahren Berücksichtigung finden können, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. In jedem Fall haben die Tatsachengerichte bei der Überprüfung von Ausweisungen aufgrund der dargelegten materiellen Vorgaben und der dadurch bedingten Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts die durch § 114 Satz 2 VwGO eröffnete prozessuale Möglichkeit der nachträglichen Ergänzung von Ermessenserwägungen zu beachten. Der Einbeziehung nachträglicher Ermessenserwägungen kann in dieser Sondersituation nicht entgegengehalten werden, dass diese sich auf nach Erlass der Ausweisung entstandene Umstände beziehen. Die bisherige Rechtsprechung des Senats, wonach Ermessenserwägungen bei Ausweisungsentscheidungen nur insoweit ergänzt werden können, als die nachträglich von der Behörde angegebenen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen (vgl. Urteil vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <363>[BVerwG 05.05.1998 - 1 C 17/97]), bezieht sich nicht auf Sachverhalte, in denen es aus Gründen des materiellen Rechts erforderlich ist, in eine Ermessensentscheidung auch Umstände einzubeziehen, die erst nach Erlass der Ausweisungsverfügung entstanden sind.
c)In Anwendung dieser Grundsätze verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht, weil das Berufungsgericht - nach damaliger Rechtslage zu Recht - bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abgestellt hat, aufgrund der mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes eingetretenen und im Revisionsverfahren zu berücksichtigenden Rechtsänderung aber auf das Vorliegen der Voraussetzungen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichtes abzustellen ist.
2.Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat die Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf diesen neuen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen. In rechtlicher Hinsicht hat die Verlagerung des Beurteilungszeitpunkts jedoch zur Folge, dass der Kläger auf der Grundlage des zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen und zuletzt durch das Richtlinienumsetzungsgesetz geänderten Aufenthaltsgesetzes besonderen Ausweisungsschutz genießt, weil er vor seiner Ausweisung im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genießt ein Ausländer, der eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, besonderen Ausweisungsschutz und kann nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Der Kläger ist und war zwar nie im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Zum Zeitpunkt der Ausweisung besaß er eine ihm 1999 als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AuslG. Nach§ 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt eine solche unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis entsprechend dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Aufenthaltszweck und Sachverhalt fort. Diese gesetzliche Fiktion setzt allerdings eine bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzesbestehende Aufenthaltserlaubnis voraus. Hieran fehlt es im Fall des Klägers. Denn die ihm erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis ist gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG mit dem Wirksamwerden der angefochtenen Ausweisungsverfügung erloschen (vgl. § 72 Abs. 2 AuslG, nunmehr: § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
Auch wenn der Kläger damit die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht unmittelbar erfüllt, kann er sich aber dennoch auf die dem Aufenthaltsgesetz zugrunde liegende gesetzgeberische Aufwertung der ihm erteilten unbefristeten Aufenthaltserlaubnis berufen. Mit der Regelung in § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wonach auch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis fort gilt, hat der Gesetzgeber die dem Ausländergesetz zugrundeliegende Differenzierung zwischen unbefristeter Aufenthaltserlaubnis und Aufenthaltsberechtigung - mit Wirkung für die Zukunft - aufgegeben und beide Aufenthaltstitel einer Niederlassungserlaubnis, als der nunmehr höchsten Stufe der ausländerrechtlichen Aufenthaltsverfestigung, gleichgestellt. Der Kläger ist daher ausweisungsrechtlich so zu stellen, als wäre er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gewesen. Damit genießt er in entsprechender Anwendung des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthGkraft #Gesetzes besonderen Ausweisungsschutz und darf deshalb nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Hierfür dürften die beiden in der Ausweisungsverfügung angeführten strafrechtlichen Verurteilungen allein nicht ausreichen. Ob weitere Gründe bezogen auf die nunmehr zugrunde zu legende aktuelle Sachlage die genannten Ausweisungsvoraussetzungen erfüllen, wird der Verwaltungsgerichtshof zu prüfen haben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.BeschlussDer Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).