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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 27.11.1990, Az.: 1 WB 84/89

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

IDer Antragsteller ist Soldat auf Zeit (SaZ 15). Seine Dienstzeit endet am 30. Juni 1991. Derzeit leistet er beim Marinefliegergeschwader (MFG) ... Dienst als Jagdbomberflugzeugführer.

Nach einem Hubschrauberabsturz mit tödlichem Ausgang am 3. Juli 1988 erließ der Bundesminister der Verteidigung (BMVg) - Fü S I 3 - am 8. Juli 1988 ein Fernschreiben folgenden Inhalts:"Betr.: Hubschrauberunglück im WettersteingebirgeNach den von der Staatsanwaltschaft M. öffentlich mitgeteilten, vorläufigen Untersuchungsergebnissen ist bei einem der beiden Piloten des Hubschrauberunglücks im Wettersteingebirge am 03.07.1988 ein Blutalkoholwert von 2,5 Promille, bei dem anderen ein Wert von 0,01 Promille festgestellt worden. Weiterhin teilte die Staatsanwaltschaft mit, daß beim gegenwärtigen Stand der Untersuchungen nicht zu erkennen ist, welcher der beiden Soldaten den Hubschrauber zum Unglückszeitpunkt gesteuert hat.Verteidigungsminister Prof. Dr. S. hat dieses verantwortungslose Fehlverhalten ausdrücklich mißbilligt und angewiesen, weiterhin mit aller Schärfe gegen derartige unentschuldbare Dienstpflichtverletzungen vorzugehen. Er hat darüberhinaus die große Verantwortung der Piloten der Bundeswehr für das Leben von Kameraden und Bevölkerung hervorgehoben und herausgestellt, daß Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr der Alkoholgenuß 12 Stunden vor Flugbeginn generell verboten ist und nur in absolut nüchternem Zustand geflogen werden darf.Diese Weisung ist allen betroffenen Luftfahrzeugführern und Besatzungsangehörigen in geeigneter Form bekanntzugeben."

Nachdem der Antragsteller von dem Fernschreiben Kenntnis erhalten hatte, erhob er mit Schreiben vom 31. August 1988 Beschwerde, die am 12. September 1988 beim BMVg einging.

Der BMVg hat diese Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung behandelt und dem Senat mit seiner Stellungnahme vom 14. Juli 1989 vorgelegt.

Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller im wesentlichen vor:

Mit dem Befehl vom 8. Juli 1988 werde er in seinem Privatleben unzumutbar eingeschränkt und ihm werde die Fähigkeit abgesprochen, als Offizier und Flugzeugführer verantwortungsbewußt zu handeln. Der Befehl greife in unzumutbarer Weise in sein Persönlichkeitsrecht ein und sei deshalb rechtswidrig. Der Befehl sei im übrigen auch unverhältnismäßig. Mit der Zwölf-Stunden-Regelung versuche die Bundeswehr, eine 0,0-Promille-Regelung im Flugbetrieb verwaltungsmäßig durchzusetzen. Dieses Ziel lasse sich mit der angefochtenen Regelung nicht erreichen. Dies ergebe sich schon aus der unterschiedlichen Abbaurate im menschlichen Körper. Gehe man von der extrem niedrigen Abbaurate von 0,1 Promille und Stunde aus, so zeige sich augenscheinlich, daß die Zwölf-Stunden-Regelung nicht geeignet sei, die 0,0-Promille-Regelung verwaltungsmäßig durchzusetzen. Bereits nach mittlerem Alkoholkonsum erreiche ein nicht völlig trinkungewohnter Mensch eine Alkoholkonzentration von deutlich über 1,5 Promille. Bei einem Abbau von 0,1 Promille und Stunde sei daher nach zwölf Stunden immer noch ein Restalkohol von 0,3 Promille vorhanden. Andererseits werde er durch diese Regelung unzumutbar in seiner freien Lebensgestaltung beeinflußt. Wenn er beispielsweise morgens um 6.00 Uhr Dienstantritt habe, so besage die Zwölf-Stunden-Regelung, daß er ab 19.00 Uhr am Vorabend keinerlei Alkohol mehr zu sich nehmen dürfe. Er dürfe also nicht einmal mehr ein Glas Bier zum Abendessen zu sich nehmen, eine Alkoholmenge, die auch bei einer extrem niedrigen Abbaurate von 0,1 Promille und Stunde spätestens nach drei Stunden abgebaut werde. Die Flugsicherheit würde durch einen solchen Alkoholkonsum in keiner Weise beeinträchtigt. Gleichwohl wäre es ihm verwehrt, zum Abendessen vor dem nächsten morgendlichen Dienstantritt ein Glas Bier oder ein Glas Wein zu sich zu nehmen. Eine derartige Einschränkung des Persönlichkeitsrechts sei rechtswidrig, weil sie ihm, dem Antragsteller, nicht zumutbar und für die Durchsetzung des bezweckten Erfolges auch nicht erforderlich sei, da sie den angestrebten Erfolg nicht sichern könne.

Der Umstand, daß die Lufthansa und die US-Luftwaffe eine Zwölf-Stunden-Regelung praktizierten, sei rechtlich bedeutungslos.

Der Antragsteller hat ferner unter Vorlage eines Gutachtens des Dr. St. vom Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe vom 15. März 1990 dargelegt, daß die angegriffene Zwölf-Stunden-Regelung nicht geeignet sei, für 0,0 Promille zu Flugbeginn zu sorgen.

Der Antragsteller beantragt,"festzustellen, daß der Befehl, der dem fliegerischen Personal den Genuß von alkoholischen Getränken innerhalb von 12 Stunden vor dem Luftdienst oder Flugbereitschaftsdienst untersagt (FS MFLGDIV R 221125 Z JUL 88) rechtswidrig ist und den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt".

Der BMVg bittet,

das Begehren zurückzuweisen.

Der Antrag sei zulässig; es bestünden gegen die fristgerechte Einlegung keine Bedenken, weil der Antragsteller sich gegen eine Daueranordnung wende. Er sei jedoch nicht begründet. Die ZDv 19/2 (VS NfD) Nr. 207 bestimme: "Wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder infolge geistiger oder körperlicher Mängel in der Wahrnehmung der Aufgaben als Führer eines Luftfahrzeugs oder sonst als Angehöriger der Besatzung behindert ist, darf kein Luftfahrzeug führen und nicht als anderer Besatzungsangehöriger tätig sein." Diese Vorschrift habe der BMVg mit der Zwölf-Stunden-Regelung konkretisiert, um durch eine geeignete Maßnahme sicherzustellen, daß Piloten und Besatzungsmitglieder bei Flugbeginn einen "Null-Alkoholspiegel" hätten. Nur bei absoluter Nüchternheit sei zweifelsfrei ausgeschlossen, daß die psychische und physische Konstitution bei der Erfüllung der verantwortlichen Aufgabe nicht beeinträchtigt werde. Zur vorbeugenden Gefahrenabwehr im Luftverkehr erschiene es geraten, die bislang zulässige Grenze von 0,2 Promille Blutalkoholgehalt aufzugeben (vgl. ZDv 19/2, Anlage 8/1, II Nr. 4).

Im übrigen bestünde auch bei der Lufthansa und bei der amerikanischen Luftwaffe die Regelung, daß zwölf Stunden vor Flugbeginn keine alkoholischen Getränke eingenommen werden dürften.

Eine exakte und allgemeingültige Vorausberechnung, in welcher Zeit die Blutalkoholkonzentration im menschlichen Körper abgebaut werde, sei nicht möglich. Deshalb gewährleiste auch die Zwölf-Stunden-Regelung nicht mit absoluter Sicherheit, daß Luftfahrzeugführer ihren Flugdienst mit 0,0 Promille Blutalkoholkonzentration anträten. Sie sei aber im Interesse der Luftverkehrssicherheit eine Minimalforderung, die sicherstelle, daß der letzte Alkoholgenuß längere Zeit zurückliege. In diesem Zusammenhang sei es besonders von Bedeutung, daß selbst bei Einnahme von geringen Alkoholmengen, die normalerweise in kürzerer Zeit abgebaut würden, unter besonderen Umständen eine Beeinträchtigung der psychischen und physischen Leistungsfähigkeit eintreten könne. Die Regelung sei zudem eine psychologische Barriere, die die "Promille-Rechnerei" beim Konsum von alkoholischen Getränken unterbinden solle.

Die Zwölf-Stunden-Regelung verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie gebe dem fliegenden Personal eine wichtige Hilfe, rechtzeitig für Erhalt oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit zu sorgen und sei damit geeignet, einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit des Luftverkehrs zu leisten. Auch wenn die ganz überwiegende Mehrzahl der Piloten und Besatzungsmitglieder sich beim Konsum von Alkohol verantwortungsbewußt verhalte, sei die Regelung zusätzlich zur Gefahrenabwehr erforderlich. Sie enge den Raum für durchaus vorkommende individuelle Fehleinschätzungen hinsichtlich der Verträglichkeit von Alkohol ein. Darüber hinaus sei eine gesteigerte Sicherheit höher einzuschätzen als das Recht des Antragstellers, noch vier Stunden vor Flugbeginn ein Glas Bier trinken zu können. Entsprechend der Funktion einer zusätzlichen Sicherung sei es allerdings nach wie vor untersagt, vor der Zwölf-Stunden-Frist Alkohol in einem Umfang zu sich zu nehmen, der bei Beginn des Flugdienstes die 0,2 Promille übersteige.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Beiakte des BMVg - P II 5 - 551/88 - sowie die Personalstammakte des Antragstellers, Hauptteile A, B und C, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II1.Der vom Antragsteller gestellte Antrag auf Feststellung, daß der Befehl vom 8. Juli 1988 rechtswidrig sei, ist sachdienlich dahin auszulegen, daß der Antragsteller beantragt,

den Fernschreib-Erlaß des BMVg - Fü S I 3 - vom 8. Juli 1988 aufzuheben.

2.Dieser Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.

a)Der Inhalt des Fernschreibens des BMVg vom 8. Juli 1988, demzufolge den Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr der Alkoholgenuß zwölf Stunden vor Flugbeginn generell verboten ist und nur in absolut nüchternem Zustand geflogen werden darf, ist ein Befehl. Anordnungen des BMVg zu einem bestimmten Verhalten, die er als militärischer Vorgesetzter gemäß Art. 65a GG Untergebenen mündlich, allgemein und mit dem Anspruch auf Gehorsam erteilt, sind Befehle, wenn sie den Voraussetzungen des § 2 Nr. 2 WStG entsprechen. Dies ist hier der Fall. Die mündliche Weisung des BMVg, die durch das Fernschreiben vom 8. Juli 1988 umgesetzt und bekannt gemacht wurde, enthält ein unmittelbar an den erwähnten Kreis von Soldaten gerichtetes Gebot, das einer besonderen Konkretisierung im Einzelfall nicht mehr bedarf und auch den zuständigen Vorgesetzten einen eigenständigen Ermessensspielraum in seiner Anwendung nicht mehr beläßt. Da es sich um eine Daueranordnung handelt, ist der in der Beschwerde vom 31. August 1988 enthaltene Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht als verspätet anzusehen (BVerwG Beschlüsse vom 17. Mai 1972 - 1 WB 125/71 - und vom 11. Dezember 1984 - 1 WB 153/83).

b)Der angefochtene Befehl des BMVg ist rechtmäßig.

Der Befehl dient ausschließlich dienstlichen Zwecken (§ 10 Abs. 4 SG).

Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr kommt bei der Sicherheit im Flugverkehr eine besondere Verantwortung zu. Wenn sie unter alkoholischer Beeinflussung - und hierdurch in ihrer psychischen und physischen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt - einen Flug durchführen, gefährden sie nicht nur Materialwerte, sondern auch ihr Leben und ihre Gesundheit, darüber hinaus Leben und Gesundheit der Luftfahrzeugbesatzungen, etwa weiterer mitfliegender Personen und der Bevölkerung. Befehle, die solchen Funktionsbehinderungen und Gefährdungen entgegenwirken, dienen unmittelbar militärischen Belangen und damit dienstlichen Zwecken (BVerwGE 76, 110).

Der Befehl ist auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig. Insbesondere schränkt er nicht das Grundrecht des Antragstellers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise ein.

Die allgemeine Handlungsfreiheit ist ein umfassendes Grundrecht (BVerfGE 80, 137, 152 f.) [BVerfG 06.06.1989 - 1 BvR 921/85]. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, bestimmte Verhaltensweisen, sofern sie sich ihrerseits im Rahmen der Rechtsordnung halten, von dem Grundrechtschutz auszunehmen. Unrichtig wäre deshalb die Annahme, der Genuß alkoholischer Getränke sei von vornherein aus dem Schutzbereich ausgenommen.

Die allgemeine Handlungsfreiheit ist indessen nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet; d.h. alle Rechtsnormen, die formell und materiell der Verfassung entsprechen, schränken die Handlungsfreiheit zulässigerweise ein (BVerfGE 6, 32). Nach § 1 Abs. 3 LuftVO darf kein Luftfahrzeug führen und als anderes Besatzungsmitglied tätig sein, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder infolge geistiger oder körperlicher Mängel in der Wahrnehmung der Aufgaben als Führer eines Luftfahrzeuges oder sonst als Mitglied der Besatzung behindert ist. Insoweit ist für alle Luftfahrzeugführer und Besatzungsangehörige das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ohnehin eingeschränkt. Dies gilt naturgemäß erst recht für den militärischen Bereich (Nr. 207 ZDv 19/2).

Darüber hinaus ist im Bereich des Wehrwesens ganz allgemein die allgemeine Handlungsfreiheit in formeller Hinsicht in der durch § 6 SG beschriebenen Weise eingeschränkt. Demnach können die staatsbürgerlichen Rechte der Soldaten im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch die gesetzlich begründeten Soldatenpflichten beschränkt werden (BDHE 5, 231; BVerwGE 46, 1 [BVerwG 25.07.1972 - I WB 127/72]). Die mit dem angegriffenen Befehl verbundene Erwartung des BMVg geht dahin, daß die angesprochenen Besatzungsmitlieder Alkoholgenuß unterlassen sollen, da dieser der Funktionsfähigkeit der Luftstreitkräfte abträglich ist und ihnen die Erfüllung ihrer Aufträge erschwert. Eine Auferlegung von Pflichten mit dieser Zielsetzung kann aus der Pflicht des Soldaten zum treuen Dienen abgeleitet werden (BVerwGE 76, 66). Diese Pflicht obliegt den Soldaten nicht nur im Dienst, sondern auch außerhalb des Dienstes (BVerwGE 73, 81;  83, 60).

Materiell ist die Auferlegung von Einzelpflichten aber nur dann verfassungskonform, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfGE 80, 137, 152 f. [BVerfG 06.06.1989 - 1 BvR 921/85]; BVerwGE 53, 83, 86) [BVerwG 04.11.1975 - I WB 59/74].

Das bedeutet, daß Befehle, die der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte dienen, den Freiheitsraum nicht undifferenziert einschränken dürfen.

Innerhalb des Dienstes kann die Handlungsfreiheit stärker eingeschränkt werden als außerhalb des Dienstes. Das grundsätzliche allgemeine Alkoholverbot während des Dienstes (Nr. 414 Abs. 1 ZDv 10/5; BVerwGE 76, 277 [BVerwG 24.10.1984 - 2 WD 23/84]) rechtfertigt sich ohne weiteres aus der Eigenart des militärischen Dienstes, zu dem der Umgang mit Waffen, Munition und komplexem militärischem Gerät gehört und der es erfordert, daß der Soldat im Dienst im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte ist. Das schließt den Genuß von Alkohol im Dienst grundsätzlich aus (vgl. ZDv 10/5 Anlage 8 Nr. 1). Eine Auferlegung eines allgemeinen Alkoholverbots während der Freizeit läßt sich mit diesen Erwägungen nicht rechtfertigen. Denn es liegt auf der Hand, daß es sowohl vom Zeitfaktor als auch vom Umfang der genossenen Alkoholmenge her Freiräume für einen Alkoholgenuß gibt, durch den dienstliche Belange nicht berührt werden. Ein allgemeines außerdienstliches Alkoholverbot verstieße damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und hätte vor Art. 2 Abs. 1 GG keinen Bestand. Je stärker allerdings durch das. Freizeitverhalten die dienstlichen Belange berührt werden, desto mehr Beschränkungen muß der Soldat auch im außerdienstlichen Bereich hinnehmen, oder umgekehrt, je stärker der mit einem Verbot verbundene Eingriff in die Freizeitsphäre des Soldaten ist, desto höhere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit und Erheblichkeit der Beeinträchtigung dienstlicher Belange zu stellen (BVerwGE 53, 83, 86) [BVerwG 04.11.1975 - I WB 59/74].

Das den Flugzeugführern und Besatzungsangehörigen durch den Befehl vom 8. Juli 1988 auferlegte Verbot, bis zu zwölf Stunden vor Flugbeginn keinen Alkohol zu sich zu nehmen, erweist sich bei Anlegen dieser Maßstäbe nicht als unverhältnismäßig.

Zur Abklärung des Umfangs des Eingriffs in die Freizeitsphäre muß zunächst einmal festgestellt werden, inwieweit der betroffene Personenkreis durch den Befehl überhaupt über den bisherigen Umfang hinaus in seinem außerdienstlichen Verhalten belastet wird. Dabei ist davon auszugehen, daß nach dem Willen des Befehlsgebers der Zeitpunkt des Verbots vom Flugbeginn her zurückgerechnet werden soll. Unter Flugbeginn ist hier der tatsächliche Beginn der Tätigkeiten zu verstehen, die unmittelbar der vorschriftsmäßigen Durchführung des konkret befohlenen fliegerischen Einsatzes dienen. Ob eine Tätigkeit diesem Bereich zuzuordnen ist und ob das dem Flugpersonal bekannt sein mußte, ist im jeweiligen Einzelfall dann zu entscheiden, wenn dem Flugpersonal ein Befehlsverstoß angelastet wird. Das Verbot ist deshalb nur wirksam, wenn den Flugzeugführern oder den anderen Besatzungsangehörigen der Flugbeginn bekannt ist und sie von diesem Zeitpunkt an die Karenzzeit zurückrechnen können. Wird ein Flugeinsatz kurzfristig befohlen, so stellt der Alkoholgenuß, der vor diesem Einsatzbefehl liegt, keinen Verstoß gegen die angegriffene Regelung dar. Das angegriffene Verbot bewegt sich damit durchaus in dem Bereich, wie die den Flugzeugführern in der Zivilluftfahrt auferlegte Pflicht zu einer zwölfstündigen Abstinenz.

Die militärischen Flugzeugführer und Besatzungsmitglieder werden über das allgemeine Alkoholverbot während des Dienstes und die in Nr. 207 ZDv 19/2 gestellten Anforderungen hinaus durch die neue Regelung in ihrer Freizeitsphäre kaum weiter eingeschränkt als dies in vielen Fällen denjenigen abverlangt wird, die mit gefährlichem Gerät umgehen müssen oder die mit gefährlichen Aufgaben betraut sind.

Ein Alkoholverbot einige Zeit vor Dienstbeginn ist nichts Außergewöhnliches, wenn die Art des Dienstes Nüchternheit bei Dienstbeginn erfordert (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 Allgemeine Dienstanweisung für Bundesbahnbeamte vom 1. Januar 1977; BVerwGE 67, 61 für waffentragende Beamte des Zolldienstes). Ein vorübergehend angeordnetes völliges Alkoholverbot - auch in der Freizeit - ist innerhalb der Bundeswehr nicht ungewöhnlich, z.B. für Wachsoldaten (vgl. Nr. 904 ZDv 10/6: "Verzicht auf den Genuß alkoholischer Getränke oder sonstiger berauschender Mittel wenigstens 8 Stunden vor der Vergatterung"), in Sofortbereitschaftsstellungen, vor und während Truppenübungsplatzaufenthalten oder Seemanövern.

Die Einschränkung ihrer Freizeitsphäre ist den Betroffenen im Hinblick auf das Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz der Bevölkerung vor Gefahren, die von alkoholisierten bzw. nicht voll leistungsfähigen Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr ausgehen können, zuzumuten. Die Sicherheit des Luftverkehrs über der Bundesrepublik Deutschland ist ein sehr hohes Gut, das es wegen der möglichen katastrophalen Auswirkungen von Luftfahrzeugabstürzen unbedingt zu schützen gilt.

Die Einwendungen des Antragstellers gegen das Alkoholverbot gehen denn auch dahin, das Verbot bringe im Verhältnis zur bisherigen Rechts- und Erlaßlage wenig, es sei von den Ausgangsüberlegungen her ungeeignet und es sei deshalb zugleich unverhältnismäßig.

Dem kann nicht gefolgt werden. Angesichts der im Verhältnis zum anerkennenswerten Schutzzweck geringfügigen Beschränkung des Freiheitsraums muß an die Geeignetheit des Verbots zur Erreichung des Schutzzwecks kein strenger Maßstab angelegt werden. Werden einem Soldaten in Ausformung seiner Pflicht zum treuen Dienen besondere Pflichten auferlegt, so bleibt in diesem Bereich den zuständigen militärischen Vorgesetzten ein Raum, den sie unter militärischen Zweckmäßigkeitserwägungen ausfüllen können (BVerwGE 46, 1, 3) [BVerwG 25.07.1972 - I WB 127/72]. Es kann vorliegend also nicht darauf ankommen, ob man die Verhinderung von Flugeinsätzen unter Alkoholeinfluß auch anders oder sogar besser hätte regeln können als dies nach der seit dem Befehl vom 8. Juli 1988 geltenden Rechts- und Erlaßlage nunmehr der Fall ist. Daß die Festlegung einer Zeitgrenze für den Genuß von Alkohol vor bekanntem Flugbeginn dem gesteckten Ziel mindestens förderlich ist, da sie jedenfalls geeignet ist, das "Promille-Rechnen" beim Konsum alkoholischer Getränke zu unterbinden und weil es damit dem fliegenden Personal eine wichtige Hilfe gibt, rechtzeitig für Erhalt und Wiederherstellung seiner psychischen und physischen Leistungsfähigkeit zu sorgen, und geeignet ist, den Raum für individuelle Fehleinschätzungen hinsichtlich der Verträglichkeit von Alkohol einzuengen, ist ausreichend, um das Verbot unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit vertretbar erscheinen zu lassen. Es ist nicht die Aufgabe der Wehrdienstgerichte, ihre Auffassung von der Zweckmäßigkeit militärischer Befehle an die Stelle derjenigen der zuständigen Vorgesetzten zu setzen (BVerwGE 43, 179).

Der Antrag ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

3.Eine Belastung des Antragstellers mit Verfahrenskosten kommt nicht in Betracht, da der Senat die hierfür bestehenden Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 WBO nicht für gegeben erachtet.