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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 08.11.1990, Az.: 1 WB 86/89

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

IDer Antragsteller ist Berufssoldat und Offizier des militärfachlichen Dienstes. Bis zum 6. April 1989 wurde er bei der 1./Fliegenden Abteilung ... in N. als Lufttransporthubschrauber-Pilot verwendet.

An diesem Tage verhängte der Kommandeur der Fliegenden Abteilung ... ein vorläufiges Flugverbot gegen den Antragsteller, weil er am 30. Juni 1988 das Städtische Freibad in Ochsenfurt im Tiefflug überflogen und kurzzeitig in den das Schwimmbad begrenzenden Bäumen im Schwebeflug verharrt habe und damit vom Flugauftrag abgewichen sei.

Der Kommandierende General des ... Korps (KG ... Korps) entzog dem Antragsteller den Militärluftfahrzeugführerschein Nr. 6502 mit Beiblatt "H" am 8. November 1989 endgültig.

Diese Entscheidung ist noch nicht bestandskräftig, denn der Antragsteller hat sie mit der weiteren Beschwerde beim Bundesminister der Verteidigung (BMVg) angefochten. Seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde hat der Senat durch Beschluß vom 15. Mai 1990 - 1 WB 24/90 - als unzulässig zurückgewiesen.

Nach einem Hubschrauberabsturz mit tödlichem Ausgang am 3. Juli 1988 versandte der BMVg - Fü S I 3 - am 8. Juli 1988 ein Fernschreiben folgenden Inhalts:"Betr.: Hubschrauberunglück im WettersteingebirgeNach den von der Staatsanwaltschaft München öffentlich mitgeteilten, vorläufigen Untersuchungsergebnissen ist bei einem der beiden Piloten des Hubschrauberunglücks im Wettersteingebirge am 03.07.1988 ein Blutalkoholwert von 2,5 Promille, bei dem anderen ein Wert von 0,01 Promille festgestellt worden. Weiterhin teilte die Staatsanwaltschaft mit, daß beim gegenwärtigen Stand der Untersuchungen nicht zu erkennen ist, welcher der beiden Soldaten den Hubschrauber zum Unglückszeitpunkt gesteuert hat.Verteidigungsminister Prof. Dr. Scholz hat dieses verantwortungslose Fehlverhalten ausdrücklich mißbilligt und angewiesen, weiterhin mit aller Schärfe gegen derartige unentschuldbare Dienstpflichtverletzungen vorzugehen. Er hat darüber hinaus die große Verantwortung der Piloten der Bundeswehr für das Leben von Kameraden und Bevölkerung hervorgehoben und herausgestellt, daß Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr der Alkoholgenuß 12 Stunden vor Flugbeginn generell verboten ist und nur in absolut nüchternem Zustand geflogen werden darf.Diese Weisung ist allen betroffenen Luftfahrzeugführern und Besatzungsangehörigen in geeigneter Form bekanntzugeben."

Der Inhalt dieses Fernschreibens ist dem Antragsteller bei der morgendlichen Dienstbesprechung am 12. Juli 1988 bekanntgegeben worden.

Mit Schreiben vom 25. Juli 1988, das am 26. Juli 1988 beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin und am 29. Juli 1988 beim BMVg einging, erhob er "Beschwerde gegen eine Dienstanweisung des Bundesverteidigungsministers".

Der Antragsteller trägt vor, sein Begehren richte sich nicht gegen den grundsätzlichen Inhalt dieses Erlasses; er sei vielmehr von der Richtigkeit der Aussage überzeugt, daß nur in absolut nüchternem Zustand geflogen werden dürfe. Er wende sich aber gegen die Anordnung, die generell den Alkoholgenuß zwölf Stunden vor Flugbeginn verbiete. Die Verfügung, zwölf Stunden vor Flugbeginn keinen Alkohol zu trinken, komme einem absoluten Alkoholverbot für jeden Piloten gleich. Denn anders als bei zivilen Luftfahrtgesellschaften, deren Flugpläne immer einen Monat im voraus feststünden, so daß sich der Pilot bereits darauf einstellen könne, müsse jeder Pilot der Bundeswehr ständig damit rechnen, zum Fliegen abkommandiert zu werden.

Das Verbot, zwölf Stunden vor Flugbeginn jeweils keinen Alkohol mehr zu trinken, greife in unzulässiger Weise in sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Bei extremer Auslegung könne in dieser Anweisung sogar eine Behinderung der freien Religionsausübung gesehen werden. Streng genommen dürfe nämlich kein Pilot zwölf Stunden vor einem möglichen Flug am kirchlichen Abendmahl teilnehmen, da er hierbei ebenfalls Wein zu trinken erhalte. Außerdem ließe sich das Gebot, nur in absolut nüchternem Zustand zu fliegen, auch auf andere Weise erreichen, etwa durch stichprobenartige Kontrollen mittels sogenannter Alkomaten. Letztendlich sei die Einhaltung der Anweisung kaum zu überprüfen und daher in der Durchführbarkeit stark eingeschränkt.

Der BMVg bittet,

das Begehren zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, er habe mit dem angefochtenen Erlaß Nr. 207 ZDv 19/2 konkretisiert, um durch eine geeignete Maßnahme sicherzustellen, daß Piloten und Besatzungsmitglieder bei Flugbeginn einen "Null-Alkoholspiegel" hätten.

Nur bei absoluter Nüchternheit sei zweifelsfrei ausgeschlossen, daß die psychische und physische Konstitution bei der Erfüllung der verantwortungsvollen Aufgabe beeinträchtigt werde. Zur vorbeugenden Gefahrenabwehr im Luftverkehr habe es sich als notwendig erwiesen, die bislang zulässige Grenze von 0,2 Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) aufzugeben. Die zusätzliche Anordnung, daß nur in absolut nüchternem Zustand geflogen werden dürfe und Alkoholgenuß zwölf Stunden vor Flugbeginn generell untersagt sei, sei im Interesse einer vorbeugenden Gefahrenabwehr im Luftverkehr geboten gewesen, weil in Fällen, in denen zwischen Flugbeginn und Flugdienstbeginn nur eine geringe zeitliche Differenz bestehe, eine BAK zum Zeitpunkt des Flugbeginns bis maximal 0,2 Promille hätte hingenommen werden müssen.

Die in seiner Weisung enthaltene Zwölf-Stunden-Frist stelle eine zusätzliche Sicherung zur Gewährleistung des nunmehr erstmals befohlenen Null-Alkoholspiegels zu Flugbeginn dar. Diese Regelung knüpfe an ein objektives Kriterium an und diene damit der Rechtsklarheit. Entsprechend der Funktion einer zusätzlichen Sicherung sei es nach wie vor untersagt, vor der Zwölf-Stunden-Frist Alkohol in einem Umfange zu sich zu nehmen, daß die BAK bei Beginn des Flugdienstes 0,2 Promille übersteige.

Auch bei der Lufthansa und der amerikanischen Luftwaffe dürften in den zwölf Stunden vor Flugbeginn keine alkoholischen Getränke eingenommen werden.

Die von ihm getroffene Regelung sei in besonderem Maße geeignet, einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit des Luftverkehrs zu leisten und verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwölf-Stunden-Regelung sei als Minimalforderung anzusehen. Sie bilde eine psychologische Barriere, die die "Promille-Rechnerei" beim Konsum alkoholischer Getränke unterbinden solle. Sie könne Verantwortungsbewußtsein und Pflichtgefühl des fliegenden Personals der Bundeswehr nicht ersetzen, gebe diesem aber eine wichtige Hilfe, rechtzeitig für Erhalt und Wiederherstellung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit zu sorgen.

Im übrigen hänge die individuelle Abbaugeschwindigkeit der Alkoholkonzentration im menschlichen Körper von einer Vielzahl von Faktoren ab, so daß jeglicher Schematismus vermieden werden müsse. Alkoholische Getränke enthielten neben Alkohol je nach Art und Güte noch andere Begleitstoffe, die sich ebenfalls auf die körperliche Leistungsfähigkeit auswirkten und deren Abbaugeschwindigkeit oft geringer sei als die des Alkohols. Bei ausgiebigem Alkoholgenuß am Vortag könne trotz zwischenzeitlichen Abbaus des Restalkohols eine Beeinträchtigung durch den sogenannten "Hangover-Effekt" erfolgen. Auch könne eine geringe Alkoholmenge, die normalerweise zwischen Konsum und Flugbeginn abgebaut wäre, beispielsweise unter dem Einfluß von Medikamenten oder wegen fehlenden Schlafs zu einer erheblichen Leistungsminderung führen.

Zweck der Regelung sei es nicht nur, bei Flugbeginn lediglich eine BAK von 0,0 Promille zu erreichen, sondern optimale Leistungsfähigkeit. Die Regelung werde auch nicht deswegen überflüssig, weil sie bei mehr als zwölf Stunden zurückliegendem ekzessivem Alkoholgenuß keine absolute Nüchternheit bei Dienstantritt gewährleisten könne. In diesem unkontrollierbaren Ausnahmefall sei es selbstverständliche Pflicht, daß der Betroffene über seine verminderte Leistungsfähigkeit Meldung mache. Einzuräumen sei, daß bei kurz hintereinander liegenden Einsätzen und bei Bereitschaftsdiensten längere Zeit kein Alkohol getrunken werden dürfe. Das sei aber nicht eine Folge der Zwölf-Stunden-Regelung. Abstinentes Verhalten könne entsprechend den dienstlichen Erfordernissen auch für eine gewisse Dauer und nicht nur kurzfristig verlangt werden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Bei seiner Entscheidung haben dem Senat die Verfahrensakte des BMVg - P II 5 - Az. 25-05-12 551/88 - sowie die Personalakten des Antragstellers, Teile A, B, C, vorgelegen.

II1.Der Antragsteller hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt. Bei sachdienlicher Auslegung seines Vorbringens beantragt er,den Fernschreib-Erlaß des BMVg - Fü S I 3 - vom 8. Juli 1988 aufzuheben.

2.Dieser Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.

a)Der Inhalt des Fernschreibens des BMVg vom 8. Juli 1988, demzufolge den Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr der Alkoholgenuß zwölf Stunden vor Flugbeginn generell verboten ist und nur in absolut nüchternem Zustand geflogen werden darf, ist ein Befehl. Anordnungen des BMVg zu einem bestimmten Verhalten, die er als militärischer Vorgesetzter gemäß Art. 65 a GG Untergebenen mündlich, allgemein und mit dem Anspruch auf Gehorsam erteilt, sind Befehle, wenn sie den Voraussetzungen des § 2 Nr. 2 WStG entsprechen. Dies ist hier der Fall. Die mündliche Weisung des BMVg, die durch das Fernschreiben vom 8. Juli 1988 umgesetzt und bekannt gemacht wurde, enthält ein unmittelbar an den erwähnten Kreis von Soldaten gerichtetes Gebot, das einer besonderen Konkretisierung im Einzelfall nicht mehr bedarf und auch den zuständigen Vorgesetzten einen eigenständigen Ermessensspielraum in seiner Anwendung nicht mehr beläßt.

Da es sich um eine Daueranordnung handelt, ist der in der Beschwerde vom 25. Juli 1988 enthaltene Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch nicht als verspätet anzusehen (BVerwG Beschlüsse vom 17. Mai 1972 - 1 WB 125/71 - und vom 11. Dezember 1984 - 1 WB 153/83).

Die Beschwer des Antragstellers ist nicht entfallen. Er darf zwar seit der Verhängung des vorläufigen Flugverbots am 6. April 1989 und der endgültigen Entziehung des Militärluftfahrzeugführerscheins Nr. 6502 mit Beiblatt "H" am 8. November 1989 durch den KG III. Korps nicht mehr Flugdienst leisten. Über die weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid vom 8. November 1989 hat der BMVg aber noch nicht entschieden. Sollte der Antragsteller mit dem Rechtsbehelf Erfolg haben und wieder Flugdienst leisten dürfen, müßte er den Befehl des BMVg vom 8. Juli 1988 beachten.

b)Der angefochtene Befehl des BMVg ist rechtmäßig.

Der Befehl dient ausschließlich dienstlichen Zwecken (§ 10 Abs. 4 SG).

Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr kommt bei der Sicherheit im Flugverkehr eine besondere Verantwortung zu. Wenn sie unter alkoholischer Beeinflussung - und hierdurch in ihrer psychischen und physischen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt - einen Flug durchführen, gefährden sie nicht nur Materialwerte, sondern auch ihr Leben und ihre Gesundheit, darüber hinaus Leben und Gesundheit der etwa mitfliegenden Personen und der Bevölkerung. Befehle, die solchen Funktionsbehinderungen und Gefährdungen entgegenwirken, dienen unmittelbar militärischen Belangen und damit dienstlichen Zwecken (BVerwGE 76, 110).

Der Befehl ist auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig. Insbesondere schränkt er nicht das Grundrecht des Antragstellers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise ein.

Die allgemeine Handlungsfreiheit ist ein umfassendes Grundrecht (BVerfGE 80, 137, 152 f.) [BVerfG 06.06.1989 - 1 BvR 921/85]. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, bestimmte Verhaltensweisen, sofern sie sich ihrerseits im Rahmen der Rechtsordnung halten, von dem Grundrechtschutz auszunehmen. Unrichtig wäre des halb die Annahme, der Genuß alkoholischer Getränke sei von vornherein aus dem Schutzbereich ausgenommen.

Die allgemeine Handlungsfreiheit ist indessen nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Das heißt, alle Rechtsnormen, die formell und materiell der Verfassung entsprechen, schränken die Handlungsfreiheit zulässigerweise ein (BVerfGE 6, 32). Nach § 1 Abs. 3 LuftVO darf kein Luftfahrzeug führen und als anderes Besatzungsmitglied tätig sein, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder infolge geistiger oder körperlicher Mängel in der Wahrnehmung der Aufgaben als Führer eines Luftfahrzeuges oder sonst als Mitglied der Besatzung behindert ist. Insoweit ist für alle Luftfahrzeugführer und Besatzungsangehörige das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ohnehin eingeschränkt. Dies gilt naturgemäß erst recht für den militärischen Bereich (Nr. 207 ZDv 19/2).

Darüber hinaus ist im Bereich des Wehrwesens ganz allgemein die allgemeine Handlungsfreiheit in formeller Hinsicht in der durch § 6 SG beschriebenen Weise eingeschränkt. Demnach können die staatsbürgerlichen Rechte der Soldaten im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch die gesetzlich begründeten Soldatenpflichten beschränkt werden (BDHE 5, 231; BVerwGE 46, 1 [BVerwG 25.07.1972 - I WB 127/72]). Die mit dem angegriffenen Befehl verbundene Erwartung des BMVg geht dahin, daß die angesprochenen Besatzungsmitglieder Alkoholgenuß unterlassen sollen, da dieser der Funktionsfähigkeit der Luftstreitkräfte abträglich ist und ihnen die Erfüllung ihrer Aufträge erschwert. Eine Auferlegung von Pflichten mit dieser Zielsetzung kann aus der Pflicht des Soldaten zum treuen Dienen abgeleitet werden (BVerwGE 76, 66). Diese Pflicht obliegt den Soldaten nicht nur im Dienst, sondern auch außerhalb des Dienstes (BVerwGE 73, 81;  83, 60).

Materiell ist die Auferlegung von Einzelpflichten aber nur dann verfassungskonform, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt (BVerfGE 80, 137, 152 f. [BVerfG 06.06.1989 - 1 BvR 921/85]; BVerwGE 53, 83, 86) [BVerwG 04.11.1975 - I WB 59/74].

Das bedeutet, daß Befehle, die der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte dienen, den Freiheitsraum nicht undifferenziert einschränken dürfen.

Innerhalb des Dienstes kann die Handlungsfreiheit stärker eingeschränkt werden als außerhalb des Dienstes. Das grundsätzliche allgemeine Alkoholverbot während des Dienstes (Nr. 414 Abs. 1 ZDv 10/5; BVerwGE 76, 277 [BVerwG 24.10.1984 - 2 WD 23/84]) rechtfertigt sich ohne weiteres aus der Eigenart des militärischen Dienstes, zu dem der Umgang mit Waffen, Munition und komplexem militärischen Gerät gehört und der es erfordert, daß der Soldat im Dienst im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte ist. Das schließt den Genuß von Alkohol im Dienst grundsätzlich aus (vgl. ZDv 10/5 Anlage 8 Nr. 1). Eine Auferlegung eines allgemeinen Alkoholverbots während der Freizeit läßt sich mit diesen Erwägungen nicht rechtfertigen. Denn es liegt auf der Hand, daß es sowohl vom Zeitfaktor als auch vom Umfang der genossenen Alkoholmenge her Freiräume für einen Alkoholgenuß gibt, durch den dienstliche Belange nicht berührt werden. Ein allgemeines außerdienstliches Alkoholverbot verstieße damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und hätte vor Art. 2 Abs. 1 GG keinen Bestand. Je stärker allerdings durch das Freizeitverhalten die dienstlichen Belange berührt werden, desto mehr Beschränkungen muß der Soldat auch im außerdienstlichen Bereich hinnehmen, oder umgekehrt, je stärker der mit einem Verbot verbundene Eingriff in die Freizeitsphäre des Soldaten ist, desto höhere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit und Erheblichkeit der Beeinträchtigung dienstlicher Belange zu stellen (BVerwGE 53, 83, 86) [BVerwG 04.11.1975 - I WB 59/74].

Das den Flugzeugführern und Besatzungsangehörigen durch den Befehl vom 8. Juli 1988 auferlegte Verbot, bis zu zwölf Stunden vor Flugbeginn keinen Alkohol zu sich zu nehmen, erweist sich bei Anlegen dieser Maßstäbe nicht als unverhältnismäßig.

Zur Abklärung des Umfangs des Eingriffs in die Freiheitssphäre muß zunächst einmal festgestellt werden, inwieweit der betroffene Personenkreis durch den Befehl überhaupt über den bisherigen Umfang hinaus in seinem außerdienstlichen Verhalten belastet wird. Dabei ist davon auszugehen, daß nach dem Willen des Befehlsgebers der Zeitpunkt des Verbots vom Flugbeginn her zurückgerechnet werden soll. Unter Flugbeginn ist hier der tatsächliche Beginn der Tätigkeiten zu verstehen, die unmittelbar der vorschriftsmäßigen Durchführung des konkret befohlenen fliegerischen Einsatzes dienen. Ob eine Tätigkeit diesem Bereich zuzuordnen ist und ob das dem Flugpersonal bekannt sein mußte, ist im jeweiligen Einzelfall dann zu entscheiden, wenn dem Flugpersonal ein Befehlsverstoß angelastet wird. Das Verbot ist deshalb nur wirksam, wenn den Flugzeugführern oder den anderen Besatzungsangehörigen der Flugbeginn bekannt ist und sie von diesem Zeitpunkt an die Karenzzeit zurückrechnen können. Wird ein Flugeinsatz kurzfristig befohlen, so stellt der Alkoholgenuß, der vor diesem Befehl liegt, keinen Verstoß gegen die angegriffene Regelung dar. Das angegriffene Verbot bewegt sich damit durchaus in dem Bereich, wie die den Flugzeugführern in der Zivilluftfahrt auferlegte Pflicht zu einer zwölfstündigen Abstinenz.

Die militärischen Flugzeugführer und Besatzungsmitglieder werden über das allgemeine Alkoholverbot während des Dienstes und die in Nr. 207 ZDv 19/2 gestellten Anforderungen hinaus durch die neue Regelung in ihrer Freiheitssphäre kaum weiter eingeschränkt als dies in vielen Fällen denjenigen abverlangt wird, die mit gefährlichem Gerät umgehen müssen oder die mit gefährlichen Aufgaben betraut sind.

Ein Alkoholverbot einige Zeit vor Dienstbeginn ist nichts Außergewöhnliches, wenn die Art des Dienstes Nüchternheit bei Dienstbeginn erfordert (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 Allgemeine Dienstanweisung für Bundesbahnbeamte vom 1. Januar 1977; BVerwGE 67, 61 für waffentragende Beamte des Zolldienstes). Ein vorübergehend angeordnetes völliges Alkoholverbot - auch in der Freizeit - ist innerhalb der Bundeswehr nicht ungewöhnlich, z.B. für Wachsoldaten (vgl. Nr. 904 ZDv 10/6: "Verzicht auf den Genuß alkoholischer Getränke oder sonstiger berauschender Mittel wenigstens 8 Stunden vor der Vergatterung"), in Sofortbereitschaftsstellungen, vor und während Truppenübungsplatzaufenthalten oder Seemanövern.

Die Einschränkung ihrer Freiheitssphäre ist den Betroffenen im Hinblick auf das Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz der Bevölkerung vor Gefahren, die von alkoholisierten bzw. nicht voll leistungsfähigen Führern und Besatzungsangehörigen von Luftfahrzeugen der Bundeswehr ausgehen können, zuzumuten. Die Sicherheit des Luftverkehrs über der Bundesrepublik Deutschland ist ein sehr hohes Gut, das es wegen der möglichen katastrophalen Auswirkungen von Flugzeug- oder Hubschrauberabstürzen unbedingt zu schützen gilt.

Die Einwendungen des Antragstellers gegen das Alkoholverbot gehen denn auch dahin, das Verbot bringe im Verhältnis zur bisherigen Rechts- und Erlaßlage wenig, es sei von den Ausgangsüberlegungen her ungeeignet und nicht überwachbar und es sei deshalb zugleich unverhältnismäßig.

Dem kann nicht gefolgt werden. Angesichts der im Verhältnis zum anerkennenswerten Schutzzweck geringfügigen Beschränkung des Freiheitsraums muß an die Geeignetheit des Verbots zur Erreichung des Schutzzwecks kein strenger Maßstab angelegt werden. Werden einem Soldaten in Ausformung seiner Pflicht zum treuen Dienen besondere Pflichten auferlegt, so bleibt in diesem Bereich den zuständigen militärischen Vorgesetzten ein Raum, den sie unter militärischen Zweckmäßigkeitserwägungen ausfüllen können (BVerwGE 46, 1, 3) [BVerwG 25.07.1972 - I WB 127/72]. Es kann vorliegend also nicht darauf ankommen, ob man die Verhinderung von Flugeinsätzen unter Alkoholeinfluß auch anders oder sogar besser hätte regeln können als dies nach der seit dem Befehl vom 8. Juli 1988 geltenden Rechts- und Erlaßlage nunmehr der Fall ist. Daß die Festlegung einer Zeitgrenze für den Genuß von Alkohol vor bekanntem Flugbeginn dem gesteckten Ziel mindestens förderlich ist, da sie jedenfalls geeignet ist, das "Promille-Rechnen" beim Konsum alkoholischer Getränke zu unterbinden und weil es damit dem fliegenden Personal eine wichtige Hilfe gibt, rechtzeitig für Erhalt und Wiederherstellung seiner psychischen und physischen Leistungsfähigkeit zu sorgen, und geeignet ist, den Raum für individuelle Fehleinschätzungen hinsichtlich der Verträglichkeit von Alkohol einzuengen, ist ausreichend, um das Verbot unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit vertretbar erscheinen zu lassen. Es ist nicht die Aufgabe der Wehrdienstgerichte, ihre Auffassung von der Zweckmäßigkeit militärischer Befehle an die Stelle der zuständigen Vorgesetzten zu setzen (BVerwGE 43, 179).

Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er werde durch den Befehl des BMVg in seinem Grundrecht auf freie Religionsausübung aus Art. 4 Abs. 2 GG in unzulässiger Weise behindert. Die Ausübung der Religionsfreiheit wird nicht dadurch unverhältnismäßig eingeschränkt, daß einem Soldaten bei der Wahrnehmung seiner religiösen Rechte und Pflichten zeitliche Beschränkungen auferlegt werden. Auch wenn man - unzutreffenderweise - unterstellt, mit der Teilnahme an einer evangelischen Abendmahlsfeier sei zwingend der Genuß alkoholischer Getränke verbunden, so bliebe dem Antragsteller auch bei Beachtung des angefochtenen Alkoholverbots ein genügender Freiraum.

3.Eine Belastung des Antragstellers mit Verfahrenskosten kommt nicht in Betracht, da der Senat die hierfür bestehenden Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 WBO nicht für gegeben erachtet.