Bundesverwaltungsgericht
Entscheidung vom 22.01.1997, Az.: 2 WD 24/96
Tenor
Unter Zurückweisung der Berufung des früheren Soldaten wird auf die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts das Urteil der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 21. März 1996 aufgehoben.
Der frühere Soldat wird wegen eines Dienstvergehens in den Dienstgrad eines Matrosen der Reserve herabgesetzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt.
Entscheidungsgründe
I.Der 57 Jahre alte frühere Soldat besuchte nach der Grundschule zwei Jahre eine Volksschule und wechselte dann auf das Humanistische Gymnasium Bergedorf, das er im 12. Schuljahr am 25. November 1958 ohne Abschluà verlieÃ. In der Folgezeit war er Schiffsjunge, besuchte vom 12. Januar 1959 bis 31. März 1959 die Seemannsschule F., fuhr auf unterschiedlichen Schiffstypen verschiedener Reedereien in wechselnden Fahrgebieten, zunächst als Matrose, sodann als Dritter und Zweiter Steuermann, später als Erster Offizier und schlieÃlich als Kapitän. Am 26. Oktober 1971 legte er an der Fachhochschule Hamburg, Fachbereich Seefahrt, die Prüfung zum "Kapitän auf groÃer Fahrt" mit der Gesamtnote "befriedigend" ab; gleichzeitig wurde ihm der akademische Grad "Wirtschaftsingenieur (grad.) für Seeverkehr" verliehen. Infolge der Ausflaggung deutscher Seeschiffe war er von 1992 bis 1994 als selbstständiger Transporteur an Land tätig und ging Ende 1994 in den Ruhestand.
Nach seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr wurde der frühere Soldat für die Zeit vom 3. November 1975 bis 12. Dezember 1975 mit dem vorläufigen Dienstgrad Oberleutnant zur See der Reserve zur Teilnahme am "Offizierlehrgang zum Reserveoffizier für Patentinhaber A 6/AG" an der Marineschule M. einberufen, den er mit dem Gesamturteil "ausreichend" bestand. Mit Urkunde vom 21. November 1975 wurde er zum Oberleutnant zur See der Reserve und mit Urkunde vom 1. Dezember 1988 zum Kapitänleutnant der Reserve ernannt. Im Rahmen seiner Wehrübungen war er überwiegend in der Funktion eines "Supercargo" auf den der Bundeswehr zugewiesenen Charterschiffen eingesetzt, schloà am 24. Oktober 1986 den "Offizier-Aufbaulehrgang ReserveOffz Patentinhaber A6/AG/AM" mit der AbschluÃnote "befriedigend" ab und nahm danach bis 1995 an insgesamt sechs weiteren Wehrübungen teil.
Der frühere Soldat wurde einmal dienstlich beurteilt, und zwar als Oberleutnant zur See der Reserve während einer Einzelwehrübung vom 22. August 1988 bis 26. September 1988. In der Beurteilung vom 26. September 1988 erzielte er in der gebundenen Beschreibung zehnmal die Wertung "3" und einmal die Wertung "2". In der freien Beschreibung wurde über ihn ausgeführt:"M. ist ein leistungsbereiter Reserveoffizier, der sich engagiert für eine ordnungsgemäÃe Erfüllung übertragener Aufgaben einsetzt und verantwortet. Den Belastungen des Hafenumschlagbetriebes und Seedienstes ist er voll gewachsen.Seine Einwirkungsmöglichkeiten auf den Ablauf der Seetransportoperation hat er zum Nutzen der Bundeswehr ausgeschöpft und damit zu einem wirtschaftlichen Erfolg beigetragen. Als Kamerad gab er sich hilfsbereit und taktvoll. Seine Urteilsfähigkeit ist sachgerecht, sein Fachwissen deutlich über den dienstlichen Erfordernissen angesiedelt."
Der nächsthöhere Vorgesetzte gab dazu keine Stellungnahme ab, weil ihm der frühere Soldat nicht bekannt war.
Im Bundeszentralregister und in den Personalakten sind über den früheren Soldaten weder strafgerichtliche noch disziplinare Eintragungen enthalten.
Der frühere Soldat erhält eine monatliche Seemannsrente in Höhe von etwa 2.090 DM; seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet.
Er ist seit dem 14. Januar 1974 verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder im Alter von 19 und 22 Jahren hervorgegangen, die sich gegenwärtig in der Berufsausbildung befinden. Seine Ehefrau ist seit ca. sechs Monaten arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld, das sich auf etwa 1.800 DM beläuft.
II.Am 21. Juni 1995 kam es durch Abgabe gemäà § 29 Abs. 3 WDO zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen denfrüheren Soldaten, das von der Staatsanwaltschaft Lüneburg am 19. September 1995 gemäà § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde.
In dem mit Verfügung des Amtschefs Personalstammamt der Bundeswehr vom 26. Oktober 1995 ordnungsgemäà eingeleiteten sachgleichen disziplinargerichtlichen Verfahren legte der Wehrdisziplinaranwalt dem früheren Soldaten in der Anschuldigungsschrift vom 13. Dezember 1995 folgendes Verhalten als schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:"Zu einem nicht näher eingrenzbaren Zeitpunkt zwischen dem 27. März 1995 und dem 16. April 1995 machte er im Rahmen einer Wehrübung gegenüber seinen Untergebenen, dem damaligen Stabsunteroffizier Kö. und dem Feldwebel K., auf dem unter spanischer Flagge fahrenden, von der Bundeswehr gecharterten Schiff 'Arroyofrio Dos' während der Fahrt von Emden nach Beaumont/Texas (USA) abfällige Bemerkungen über Ausländer. Dabei äuÃerte er unter anderem:'Alles, was nicht arisch ist und in Deutschland lebt, gehört erschossen oder in die Gaskammer!''Jeder Deutsche ist von Geburt an ein Nazi!''Jeder Schwarze taugt nichts!'"
Die 3. Kammer des Truppendienstgerichts Nord fand den früheren Soldaten am 21. März 1996 eines Dienstvergehens schuldig und setzte ihn in den Dienstgrad eines Oberleutnants zur See der Reserve herab. Sie hielt den angeschuldigten Sachverhalt für erwiesen und stellte ergänzend fest, daà der Zeuge Kö. nach Ankunft in Beaumont mit dem Chef der dortigen Umschlagstaffel ein Gespräch über die Vorfälle an Bord geführt und durch schriftliche Meldung vom 27. April 1995 seinen Staffelchef über die ÃuÃerungen des früheren Soldaten unterrichtet hat. Sie wertete das Verhalten des früheren Soldaten als vorsätzliche Verletzung der Dienstpflichten nach §§ 7, 8, § 10 Abs. 3 und 6, § 12 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, mithin als Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG.
Zur MaÃnahmebemessung führte die Kammer aus:
Das Dienstvergehen wiege nicht leicht. Insbesondere mit der ÃuÃerung, "alles, was nicht arisch ist und in Deutschlandlebt, gehört erschossen oder in die Gaskammer", habe er bei Untergebenen den Eindruck aufkommen lassen, daà er solche Menschen für nicht lebenswert erachte. Gerade vor dem Hintergrund der Massenvernichtungen von Juden, Sinti, Polen und anderen Bevölkerungsgruppen während der Herrschaft des Nationalsozialismus erhalte die ÃuÃerung des früheren Soldaten einen makaberen Sinn. Hierbei könne er sich auch nicht auf das Recht der freien MeinungsäuÃerung berufen. Die politische Treuepflicht verlange von jedem Soldaten die Bereitschaft, sich mit der Idee des Staates zu identifizieren. Eine Verletzung dieser Pflicht gehöre zu den schwersten Pflichtwidrigkeiten. Ein Soldat, der anderen Rassen und Bevölkerungsgruppen die Lebensberechtigung abspreche, erwecke Zweifel, ob er als Vorgesetzter noch tragbar ist. Dabei könne es den früheren Soldaten auch nicht entscheidend entlasten, daà er möglicherweise nicht seine tatsächliche Ãberzeugung zum Ausdruck gebracht habe, sondern vielmehr nur in scherzhafter Weise dazu habe beitragen wollen, die Atmosphäre während der Ãberfahrt aufzulockern. Die Zuhörer hätten jedenfalls auf eine entsprechende antisemitische und neonazistische Gesinnung des früheren Soldaten schlieÃen müssen; das habe sich aus der Meldung des Zeugen Kö. sowie seiner Aussage und der des Zeugen K. in der Hauptverhandlung ergeben. Jedem vernünftig denkenden Menschen würde das Verständnis fehlen, wenn Soldaten das Massensterben von Juden während der Zeit des Nationalsozialismus ins Lächerliche zögen und andere Bevölkerungsgruppen verunglimpften. Von einem Soldaten mit Vorgesetztendienstgrad müsse erwartet werden, daà er sich zu problematischen Themen vorsichtig äuÃere. Der frühere Soldat habe deshalb ein schlechtes Beispiel gegeben und seiner Autorität als Vorgesetzter schwer geschadet. In Anbetracht seines Versagens im Kernbereich seiner Pflichten habe die Kammer dem früheren Soldaten eine reinigende MaÃnahme nicht ersparen können; allerdings sei es ausreichend gewesen, ihn nur um einen Dienstgrad herabzusetzen. Dafür sprächen seine günstige Beurteilung und seine bisherige tadelfreie Führung, überdies könne nicht ausgeschlossen werden, daà der frühere Soldat infolge des vorangegangenen Alkoholgenusses enthemmt und möglicherweise vondem Bestreben bestimmt gewesen sei, seine Untergebenen während der Ãberfahrt durch eine lockere Atmosphäre zu motivieren.
Gegen diese ihm am 11. April 1996 zugestellte Entscheidung hat der frühere Soldat mit Schreiben vom 5. Mai 1996, das am 7. Mai 1996 bei der Truppendienstkammer einging, Berufung mit dem Antrag auf Freispruch eingelegt.
Zur Begründung hat er vorgetragen:
In der Hauptverhandlung hätten die beiden Zeugen den gegen ihn erhobenen Vorwurf nicht bestätigen können. Die mit der Meldung vom 27. April 1995 ihm zur Last gelegte ÃuÃerung, wonach diejenigen, die nicht arisch sind, aber in Deutschland lebten, erschossen oder in die Gaskammer gehörten, sei auch nicht andeutungsweise durch die Zeugenaussagen bewiesen worden. Der Zeuge Kö. habe in der Hauptverhandlung erstmals erwähnt, den Chef der Umschlagstaffel auf die Vorgänge während der Ãberfahrt angesprochen zu haben. Dies müsse bezweifelt werden, weil auch er mit dem Chef der Umschlagstaffel zusammenkam, ohne daà dieser auf die durch den Zeugen Kö. aufgezeigten Vorkommnisse einging. Die Zeugenaussagen seien auch im Hinblick auf den Zeitpunkt der fraglichen ÃuÃerungen widersprüchlich. Die Zeugen hätten sich auf die Mitte der Reise festgelegt und als "Erinnerungsverstärker" für den Tathergang die abendliche Fernsehübertragung des sogenannten O. J. Simpson-Prozesses herangezogen. Es habe jedoch über einen Bereich der Reisemitte von wenigstens zehn Tagen aus technisch-physikalischen Gründen keinen Fernsehempfang gegeben. Die von ihm, dem früheren Soldaten, für das erstinstanzliche Verfahren benannten Zeugen hätten dies sofort bestätigen können. Im übrigen werde darauf verwiesen, daà zwischen den Zeugen und ihm ein gespanntes Verhältnis bestanden habe.
Auch der Wehrdisziplinaranwalt hat gegen das ihm am 15. April 1996 zugestellte Urteil eine auf die MaÃnahme beschränkte Berufung mit dem Antrag eingelegt, den früherenSoldaten in den Dienstgrad eines Leutnants zur See der Reserve herabzusetzen.
Zur Begründung hat er vorgetragen:
Das Urteil enthalte widersprüchliche ÃuÃerungen, weil die Kammer einerseits von einer der schwersten denkbaren Pflichtverletzungen ausgehe, andererseits aber eine Herabsetzung um nur einen Dienstgrad ausgesprochen habe. SchlieÃlich fehlten jegliche Anhaltspunkte für die Unterstellung zugunsten des früheren Soldaten, wonach er mit seinen ÃuÃerungen für eine lockere Atmosphäre und einer Steigerung der Motivation habe beitragen wollen.
III.1.Die Berufungen sind zulässig. Sie sind statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 110 Abs. 1, § 111 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).
2.Das Rechtsmittel des Wehrdisziplinaranwalts ist auf die MaÃnahme beschränkt, das des früheren Soldaten in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hatte daher im Rahmen der Anschuldigung (§ 118 Satz 1 i.V.m. § 103 Abs. 1 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, sie rechtlich zu würdigen und die sich daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen (§ 85 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO).
3.Während die Berufung des früheren Soldaten erfolglos blieb, erwies sich die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts als begründet.
a)Der Senat hat auf Grund der Einlassung des früheren Soldaten, soweit ihr gefolgt werden konnte, sowie durch Vernehmung der Zeugen K. und Kö. folgenden Sachverhalt festgestellt:
Durch Bescheid des Kreiswehrersatzamtes Lüneburg vom 21. März 1995 wurde der frühere Soldat zu einer Wehrübung für die Zeit vom 23. März bis 21. April 1995 einberufen und gemäà Einschiffungsbefehl des Leiters der Transportdienststelle See der Bundeswehr vom 20. März 1995 in der Zeit vom 27. März bis 16. April 1995 bei der Ãbung "Roving Sands '95" als "Supercargo" auf dem unter spanischer Flagge fahrenden, von der Transportdienststelle See der Bundeswehr gecharterten Schiff "Arroyofrio Dos" verwendet.
Auf der Fahrt von E. nach Beaumont/Texas (USA) waren gemäà o.a. Einschiffungsbefehl - neben dem früheren Soldaten - die Zeugen K. und Kö. die weiteren deutschen Besatzungsmitglieder und in ihrer Funktion als Ladungsbegleiter dem früheren Soldaten unterstellt. Im übrigen bestand die Besatzung aus spanischen Staatsangehörigen.
In der Regel trafen sich die beiden Zeugen mit dem früheren Soldaten mittags und abends zu den Mahlzeiten, zu denen auch alkoholhaltige Getränke gereicht wurden. Zu Beginn der Ãberfahrt kamen sie abends auch zum Fernsehen oder Kartenspielen zusammen. Bei solchen Begegnungen erklärte der frühere Soldat verschiedentlich in einem nicht mehr genau eingrenzbaren Zeitraum der Reise den beiden Zeugen:"Alles, was nicht arisch ist und in Deutschland lebt, gehört erschossen oder in die Gaskammer!Jeder Deutsche ist von Geburt an ein Nazi!Jeder Schwarze taugt nichts!"
Hierbei waren teilweise auch spanische Besatzungsangehörige zugegen, die aber die ÃuÃerungen mangels hinreichender Kenntnis der deutschen Sprache nicht verstehen konnten.
Wegen der Bemerkungen des früheren Soldaten führte der Zeuge Kö. nach Ankunft des Schiffes in Beaumont am 16. April 1995 ein Gespräch mit dem Chef der dortigenUmschlagstaffel. Nach seiner Rückkehr aus den USA machte er die ÃuÃerungen zum Gegenstand einer schriftlichen Meldung vom 27. April 1995 an seinen Disziplinarvorgesetzten; dadurch wurden die Vorfälle bekannt.
Sowohl der Zeuge Kö. als auch der Zeuge K., der seinerseits allerdings von einer entsprechenden dienstlichen Meldung abgesehen hatte, bestätigten die dem früheren Soldaten zur Last gelegten Vorwürfe. Diese Aussagen sind nach Ãberzeugung des Senats glaubhaft, weil sich die Zeugen im Zusammenhang mit den ÃuÃerungen des früheren Soldaten noch an Einzelheiten erinnern konnten. So hat der Zeuge K. dargelegt, daà die sinngemäÃe ÃuÃerung des früheren Soldaten, "jeder Schwarze taugt nichts", während der Fernsehberichterstattung über den Prozeà gegen O. J. Simpson oder während des Anschauens von Videos über "Schwarze" gefallen sei; ähnlich hat sich der Zeuge Köster eingelassen. Auch in weiteren Punkten haben die beiden Zeugen in der Beweisaufnahme vor dem Senat weitgehend übereinstimmende Einzelheiten geschildert, die ihre Glaubwürdigkeit belegen. Sie haben im Hinblick auf die Ernsthaftigkeit der dem früheren Soldaten vorgeworfenen ÃuÃerungen ausgeführt, diese hätten nicht scherzhaft geklungen, sondern aus dem Tonfall sei zu schlieÃen gewesen, daà sie wortwörtlich gemeint waren. So hat der Zeuge Kö. - unter Bezugnahme auf seine erstinstanzliche Vernehmung - vor dem Senat bekundet, daà ein "todernstes Gesicht" nicht erklärbar sei, wenn der frühere Soldat seine ÃuÃerung spaÃhaft gemeint hätte.
Aus dem Umstand, daà die Zeugen sich teilweise nicht mehr daran erinnern konnten, in welchem Zusammenhang die dem früheren Soldaten zur Last gelegten ÃuÃerungen gefallen sind, und daraus, daà sie auf die von ihnen selbst als "extrem" bewerteten ÃuÃerungen des früheren Soldaten nicht reagiert haben, kann nicht die Unglaubhaftigkeit ihrer Aussagen hergeleitet werden. Die fehlende Reaktion von Zuhörern auf die dem früheren Soldaten vorgeworfenen ÃuÃerungen mag zwar schwer verständlich erscheinen, läÃt aber nicht den Rückschluà zu, daà damit die ÃuÃerungen nicht so oder ähnlich gefallen sein können. In Anbetracht der glaubhaften Aussagen und der Glaubwürdigkeit beider Zeugen hat der Senat den von dem Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts gestellten Antrag auf Vereidigung der Zeugen als unbegründet zurückgewiesen.
Der frühere Soldat sah die Ursache für die nach seiner Auffassung zu Unrecht gegen ihn erhobenen Vorwürfe in dem schlechten Verhältnis zwischen den Zeugen Kö. und K. auf der einen und ihm auf der anderen Seite. Er habe als Vorgesetzter die Zeugen mehrfach ermahnen müssen, weil sie dienstunwillig gewesen seien. Ferner hätten sie sich verschiedentlich über die Befehlslage hinweggesetzt; so habe er sie wenigstens dreimal im Laderaum des Schiffes angetroffen, obwohl er ihnen den Aufenthalt dort verboten habe. Für ihn habe sich der Verdacht aufgedrängt, daà die Zeugen mit den - nach seiner Auffassung ihm wahrheitswidrig unterstellten - ÃuÃerungen von eigenen Dienstpflichtverletzungen hätten ablenken und die "Flucht nach vorne" antreten wollen. Des weiteren hat sich der frühere Soldat dahingehend eingelassen, daà einige seiner Verwandten wie auch seine Ehefrau ausländischer Herkunft seien und deshalb für ihn auf Grund dieser Bindungen kein Anlaà zu fremdenfeindlichen ÃuÃerungen bestanden haben könne. AuÃerdem habe er den Zeugen gegenüber von seinen persönlichen Erlebnissen in West-Afrika berichtet und hierbei sogar seine Hochachtung vor schwarzen Frauen und ihren Kampf ums "tägliche Ãberleben" zum Ausdruck gebracht, so daà für ihn die ihm von den Zeugen unterstellten ausländerfeindlichen Behauptungen unerklärlich seien. Letztlich erscheine ihm die Formulierung, "jeder Deutsche ist von Geburt an ein Nazi", ohnehin widersinnig und mit der Behauptung, "zwei mal zwei ist fünf", vergleichbar.
Anhaltspunkte dafür, daà die beiden Zeugen falsch zu Lasten des früheren Soldaten ausgesagt haben, sind hier erkennbar nicht gegeben. Denn sie haben in der Beweisaufnahme das gespannte Verhältnis zwischen ihnen und dem Vorgesetzten nicht beschönigt, sondern offen eingeräumt und - wie z.B. der Zeuge K. - von "Reibereien" gesprochen. Daraus kann indessen nicht der Schluà gezogen werden, sie hätten sich bewuÃt zum Nachteil des früheren Soldaten abgesprochen. Vielmehr spricht die Einräumung eines gespannten Verhältnisses dafür, daà die Zeugen nicht, wie der frühere Soldat es formuliert hat, ein "Komplott" gegen ihn hatten schmieden wollen. Dies gilt um so mehr vor dem Hintergrund, daà die Zeugen auch eigenes Fehlverhalten als Ursache des gespannten Verhältnisses eingeräumt haben, etwa das Rauchen während der Mahlzeiten, das ihnen der frühere Soldat untersagt hatte. Hätten die beiden Zeugen den früheren Soldaten wahrheitswidrig belasten wollen, hätte es nahegelegen, das gespannte Verhältnis zwischen ihnen und dem früheren Soldaten unerwähnt zu lassen, wenigstens aber nicht einzuräumen, daà sie selbst zu diesen Spannungen beigetragen hatten. Im übrigen durften die Zeugen davon ausgehen, daà die Ãberfahrt nach Texas der einzige dienstliche Kontakt zu dem früheren Soldaten bleiben würde. Auch insoweit ist kein Grund ersichtlich, warum die Zeugen den früheren Soldaten zu Unrecht belasten sollten.
SchlieÃlich kann nicht unerwähnt bleiben, daà der Zeuge Kö. seine Meldung erst annähernd zwei Wochen nach Ende der Ãberfahrt geschrieben hat. Läge ihr ein "Komplott" zugrunde, hätte es dieser langen Ãberlegungsfrist nicht bedurft. Gegen die von dem früheren Soldaten unterstellte These der "Verschwörung" spricht auch, daà nur einer der beiden Zeugen, nämlich der Zeuge Kö., die Meldung abgegeben hat; für den Zeugen K. war die Sache am 16. April 1995, wie er es formuliert hat, "gegessen" bzw. "abgehakt". Ferner ist auf Grund des langen Zeitabstandes zwischen demEnde der Ãberfahrt am 16. April 1995 und der Meldung vom 27. April 1995 der Rückschluà zulässig, daà sich der Zeuge Kö. seine Entscheidung nicht leichtgemacht und die Meldung erst nach reiflicher Ãberlegung abgegeben hat.
Im übrigen wäre die von dem früheren Soldaten aufgestellte "Komplottheorie" allenfalls dann nachvollziehbar, wenn ein tiefgreifendes Zerwürfnis zwischen dem früheren Soldaten und den Zeugen nachweislich eingetreten oder anzunehmen wäre. Die vom Senat ermittelten Spannungen geben jedoch nicht den geringsten Anlaà zu der Vermutung, die beiden Zeugen hätten einen "Rufmord" gegen den früheren Soldaten geplant. Das gilt selbst dann, wenn man ein von dem früheren Soldaten den Zeugen nachgesagtes - von diesen jedoch bestrittenes - Dienstvergehen als wahr unterstellt.
SchlieÃlich konnte der Senat auch nicht aus der Tatsache verwandtschaftlicher Bindungen des früheren Soldaten zu ausländischen Staatsbürgern die SchluÃfolgerung herleiten, daà die von ihm in Abrede gestellten ÃuÃerungen nicht gefallen sein können. Insgesamt besteht hier nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für eine Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" zugunsten des früheren Soldaten kein Anlaà (vgl. Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 261 RdNr. 104 m.w.N.).
Der frühere Soldat hat sich bei seiner Einlassung, er habe sich nicht - wie vorgeworfen - geäuÃert, auch auf die Anwesenheit des Kapitäns und der Besatzung des Charter-Schiffes als Zeugen berufen und deren Vernehmung angeregt. Es bedurfte jedoch weder der Ermittlung der Personalien dieser Zeugen noch ihrer Anhörung; denn selbst dann, wenn sie bestätigen könnten, daà in ihrer Gegenwart die wiederholten rassistischen ÃuÃerungen nicht gefallen sind, wäre damit der Vorwurf gegen den früheren Soldaten keinesfalls entkräftet, da die ÃuÃerungen durchaus - wie von den Zeugen in ihrerVernehmung angegeben - in Abwesenheit der spanischen Schiffsbesatzung gefallen sein können, überdies verstanden die Angehörigen der Schiffsbesatzung nach den übereinstimmenden Aussagen des früheren Soldaten und der Zeugen kein Deutsch.
Die Beweisaufnahme vor dem Senat erbrachte auch keine Anhaltspunkte dafür, daà die ÃuÃerungen des früheren Soldaten nach übermäÃigem Alkoholgenuà gefallen sind. So hat der Zeuge Kö. vor dem Senat unter Hinweis auf seine erstinstanzliche Vernehmung zwar über die Trinkgewohnheiten des früheren Soldaten und darüber gesprochen, daà er "nie getorkelt" sei. Auch der Zeuge K. hat den früheren Soldaten auf Grund seiner Sprache und seiner Verhaltensweise als allenfalls "angetrunken" bezeichnet, ohne daà der Eindruck des Vollrausches bestanden habe. Ãbereinstimmend haben beide Zeugen eindeutig bekundet, der frühere Soldat habe bei seinen ÃuÃerungen ein "todernstes Gesicht" gezeigt und sie hätten nicht "scherzhaft" geklungen. Hierzu hat der frühere Soldat erklärt, daà er täglich nur etwa drei bis vier mit Mineralwasser gemischte 0,2-0,25-Liter-Gläser Wein getrunken habe.
b)Grundsätzlich stehen einem Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" die gleichen Grundrechte wie jedem anderen Staatsbürger zu. Das gilt auch für das Recht auf freie MeinungsäuÃerung nach Art. 5 Abs. 1 GG. Der Bundeswehrsoldat kann sich indessen nicht uneingeschränkt auf dieses Recht berufen. Denn im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes und mit dem Ziel, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten, darf gemäà Art. 17 a Abs. 1 GG für Soldaten auch das Grundrecht der freien MeinungsäuÃerung durch gesetzlich begründete Pflichten beschränkt werden. Solche Pflichten ergeben sich etwa aus § 7, § 8, § 10 Abs. 6, § 12, § 10 Abs. 1 und 2 SG. Diese Normen stellen insoweit allgemeine Gesetze im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG dar, die nicht eine bestimmte Meinung wegen ihres Inhalts verbieten, sondern in Ausfüllung des Art. 17 a Abs. 1 GG die Freiheit der MeinungsäuÃerung beschränken, um dadurch die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr und die Erfüllung der ihr gestellten Aufgaben zu sichern (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1992 - BVerwG 2 WD 11.92 -
aa)Der frühere Soldat hat hier gegen die Pflicht zum treuen Dienen gemäà § 7 SG verstoÃen. Diese Vorschrift gebietet einem Soldaten, im Dienst und auÃerhalb des Dienstes zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr beizutragen und alles zu unterlassen, was sie in ihrem verfassungsmäÃig festgelegten Aufgabenbereich einschränken könnte. VerfassungsmäÃige Aufgabe der Bundeswehr ist es, im Verteidigungsfall die äuÃere Sicherheit der Bundesrepublik im Zusammenwirken mit den Verbündeten zu garantieren sowie in Zeiten von Krise und Frieden ihre politische Handlungsfreiheit zu gewährleisten. Als wesentlicher Inhalt der Treuepflicht ergibt sich - neben den Pflichten zur Anwesenheit, zum sorgsamen Umgang mit dienstlich anvertrauten Sachgütern und einer gewissenhaften Dienstleistung - vor allem die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Staat und seiner Rechtsordnung (vgl. Urteil vom 31. Juli 1996 - BVerwG 2 WD 21.96 - m.w.N.).
Ein Soldat, der dem Einzelnen oder bestimmten Menschengruppen das Lebensrecht oder ihre "Tauglichkeit" abspricht, gibt damit menschenverachtende Gedanken wieder. Des weiteren stellt die Aussage, "jeder Deutsche ist von Geburt an ein Nazi", eine ebenso anmaÃende wie unhaltbare These dar, die dem unbefangenen Zuhörer den Eindruck oder die Vorstellung vermittelt, jeder in Deutschland geborene Bürger werde auf Grund seiner Erziehung und Selbsterkenntnis die Ideologie des Nationalsozialismus vertreten. SchlieÃlich läÃt der Satz, "alles, was nicht arisch ist und in Deutschland lebt, gehört erschossen oder in die Gaskammer", vor dem Hintergrund der historischen Tatsache der Ermordung von Millionen von Juden während der nationalsozialistischen Diktatur nur eine Deutung zu, nämlich daà der frühere Soldat damit nicht nur die Verbrechen des NS-Regimes nachträglich billigt, sondern derartige Greueltaten auch für die Gegenwart und Zukunft bejaht und propagiert. Diese radikal formulierte Programmatik einer auf Menschenverachtung beruhenden und auf Menschenvernichtung ausgerichteten Zielvorstellung ist im Kontext mit den beiden anderen ÃuÃerungen zu würdigen. Sie verkennt oder miÃachtet insbesondere die historische Gegebenheit, daà sich das deutsche Volk in Art. 1 Abs. 2 GG gerade unter dem Eindruck der Greuel und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu den unverletzlichen und unveräuÃerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekannt hat. Die diskriminierenden und menschenverachtenden ÃuÃerungen des früheren Soldaten widersprechen nicht nur eindeutig diesem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes, sondern auch dem ständigen Bemühen des Dienstherrn, die "Hypothek abzutragen", die auf Grund der nationalsozialistischen Verbrechen noch auf der Bundesrepublik Deutschland lastet (vgl. Urteil vom 28. September 1990 - BVerwG 2 WD 27.89 -
bb)Da der frühere Soldat mit seinen ÃuÃerungen den Eindruck erweckt hat, für sich bestimmte Konsequenzen im Hinblick auf sein Eintreten für die Verfassung gezogen zu haben, liegt ein Verstoà gegen die politische Treuepflicht nach § 8 SG vor. Diese Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Senats dann verletzt, wenn sich ein Soldat nicht mit der Idee der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, der er dienen soll, identifiziert, sondern sich für Ziele einsetzt, die geeignet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung auszuhöhlen (vgl. BVerwGE 86, 321 [327] m.w.N.). UnerläÃlich ist nicht nur die Anerkennung der Grundordnung des Staates, sondern auch die Bereitschaft, sich zu der Idee des grundgesetzlich verfaÃten Staates zu bekennen und aktiv für ihn und seine Ziele einzutreten.
Die Achtung der Menschenrechte ist ein grundlegendes Prinzip der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 2, 1 [BVerfG 23.10.1952 - 1 BvB 1/51] [13]). Wenn der frühere Soldat bestimmten Personengruppen, nämlich in Deutschland lebenden "Nichtariern", das Lebensrecht abspricht, stellt er damit auch ihre Menschenrechte in Abrede. Er erfüllt die Voraussetzungen des § 8 SG nur dann, wenn er sich eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung ablehnen, bekämpfen oder diffamieren. Das bloÃe Haben einer Ãberzeugung und ihre bloÃe Mitteilung stellen allerdings noch keine Verletzung der politischen Treuepflicht dar. Dieser Sachverhalt ist jedoch gegeben, wenn der frühere Soldat aus seiner Auffassung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäÃigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art und Weise der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit anderenSoldaten oder für Aktivitäten im Sinne seiner Ãberzeugung zieht (
In den menschenverachtenden Formulierungen des früheren Soldaten werden Gedankengänge deutlich, die nicht allein eine Erinnerung an die Verbrechen und Opfer des Nationalsozialismus wachrufen, sondern die ErschieÃung und Vergasung von "Nichtariern" sogar für die Gegenwart und Zukunft zur Forderung erheben. Das läÃt die SchluÃfolgerung zu, daà der frühere Soldat die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und nicht bereit ist, aktiv für sie einzutreten. Im übrigen sind die ÃuÃerungen des früheren Soldaten nicht anders zu werten als die Forderung nach Vergasung u.a. auch der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Türken, die der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 24. Januar 1984 - BVerwG 2 WD 40.83 -
cc)Der frühere Soldat hat mit seinen ausländerfeindlichen Bemerkungen gegenüber den Zeugen K. und Kö. gegen die Fürsorgepflicht nach § 10 Abs. 3 SG verstoÃen. Denn er war Vorgesetzter der Zeugen an Bord des Charter-Schiffes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 VorgV.
dd)Des weiteren hat der frühere Soldat gegen die Pflicht gemäà § 10 Abs. 6 SG verstoÃen, wonach Offiziere und Unteroffiziere innerhalb und auÃerhalb des Dienstes bei ihren ÃuÃerungen die Zurückhaltung zu wahren haben, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1992 - BVerwG 2 WD 11.92 -
Ferner handelt es sich dabei nicht um eine - gemäà § 10 Abs. 6 SG vorausgesetzte - "geistige Auseinandersetzung" bzw. "einen Kampf der Meinungen" (vgl. Urteil vom 20. Mai 1981 - BVerwG 2 WD 9.80 -
ee)Die ÃuÃerungen des früheren Soldaten sind auch als Verstoà gegen die Kameradschaftspflicht nach § 12 Satz 2 SG zu werten. Denn in die Feststellung, daà "jeder Deutsche von Geburt an ein Nazi ist", hat er auch die beiden Zeugen als Gesprächspartner einbezogen und damit deren Ehre und Würde verletzt.
ff)Da seine ÃuÃerungen teilweise bei der Verpflegungseinnahme, also "im Dienst" erfolgten, hat der frühere Soldat des weiteren die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 1 SG verletzt, wonach sich der Soldat im Dienst nicht zugunsten oder zuungunsten einer bestimmten politischen Richtung betätigen darf.
Er hat durch seine extrem rassistischen ÃuÃerungen ferner gegen das Verbot politischer Betätigung innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen während der Freizeit nach § 15 Abs. 2 Satz 2 SG verstoÃen. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist es der Zweck dieser Vorschrift, die Kameradschaft und gegenseitige Achtung als unerläÃliche Voraussetzung für die Sicherung der Disziplin und Einsatzbereitschaft der Truppe - auch um den Preis einer Einschränkung der Meinungsfreiheit - unbedingt zu gewährleisten. § 15 Abs. 2 SG will jedes Verhalten ausschlieÃen, das einen Kameraden in seiner dienstfreien Zeit gegen seinen Willen in eine politische Auseinandersetzung drängt. Bei derAnwendung dieser Vorschrift darf nicht auÃer Betracht bleiben, daà die beiden Zeugen als Betroffene nicht abgeschlossen wohnten und deshalb ihre Privatsphäre nur unter wesentlich erschwerten Bedingungen schützen konnten. Das Grundrecht der Betroffenen auf unbedingte Achtung ihres privaten Lebensbereichs (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) und ihr Anspruch, "in Ruhe gelassen zu werden" (vgl. BVerfGE 6, 32 [41]; 27, 1 [6 f.]), waren in der Situation an Bord eines Schiffes besonders gefährdet und deshalb in besonderem MaÃe schützenswert (BVerfGE 44, 197 [203]). Gerade an Bord eines Schiffes kann sich ein Untergebener der politischen Betätigung eines Vorgesetzten kaum entziehen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein Kriegsschiff der Bundeswehr oder um ein von der Bundeswehr gechartertes ausländisches Schiff handelt. Denn dort ist die Gefährdung der Kameradschaft und Disziplin durch politische MeinungsäuÃerung eines Vorgesetzten besonders hoch einzuschätzen, vor allem dann, wenn es um extreme rassistische Thesen geht, wie sie der frühere Soldat geäuÃert hat. Wie die Meldung des Zeugen Köster ergab, war das Verhalten des früheren Soldaten nicht nur dazu geeignet, die Gemeinsamkeit des Dienstes ernstlich zu stören, sondern hat auch zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung geführt. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht politische MeinungsäuÃerungen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 SG an den Grundregeln der Kameradschaft und an der ernsten Störung der Gemeinsamkeit des Dienstes gemessen (Beschluà vom 6. August 1981 - BVerwG 1 WB 89.80 -
Auch liegt ein Verstoà gegen § 15 Abs. 4 SG vor. Denn die Wiederholung extremer rassistischer ÃuÃerungen des früheren Soldaten, die in ihrer MiÃachtung der Menschenwürde und in ihrer Intoleranz kaum zu überbieten sind, wurde von den Zeugen alsernstgemeint aufgefaÃt und konnte auch so verstanden werden. Der frühere Soldat hat daher auf seine Untergebenen im Sinne einer politischen Meinungsbeeinflussung gezielt eingewirkt.
gg)SchlieÃlich hat der frühere Soldat seine Pflicht verletzt, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Denn als Kapitänleutnant der Reserve hat er damit sein Ansehen bei den beiden Zeugen in erheblicher Weise gemindert.
Da der frühere Soldat wuÃte und wollte, was er tat, hat er vorsätzlich die Dienstpflichten nach §§ 7, 8, 10 Abs. 3 und 6, § 12 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt und insgesamt ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.
c)Nach § 54 Abs. 5 i.V.m. § 34 Abs. 1 WDO sind bei Art und Maà der DisziplinarmaÃnahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie seine Auswirkungen, das Maà der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen.
Der frühere Soldat hat hier ein auÃerordentlich schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, das durch die teilweise wiederholt zum Ausdruck gebrachte MiÃachtung der Menschenrechte gekennzeichnet ist. Denn mit seinen ÃuÃerungen hat er Vorstellungen des nationalsozialistischen Unrechts-Regimes auf die Gegenwart bezogen und dadurch beide Zeugen entweder zu der SchluÃfolgerung veranlaÃt oder bei ihnen jedenfalls den Eindruck hervorgerufen, daà er sich mit seinem Gedankengut identifiziert, insbesondere die Vernichtung menschlichen Lebens für einzelne Personengruppen befürwortet. Den potentiell Betroffenen hat er damit die Menschenrechte, die das Grundgesetz als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft ansieht, abgesprochen. Die Würde des Menschen und das Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung gehören jedoch zu den grundlegenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes, die unter Ausschluà jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit sowie der Freiheit und Gleichheit aller darstellt (BVerwGE 86, 321 [329] m.w.N.).
Ein Soldat, der extrem-politische Ansichten wie Völkermord und massenhafte Vernichtung von Menschen anderer Rasse oder Hautfarbe vor dem historischen Hintergrund des NS-Regimes in Deutschland von 1933 bis 1945 vertritt, hat grundsätzlich die härteste disziplinargerichtliche MaÃnahme verwirkt (vgl. Urteil vom 4. September 1980 - BVerwG 2 WD 74.79 -). Die Bundeswehr als Organ der Exekutive der Bundesrepublik Deutschland kann erwarten und muà davon ausgehen, daà sich die Soldaten zu den rechtsstaatlichen Anforderungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, insbesondere zu den Grundrechten bekennen und für ihre Verwirklichung einsetzen. Dies gilt vor allem für Soldaten in Vorgesetzteneigenschaft, die in Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben haben (§ 10 Abs. 1 SG).
Durch seinen Ausspruch, "alles, was nicht arisch ist, gehört erschossen oder in die Gaskammer", hat der frühere Soldat verbal und in der Sache auf den organisierten Judenmord während des "Dritten Reiches" Bezug genommen und ihn nicht nur als geschichtliches Ereignis gutgeheiÃen, sondern ihn vor allem auch in Gegenwart und Zukunft für in Deutschland lebende "Nichtarier" propagiert. Allein diese bedenkenlose Aussage läÃt die besondere Eigenart und Schwere des Dienstvergehens erkennen. Bereits in seiner Entscheidung vom 24. Januar 1984 (BVerwG 2 WD 40.83
Der frühere Soldat hat sich seit 1975 freiwillig wiederholt für Wehrübungen der Bundeswehr zur Verfügung gestellt und den damit verbundenen Pflichten unterworfen. Um so weniger durfte er einen Zweifel daran aufkommen lassen, daà er der von Gesetzes wegen geforderten Loyalität seiner Untergebenen würdig ist. Diese haben ohne Rücksicht auf persönliche Sympathien oder Antipathien den verbindlichen Befehlen ihres Vorgesetzten Folge zu leisten. UnerläÃliche Voraussetzung dafür ist aber, daà der frühere Soldat ein gewisses Maà an Selbstdisziplin beachtet, um in den Augen seiner Untergebenen als Vorgesetzter glaubwürdig sein zu können. Diese Selbstdisziplin hat der frühere Soldat jedoch in seinen ÃuÃerungen vermissen lassen. Er hat die vor allem im Rahmen des Offizieraufbau-Lehrgangs in dem Lehrfach "Innere Führung" vermittelten Werteund Rechtskenntnisse ersichtlich nicht "verinnerlicht".
Erschwerend ist hier zu Lasten des früheren Soldaten zu berücksichtigen, daà er sich gegenüber Untergebenen erklärt hat, denen er erstmals bei Antritt der gemeinsamen Atlantik-Ãberfahrt begegnet ist. Dies macht deutlich, wie wenig er sich im Hinblick auf seine extremen Anschauungen der Zurückhaltungspflicht bewuÃt geworden ist. Ãberdies kann nicht unberücksichtigt bleiben, daà die beiden Zeugen während der 20tägigen Ãberfahrt auf den früheren Soldaten als Vorgesetzten angewiesen waren, weil es für sie auf dem Schiff keinen anderen militärischen Vorgesetzten gab. In Anbetracht dieser engen militärischen Gemeinschaft und der Tatsache, daà sich die beiden Zeugen mit der übrigen Schiffsbesatzung nicht in ihrer Muttersprache unterhalten konnten, also auch ein menschliches Abhängigkeitsverhältnis zum früheren Soldaten bestand, erscheint sein Fehlverhalten besonders schwerwiegend. Hinzu kommt, daà sich die beiden Zeugen unter den räumlich engen Verhältnissen an Bord des Charterschiffes den an sie gerichteten Thesen des früheren Soldaten als ihres Vorgesetzten nur schwer entziehen konnten, auch wenn sie versucht haben, sich wenigstens "tagsüber von ihm fernzuhalten" oder "ihm aus dem Wege zu gehen". Der frühere Soldat hat diese Gegebenheiten für seine Thesen genutzt und dabei die Gefahr in Kauf genommen, daà die beiden Zeugen nicht nur in ihrem Selbstverständnis als "Staatsbürger in Uniform", sondern auch in ihrem Respekt gegenüber Vorgesetzten verunsichert und in seiner Sicht beeinfluÃt werden konnten.
Des weiteren ist erschwerend zu berücksichtigen, daà der frühere Soldat sich auf einem unter spanischer Flagge fahrenden Schiff ausländerfeindlich geäuÃert hat. Auch wenn davon auszugehen ist, daà die spanischen Besatzungsangehörigen die rassistischen Thesendes früheren Soldaten weder akustisch noch inhaltlich verstanden haben, kann nicht ausgeschlossen werden, daà sie mittelbar von den geäuÃerten Ansichten des früheren Soldaten Kenntnis hätten erlangen können, sei es durch eine wie auch immer geartete Mitteilung der beiden Zeugen, sei es im Rahmen späterer Ermittlungen nach Bekanntwerden des Dienstvergehens.
Nur wenn Tatmilderungsgründe vorliegen, kann von der disziplinaren HöchstmaÃnahme abgesehen werden. Solche Milderungsgründe sind generell dann gegeben, wenn die Situation, in der der frühere Soldat versagt hat, von so auÃergewöhnlichen Umständen gekennzeichnet war, daà ein an normalen MaÃstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Die Rechtsprechung zählt hierzu beispielsweise die unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten (vgl. Urteil vom 9. März 1995 - BVerwG 2 WD 1.95 -
Anhaltspunkte für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des früheren Soldaten im Sinne des § 21 StGB sind nicht gegeben. Zwar haben die Zeugen bekundet, der frühere Soldat habe während der Ãberfahrt häufig in nicht unerheblicher Weise dem Alkohol zugesprochen; sie haben aber keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen während der ÃuÃerungen des früheren Soldaten beobachtet, der sich im übrigen selbst dahingehend eingelassen hat, er habe während der gesamten Schiffsreise nur mäÃig dem Alkohol zugesprochen.
Für den früheren Soldaten sprechen indessen Milderungsgründe in seiner Person. Hervorzuheben ist zunächst seine positive Beurteilung, in der ihm bescheinigt wurde, gegenüber Kameraden taktvoll und hilfsbereit gewesen zu sein. Uneingeschränkt zugunsten des früheren Soldaten spricht auch, daà er sich bis zu seiner Verfehlung tadelfrei geführt hat, nämlich weder strafgerichtlich verurteilt noch während einer Vielzahl von Wehrübungen disziplinar gemaÃregelt wurde. AuÃerdem hatte sich der frühere Soldat, der als Reservist insgesamt neun freiwillige Wehrübungen geleistet hat, auf Bitten der zuständigen Bundeswehrdienststellen kurzfristig zur Begleitung eines Bosnien-Transportes über die Weihnachtsfeiertage 1995 bereiterklärt; zu dieser Einberufung des früheren Soldaten kam es jedoch infolge des eingeleiteten disziplinargerichtlichen Verfahrens nicht mehr.
Diese Milderungsgründe reichen nicht aus, um dem früheren Soldaten noch einen Vorgesetztendienstgrad zu belassen. Das von ihm begangene Dienstvergehen wiegt so schwer, daà er als aktiver Kapitänleutnant in der Rechtsstellung eines Berufsoffiziers oder Offiziers auf Zeit, mithin als Soldat mit Vorgesetztendienstgrad, für die Bundeswehr untragbar geworden, und daà es deshalb mit der Entfernung aus dem Dienstverhältnis zu ahnden gewesen wäre; infolgedessen hätte ihm auch für das Reservedienstverhältnis kein Dienstgrad belassen werden können.
Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 WDO ist bei Angehörigen der Reserve, die - wie der frühere Soldat - nicht zugleich Soldaten im Ruhestand sind oder als Soldaten im Ruhestand gelten, nur die Dienstgradherabsetzung als DisziplinarmaÃnahme zulässig. Hierbei ist der Senat gemäà § 61 Abs. 1 Satz 2 WDO nicht an die in § 57 Abs. 1 Satz 1 WDO bezeichneten Beschränkungen gebunden, wenn bei einem Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit die Entfernung aus dem Dienstverhältnis gerechtfertigt wäre (Urteile vom 12. Januar 1967 - BVerwG 2 WD 44.66 -
Als höchste DisziplinarmaÃnahme kam hier - auch aus generalpräventiven Erwägungen - nur die Herabsetzung des früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Matrosen der Reserve in Betracht. Diese MaÃnahme war insbesondere deshalb erforderlich, weil er mit seinen ÃuÃerungen die im "Dritten Reich" massenhaft begangene Tötung von Menschen nicht nur für die Vergangenheit gebilligt, sondern auch für die Gegenwart und Zukunft propagiert hat. Wenn er sich nämlich ungeachtet seines Gelöbnisses von der ausdrücklichen schriftlichen Verpflichtung, der "Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen" und von den grundlegenden Wertvorstellungen des Rechtsstaates losgesagt und Forderungen erhoben hat, die Ausdruck der schlimmsten vorstellbaren Menschenverachtung für Gegenwart und Zukunft sind, dann war als erforderliche und angemessene Ahndung eines solchen Versagens seine Herabsetzung in den niedrigsten Mannschaftsdienstgrad unerläÃlich. Insoweit kommt hier der Verhängung der HöchstmaÃnahme zugleich eine "Signalwirkung" zu.
4.Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug waren dem früheren Soldaten gemäà § 130 Abs. 1 Satz 1 WDO aufzuerlegen. Die Kosten des für den früheren Soldaten erfolglosen und für den Wehrdisziplinaranwalt erfolgreichen Berufungsverfahrens waren gemäà § 131 Abs. 1 WDO und in entsprechender Anwendung von § 131 Abs. 1 und 2 WDO dem früheren Soldaten zu überbürden. Gründe, ihn von den ihm im Verfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu entlasten, waren nicht gegeben.