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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 27.06.1991, Az.: 4 B 138/90

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Dezember 1989 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 DM festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.Die Kläger begehren die Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohnhauses auf ihrem noch unbebauten Grundstück. Auf dem südlichen Nachbargrundstück befindet sich eine 1911 errichtete modern-historisierende Villa, die bis unmittelbar an die Grenze herangebaut ist. Sie weist zwei Vollgeschosse und ein Mansardgeschoß, ein weit ausladendes Dachsims und einen hoch aufragenden Dachaufbau sowie eine plastisch reich gegliederte Fassade auf. Die Villa war seinerzeit als Teil einer auf dem Grundstück der Kläger fortzusetzenden Doppelhausanlage gedacht, die jedoch nicht vollendet worden ist. Die Kläger möchten nunmehr auf ihrem Grundstück ein Flachdachgebäude mit einem Untergeschoß und drei Wohngeschossen sowie mit einer Metall-Glas-Fassade errichten. Die Beklagte versagte die beantragte Genehmigung im wesentlichen aus baugestalterischen Gründen. Klage und Berufung der Kläger blieben ohne Erfolg. Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, daß das Berufungsgerich Bedeutung und Tragweite der bundesverfassungsrechtlichen Garantie der Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG) und ihr Verhältnis zu Baugestaltungsvorschriften verkannt habe.

II.Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtssache hat aus den in der Beschwerdebegründung vorgetragenen Gesichtspunkten nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Das Berufungsgericht hat eine Verpflichtung der Beklagten zur Genehmigung des klägerischen Vorhabens abgelehnt, weil es den öffentlich-rechtlichen Vorschriftenüber die Gestaltung in zweifacher Hinsicht widerspreche: Es erfülle zum einen nicht die Anforderungen, die gemäß der Verordnung der Beklagten vom 14. Dezember 1979 an die Dachgestaltung zu stellen seien; das von den Klägern vorgesehene Flachdach passe sich hinsichtlich Form und Deckungsmaterial nicht an die Bebauung in der näheren Umgebung an. Zum anderen füge sich die von den Klägern beabsichtigte bauliche Anlage nicht in die Bebauung der näheren Umgebung ein.

Sowohl bei der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in der Bayerischen Bauordnung (vgl. jetzt Art. 91 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO) als örtliche Bauvorschrift erlassenen Verordnung der Beklagten vom 14. Dezember 1979 als auch bei Art. 12 Abs. 3 BayBO handelt es sich um irrevisibles Recht (§§ 137 Abs. 1, 173 VwGO in Verbindung mit § 562 ZPO). Die Auslegung dieser vom Berufungsgericht als Grundlage seiner Entscheidung herangezogenen Vorschriften und ihre Anwendung auf den zu beurteilenden Fall unterliegen deshalb nicht der Kontrolle durch das Bundesverwaltungsgericht. Rechtsgrundsätzliche Bedeutung zur Auslegung des revisiblen Bundesrechts erlangt die Streitsache aber auch nicht insofern, als die Kläger sich für den geltend gemachten Genehmigungsanspruch auf die ihnen als Grundrecht garantierte Freiheit der Kunst (Art. 5 Abs. 3 GG) berufen und eine Reihe von Fragen zum Verhältnis von Freiheit der Baukunst zu (landesrechtlichen) Anforderungen an die Baugestaltung aufwerfen, die sie für rechtsgrundsätzlich und klärungsbedürftig ansehen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet die in Art. 5 Abs. 3 GG vorbehaltslos gewährleistete Freiheit der Kunst ihre Schranken allerdings allein in den Grundrechten anderer Rechtsträger sowie in sonstigen Rechtsgütern, soweit diese Rechtsgüter gleichfalls mit Verfassungsrang ausgestattet sind (vgl. BVerfGE 30, 173 <193>; 81, 278 <292>; Beschluß vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - NJW 1991, 1471). Soweit es dabei um eine funktionierende staatliche Ordnung geht, welche die Effektivität des Grundrechtsschutzes überhaupt erst sicherstellt, sind anhand einzelner Bestimmungen des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter konkret herauszuarbeiten. Sofern nicht die Kunstfreiheit wegen unmittelbarer Gefährdung oberster Grundwerte der Verfassung zurückzutreten hat, muß ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung gefunden werden; der Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern muß im Wege fallbezogener Abwägung gelöst werden (vgl. BVerfGE 77, 240 <255>; 81, 278 <292 f.>). Mit diesem Inhalt umfaßt das Grundrecht der Kunstfreiheit grundsätzlich auch den Bereich der Baukunst. Dabei ist freilich zu beachten, daß die Ausübung der Freiheit der Kunst bei der Errichtung baulicher Anlagen sich zugleich als Nutzung des Eigentums darstellt, dessen Inhalt und Schranken gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG der Gesetzgeber bestimmt. Der soziale Bezug des Eigentums ist bei baulichen Anlagen besonders ausgeprägt. Dies rechtfertigt es, Inhalt und Schranken der Eigentümerbefugnisse detailliert und weitgehend festzulegen. Regelungen, die Verunstaltungen der Umgebung durch bauliche Anlagen abwehren sollen, sind deshalb grundsätzlich mit der Institutsgarantie des Eigentums vereinbar (BVerwG, Beschluß vom 11. April 1989 - BVerwG 4 B 65.89 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 28 = NJW 1989, 2638). Der beschließende Senat hat aus der besonders ausgeprägten sozialen Bindung des Eigentums im Baugeschehen gefolgert, daß, soweit die Ausübung der Kunstfreiheit als Eigentumsausübung erfolgt, aus der Kunstfreiheit nicht die Befugnis erwachse, sich über die dem Eigentum zulässigerweise gezogenen Schranken hinwegzusetzen (vgl. Beschluß vom 10. Dezember 1979 - BVerwG 4 B 164.79 - BRS 35, Nr. 133). Selbst wenn an dieser Auffassung nicht uneingeschränkt festzuhalten sein sollte, wirft der vorliegende Fall auch nach dem Vorbringen der Beschwerde keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, die mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus in einem künftigen Revisionsverfahren zu beantworten wären.

Soweit nämlich der Staat durch Vorschriften über materielle Anforderungen an die Gestaltung baulicher Anlagen zugleich auch die durch Art. 5 Abs. 3 GG garantierte künstlerische Freiheit eingrenzt, geschieht dies nicht ohne Bezug zu Rechtsgütern, die ihrerseits unter dem Schutz der Verfassung stehen. Auch dies bedarf nicht erst der rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren. Ziel von Vorschriften der Art, wie sie auch das Berufungsgericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, ist es zum einen, den Wirkbereich vorhandener baulicher Anlagen mit besonders erhaltenswerter äußerer Gestalt vor störenden Einwirkungen durch andere hinzutretende bauliche Anlagen zu schützen, damit ihre ebenfalls von Art. 5 Abs. 3 GG umfaßte künstlerische Aussage weiterhin möglichst wirkungsvoll zur Geltung kommen kann. Soweit es darüber hinaus allgemein um die Abwehr von Verunstaltungen durch bauliche Anlagen geht, darf sich der Staat zum anderen von Verfassungs wegen auch angelegen sein lassen, Unlustgefühle hervorrufende krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete abzuwehren, die bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für gestalterische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter anhaltenden Protest auslösen würden; damit leistet der Staat letztlich einen Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden seiner Bürger (vgl. Art. 2 Abs. 2 GG) sowie zum sozialen Frieden in der Gemeinschaft. Solche Beschränkungen muß sich die Ausübung der Kunstfreiheit um so eher gefallen lassen, je mehr sie - wie hier die Baukunst - sich in besonderer Weise im Rahmen der Öffentlichkeit abspielt und von dort allgemeine Aufmerksamkeit erfährt und zugleich als Eigentumsausübung starken sozialen Bindungen unterliegt. Allerdings bedingt die Notwendigkeit, staatliche Eingriffe in die Freiheit der Kunst als zum Schutz verfassungsrechtlich garantierter Rechtsgüter erforderlich zu legitimieren, zugleich auch, daß der Staat von dem Mittel einer Beschränkung der Freiheit der Baugestaltung nur mitäußerster Zurückhaltung und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit Gebrauch macht, soweit es zur Wahrung der genannten verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter erforderlich ist. Dabei gewährleistet eine Regelung, welche - wie hier die vom Berufungsgericht angewendete - die Möglichkeit der Erteilung von Befreiungen im Einzelfall umschließt, in besonderer Weise die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter.

Hiervon ausgehend lassen die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen keine weiterführende rechtsgrundsätzliche Klärung der Bedeutung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG im Bereich der Baugestaltung erwarten. Welches Gewicht die Gründe haben müssen, die angesichts der vorbehaltslosen Garantie des Art. 5 Abs. 3 GG die Versagung der Baugenehmigung aus gestalterischen Gründen rechtfertigen können, läßt sich nicht rechtsgrundsätzlich klären, sondern nur im jeweiligen Einzelfall beurteilen. Das gleiche gilt auch für die von der Beschwerde in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gerückten Werke der Baukunst, wobei angesichts der prinzipiellen Weite des verfassungsrechtlichen Begriffs der Kunst (vgl. dazu BVerfGE 67, 213 <225 ff.>; 75, 369 <376 f.>) für eine besondere Heraushebung eines nur schmalen Bereichs von Bauwerken aus dem allgemeinen Baugeschehen und ihre Privilegierung als Werke der Baukunst im engeren Sinne kein Raum ist. Solche Gesichtspunkte können allenfalls bei der Prüfung der Frage eine Rolle spielen, unter welchen Voraussetzungen die Kunstfreiheit konkurrierenden Rechtsgütern von Verfassungsrang im Einzelfall zu weichen hat oder gewisse Beschränkungen hinnehmen muß (BVerfG, Beschluß vom 20. November 1990 - 1 BvR 402/87 - a.a.O.). Daß auch ein Werk der Baukunst von Anforderungen an die gestalterische Anpassung an benachbarte Bauwerke und von der Notwendigkeit des Einfügens in die Umgebung nicht allein nicht schon im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 GG von Verfassungs wegen vollkommen freigestellt werden muß, bedarf - wie bereits dargelegt - keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem erstrebten Revisionsverfahren. Die Voraussetzungen, unter denen bei einem Werk der Baukunst - wie auch immer dies vom Baugeschehen im allgemeinen abzugrenzen sein mag - davon gesprochen werden darf, es füge sich gestalterisch nicht in die Bebauung der näheren Umgebung ein und wann ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von Baugestaltungsvorschriften besteht, läßt sich gleichfalls nicht rechtsgrundsätzlich klären; die Beschwerde hat insoweit auch keine in einem Revisionsverfahren klärungsfähige konkrete Rechtsfrage dargelegt.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO, [...].