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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 25.10.1995, Az.: 4 B 216/95

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Juni 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 DM festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.Der Kläger begehrt die Erteilung einer Genehmigung zur Nutzungsänderung. Er will eine Spielhalle betreiben. Hierfür erhielt er im August 1990 eine gewerberechtliche Erlaubnis. Seinen später gestellten Antrag, ihm eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung zu erteilen, lehnte die beklagte Stadt ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in beiden Instanzen im wesentlichen Erfolg. Allerdings benötigt der Kläger noch eine sanierungsrechtliche. Genehmigung nach §§ 144, 145 BauGB, da die Beklagte für das Gebiet eine Sanierungssatzung erlassen hat. Das Berufungsgericht hat hierin kein Hindernis gesehen und die Beklagte zu Erteilung einer "bedingten" Baugenehmigung verpflichtet.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Beklagte die Zulassung der Revision.

II.Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, daß die geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 VwGO erfüllt sind.

1. Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsurteil weiche von dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 1994 - BVerwG 4 B 109.94 - (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 170 = NVwZ-RR 1995, 66 = ZfBR 1994, 294) ab und beruhe auf dieser Abweichung. Das trifft nicht zu. Eine Divergenz im prozessualen Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO besteht nicht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in der von der Beschwerde bezeichneten Entscheidung ausgeführt, die Bauaufsichtsbehörde dürfe ohne eine erforderliche sanierungsrechtliche Genehmigung einen positiven Bauvorbescheid nicht erteilen. Die sanierungsrechtliche Genehmigung trete im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet als Sicherungsinstrument an die Stelle der Veränderungssperre (§ 14 Abs. 4 BauGB) und der Zurückstellung von Baugesuchen (§ 15 Abs. 3 BauGB). Diese der sanierungsrechtlichen Genehmigung kraft Bundesrechts zukommende bodenrechtliche Sicherungsfunktion stehe nicht zur Disposition des für die Regelung des Baugenehmigungsverfahrens zuständigen Landesgesetzgebers (vgl. auch BaWü VGH NVwZ-RR 1991, 284 = UPR 1991, 313). Das Berufungsgericht ist dieser Ansicht nicht gefolgt. Es hat ausdrücklich gemeint, der Erteilung der Baugenehmigung stehe "grundsätzlich nicht entgegen, daß das Bauvorhaben im Geltungsbereich der Sanierungssatzung der Beklagten liegt und dem Kläger bisher eine entsprechende Sanierungsgenehmigung nicht erteilt worden ist". Es macht keinen durchgreifenden Unterschied, daß das Bundesverwaltungsgericht einen Vorbescheid, das Berufungsgericht hingegen eine Baugenehmigung zu beurteilen hatte. Es ist insoweit auch unerheblich, daß das Berufungsgericht eine Baugenehmigung unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung der Sanierungsgenehmigung ausgesprochen hat. Denn die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts läßt sich - soweit es die Sanierungsgenehmigung betrifft - so verstehen, daß diese Genehmigung im Zeitpunkt der zu erteilenden Baugenehmigung bereits vorliegen müsse. Das Berufungsgericht hat sich zwar mit dieser Auffassung nicht befaßt. Dies steht jedoch der Zulässigkeit der Divergenzrüge nicht entgegen.

Die erhobene Rüge ist gleichwohl nicht begründet. Die vom Bundesverwaltungsgericht in der bezeichneten Entscheidung vertretene Auffassung ist für die damalige Entscheidung nicht tragend gewesen. Es handelt sich um ein obiter dictum. Daß dies in dem Leitsatz, welcher der Entscheidung beigefügt wurde, nicht erkennbar war, ändert daran nichts. Auf eine Divergenz gegenüber einem obiter dictum kann eine Abweichungsrüge im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht gestützt werden (vgl. BVerwG, Beschluß vom 26. Juni 1984 - BVerwG 4 CB 29.84 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 56; ebenso BSG SozR 1500 § 160 a SGG Nr. 679).

Auch wenn man - die Zulässigkeit dieser Prüfung zugunsten der Beklagten unterstellt - die von der Beschwerde erhobene Divergenzrüge in ein Vorbringen nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO umdeutete, würde dies keine Zulassung der Revision rechtfertigen. Die Beschwerde greift der Sache nach nur eine Frage des irrevisiblen Rechts auf. Das jeweilige Landesbauordnungsrecht bestimmt, was Gegenstand der Prüfung im Baugenehmigungsverfahren zu sein hat. Zwar sind die maßgebenden Bestimmungen der Landesbauordnungen weitgehend wortgleich. Das mag es erklären, daß das Schrifttum die Frage nach Inhalt und Umfang der Baugenehmigung häufig "länderübergreifend" erörtert. Dies gilt namentlich für die Frage, ob die Baugenehmigung im Sinne einer sogenannten Schlußpunkttheorie eine umfassende und abschließende Entscheidung über alle öffentlich-rechtlichen Fragen zu enthalten habe. Das Berufungsgericht behandelt dies ausführlich. Es will mit seiner Auffassung indes weder der ablehnenden Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH (Gr. Senat) BayVBl 1993, 370 = DVBl 1993, 665 = NVwZ 1994, 304) noch den befürwortenden Auffassungen anderer Berufungsgerichte folgen (vgl. etwa OVG NW DÖV 1986, 575; BauR 1992, 610; HessVGH NuR 1982, 228; NuR 1986, 185; OVG Lüneburg BRS 44 Nr. 233; vgl. auch Ortloff, in: Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. II, 3. Aufl. 1994 S. 78). Es fehlt indes die für einen Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erforderliche Revisibilität der Fragestellung (vgl. § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 562 ZPO). Die Auslegung der Landesbauordnung - hier § 70 SächsBO - gehört dem irrevisiblen Recht an. Auch Wortgleichheit begründet keine Revisibilität. Dies ist selbst dann nicht der Fall, wenn die Landesgesetzgeber in gleichsam "konzertierter Aktion" tätig geworden sind (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1969 - BVerwG 7 C 20.67 - BVerwGE 32, 252 (255) [BVerwG 27.06.1969 - VII C 20/67]). Unerheblich ist auch, daß das Landesrecht im wesentlichen auf einem Musterentwurf beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 7 C 67.88 - DVBl 1990, 530 zur Kapazitätsverordnung nach § 29 HRG).

Die Revisibilität der Fragestellung ergibt sich im vorliegenden Falle auch nicht aus dem bundesrechtlichen Sanierungsrecht. Das sanierungsrechtliche Genehmigungserfordernis wird in §§ 144, 145 begründet. Die Genehmigung hat die Gemeinde, also nicht die staatliche Baugenehmigungsbehörde zu erteilen. Das könnte auf ein getrenntes Entscheidungsverfahren hindeuten (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1982 - BVerwG 4 C 94.79 - Buchholz 406.15 § 15 StBauFG Nr. 4 = NJW 1982, 2787 [BVerwG 15.01.1982 - 4 C 94/79] = DVBl 1982, 537). Die §§ 144 und 145 BauGB regeln indes nur, daß es einer gesonderten Genehmigung bedarf und wer hierüber zu entscheiden hat. Die weitere Verfahrensgestaltung bleibt dem Landesrecht überlassen. Damit folgt der Bundesgesetzgeber dem in Art. 83, 84 GG enthaltenen Grundsatz, daß Bundesrecht durch die Länder auszuführen ist (vgl. auch BaWü VGH NVwZ-RR 1991, 284 = UPR 1991, 313; vgl. auch BaWü VGH ZfBR 1990, 106 = UPR 1990, 280). Die Landesgesetzgeber können hierzu, je nach dem Regelungsgehalt, den sie dem Bauvorbescheid und der Baugenehmigung im Rahmen des bauordnungsrechtlichen Instrumentariums zuerkennen, unterschiedliche Lösungen entwickeln, solange die bundesrechtlich vorgegebene Zielsetzung nicht berührt wird. Soweit der Senat im Beschluß vom 15. Juli 1994 - BVerwG 4 B 109.94 - (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 170 = NVwZ-RR 1995, 66 = ZfBR 1994, 294) eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, hält er hieran nicht fest. Anlaß zu einer Klarstellung besteht insoweit auch deshalb, weil es dem Bauinteressenten, der einen Vorbescheid beantragt, aus bundesrechtlicher Sicht ohnehin unbenommen ist, sanierungsrechtliche Fragen auszuklammern. Das erforderliche Sachbescheidungsinteresse bleibt hiervon unberührt.

2. Die Beschwerde hält es für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob es mit Bundesrecht vereinbar sei, die sanierungsrechtliche Genehmigung als eine aufschiebende Bedingung zur Baugenehmigung zu fassen. Die so gestellte Frage rechtfertigt ebenfalls keine Zulassung der Revision.

Wenn die zu erteilende Baugenehmigung hinsichtlich der erforderlichen sanierungsrechtlichen Genehmigung sich als aufschiebend bedingt versteht, wird damit nicht gleichzeitig eine sanierungsrechtliche Genehmigung erteilt. Die gestellte Rechtsfrage der Beschwerde ist daher sinngemäß anders aufzufassen. Auch dann fehlt es indes an der Klärungsbedürftigkeit. Die Frage ist nämlich ohne weiteres dahin zu beantworten, daß Bundesrecht nur fordert, daß ein Bauvorhaben in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet nicht ohne vorherige sanierungsrechtliche Genehmigung begonnen werden darf. Zu welchem Zeitpunkt diese Genehmigung vorliegen muß, entscheidet das Bundesrecht in §§ 144, 145 BauGB nicht. Es überläßt mithin dem Landesrecht, dafür zu sorgen, daß das Genehmigungserfordernis im Verwaltungsvollzug auch beachtet wird. Aus § 36 VwVfG, für den Revisibilität besteht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO), läßt sich anderes nicht entnehmen.

Damit erübrigt es sich auch für die zweite Frage, welche die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung stellt, ein Revisionsverfahren durchzuführen. Das sanierungsrechtliche Genehmigungserfordernis besitzt eine der Veränderungssperre ähnliche Sicherungsfunktion. Hiervon gehen Berufungsgericht und Beschwerde zutreffend aus. Diese materiellrechtliche Funktion steht nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers. Er darf das Regelungsinstrument der §§ 144, 145 BauGB durch die ihm obliegende Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens in seiner Effektivität nicht in Zweifel ziehen. Es ist nicht erkennbar, daß die vom Berufungsgericht befürwortete "Bedingungslösung" die Effektivität in einem Maße in Zweifel zieht, daß von der Bewahrung der gesetzlichen Ziele nicht mehr gesprochen werden kann. Ob die vom Berufungsgericht auf der Grundlage des sächsischen Bauordnungsrechts beurteilte Effektivität tatsächlich besteht, hat das Beschwerdegericht nicht zu beurteilen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Gaentzsch

Berkemann

Halama