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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 16.03.1994, Az.: 6 C 1/93

Entscheidungsgründe

Der erforderlichen neuen Entscheidung der Beklagten über Annahme oder Ablehnung der Habilitationsschrift des Klägers und damit zugleich über die Fortführung seines Habilitationsverfahrens ist jedoch die nachfolgend dargelegte Rechtsauffassung des Senats anstelle derjenigen des Berufungsgerichts zugrunde zu legen. Der Anspruch des Klägers auf Erlaß einer rechtsfehlerfreien Bewertungsentscheidung über seine Habilitationsschrift ist durch den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 19. April 1989 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 1989 nicht erfüllt worden. Die Rechtswidrigkeit dieses Bescheids folgt zum einen daraus, daß die ihm zugrundeliegenden Beschlüsse des Fakultätsrats der Beklagten nicht in einem Verfahren zustande gekommen sind, das bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bewertung von Habilitationsschriften genügt. Zum anderen ist dieser Bescheid rechtswidrig, weil der ablehnenden Entscheidung keine Begründung beigegeben worden ist.

1. Erfolglos bleibt die Verfahrensrüge der Beklagten, ihr sei vom Berufungsgericht das rechtliche Gehör versagt worden, weil ein gerichtlicher Hinweis auf den vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsstandpunkt unterblieben sei, daß nur solche Prüfer über die Annahme einer Habilitationsschrift entscheiden dürften, die sie selbst, unmittelbar und vollständig zur Kenntnis genommen und beurteilt hätten. Der in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet allerdings ihre Unterrichtung durch das Gericht über die von diesem als entscheidungserheblich erachteten Rechtsfragen, soweit ein verständiger Verfahrensbeteiligter nach dem Verlauf des Verfahrens mit deren Entscheidungserheblichkeit nicht zu rechnen braucht. Den Verfahrensbeteiligten muß die Gelegenheit eröffnet werden, ihren Rechtsstandpunkt zu den maßgeblichen Rechtsfragen darzulegen und so auf die Entscheidungsfindung des Gerichts einzuwirken. Dagegen können sie nicht verlangen, bereits während des gerichtlichen Verfahrens davon unterrichtet zu werden, welchen Rechtsstandpunkt das Gericht zu diesen Rechtsfragen einzunehmen gedenkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235; BVerfG, Beschluß vom 19. Mai 1992, BVerfGE 86, 133, 144). Davon ausgehend ist der Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch das angefochtene Berufungsurteil schon deshalb nicht verletzt worden, weil die Rechtsfrage der Geltung des prüfungsrechtlichen Kenntnisnahmegebots im Habilitationsverfahren bereits im erstinstanzlichen Verfahren vom Kläger aufgeworfen worden und Gegenstand beider Tatsacheninstanzen gewesen ist. Demnach haben die Verfahrensbeteiligten keineswegs dadurch überrascht werden können, daß das Oberverwaltungsgericht dieser Rechtsfrage entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen hat.

2. In der Sache ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, daß die hochschulinterne Zuständigkeit für die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung der Habilitationsschrift landesgesetzlich dem Fachbereichsrat desjenigen Fachbereichs zugewiesen ist, in dem das Habilitationsverfahren stattfindet. Es hat dem § 28 Abs. 4 Satz 2 des hier noch anzuwendenden Gesetzes über die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20. November 1979 (GV NW S. 926) - WissHG NW - sowie den §§ 8 und 10 der Habilitationsordnung 1981/86 der Beklagten - HabilO - entnommen, daß bei einer solchen Beschlußfassung nicht allein die dem Fachbereichsrat, sondern alle dem Fachbereich angehörenden Mitglieder der Gruppe der Professoren und die sonstigen habilitierten Mitglieder des Fachbereichs stimmberechtigt hinzutreten. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht den § 95 Abs. 3 Satz 2 i. V. mit § 92 Abs. 1 Satz 2 WissHG NW dahin gehend ausgelegt, daß nach diesen Vorschriften alle diejenigen Mitglieder des Fachbereichsrats, die keine Habilitation oder eine ihr gleichwertige Qualifikation vorweisen können, von der Stimmabgabe bei der Beschlußfassung ausgeschlossen sind (Zuständigkeit des sog. erweiterten Fachbereichsrats).

Diese Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des nordrhein-westfälischen Landesrechts, an die der Senat gebunden ist (§§ 137 Abs. 1, 173 VwGO i. V. mit § 562 ZPO), steht in Übereinstimmung mit den bundesrahmengesetzlichen Vorgaben gemäß § 38 Abs. 5 Satz 1, § 15 Abs. 4 Satz 2 Hochschulrahmengesetz vom 9. April 1987 (BGBl. I S. 1170) - HRG -, an die die Landesgesetze gemäß § 72 Satz 1 HRG anzupassen waren. Zudem befinden sich die bezeichneten Regelungen im Einklang mit Art. 5 Abs. 3 GG, indem sie darauf abzielen, die Verantwortung der Gesamtheit der Professoren eines jeden Fachbereichs für den Erhalt einer möglichst qualifizierten wissenschaftlichen Forschung und Lehre zu gewährleisten.

3. Auch ist dem Oberverwaltungsgericht darin zuzustimmen, daß es sich bei der vom Kläger angestrebten Habilitation, durch die gemäß § 95 Abs. 1 WissHG "die Befähigung des Bewerbers, ein wissenschaftliches Fach in Forschung und Lehre selbständig zu vertreten, förmlich nachgewiesen (wird)", um eine Berufszulassungsprüfung handelt, die an den Maßstäben des Art. 12 Abs. 1 GG i. V. mit Art. 3 GG zu messen ist. Zu den Einstellungsvoraussetzungen für Professoren gehören nämlich nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 a WissHG je nach den Anforderungen des zu vertretenden Faches zusätzliche wissenschaftliche Leistungen, die gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 WissHG in der Regel durch eine Habilitation nachgewiesen werden. Der Habilitationsschrift und deren Annahme durch den Fachbereich kommen hierbei eine wesentliche Bedeutung zu (vgl. §§ 6 ff., 10 der Habilitationsordnung). Der Charakter einer Berufszulassungsprüfung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die erforderliche Habilitation nicht unmittelbar die Berufsaufnahme ermöglicht, vielmehr nur eine von mehreren Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Teilnahme an Berufungsverfahren um freie Professorenstellen ist. Denn der Erwerb der Habilitation bringt den Bewerber dem Zugang zum Hochschullehrerberuf jedenfalls entscheidend näher (dazu im einzelnen: BVerwG, Urteil vom 23. September 1992, 6 C 2/91 ff., 34).

4. Die hochschulinterne Zuständigkeit des Fachbereichsrats in der durch § 28 Abs. 4 Satz 2, § 95 Abs. 3 Satz 2, § 92 Abs. 1 Satz 2 WissHG NW, § 8 HabilO vorgegebenen personellen Zusammensetzung für die verbindliche Bewertung der Habilitationsschrift ist daher mit den Grundrechten der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und der prüfungsrechtlichen Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) in Einklang zu bringen (vgl. auch BVerfGE 84, 34 ff., 45). Insbesondere die Stimmberechtigung jedes Professors und jedes weiteren habilitierten Mitglieds des zuständigen Fachbereichs erfordert jedenfalls für sog. gemischte Fachbereiche eine verfassungskonforme Auslegung der genannten Vorschriften in der Weise, daß durch die Zusammensetzung des für die Bewertung letztlich verantwortlichen Gremiums noch gewährleistet ist, daß die Entscheidung mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Maß an fachwissenschaftlichem Sachverstand getroffen wird. Die Einräumung von Stimmrechten an jeden Professor und Habilitierten ungeachtet des von ihm vertretenen Fachs führt nämlich dazu, daß in den sog. gemischten Fachbereichen Personen an der Bewertung mitwirken und - wie bei der Beklagten - sogar die Mehrheit der Stimmberechtigten ausmachen können, die ihre stimmrechtsbegründende Qualifikation nicht in einem wissenschaftlichen Fach oder in einem Fachgebiet erworben haben, dem die Habilitationsschrift zugehört oder das von ihr zumindest wesentlich berührt wird.

Zu ihrer Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG müssen Vorschriften, die den Ablauf von berufsbezogenen Prüfungen ausgestalten, geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein, den Prüfungszweck zu erreichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 1992, a.a.O., S. 24 (33)). Dies bedeutet für Regelungen des Verfahrens der Leistungsbewertung, wie insbesondere Regelungen über die Auswahl und Bestellung der an der konkreten Bewertung mitwirkenden Personen sowie die Verteilung der Entscheidungskompetenzen, daß ihre Verfassungsmäßigkeit davon abhängt, ob sie eine hinreichend sachkundige Bewertung der Prüfungsleistungen gewährleisten. Nur wenn sichergestellt ist, daß die Leistungsbewertungen von hinreichendem Sachverstand getragen werden, ist die Annahme gerechtfertigt, daß sie und somit auch das Prüfungsergebnis hinreichend zuverlässige Aussagen über diejenigen Fähigkeiten und Kenntnisse der Bewerber machen, deren Feststellung die Prüfung dient. Dieses verfassungsrechtliche Gebot der sachkundigen Leistungsbewertung ist dem Gebot der eigenen, unmittelbaren und vollständigen Kenntnisnahme der Prüfungsleistung, mit dem sich das Berufungsgericht vorrangig auseinandergesetzt hat, vorgelagert. Denn ein dem Prüfer bzw. Bewertungsgremium anhaftendes Defizit an fachlichem Sachverstand kann nicht durch die "vollständige" Kenntnisnahme der Prüfungsleistung kompensiert werden.

Dem Gebot der sachkundigen Bewertung entspricht ein Recht des Prüflings (Bewerbers), daß über seine Leistung letztlich von hinreichend sachkundigen Personen entschieden wird. Demnach sind die genannten Vorschriften verfassungskonform in dem Sinne auszulegen, daß zwar die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung der Habilitationsschrift der Gesamtheit der (habilitierten) Mitglieder des Fachbereichs zusteht, daß jedoch diese Entscheidung maßgeblich mit einer - noch näher zu beschreibenden - Bindungswirkung durch Gutachter vorbereitet wird, die über die für eine kompetente Bewertung hinreichende Sachkunde verfügen (ähnlich auch Krüger, WissR 1988, S. 34 ff., 44 bis 46 und NWVBl. 1993, 259).

Art und Ausmaß des erforderlichen Sachverstandes können nur in Ansehung des jeweiligen Prüfungszwecks, d. h. der festzustellenden beruflichen Befähigung bestimmt werden. Das allgemeine Qualifikationserfordernis für Prüfer (§ 92 Abs. 1 Satz 2 WissHG), das für Habilitationen entsprechend gilt (§ 95 Abs. 3 Satz 2 WissHG), verlangt zwar, daß über den Erfolg der Habilitation nur von Personen entschieden werden darf, die selbst habilitiert sind oder eine gleichwertige Qualifikation besitzen. Damit ist aber noch nicht gewährleistet, sondern in Fachbereichen mit vielen unterschiedlichen Fächern eher zweifelhaft, ob alle Habilitierten die für eine kompetente Bewertung gerade in dem Habilitationsfach notwendige Sachkunde besitzen. Es geht dabei nicht um perfekte Kenntnisse über die Einzelheiten oder Teilaspekte des Prüfungsstoffs, die grundsätzlich nicht jeder der Beteiligten besitzen muß (st. Rspr.; vgl. z. B. Beschluß vom 18. Juni 1981 - BVerwG 7 CB 22.81 - Buchholz 421.0 Nr. 149). In Frage stehen vielmehr fachliche Kenntnisse, ohne die eine Habilitationsschrift nicht verantwortlich zu bewerten ist. Auszugehen ist davon, daß auch durch eine zumutbare Vorbereitung, Einarbeitung und Erörterung mit anderen Mitgliedern des Bewertungsgremiums erhebliche Defizite nicht zu vermeiden sind, etwa weil - nicht vorhandene - Kenntnisse einer alten Sprache (z. B. Hebräisch) unverzichtbare Voraussetzung für eine fachkundige wissenschaftliche Bewertung sind.

Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben hält die Einräumung von Stimmrechten an jeden Professor und darüber hinaus an jedes habilitierte Mitglied des Fachbereichs (§ 28 Abs. 4 Satz 2 WissHG NW und § 8 HabilO) nur dann den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG stand, wenn durch die Ausgestaltung des Habilitationsverfahrens gewährleistet ist, daß der zur sachkundigen Bewertung erforderliche fachwissenschaftliche Sachverstand im Fachbereichsrat nicht nur eingebracht, sondern dessen maßgebliche Berücksichtigung bei der Bewertungsentscheidung sichergestellt wird. Dazu steht das in § 6 HabilO vorgesehene Begutachtungsverfahren zur Verfügung, das der Entscheidung des Fachbereichsrats vorausgeht. Danach stellen die Gutachter fest, ob es sich bei der Habilitationsschrift um eine wesentliche Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in dem Fach handelt, für das die Feststellung der Lehrbefähigung und gegebenenfalls der venia legendi erstrebt wird. Dem verfassungsrechtlichen Gebot der sachkundigen Bewertung ist freilich auf dieser Grundlage nur dann hinreichend entsprochen, wenn die Gutachter in dem Habilitationsfach kompetent für solche Bewertungen sind und wenn ferner Vorkehrungen dagegen getroffen werden, daß die Bewertungen sachkundiger Gutachter umgestoßen werden, ohne daß dabei ein dies rechtfertigender - mindestens ebenso qualifizierter - Sachverstand zutage tritt. Demgemäß bedarf es zum einen der Beachtung besonderer Anforderungen an die Auswahl der Gutachter sowie an deren Tätigkeit. Zum anderen dürfen die Gutachten nicht lediglich den Charakter von Empfehlungen oder unverbindlichen Vorschlägen haben, deren Einbeziehung in die Entscheidungsfindung dem Fachbereichsrat und damit jedem Stimmberechtigten freigestellt ist. Vielmehr muß den Gutachten hinsichtlich ihrer Aussagen mit fachwissenschaftlichem Gehalt und ihrem darauf gestützten Bewertungsergebnis eine beschränkte inhaltliche Bindungswirkung für die Bewertungsentscheidung der Gesamtheit der stimmberechtigten Mitglieder des Fachbereichsrats beigemessen werden. Dazu ist im einzelnen zu bemerken:

a) Entsprechend dem Zweck des Begutachtungsverfahrens, die abschließende Entscheidung über die Annahme oder die Ablehnung der Habilitationsschrift maßgeblich vorzubereiten, muß der erforderliche Sachverstand in der Person jedes einzelnen Gutachters vorhanden sein. Eine sachkundige Beurteilung, ob eine wesentliche Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in dem Habilitationsfach anzunehmen ist, setzt in Anbetracht von Umfang, Spezialisierungs- und Schwierigkeitsgrad von Habilitationsschriften die Auswahl und Bestellung von Personen voraus, die über einen hinreichenden Überblick über den fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand in denjenigen Fachgebieten verfügen, mit denen sich die Habilitationsschrift befaßt. Ohne fachspezifische Vorkenntnisse ist die für eine sachkundige Bewertung unabdingbare wissenschaftliche Durchdringung der Arbeit in aller Regel nicht in ausreichendem Maße sichergestellt. Vom Vorhandensein der erforderlichen Fachkompetenz kann bei Personen ausgegangen werden, deren venia legendi das von der Habilitationsschrift behandelte oder jedenfalls von ihr wesentlich berührte Fachgebiet abdeckt. Anderen Habilitierten ist der erforderliche Sachverstand nicht generell, sondern nur aus besonderem Grunde zuzuerkennen, etwa wenn und soweit sie anderweitig durch besondere, die Thematik der Habilitationsschrift betreffende fachwissenschaftliche Kenntnisse ausgewiesen sind oder wenn es maßgeblich um wissenschaftliche Methoden geht, die weitgehend unabhängig von fachlichen Inhalten gelten und deren Beachtung möglicherweise auch ohne spezifische Fachkenntnisse bewertet werden kann. In manchen Fällen wird sich der erforderliche Sachverstand nur auf einen Ausschnitt der Arbeit erstrecken, insbesondere bei Arbeiten mit fachübergreifenden Bezügen.

Demgemäß muß vom Fachbereichsrat oder von der hier nach der Habilitationssatzung dafür zuständigen Habilitationskommission durch entsprechende Auswahl der Gutachter dafür Sorge getragen werden, daß die fachliche Thematik der Habilitationsschrift umfassend abgedeckt, d. h. insgesamt einer sachkundigen Nachprüfung unterzogen wird. Dieser Anforderung kommt besondere Bedeutung zu, wenn die Arbeit fachübergreifenden Charakter oder doch erhebliche Bezüge zu wissenschaftlichen Nachbardisziplinen aufweist. Die Zusammenstellung der Gutachter muß insgesamt auf die Thematik der Arbeit abgestimmt sein; für jedes wesentlich berührte Fach muß zumindest ein Gutachter bestellt werden. Wenn die Thematik mehrere selbständige Bereiche umfaßt, wird der Auftrag an einzelne Gutachter auf die Untersuchung und Bewertung einzelner Ausschnitte oder Problemstellungen der Habilitationsschrift zu begrenzen sein, so daß diese nicht durch ein einzelnes Gutachten, sondern erst durch das Zusammenwirken mehrerer Gutachter aufgeschlossen wird.

An die Tätigkeit jedes einzelnen Gutachters sind - im Rahmen seines Auftrags - alle diejenigen Anforderungen zu stellen, die ansonsten für die Tätigkeit von Prüfern in berufsbezogenen Prüfungen gelten. Die Gutachter haben so vorzugehen, als obläge ihnen die letztlich verbindliche Bewertung der Habilitationsschrift. Demnach beansprucht vor allem das Gebot der eigenen, unmittelbaren und vollständigen Kenntnisnahme der Arbeit für jeden Gutachter Geltung.

Die angeführten verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Habilitationsverfahren stellen ferner besondere Anforderungen an die Begründung des schriftlichen Gutachtens, das gemäß § 6 Abs. 5 Satz 2 HabilO innerhalb von sechs Monaten nach der Eröffnung des Verfahrens vorzulegen ist. Die Letztentscheidungskompetenz eines ("gemischten") Fachbereichsrats, dessen Mitglieder zu einem nicht nur unwesentlichen Teil keine oder nur geringe Kenntnisse in dem Habilitationsfach haben, setzt eine tragfähige gutachtliche Hilfestellung voraus. Dies bedeutet, daß der Fachbereichsrat - soweit dies möglich ist - in den Stand gesetzt werden muß, auf der Grundlage der Gutachten seine verantwortliche und verbindliche Bewertungsentscheidung zu treffen. Insbesondere die für die Annahme oder Ablehnung der Leistung wesentlichen Gründe, vor allem Art und Umfang der Förderung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in dem Habilitationsfach, aber auch allgemeine Mängel und Vorzüge etwa hinsichtlich der Methoden und Darstellungsweise des Bewerbers, sind in dem einzelnen Gutachten so verständlich zu begründen, daß die anderen stimmberechtigten Mitglieder möglichst in die Lage versetzt werden, auch selbst verantwortlich zu entscheiden. Entsprechendes gilt für die Empfehlung der Habilitationskommission, die diese nach Eingang der Gutachten zu erarbeiten hat (§ 6 Abs. 6 HabilO).

b) Die den Gutachten zugrundeliegende Fachkompetenz und vollständige Kenntnisnahme der Habilitationsschrift machen es zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gebots der sachkundigen Bewertung erforderlich, den gutachterlichen Aussagen mit fachwissenschaftlichem Gehalt eine prinzipielle Bindungswirkung für die Bewertungsentscheidung des Fachbereichsrats in einem "gemischten" Fachbereich einzuräumen. Dies bedeutet, daß sich der Fachbereichsrat über die Feststellungen eines Gutachtens nur dann hinwegsetzen darf, wenn es ihm gelingt, die Richtigkeitsvermutung dieser Feststellungen zu erschüttern. Ansonsten hat er die Aussagen mit fachwissenschaftlichem Gehalt seiner Bewertungsentscheidung bindend zugrunde zu legen. Darin kommt zum Ausdruck, daß es sich bei der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung einer Habilitationsschrift um eine fachwissenschaftlich ausgerichtete und gebundene Bewertung einer Prüfungsleistung handelt. Eine Erschütterung der Richtigkeitsvermutung und damit der Wegfall der Bindungswirkung einer gutachterlichen Feststellung mit fachwissenschaftlichem Gehalt ist anzunehmen, wenn ihr in fachwissenschaftlich fundierter Weise widersprochen wird.

Die mit diesen Anforderungen verbundenen Eingrenzungen des Stimmrechts einzelner Mitglieder des Fachbereichsrats verletzten nicht Art. 5 Abs. 3 GG, soweit dort die Erhaltung der Qualität von Wissenschaft, Forschung und Lehre in die Verantwortung der Gesamtheit der Professoren eines Fachbereichs gestellt wird (dazu im einzelnen: BVerwG, Urteil vom 23. September 1992, a.a.O., S. 24, 36/37). Auch eine solche Verantwortung reicht nur soweit, wie sie aufgrund hinreichender Sachkunde wahrgenommen werden kann. Ohne hinreichende Sachkunde vorgenommene Bewertungen würden nicht zur Erhaltung der Qualität von Wissenschaft, Forschung und Lehre beitragen, sondern ihr eher schaden. Aus der "Gesamtheit der Professoren" sind daher auch in dieser Hinsicht diejenigen auszunehmen, denen es aufgrund mangelnder Fachkenntnisse im konkreten Einzelfall unmöglich ist, in fachwissenschaftlich fundierter Weise eigenverantwortlich zu entscheiden. Die genannten Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG und diejenigen des Art. 5 Abs. 3 GG kollidieren hier demnach nicht, sondern entsprechen sich inhaltlich.

Der Umfang dieser Bindungswirkung kann nicht generell festgelegt werden, sondern hängt insbesondere davon ab, wie sehr der jeweilige Fachbereich "gemischt" ist. Je mehr eigenständige Fächer mit kaum verwandten Inhalten vertreten sind, desto stärker ist das Gewicht der für das Habilitationsfach kompetenten Gutachter und damit die Bindung an deren Feststellungen und Bewertungen.

Ob die widersprechenden Mitglieder hinreichend sachkundig sind und ob es ihnen gelungen ist, bestimmte Bewertungen der Gutachter zu erschüttern, ist im Streitfall aus den Gründen herzuleiten, auf die sie ihren Widerspruch stützen. Daher müssen diese Gründe schriftlich niedergelegt werden. Sie müssen zudem ein hinreichendes Maß an Substantiierung aufweisen und erkennen lassen, daß die Ablehnung von hinreichendem fachwissenschaftlichen Sachverstand getragen wird. Um den stimmberechtigten Mitgliedern des Fachbereichsrats die Erhebung derartiger Einwendungen zu ermöglichen, muß ihnen vor der Befassung des Fachbereichsrats in angemessener Weise Gelegenheit zur Kenntnisnahme von der Habilitationsschrift und den Gutachten eröffnet werden.

Kommen - wie im vorliegenden Fall - die Gutachter zu unterschiedlichen Feststellungen und Bewertungen, gelten diese Anforderungen entsprechend. Einzelne Mitglieder des Fachbereichsrats dürfen auch in dieser Situation nicht mit ihrer Stimme den Ausschlag geben, wenn und soweit es ihnen aufgrund mangelnder Fachkenntnisse unmöglich ist, in fachwissenschaftlich fundierter Weise eigenverantwortlich zu entscheiden. Allerdings mag es in diesen Fällen leichter sein, sich einer - hinreichend verständlichen - Mindermeinung, etwa entsprechend den überzeugenden Empfehlungen der Habilitationskommission, anzuschließen, als die Gründe für einen selbst initiierten Widerspruch substantiiert darzulegen. Dabei kommt es letztlich auf die Umstände des Einzelfalls an.

5. Für den vorliegenden Fall ergibt sich im einzelnen folgendes:

a) Es trifft - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nicht zu, daß jedem stimmberechtigten Mitglied des Fachbereichsrats vor Ausübung seines Stimmrechts unbedingt und ohne Einschränkung die eigene, unmittelbare und vollständige Kenntnisnahme der Habilitationsschrift abzuverlangen ist. Dem Fachbereichsrat obliegt zwar die verbindliche Bewertungsentscheidung, nicht aber die hierfür notwendige Erschließung und Aufbereitung der zu bewertenden Prüfungsleistung. Diese Aufgabe als Bestandteil des Bewertungsvorgangs ist vielmehr den Gutachtern und der Habilitationskommission übertragen, so daß sich der Fachbereichsrat auf der Grundlage eines umfassend aufbereiteten Bewertungsmaterials mit der Habilitationsschrift zu befassen hat. Diese Aufspaltung und Differenzierung entsprechend der unterschiedlichen speziellen Sachkunde der stimmberechtigten Mitglieder des Fachbereichsrats findet ihren Niederschlag in der dargelegten Bindungswirkung der Gutachteraussagen mit fachwissenschaftlichem Gehalt und dem darauf gestützten Bewertungsergebnis.

b) Die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts lassen die Annahme zu, daß das von der Beklagten durchgeführte Verfahren zur Bewertung der Habilitationsschrift des Klägers den verfassungsrechtlich begründeten Anforderungen an die Durchführung des Habilitationsverfahrens jedenfalls nicht vollständig genügt hat. Es steht nicht fest, ob diejenigen Gutachter, die nicht die Lehrbefähigung für das Habilitationsfach haben, über die erforderliche Fachkompetenz zur (umfassenden) Begutachtung der Arbeit verfügt haben. Das Verfahren ist aber jedenfalls deshalb fehlerhaft durchgeführt worden, weil die Gutachten sowohl von der Habilitationskommission als auch vom Fakultätsrat ersichtlich nur als "unverbindliche Vorschläge" behandelt worden sind, ihren Aussagen mit fachwissenschaftlichem Gehalt demnach keine Richtigkeitsvermutung zuerkannt worden ist. Geht man - mit der Beklagten - davon aus, daß der Habilitationskommission von der Habilitationsordnung 1981/86 die Aufgabe der Erstellung eines Obergutachtens auf der Grundlage der Gutachten zugewiesen worden ist, so hat auch die Stellungnahme der Kommission den Begründungsanforderungen nicht genügt. Insbesondere hat sie eine Auseinandersetzung mit den Aussagen der vier positiven Gutachten vermissen lassen.

Die Beklagte wird daher das Bewertungsverfahren für die Habilitationsschrift des Klägers unter Beachtung der dargestellten rechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Gutachterauswahl und der prinzipiellen Bindungswirkung der Gutachteraussagen mit fachwissenschaftlichem Gehalt zu wiederholen haben. Die Gutachten können nur Verwendung finden, wenn sie vom erforderlichen fachwissenschaftlichen Sachverstand getragen sind, inhaltlich den dargelegten Anforderungen entsprechen und insbesondere darauf angelegt sind, die anderen - nicht oder nur begrenzt sachkundigen - Mitglieder des Fachbereichsrats möglichst weitgehend in den Stand zu setzen, auf der Grundlage der Gutachten eine verantwortliche Entscheidung zu treffen.

c) Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 18. April 1989 auch deshalb rechtswidrig, weil ihm eine Begründung nicht beigefügt und dieser Mangel auch nicht bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens geheilt worden ist. Die Gutachten und die Kommissionsempfehlung vermögen die eigenständige Begründung der Entscheidung des Fachbereichsrats nicht zu ersetzen. Vielmehr muß die Begründung der Entscheidung speziell des Fachbereichsrats, die hier gegen die Mehrheit der Gutachter ausgefallen ist, erkennen lassen, aus welchen Gründen nach seiner (Mehrheits-)Meinung die Richtigkeitsvermutung der fachgutachtlichen Bewertung angeblich erschüttert worden ist und warum etwa die Argumente der Mindermeinung demgegenüber als überzeugend erachtet worden sind.

Übrigens hat der Senat bereits anderweitig entschieden, daß bei berufsbezogenen Prüfungen der Prüfling (Bewerber) aus verfassungsrechtlichen Gründen die Mitteilung der tragenden Erwägungen für die Bewertung seiner schriftlichen Prüfungsleistungen in Form einer dem Prüfungsbescheid beigegebenen schriftlichen Begründung verlangen kann. Diese muß hinreichend erkennen lassen, welcher Sachverhalt und welche allgemeinen und besonderen Bewertungsmaßstäbe der Entscheidung zugrunde gelegt worden sind und auf welcher wissenschaftlich-fachlichen Annahme die Bewertung beruht (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1992, 6 C 3/92 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 307). Diese Anforderungen gelten für Entscheidungen, mit denen die Annahme einer Habilitationsschrift abgelehnt wird, entsprechend. Nur durch eine solche Darlegung des Meinungsbildungs- und Abstimmungsprozesses kann gemäß den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 84, 34 ff., 49) gewährleistet werden, daß die Einhaltung des verfassungsrechtlich gebotenen Verfahrensgangs und der Bindungen, denen der Fachbereichsrat in fachwissenschaftlicher Hinsicht unterliegt, einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung zugänglich gemacht werden können.

d) Schließlich haftet dem Habilitationsverfahren der Beklagten deshalb ein weiterer Verfahrensfehler an, weil dem Kläger bis zum Abschluß des Widerspruchsverfahrens keine Einsicht in die Akten seines Habilitationsverfahrens gewährt worden ist. Der Senat hat in anderem Zusammenhang bereits entschieden, daß es aus verfassungsrechtlichen Gründen unerläßlich ist, daß der Prüfling seine Prüfungsakten, insbesondere die darin befindlichen Gutachten und Prüferstellungnahmen, einsehen kann, um einen hinreichend effektiven Grundrechtsschutz zu ermöglichen (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993, BVerwGE 92, 132). Demnach erstreckt sich das Einsichtnahmerecht des Habilitanden auf die Unterlagen über sämtliche Bewertungsvorgänge in einem Habilitationsverfahren. Diesen Anforderungen trägt § 19 HabilO 1981/86 insoweit nicht Rechnung, wie er dem erfolglosen Habilitanden diese Einsichtnahme verwehrt.