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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 28.05.2014, Az.: 6 C 4/13

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 2013 geändert. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 11. April 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Entscheidungsgründe

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Feststellung seiner Identität mit anschließendem Datenabgleich durch Beamte der Bundespolizei rechtswidrig war. Er stand am 23. Juni 2011 zusammen mit mehreren Jugendlichen vor dem Hauptbahnhof in Trier neben der Treppe des Haupteingangs zur Bahnhofshalle und unterhielt sich mit ihnen. Gegen 17:50 Uhr forderten zwei Beamte der Bundespolizei den Kläger und die Jugendlichen zur Vorlage ihrer Ausweise auf. Anhand der Ausweise führten sie mit Hilfe eines Funkgerätes einen Datenabgleich durch. Dabei wurde festgestellt, dass zu einer Person Erkenntnisse älteren Datums als Betäubungsmittelkonsument vorlagen. Die von ihr mitgeführten Sachen wurden daraufhin in Augenschein genommen, ohne etwas festzustellen. Zu dem Kläger und den anderen Personen lagen keine Erkenntnisse über Handel oder Konsum von Betäubungsmitteln vor. Zu einer Person bestand eine Sachfahndung. Anschließend erhielten alle Personen ihren Ausweis zurück. Der Kläger hat am 7. Oktober 2011 Klage erhoben, gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen ihn ergriffenen polizeilichen Maßnahmen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben.

Mit Urteil vom 24. Januar 2013 hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufung der Beklagten das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Identitätsfeststellung habe ihre Rechtsgrundlage in § 23 Abs. 1 Nr. 1 des Bundespolizeigesetzes - BPolG - gefunden. Die Bundespolizei sei sachlich zuständig gewesen im Rahmen der ihr gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 BPolG obliegenden Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die Öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die den Benutzern drohen. Von dem in § 4 Abs. 1 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung - EBO - bestimmten Begriff der "Bahnanlagen" sei auch ein Bahnhofsvorplatz insoweit umfasst, als er im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 EBO den Zu- und Abgang ermögliche oder fördere. Hierzu zähle allerdings - jedenfalls bei größeren Plätzen - nicht der gesamte Bereich des Bahnhofsvorplatzes, sondern nur jener, der in unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Bahnhofshalle liege. Nur insoweit weise ein Bahnhofsvorplatz die für die Zugehörigkeit zur Bahnanlage maßgebliche Eisenbahnbetriebsbezogenheit auf, weil nur bei Personen, die sich in diesem Bereich aufhielten, regelmäßig davon ausgegangen werden könne, dass sie auf dem Weg zu oder von dem Bahnhof seien. Im vorliegenden Fall sei die Identitätsfeststellung direkt neben der Treppe, die zum Haupteingang in die Bahnhofshalle führe, und damit in dem zu den Bahnanlagen gehörenden Bereich des Bahnhofsvorplatzes erfolgt. Zu diesem Einschreiten sei die Bundespolizei wegen des Verdachts, es würde mit Drogen gehandelt, nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG zur Abwehr einer Gefahr, die den Benutzern der Bahn drohte, befugt gewesen. Die Identitätsfeststellung sei als Gefahrerforschungseingriff zulässig gewesen, weil hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht des Drogenhandels bestanden hätten. Die Bundespolizei sei deshalb zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts berechtigt und die Identitätskontrolle des Klägers in Verbindung mit dem anschließenden Datenabgleich hierzu geeignet, erforderlich und angemessen gewesen. Der Datenabgleich sei gestützt auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BPolG rechtmäßig erfolgt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers, zu deren Begründung er vorträgt: Bahnhofsvorplätze seien keine Bahnanlagen, weil sie zum Betrieb einer Eisenbahn nicht erforderlich seien. Dieses bis zur Neufassung des § 4 Abs. 1 EBO im Jahr 1991 in der Rechtsprechung vorherrschende Verständnis sei weiterhin zutreffend. Der Versuch des Oberverwaltungsgerichts, die notwendige Eingrenzung des Begriffs der Bahnanlagen und hierüber der bundespolizeilichen Zuständigkeit dadurch vorzunehmen, dass nur der in unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Bahnhofshalle gelegene Bereich eines Bahnhofsvorplatzes erfasst sein soll, sei nicht tragfähig. Die verfassungsrechtlich gebotene klare und für den Bürger voraussehbare Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche von Bundespolizei und Landespolizeien sei so nicht gewährleistet. Ungeachtet der fehlenden sachlichen Zuständigkeit der Bundespolizei sei die strittige Identitätsfeststellung auch deshalb rechtswidrig gewesen, weil keine konkrete Gefahr im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG vorgelegen habe. Ein bloßer Gefahrenverdacht könne ein Einschreiten nicht rechtfertigen. Aus der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung folge die Rechtswidrigkeit des anschließenden Datenabgleichs.

Der Kläger beantragt,das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 2013 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 11. April 2012 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 2013 zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die dagegen gerichtete Revision sei nur insoweit zulässig, als sie auf die Klärung der Reichweite des Gebietes der Bahnanlagen im Sinne von § 3 Abs. 1 BPolG gerichtet sei, deretwegen das Oberverwaltungsgericht die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen habe. Insoweit habe das Berufungsgericht zutreffend auf das hinreichend trennscharfe Kriterium der Eisenbahnbetriebsbezogenheit abgestellt. Bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung erfülle der Bahnhofsvorplatz in Trier, über den der Zugang zu Bahnhofshalle und Bahnsteigen erfolge und der von den umliegenden Flächen deutlich abgegrenzt sei, dieses Kriterium. Die darüber hinaus von der Revision aufgeworfenen Fragen der Identitätsfeststellung einschließlich des zugrunde liegenden Sachverhalts und des Datenabgleichs seien vom Oberverwaltungsgericht verbindlich festgestellt, die Revision insoweit unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren. Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor, die strittige Identitätsfeststellung habe auch auf § 23 Abs. 1 Nr. 4 BPolG gestützt werden können.

Die Revision ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gemäß § 132 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden, § 132 Abs. 3 VwGO. Eine - grundsätzlich mögliche (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1972 - BVerwG 3 C 82.71 - BVerwGE 41, 52 <53> [insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 427.2 § 7 FG Nr. 10] und vom 23. Januar 1976 - BVerwG 7 C 79.74 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 43 S. 19) - Beschränkung der Revisionszulassung auf einen abtrennbaren Teil der angefochtenen Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht nicht vorgenommen. Eine Beschränkung auf bestimmte Rechtsfragen, wie sie die Beklagte unter Verkennung der notwendigen Unterscheidung von Zulassungsgrund und Zulassungsumfang anzunehmen scheint, wäre von vornherein unzulässig (Urteile vom 17. Oktober 1972 und vom 23. Januar 1976 jeweils a.a.O.).

2. Die Revision ist begründet, denn das angefochtene Berufungsurteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht das die Rechtswidrigkeit von Identitätsfeststellung (a)) und anschließendem Datenabgleich (b)) feststellende Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Die Feststellungsklage ist begründet.

a) Die streitgegenständliche Identitätsfeststellung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG war rechtswidrig, weil die Bundespolizei dafür sachlich nicht zuständig war.

Nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG kann die Bundespolizei die Identität einer Person zur Abwehr einer Gefahr feststellen. Die notwendigen Maßnahmen, um eine Gefahr abzuwehren, kann die Bundespolizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den §§ 1 bis 7 BPolG treffen. Da sie als Bahnpolizei tätig geworden ist, müssten die Voraussetzungen für ihre sachliche Zuständigkeit nach § 3 BPolG vorgelegen haben. Nach § 3 Abs. 1 BPolG hat die Bundespolizei die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen. Voraussetzung für die Zuständigkeit der Bundespolizei ist demnach mindestens, dass der Einsatzort sich "auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes" befindet. Dies war bei dem vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Einsatzort nicht der Fall.

Maßgeblich für die Bestimmung des Begriffs "Bahnanlage" ist § 4 Abs. 1 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 (BGBl II 1967 S. 1563), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 25. Juli 2012 (BGBl I S. 1703) geändert worden ist (EBO). Bahnanlagen sind danach alle Grundstücke, Bauwerke und sonstigen Einrichtungen einer Eisenbahn, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind. Dazu gehören auch Nebenbetriebsanlagen sowie sonstige Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern. Es gibt Bahnanlagen der Bahnhöfe, der freien Strecke und sonstige Bahnanlagen. Fahrzeuge gehören nicht zu den Bahnanlagen. Gemeinsames Kriterium für die (objektive) Zugehörigkeit zur Bahnanlage ist - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse die sog. Eisenbahnbetriebsbezogenheit, d.h. die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb (Urteil vom 27. November 1996 - BVerwG 11 A 2.96 - BVerwGE 102, 269 <274 f.>, [...] Rn. 21).

Als "Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern" (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EBO) sind danach nur solche Flächen im Vorfeld eines Bahnhofs einzustufen, bei denen objektive, äußerlich klar erkennbare, d.h. räumlich präzise fixierbare, Anhaltspunkte ihre überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr im Unterschied zum Allgemeinverkehr belegen. Dies ist insbesondere bei Treppen und überdachten Flächen im Eingangsbereich eines Bahnhofsgeländes der Fall. Danach handelten im vorliegenden Fall die Bahnpolizisten außerhalb ihrer Zuständigkeit. Der Einsatzort befand sich nämlich vor dem Bahnhofsgebäude neben der Treppe auf dem Bahnhofsvorplatz.

Ein Bahnhofsvorplatz beginnt, wo das Bahnhofsgebäude endet. Er ist genauso der Platz vor dem Bahnhof wie er eine sonstige Verkehrsfläche in der jeweiligen Gemeinde ist. Dementsprechend ist er nicht nur "eisenbahnbetriebsbezogen", sondern bezieht sich auch auf den sonstigen Verkehr auf dem Gemeindegebiet. Für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf einer solchen Fläche ist, sofern nicht in der vorbezeichnet erwähnten Weise Anhaltspunkte die überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr belegen, nicht eine Sonderpolizei des Bundes zuständig, sondern die nach Landesrecht zu bestimmende Gefahrenabwehrbehörde. Dem Ansatz des Oberverwaltungsgerichts, in "unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Bahnhofshalle" liegende Bereiche von Bahnhofsvorplätzen in den Bahnanlagenbegriff einzubinden, folgt der Senat nicht. Er erweist sich als nicht hinreichend trennscharf. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Bundespolizei als Bahnpolizei auch auf Flächen eingesetzt wird, die rechtlich nicht zum Gebiet der Eisenbahnen des Bundes gehören. Dann muss die Zuständigkeit aber kooperationsrechtlich nach § 65 Abs. 1 BPolG ermöglicht werden. Dafür ist vorliegend nichts erkennbar. Oder es müssen die Voraussetzungen einer Nacheile nach § 58 Abs. 3 BPolG gegeben sein; auch an diesen Voraussetzungen fehlte es offensichtlich im streitgegenständlichen Fall.

b) Die Rechtmäßigkeit des Datenabgleichs nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Satz 2 BPolG beurteilt sich nach den entsprechenden Gesichtspunkten wie diejenige der Identitätsfeststellung. Die Bundespolizei kann personenbezogene Daten mit dem Inhalt von Dateien abgleichen, die sie zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben führt oder für die sie Berechtigung zum Abruf hat, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dies zur Erfüllung einer sonstigen Aufgabe der Bundespolizei erforderlich ist (Satz 1 Nr. 2), und sie kann ferner im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung erlangte personenbezogene Daten mit dem Fahndungsbestand abgleichen (Satz 2). Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist aber die sachliche Zuständigkeit der Bundespolizei als Bahnpolizei nach § 3 BPolG, die hier nicht gegeben war.

3. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).