Bundesverwaltungsgericht
Entscheidung vom 24.01.1992, Az.: 7 C 38.90
Tenor
Leitsätze:
»Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine auf die Grundstücksentwässerung bezogene Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang gemäß § 49 Abs. 2 VwVfG widerrufen werden kann.«
Tatbestand
I. Die Kläger wenden sich gegen den Widerruf einer Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang hinsichtlich der Entwässerung ihres Grundstücks.
Die Kläger sind Eigentümer eines in Feusdorf gelegenen Hausgrundstücks. Im Jahre 1978 forderte die Beklagte den Kläger zu 1 und seine inzwischen verstorbene Ehefrau auf, das Grundstück an den öffentlichen Schmutzwasserkanal anzuschließen. Dies lehnten der Kläger und seine Ehefrau mit der Begründung ab, aus finanziellen Gründen zu einem Anschluß nicht in der Lage zu sein; für ihr vor über 20 Jahren im Außenbereich errichtetes Wohnhaus sei eine einwandfrei funktionierende Dreikammerklärgrube angelegt worden, die regelmäßig gewartet werde. Mit Bescheid vom 29. März 1979 befreite die beklagte Verbandsgemeinde den Kläger und seine Ehefrau vom Anschluß- und Benutzungszwang. Dabei wies sie darauf hin, die Befreiung gelte auf Dauer, jedoch unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs, sofern Grundstücke Dritter durch die Versickerung der Abwässer auf dem Grundstück der Kläger in Mitleidenschaft gezogen würden. Der Bescheid geht im übrigen davon aus, die Anschlußkosten von »mindestens 25.000 DM--< seien als unbillige Härte anzusehen.
Nach Inbetriebnahme einer zentralen Kläranlage im Jahre 1983, der Herstellung eines Verbindungssammlers für die Gemeinde Feusdorf im Jahre 1985 sowie der Herstellung eines Verbindungssammlers zu einer weiteren Gemeinde im Jahre 1987 widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 21. Mai 1987 unter Hinweis auf § 8 Abs. 3 ihrer Entwässerungssatzung vom 29. Mai 1985 (im folgenden: Satzung 1985) die dem Kläger und seiner Ehefrau erteilte Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang und forderte sie auf, ihr Grundstück an den Schmutzwasserkanal anzuschließen. Grundlage dieser Entscheidung war ein entsprechender Beschluß des Werksausschusses der Verbandsgemeindewerke vom 6. Mai 1987, dem eine Beratung dieses Ausschusses über die der Beklagten vorliegenden Anträge auf Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang sowie eine Überprüfung der bisher ausgesprochenen Befreiungen vorausgegangen war.
Gegen den an die »Eheleute Karl Stump--< adressierten, durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes zugestellten Bescheid legten der Kläger und seine Ehefrau durch ihre Prozeßvollmächtigte Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wies der Kreisrechtsausschuß des Landkreises Daun mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 1987 zurück, nachdem der Kläger und seine Ehefrau das Angebot der Beklagten, die Anschlußleitung zu einem Festpreis von 15.000 DM herzustellen, abgelehnt hatten.
Die vom Kläger und seiner Ehefrau daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 17. März 1989 mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe ermessensfehlerfrei von der ihr in § 8 Abs. 3 der Satzung 1985 eingeräumten Möglichkeit des Widerrufs einer Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang Gebrauch gemacht.
Der hiergegen eingelegten Berufung des Klägers und seiner Ehefrau hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. Dezember 1989 stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der angegriffene Widerrufsbescheid sei nicht deshalb unwirksam, weil es an der Aushändigung je einer Ausfertigung des Bescheids an beide Ehegatten fehle. Es habe insoweit lediglich einer Bekanntgabe im Sinne des § 41 Abs. 1 VwVfG bedurft. Aus dem weiteren Verfahrensablauf ergebe sich, daß beide Ehegatten Kenntnis von dem Bescheid erhalten hätten. Damit sei der gerügte Mangel auf jeden Fall geheilt. Zwar lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen der hier anzuwendenden Widerrufsregelung des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG vor. Insbesondere wäre die Beklagte zum heutigen Zeitpunkt berechtigt, die Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang gemäß § 8 Abs. 1 der Satzung 1985 zu versagen. Die Beklagte habe jedoch von dem ihr zustehenden Widerrufsermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht, weil sie dem Vertrauen des Klägers und seiner Ehefrau in die Beständigkeit der Befreiungsregelung nicht ausreichend Rechnung getragen, insbesondere keine hinreichende Übergangsregelung für sie geschaffen und ihnen keine Gelegenheit gegeben habe, sich angemessen in ihre Dispositionen auf die veränderte Sachlage einzustellen. Die Ermessensentscheidung umfasse nicht nur das »Ob--<, sondern auch das Maß, den Zeitpunkt und die zeitliche Dimension der Rücknahme. Den öffentlichen Interessen sei auch dann noch angemessen Rechnung getragen, wenn angesichts der Höhe der bei einem Widerruf anfallenden Investitionskosten eine nach Jahren bemessene Übergangsfrist eingeräumt werde. Die Rechtswidrigkeit des Widerrufsbescheids sei im übrigen nicht bereits aus einer Fristversäumnis nach § 48 Abs. 4 VwVfG herzuleiten.
Dagegen richtet sich die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, zu deren Begründung sie im wesentlichen geltend macht: Vor der Einräumung eines Vertrauensschutzes wegen etwaiger Investitionen habe das Berufungsgericht klären müssen, ob überhaupt Investitionen seitens des Klägers und seiner Ehefrau getätigt worden seien. Aus den Akten und dem eigenen Vorbringen der Kläger ergebe sich, daß dies nicht der Fall sei.
Die Kläger erwidern: Das angefochtene Urteil verletze zwar revisibles Recht, erweise sich aber aus anderen Gründen als richtig. Das Berufungsgericht habe verkannt, daß der Widerrufsbescheid nicht wirksam zugestellt worden sei, da nicht jeder der beiden Adressaten eine eigene Ausfertigung erhalte habe. Außerdem sei die Satzung 1985 mangels wirksamer Bekanntmachung bis heute nicht wirksam in Kraft getreten. Der Widerrufsbescheid sei im übrigen auch deshalb rechtswidrig, weil der Kläger und seine Ehefrau von der ihnen eingeräumten Vergünstigung seit Jahren Gebrauch gemacht hätten (§ 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG).
Entscheidungsgründe
Der Oberbundesanwalt tritt dem angefochtenen Berufungsurteil bei.
II. Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist deshalb unter Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids vom 21. Mai 1987 nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG beurteilt und die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Regelung vorgelegen haben. § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG setzt voraus, daß die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und daß ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Als nachträglich eingetretene Tatsache i.S. des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG hat das Berufungsgericht zu Recht den Umstand angesehen, daß im Jahre 1985 durch die Inbetriebnahme einer zentralen Kläranlage und eines Verbindungssammlers die Möglichkeit einer Vollklärung der vom Grundstück der Kläger herrührenden Abwässer geschaffen worden ist. Diese nachträglich eingetretene Tatsache würde die Beklagte zum heutigen Zeitpunkt auch berechtigen, die von den Klägern gewünschte Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang zu versagen. Dies hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen Rechtssätze des revisiblen Rechts in Auslegung und Anwendung der in § 8 Abs. 1 der Satzung 1985 getroffenen Regelung über Befreiungen vom Anschluß- und Benutzungszwang festgestellt. Hieran ist das Revisionsgericht gebunden. Dies gilt auch bezüglich der Wirksamkeit der Satzung 1985, von der das Berufungsgericht bei seinen Ausführungen zum Anschluß- und Benutzungszwang ausgegangen ist.
Der vom Berufungsgericht festgestellten Berechtigung der Beklagten, auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen eine Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang nunmehr zu versagen, steht auch nicht entgegen, daß der Bescheid vom 29. März 1979 von einer Befreiung »auf Dauer--< spricht. Das Berufungsgericht hat sich zu dieser Regelung nicht näher geäußert; es hat jedoch durch seine Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 49 Abs. 2 VwVfG zu erkennen gegeben, daß es dem Bescheid vom 29. März 1979 nicht entnommen hat, die Befreiung solle sich für alle Zeiten auch gegenüber den gesetzlichen Widerrufsmöglichkeiten des § 49 Abs. 2 VwVfG durchsetzen. Hierfür ist auch bei einer eigenständigen Auslegung des Befreiungsbescheides durch das Revisionsgericht nach Maßgabe des § 133 BGB (vgl. Urteil vom 9. Juni 1983 - BVerwG 2 C 34.80 - BVerwGE 67, 222 [234] m.w.N.) nichts ersichtlich. Denn der Bescheid geht erkennbar davon aus, daß sich die ihm zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nicht nachträglich ändert. Eine solche Änderung ist aber dadurch eingetreten, daß die Beklagte der ihr nach § 52 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen Landeswassergesetzes vom 4. März 1983 obliegenden Verpflichtung zur Abwasserbeseitigung durch den Bau einer zentralen Kläranlage Rechnung getragen und damit die Möglichkeit einer Vollklärung der auf dem Grundstück der Kläger anfallenden Abwässer geschaffen hat. Überdies hat die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau im Widerspruchsverfahren die Herstellung der Anschlußleitung zum Festpreis von 15.000 DM angeboten und damit der für die Befreiung maßgeblichen Annahme, die Anschlußkosten von »mindestens 25.000 DM--< seien eine »unbillige Härte--<, nachträglich die Grundlage entzogen.
Das Berufungsgericht hat auch zu Recht die weitere Voraussetzung des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG bejaht, daß »ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde--<. Nach dieser Regelung genügt es nicht, daß der Widerruf im öffentlichen Interesse liegt. Erforderlich ist vielmehr, daß der Widerruf zur Abwehr einer Gefährdung des öffentlichen Interesses, d.h. zur Beseitigung oder Verhinderung eines sonst drohenden Schadens für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten ist (vgl. u.a. Beschluß vom 16. Juli 1982 - BVerwG 7 B 190.81 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 80 = DVBl. 1982, 1004 [1005]; Kopp, VwVfG, 5. Aufl. 1991, § 49 Rdnr. 39 m.w.N.). Davon ist hier auszugehen. Schutzgut der öffentlichen Abwasserbeseitigung ist - im Interesse des Allgemeinwohls, insbesondere der Volksgesundheit - die Sauberkeit des Grundwassers (vgl. Beschluß vom 12. Januar 1988 - BVerwG 7 B 55.87 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 239; Beschluß vom 4. Juli 1988 - BVerwG 7 B 146.87 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 76; Urteil vom 17. März 1989 - BVerwG 4 C 30.88 - BVerwGE 81, 347 ff. [350]). Der Sicherung dieses Schutzgutes dient der durch Ortssatzung geregelte Zwang, Grundstücke an die öffentliche Kanalisation anzuschließen und diese Einrichtung zu benutzen (vgl. Beschluß vom 15. Oktober 1984 - BVerwG 7 B 27.84 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 226 m.w.N.); nur so läßt sich mit größtmöglicher Sicherheit eine Grundwasserverunreinigung durch Abwässer ausschließen. Der Verzicht auf dieses Maß an Sicherheit führt bereits zu einer Gefährdung des in Rede stehenden Schutzguts.
Einem Widerruf des Befreiungsbescheids vom 29. März 1979 steht auch nicht entgegen, daß die Kläger - wie sie unter Rückgriff auf § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG geltend machen - von der ihnen gewährten Vergünstigung im Sinne dieser Vorschrift Gebrauch gemacht hätten. Dieser Einwand der Kläger ist unabhängig von der Frage, wie das Verhältnis der Widerrufsgründe nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 und nach § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG im einzelnen zu kennzeichnen ist, schon in tatsächlicher Hinsicht nicht begründet. Der Begriff des Gebrauchmachens ist - wofür schon eine im Wortlaut orientierte Auslegung spricht - im Sinne eines »Inswerksetzens--< zu verstehen (vgl. Obermayer, VwVfG, 2. Aufl. 1990, § 49 Rdnr. 47; Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 3. Aufl. 1990, § 49 Rdnr. 42). Von einem solchen Inswerksetzen kann hier keine Rede sein. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, daß die auf dem Grundstück der Kläger befindliche Kläranlage bereits vor der Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang installiert gewesen ist. Diese Anlage wurde also nicht erst im Vertrauen auf den Befreiungsbescheid vom 29. März 1979 errichtet, so daß sie sich nicht als »Ausführungshandlung--< der gewährten Vergünstigung darstellt (vgl. insoweit OVG Berlin, Urteil vom 27. November 1987 - 2 B 106/85 - NVwZ-RR 1988, 6). Von dem Befreiungsbescheid haben der Kläger und seine Ehefrau vielmehr lediglich insoweit Gebrauch gemacht, als sie davon abgesehen haben, ihr Grundstück an den öffentlichen Schmutzwasserkanal anzuschließen. Dem Befreiungsbescheid kommt mithin angesichts der im Zeitpunkt seines Erlasses bereits vorhandenen Hauskläranlage lediglich die Bedeutung zu, es bei dem gegebenen Zustand belassen zu dürfen.
Auf einer grundsätzlichen Verkennung des § 49 Abs. 2 VwVfG beruht demgegenüber die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe im Rahmen des ihr zustehenden Widerrufsermessens dem Vertrauen der Kläger in die Beständigkeit der Befreiungsregelung nicht ausreichend Rechnung getragen, insbesondere keine hinreichende Übergangsregelung für sie geschaffen und ihnen keine Gelegenheit gegeben, sich angemessen in ihren Dispositionen auf die veränderte Sachlage einzustellen. Der Regelung des § 49 Abs. 2 VwVfG liegt der Gedanke zugrunde, daß in den Widerrufsfällen der Nrn. 1-5 das öffentliche Interesse an der Beseitigung oder Änderung des Verwaltungsaktes im allgemeinen schwerer wiegt als das Interesse des Betroffenen am Bestand des Verwaltungsaktes und das entsprechende Vertrauensinteresse (vgl. Kopp, aaO. § 49 Rdnr. 19; auch Obermayer, aaO. Rdnr. 20; Meyer/Borgs-Maciejewski, VwVfG, 2. Aufl. 1982, § 49 Rdnr. 35). Dieses prinzipielle Übergewicht des öffentlichen Interesses liegt - soweit es um die in § 49 Abs. 2 Nrn. 3-5 VwVfG getroffenen Regelungen geht - darin begründet, daß dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hier bereits vom Gesetzgeber insofern Rechnung getragen worden ist, als dieser in § 49 Abs. 5 VwVfG einen Entschädigungsanspruch des Betroffenen für etwaige im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes erlittene Vermögensnachteile geschaffen bzw. einen Widerruf für den Fall des Gebrauchmachens von der Vergünstigung ausgeschlossen hat (Nr. 4). Der Gesetzgeber hat mit anderen Worten den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bereits in die Widerrufsregelungen des § 49 Abs. 2 Nrn. 3-5 i.V.m. § 49 Abs. 5 »eingearbeitet--< (vgl. Stelkens/Bonk/Leonhardt, aaO. § 49 Rdnr. 6). Das der Behörde in § 49 Abs. 2 Nrn. 3-5 VwVfG eingeräumte Ermessen ist deshalb im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einem Widerruf der Vergünstigung in Richtung auf einen Widerruf »intendiert--< (vgl. Urteile vom 29. Juni 1990 - BVerwG 8 C 69.88 - Buchholz 448.0 § 13 a WPflG Nr. 19 = DÖV 1991, 76; vom 26. Januar 1990 - BVerwG 8 C 28.89 - Buchholz 448.0 § 13 a WPflG Nr. 18; vom 25. September 1987 - BVerwG 8 C 61.85 - Buchholz 448.0 § 9 WPflG Nr. 11). Aus diesem Grund können Vertrauensschutzgesichtspunkte im Rahmen des der Behörde obliegenden Widerrufsermessens nur dann zugunsten des Betroffenen zu Buche schlagen, wenn der ihm ohnehin bereits unmittelbar kraft Gesetzes zustehende Vertrauensschutz aus besonderen Gründen nicht ausreichend erscheint. Diese Voraussetzungen waren hier schon deswegen nicht erfüllt, weil der Kläger und seine Ehefrau die Hauskläranlage nicht im Vertrauen auf die Befreiungsregelung errichtet hatten. Allein ihre Erwartung, der zu widerrufende Bescheid werde auf Dauer Bestand haben, gab der Beklagten zur Gewährung von Vertrauensschutz - auch im Sinne einer »Übergangsregelung--< - noch keinen Anlaß. Den mit einem Wegfall der Befreiung verbundenen Kostengesichtspunkt hat die Beklagte schon deshalb angemessen berücksichtigt, weil sie dem Kläger und seiner Ehefrau im Widerspruchsverfahren die Herstellung der Anschlußleitung zu einem Festpreis von 15.000 DM angeboten hat. Die den Klägern danach verbleibende Kostenlast hat das Berufungsgericht in Auslegung und Anwendung irrevisiblen Satzungsrechts als zumutbar bewertet.
Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß sich die Rechtswidrigkeit des Widerrufsbescheids nicht aus einer Fristversäumnis nach § 48 Abs. 4 VwVfG herleiten läßt. Nach § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG in Verbindung mit § 48 Abs. 4 VwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes »nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme--< der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen zulässig. Der Lauf dieser Frist setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, daß der Behörde sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. Beschluß des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 - BVerwG Gr. Sen. 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 [362 ff.]; vgl. auch Urteil vom 17. Oktober 1989 - BVerwG 1 C 36.87 - BVerwGE 84, 17 [22]). Hierzu gehören auch all jene Gesichtspunkte, die für die nach § 49 Abs. 2 VwVfG zu treffende Ermessensentscheidung Bedeutung besitzen. Die Frist beginnt mithin erst von dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit mehr für weitere Überlegungen besteht (vgl. Beschluß vom 19. Dezember 1984, aaO. S. 364; Kopp, aaO. § 49 Rdnr. 54 sowie § 48 Rdnr. 98). Dieser Zeitpunkt war hier nicht vor dem 6. Mai 1987, dem Tag der Beschlußfassung des zuständigen Werksausschusses der Verbandsgemeindewerke, erreicht. Denn erst an diesem Tage ist der Werksausschuß auf der Grundlage des bis dahin erreichten Ausbauzustands der gemeindlichen Abwasserbeseitigungsanlage in eine generelle Überprüfung der vorliegenden Anträge auf Befreiung vom Anschluß- und Benutzungszwang sowie der bereits früher ausgesprochenen Befreiungen eingetreten; im Rahmen dieser Überprüfung ist sodann der angefochtene Widerrufsbescheid erlassen worden.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Widerrufsbescheid vom 21. Mai 1987 dem Kläger und seiner Ehefrau gegenüber auch wirksam geworden. Das Berufungsgericht ist zwar von einer Verletzung von Zustellungsvorschriften ausgegangen; es hat den Fehler aber als geheilt angesehen, weil sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau von dem übersandten Schriftstück Kenntnis erhalten hätten. Diese Rechtsauffassung kann, weil das Verwaltungszustellungsrecht dem Landesrecht angehört, im Revisionsverfahren nicht auf seine Richtigkeit überprüft werden. Aus der Sicht des revisiblen Rechts stellt sich lediglich die Frage, ob das Berufungsgericht mit seiner Auslegung und Anwendung des Verwaltungszustellungsrechts § 43 Abs. 1 VwVfG verletzt hat, wonach ein Verwaltungsakt mit seiner Bekanntgabe (§ 41 Abs. 1 VwVfG) an den Adressaten wirksam wird. Diese Frage ist zu verneinen. Zur Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes reicht es nämlich aus, daß die Behörde dem Adressaten von seinem Inhalt Kenntnis verschafft. Dies ist hier hinsichtlich beider Adressaten des Widerrufsbescheids geschehen, auch wenn nicht jeder in den Besitz einer Ausfertigung des Bescheides gelangt ist. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
Beschluß:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 20.000 DM festgesetzt.