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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 06.04.1995, Az.: 7 C 5/94

Tatbestand

I. Die klagende Bundesrepublik Deutschland wendet sich gegen den Restitutionsbescheid des Beklagten, mit dem den Beigeladenen auf der Grundlage des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) die Eigentumsrechte an dem 489 qm großen Grundstück Friedrichstraße in Berlin-Mitte zurückübertragen wurden.

Die Beigeladenen sind Erben des früheren deutschen Staatsangehörigen jüdischen Glaubens Jakob M., der Deutschland im Jahre 1932 verlassen hat. Mit Bekanntmachung der Entscheidung des Reichsministers des Innern vom 7. Juli 1938 in der Beilage zum Reichsanzeiger Nr. 157 vom 9. Juli 1938 wurde Jakob M. aufgrund des § 2 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit - GWA - vom 14. Juli 1933 (RGBl I S. 480) der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt und zugleich sein Vermögen beschlagnahmt. Am 14. September 1938 erklärte der Reichsminister des Innern auf der Grundlage des vorgenannten Gesetzes das Vermögen Jakob M. s als dem Reiche verfallen; die Verfallserklärung wurde im Reichsanzeiger Nr. 215 vom 15. September 1938 bekanntgemacht.

Jakob M. hatte das Eigentum an dem Grundstück 1924 erworben und es anschließend mehrfach mit Grundpfandrechten belastet. Am 21. Oktober 1931 wurden Zwangsverwaltungs- und Zwangsversteigerungsvermerke in das Grundbuch eingetragen, die am 26. Oktober 1931 wieder gelöscht wurden. Ein am 3. Oktober 1932 eingetragener Vermerk über ein Verfügungsverbot gemäß §§ 106, 113 KO wurde am 19. Oktober 1932 wieder gelöscht. Seit dem 23. November 1932 war ein Zwangsverwaltungsvermerk im Grundbuch eingetragen. Die am 30. Mai 1933 eingetragene Anordnung der Zwangsversteigerung wurde am 30. April 1935 wieder gelöscht. Nachdem am 4. Juni 1938 erneut eine Anordnung der Zwangsversteigerung in das Grundbuch eingetragen worden war, ging das Eigentum an dem Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung mit Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts Berlin vom 25. Oktober 1938 zum Meistgebot von 575 000 Reichsmark auf die C. AG über. Das Grundstück, dessen Einheitswert nach dem Stand vom 1. Januar 1935 419 900 Reichsmark betrug und dessen "Objektwert" im Zwangsversteigerungsverfahren auf 600 000 Reichsmark festgesetzt worden war, war zum Zeitpunkt der Zwangsversteigerung mit Hypotheken zugunsten der P. Bank in Höhe von 585 062, 50 Reichsmark belastet; ob eine darüber hinausgehende "Fremdverschuldung" des Grundstücks bestanden hat, ist zwischen der Klägerin und den Beigeladenen streitig.

Die C. AG veräußerte das Grundstück an die Kommanditgesellschaft für Vermögensverwaltung S. und Co., die 1939 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen wurde. Deren Vermögen wurde durch die Verordnung des sog. demokratischen Magistrats von Groß-Berlin zur Überführung von Konzernen und sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen in Volkseigentum vom 10. Mai 1949 (VOBl I S. 112) enteignet. Am 19. Juni 1963 wurde in Abt. I des Grundbuches "Eigentum des Volkes" eingetragen und das Grundbuch am selben Tag geschlossen. Zum Rechtsträger des zuvor vom VEB KWV Berlin-Mitte verwalteten, nach kriegsbedingt vollständiger Zerstörung der Gebäude unbebaut gebliebenen Grundstücks wurde durch Rechtsträgernachweis vom 4. Februar 1964 der Rat des Stadtbezirks Berlin-Mitte, Abt. Finanzen, bestimmt. Das Grundstück war nach dem Mauerbau Bestandteil der dem alliierten "Checkpoint Charlie" gegenüberliegenden, von der DDR eingerichteten "Straßengrenzübergangstelle" Berlin-Friedrich-/Zimmerstraße.

Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Beklagten übertrug den Beigeladenen antragsgemäß durch Bescheid vom 9. April 1992 das Eigentum an dem Grundstück in Bruchteilsgemeinschaft und bestimmte, daß für die mit der Eintragung von "Eigentum des Volkes" gelöschten Grundpfandrechte eine Sicherungshypothek mit einem Betrag von 265 000 DM zugunsten des Entschädigungsfonds einzutragen sei. Zur Begründung der Restitutionsentscheidung gab die Behörde im wesentlichen an, der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, Vermögenseinziehung und Zwangsversteigerung lasse auf eine Entziehung aus rassischen Gründen schließen.

Die an dem Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Oberfinanzdirektion Berlin erhob namens der Klägerin mit folgender Begründung Widerspruch: Sie, die Klägerin, sei Verfügungsberechtigte, da das Grundstück als Bestandteil von Grenzkontrollanlagen am 1. Oktober 1989 unmittelbar der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben einer "Spiegeleinrichtung" von Bundesbehörden gedient habe. Die Verfallserklärung des Jahres 1938 sei für den Verlust des Grundstücks nicht ursächlich gewesen, da die Zwangsvollstreckung ein total überschuldetes Objekt betroffen und sich in ihr eine zuvor bereits bestehende Schadensanlage realisiert habe.

Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen des Beklagten wies den Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1993 als unzulässig zurück; die Klägerin sei weder Eigentümerin noch Verfügungsberechtigte. Im übrigen sei der Widerspruch auch unbegründet, da die Verfallserklärung ursächlich für den Eigentumsverlust gewesen und die Zwangsversteigerung in Reichseigentum erfolgt sei.

Zur Begründung ihrer Klage ließ die Klägerin vortragen: Einerseits habe die Verfallserklärung keine Wirkung entfaltet, und andererseits sei die Zwangsversteigerung nicht auf Verfolgung, sondern auf davon unabhängige wirtschaftliche Schwierigkeiten Jakob M. s zurückzuführen; zumindest sei zur Frage der Kausalität eine weitere Sachaufklärung erforderlich und möglich. Aus einem Bescheid vom 20. April 1942 aus der Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin in einem Steuerstrafverfahren gegen Jakob M. gehe hervor, daß von einer Verfallserklärung abgesehen worden sei, weil die Ausbürgerung im Hinblick auf die bereits am 18. August 1932 erfolgte Annahme der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit rückgängig gemacht worden sei.

Das Verwaltungsgericht hat den Rückübertragungsbescheid durch Urteil vom 27. September 1993 (VIZ 1994, 302 = ZOV 1994, 208) gemäß § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO aufgehoben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei über das Grundstück verfügungsberechtigt und deshalb klagebefugt. Der angefochtene Bescheid sei zur Vornahme weiterer Ermittlungen durch den Beklagten aufzuheben gewesen, da sich der von § 1 Abs. 6 VermG vorausgesetzte ursächliche Zusammenhang zwischen Verfolgung und Vermögensverlust im vorliegenden Fall noch nicht feststellen lasse. Zwar sei die Verfallserklärung zugunsten des Reiches verfolgungsbedingt und habe konstitutiv den Eigentumsübergang unmittelbar auf das Reich bewirkt, ohne daß die vorherige Beschlagnahme im Zwangsversteigerungsverfahren dies verhindert oder das spätere Absehen vom Vermögensverfall hieran etwas geändert habe. Für den Vermögensverlust sei aber nicht die Verfallserklärung ursächlich gewesen, sondern der Zuschlag in der Zwangsversteigerung, die eine Reserveursache im Sinne der hypothetischen Kausalität bilde. Zwar sei im einzelnen umstritten, ob der Schaden dem (Erst-)Schädiger zuzurechnen sei, wenn der von ihm verursachte Schaden aufgrund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten wäre. Übereinstimmung bestehe jedoch hinsichtlich der "Anlagefälle". Eine bei Eintritt des schädigenden Ereignisses der geschädigten Sache innewohnende Schadensanlage, die zu dem gleichen Schaden geführt hätte, habe vorliegend durch die auf dem Grundstück ruhenden Grundpfandrechte und das laufende Zwangsversteigerungsverfahren bestanden. Diese allgemeinen Grundsätze des Schadensersatzrechts seien auf das Restitutionsverfahren übertragbar, da auch hier die Ursächlichkeit des schädigenden Ereignisses für den Schaden (Vermögensverlust) vorausgesetzt werde und hinsichtlich der Rechtsfolge der Naturalrestitution Parallelen bestünden. Das VermG enthalte keine Regelungen, die dieser Wertung widersprächen. Der Beklagte müsse nunmehr noch aufklären, ob ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit des Alteigentümers zu einer verfolgten Gruppe und der Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens bestanden habe.

Gegen dieses Urteil haben der Beklagte und die Beigeladenen die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revisionen eingelegt.

Der Beklagte macht geltend, daß die Übertragung von Grundsätzen des zivilrechtlichen Schadensersatzrechts auf das Restitutionsverfahren fehlerhaft sei. Das Zivilrecht habe einen Kausalitätsbegriff entwickelt, der den für diesen Bereich geltenden Besonderheiten Rechnung trage und nur dann auf das Verwaltungsrecht übertragen werden könne, wenn dem Zivilrecht vergleichbare Tatbestände oder eine vergleichbare Interessenlage gegeben seien. Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften der § 3 Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 6, § 2 Abs. 1 S. 1, § 18 VermG regelten die rechtlichen Voraussetzungen der Restitution abschließend, so daß sich die ergänzende Heranziehung allgemeiner Grundsätze des zivilistischen Schadensersatzrechts verbiete. Maßgeblich für das Tatbestandsmerkmal des Vermögensverlustes sei nicht eine wirtschaftliche, sondern eine rechtliche Betrachtungsweise. Verloren sei ein Vermögenswert dann, wenn er dem Geschädigten mit dinglicher Wirkung weggenommen werde; dies sei hier mit der Bekanntgabe der Verfallserklärung geschehen. Das im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht entwickelte Institut der hypothetischen Kausalität diene der Begrenzung des rechtlichen Verantwortungsbereichs des Schädigers und sei ein Problem der Schadensberechnung, nicht der Kausalität. Auf dem Gebiet der offenen Vermögensfragen verbiete sich eine wirtschaftliche Betrachtung und eine Berechnung des Schadens im Hinblick auf die Regelung des § 18 VermG, die sicherstelle, daß der Berechtigte keinen Vorteil erhalte, der ihm nach dem Grundgedanken der Restitution nicht zustehe. Diese der Vorteilsausgleichung dienende Bestimmung entspreche dem Regelungsmodell des Vermögensgesetzes, nach dem die Restitution die Inversion der schädigenden Maßnahme darstelle.

Die Beigeladenen vertreten gleichfalls die Auffassung, daß Reserveursachen bei Restitutionsentscheidungen nach dem Vermögensgesetz nicht zu berücksichtigen seien. Die systematische Einordnung der Reserveursachen durch das angefochtene Urteil sei falsch, da es sich um ein Problem der haftungsausfüllenden, nicht der haftungsbegründenden Kausalität handele. Im historischen primären Rückerstattungsrecht seien hypothetische Kausalverläufe in zwei Fallgruppen scheinbar berücksichtigt worden, nämlich bei der Veräußerung und Zwangsversteigerung von Grundstücken; in Wirklichkeit habe es sich aber nur um die Heranziehung von Indizien zur Einordnung von nach außen sittlich neutralen Vorgängen als Verfolgungsmaßnahmen gehandelt. Diese Vorgehensweise sei auf die offen diskriminierende Verfallserklärung, zu deren Beurteilung es solcher Indizien nicht bedürfe, nicht übertragbar.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und trägt ergänzend vor: Die Verfallserklärung sei auch ohne Rückgriff auf die Grundsätze der hypothetischen Kausalität nicht als Ursache für den Vermögensverlust anzusehen. Nach wirksamer Beschlagnahme im Zwangsversteigerungsverfahren sei die Verfallserklärung in entsprechender Anwendung von § 26 ZVG unerheblich. Die Vermögenseinziehung habe keine Auswirkung auf die privaten Rechte Dritter an dem Grundstück gehabt, so daß das Zwangsversteigerungsverfahren auch im vorliegenden Fall nach der Verfallserklärung tatsächlich fortgeführt worden sei; hätte die Vermögenseinziehung die Beschlagnahmewirkung des § 26 ZVG beseitigt, wäre die Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens nicht mehr möglich gewesen. Demzufolge habe der Rechtserwerb durch die C. AG nicht auf einer Verfügung des Deutschen Reichs, sondern allein auf der Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens beruht. In derartigen Fällen habe die als Orientierungshilfe auch bei der Anwendung des § 1 Abs. 6 VermG heranzuziehende Rechtsprechung zum alliierten Rückerstattungsrecht konsequenterweise nicht auf die Vermögensverfallserklärung, sondern allein darauf abgestellt, ob der Vermögensverlust innerhalb der Zwangsversteigerung in diskriminierender Weise erfolgt sei.

Entscheidungsgründe

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Der angefochtene Bescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden, soweit er das streitbefangene Grundstück auf die Beigeladenen zurücküberträgt (dazu 1). Er verletzt allerdings revisibles Recht, soweit es um die Berücksichtigung untergegangener Grundpfandrechte geht; die Klägerin wird aber dadurch nicht in ihren Rechten verletzt (dazu 2).

1. Rechtsgrundlage für die Rückübertragung ist § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Danach haben die Beigeladenen als Erben des früheren Eigentümers Jakob M. einen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks, wenn dieses einer Maßnahme im Sinne des § 1 VermG unterlag und in Volkseigentum überführt oder an Dritte veräußert wurde, soweit die Rückübertragung nicht nach §§ 4 und 5 VermG ausgeschlossen ist. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts läßt sich ohne weitere Ermittlungen bereits aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes feststellen, daß das Grundstück einer Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG unterlag, nämlich aus Gründen rassischer Verfolgung konfisziert wurde (dazu a). Daß das Grundstück im Anschluß an die Konfiskation zwangsversteigert wurde, schließt die Annahme eines zur Restitution führenden verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nicht aus (dazu b).

a) Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG ist das Vermögensgesetz entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Dabei entspricht der in § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG genannten Überführung in Volkseigentum der Übergang in Reichseigentum. Jakob M. wurde während der NS-Herrschaft als Bürger jüdischen Glaubens rassisch verfolgt. Zu dieser Verfolgung zählten die Maßnahmen aufgrund des § 2 GWA, die sich insbesondere auch gegen jüdische Bürger richteten. Gemäß § 2 Abs. 1 GWA konnten im Ausland lebende Reichsangehörige, die einer Rückkehraufforderung nicht Folge leisteten oder "durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben", der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig erklärt werden. Außerdem konnte ihr Vermögen beschlagnahmt und nach Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit als dem Reiche verfallen erklärt werden. Dies ist im Fall von Jakob M. durch die Entscheidungen des Reichsministers des Innern vom 7. Juli und 14. September 1938 geschehen: durch die erste Entscheidung wurde Jakob M. ausgebürgert und sein Vermögen beschlagnahmt, durch die zweite Entscheidung über den Verfall des Vermögens wurde ihm dieses zugunsten des Reiches entzogen.

Die Erklärung des Vermögensverfalls nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GWA hat zu einem Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG geführt. Die Erklärung wurde mit der - hier am 15. September 1938 erfolgten - Veröffentlichung im Reichsanzeiger wirksam (vgl. die Verordnung zur Durchführung des GWA vom 26. Juli 1933, RGBl. I S. 538). Damit ging nach dem damaligen Verständnis das Eigentum unmittelbar mit dinglicher Wirkung durch einen "Staatsakt" auf den Reichsfiskus als Gesamtrechtsnachfolger des Ausgebürgerten über (OLG Darmstadt, JW 1935, 2211; KG, JW 1937, 2530). Das galt auch für Grundstücke, ohne daß es einer Eintragung in das Grundbuch bedurft hätte. Dementsprechend war nach der genannten Verordnung zur Durchführung des GWA ein verfallenes Grundstück auf Antrag des Finanzamts im Grundbuch auf das Reich umzuschreiben.

Der Bewertung als Entziehungstatbestand steht nicht der Umstand entgegen, daß die Erklärung des Vermögensverfalls wegen offenkundigen Verstoßes gegen grundlegende Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit aus rechtsstaatlicher Sicht als nichtig anzusehen ist. Die vom Vermögensgesetz bezweckte Wiedergutmachung bestimmter Unrechtsmaßnahmen des nationalsozialistischen Staates und der DDR knüpft an den Geltungsanspruch der jeweiligen Rechtsordnung an und will deshalb auch solche Vermögenswerte erfassen, die dem Rechtsinhaber ungeachtet etwaiger Rechtsmängel jedenfalls faktisch entzogen worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1994 - BVerwG 7 C 24.93 - NJW 1994, 2713; Beschluß vom 21. November 1994 - BVerwG 7 B 91.94 - NJW 1995, 608 [BVerwG 21.11.1994 - 7 B 91/94]; vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 10. März 1994 - BVerwG 4 B 46.94 - DÖV 1994, 611). Deshalb kommt es rechtlich auch nicht auf den Vortrag der Klägerin an, Ausbürgerung und Verfallserklärung seien nichtig gewesen, weil Jakob M. bereits 1931 die liechtensteinische Staatsangehörigkeit erworben und damit gleichzeitig die deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe.

b) Die durch die Verfallserklärung verursachte Entziehung des Eigentums scheidet nicht deshalb als verfolgungsbedingter Vermögensverlust im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG aus, weil das Grundstück zu diesem Zeitpunkt bereits gemäß § 20 ZVG beschlagnahmt war und nach der Verfallserklärung zwangsversteigert wurde. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts war nicht erst der Zuschlag in der Zwangsversteigerung am 25. Oktober 1938 die für den Eigentumsverlust ursächliche Maßnahme. Mithin braucht auch nicht aufgeklärt zu werden, ob die Durchführung der Zwangsversteigerung ihrerseits verfolgungsbedingt war.

Der kraft Gesetzes erfolgte Übergang des Eigentums an dem streitbefangenen Grundstück von Jakob M. auf das Reich wurde durch die zuvor am 4. Juni 1938 erfolgte Anordnung der Zwangsversteigerung nicht berührt. Die durch den Anordnungsbeschluß eingetretene Beschlagnahme bewirkte gemäß § 20 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 1 ZVG lediglich ein relatives Veräußerungsverbot zugunsten des Gläubigers (vgl. Zeller/Stöber, ZVG, 14. Aufl. 1993, Rn. 2 zu § 23) und stand damit dem Eigentumsübergang auf das Reich kraft Verfallserklärung nicht entgegen. Etwas anderes folgt auch nicht bei einer (entsprechenden) Heranziehung des § 26 ZVG. Nach dieser Vorschrift hat eine nach der Beschlagnahme bewirkte Veräußerung des Grundstücks auf den Fortgang des Zwangsversteigerungsverfahrens gegen den Schuldner keinen Einfluß, wenn die Zwangsversteigerung wegen des Anspruchs aus einem eingetragenen Recht angeordnet ist. Die Bestimmung erweitert die Regelung des § 325 Abs. 3 Satz 1 ZPO und verstärkt die Beschlagnahmewirkungen zugunsten des Realgläubigers, indem sie den Verfahrensfortgang für den Gläubiger eines eingetragenen Rechts auch dann gewährleistet, wenn der Erwerber von einer Veräußerung nach Beschlagnahme keine Kenntnis hatte. Der neue Eigentümer wird nicht zum Schuldner und nimmt am Verfahren nur teil, wenn er sein Recht anmeldet (vgl. Zeller/Stöber, a.a.O. Rn. 2 zu § 26; Muth in Daßler, ZVG, 12. Aufl. 1991, Rn. 1 zu § 26; Jaeckel-Güthe, ZVG, 7. Aufl. 1937, Rn. 4 zu § 26). § 26 ZVG dient also dem Schutz der Gläubiger, ohne die neuen Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen. Soweit § 26 ZVG während der NS-Zeit analog auf Verfall und Einziehung "volks- und staatsfeindlichen Vermögens" angewandt wurde, beruhte dies gleichfalls auf dem Gedanken, daß die Rechte Dritter durch den staatlichen Zugriff auf derartiges Vermögen möglichst wenig beeinträchtigt werden sollten (vgl. KG, JW 1934, 991 f.; KG, JW 1935, 369; KG, JW 1937, 2531; Meier-Scherling, JW 1933, 2880 f.). Dieser Tendenz entsprach auch die Bestimmung des § 39 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Gewährung von Entschädigungen bei der Einziehung oder dem Übergang von Vermögen vom 9. Dezember 1937 (RGBl. I S. 1333), nach der Rechte an Gegenständen eines dem Reich für verfallen erklärten Vermögens bestehenblieben.

Der Zuschlag in der Zwangsversteigerung betraf also Eigentum des Reichsfiskus und nicht mehr das bereits untergegangene Eigentum des seiner Vermögensrechte beraubten Jakob M. Auch das Verwaltungsgericht verkennt diese zeitliche Reihenfolge nicht. Es meint aber, bei einer wertenden Betrachtung sei der mit dem Antrag auf Zwangsversteigerung eingeleitete Kausalverlauf als entscheidend für den Eigentumsverlust anzusehen. Es beruft sich dabei auf die im zivilrechtlichen Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze über die Beachtlichkeit von Reserveursachen in den sog. "Anlagefällen". Danach beschränkt sich die Schadensersatzpflicht auf den Ersatz des durch den früheren Schadenseintritt bedingten Nachteils, wenn bei Eintritt des schädigenden Ereignisses eine der geschädigten Sache innewohnende Schadensanlage bestand, die zum gleichen Schaden geführt hätte (vgl. BGHZ 20, 275; BGHZ 78, 209 (214) [BGH 07.10.1980 - VI ZR 176/79]; BGH LM 69 Nr. 20 zu § 249 BGB (Ba); BGH, MDR 1977, 468; Palandt-Heinrichs, BGB, 54. Aufl., Rn. 99 vor § 249). Diese Grundsätze einer wertenden Schadenszurechnung können aber nicht auf die im Vermögensgesetz geregelten Rückübertragungsansprüche angewendet werden. Das ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:

Zweck des Vermögensgesetzes ist die Wiedergutmachung vermögensrechtlicher Unrechtsmaßnahmen des NS-Staates und der DDR, zu der sich der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf den Rechts- und Sozialstaatsgedanken des Grundgesetzes verpflichtet hat (vgl. BVerfGE 84, 90 (126)). Soweit es um die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts geht, wird damit der Tatsache Rechnung getragen, daß es in der sowjetischen Besatzungszone und im sowjetischen Sektor Berlins keine Wiedergutmachungsgesetzgebung gegeben hat, die den alliierten Wiedergutmachungsgesetzen in den westlichen Besatzungszonen und Sektoren Berlins gleichwertig gewesen wäre (vgl. Gesetz Nr. 59 der Militärregierung Deutschland - amerikanisches Kontrollgebiet - vom 10. November 1947; Gesetz Nr. 59 der Militärregierung Deutschland - britisches Kontrollgebiet - vom 12. Mai 1949; Verordnung Nr. 120 des französischen Oberbefehlshabers in Deutschland vom 10. November 1947; Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin - REAO - vom 26. Juli 1949, VOBl für Groß-Berlin I S.221).

Wie das alliierte Rückerstattungsrecht sieht auch das Vermögensgesetz die Wiedergutmachung in der Form der Rückübertragung des konkreten entzogenen Vermögenswertes vor, sofern nicht der Berechtigte eine Entschädigung wählt (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 8 VermG). Der Betroffene erhält Genugtuung durch eine Wiedereinsetzung in den vor der Unrechtsmaßnahme bestehenden rechtlichen Stand: die staatliche Rückübertragungsentscheidung ist der actus contrarius zu der vom damaligen Staat durchgeführten oder ermöglichten Entziehung des Vermögenswertes. Demgegenüber ist die Leistung von Schadensersatz auf die Herstellung eines mit dem früheren Zustand vergleichbaren wirtschaftlichen Zustandes und nicht primär auf die Herausgabe eines entzogenen konkreten Vermögenswertes gerichtet (vgl. § 249 BGB). Vor diesem Hintergrund sind Wertungen, wie sie im Schadensersatzrecht Anlaß für die Berücksichtigung von "Schadensanlagen" sind, dem Wiedergutmachungsrecht fremd. Dementsprechend schließt das Vermögensgesetz eine Rückübertragung nur dann aus, wenn bestimmte nach dem Vermögensverlust eingetretene Voraussetzungen erfüllt sind. Das gilt zum einen für Fallgestaltungen, bei denen eine Rückübertragung von der Natur der Sache her, etwa bei Untergang des Vermögenswerts, nicht mehr möglich ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 VermG; ähnlich § 4 Abs. 1 Satz 2 VermG für nicht mehr betriebene Unternehmen). Zum anderen ist eine Rückübertragung ausgeschlossen, wenn der entzogene Vermögenswert zwar noch vorhanden ist, aber bestimmte private oder öffentliche Interessen an der Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes höher als das Restitutionsinteresse zu werten sind (redlicher Erwerb gemäß § 4 Abs. 1 Sätze 2-4 und Abs. 2 VermG, Verwendung von Grundstücken und Gebäuden für bestimmte Zwecke gemäß § 5 VermG). Dagegen finden sich keine Regelungen, die eine Rückübertragung wegen "Wertlosigkeit" des Vermögensgegenstandes oder deswegen ausschlössen, weil der Vermögensverlust auch ohne die Unrechtsmaßnahme eingetreten wäre.

Diese Konzeption des Vermögensgesetzes wird durch die Vorschriften über die Berücksichtigung solcher Vermögensvorteile bestätigt, die der Berechtigte aus Anlaß des Vermögensverlustes erhalten hat. Derartige Umstände wirken sich nicht auf den Rückübertragungsanspruch selbst, sondern nur auf die Modalitäten der Rückgabe aus. Handelt es sich um Gegenleistungen oder Entschädigungen, sind diese nach Maßgabe des § 7 a Abs. 2 und 3 VermG, bei der Rückübertragung von Unternehmen nach Maßgabe des § 8 URüV zu berücksichtigen. Sind dingliche Rechte untergegangen, wird dies auf die im einzelnen in §§ 18 ff. VermG vorgesehene Art und Weise ausgeglichen. Diese Regelungen greifen auch dann ein, wenn der Wert der Gegenleistung oder der Schuldbefreiung seinerzeit den Wert des Vermögensgegenstandes erreicht oder gar überstiegen haben sollte; sie ermöglichen auch für die Fälle eine befriedigende Lösung, bei denen - wie hier - für das entzogene Grundstück bereits die Zwangsversteigerung eingeleitet war.

2. Der angefochtene Rückübertragungsbescheid ist aber rechtswidrig, soweit er die Eintragung einer Sicherungshypothek in Höhe von 250 000 DM zugunsten des Entschädigungsfonds wegen zweier Grundpfandrechte anordnet, die nach der Zwangsversteigerung zu Lasten des neuen Eigentümers eingetragen und nach der Überführung des Grundstücks in Volkseigentum im Grundbuch gelöscht wurden. Der Beklagte hat diese Anordnung auf § 18 Abs. 1 VermG gestützt, damit aber die dieser Vorschrift innewohnende Funktion des Vorteilsausgleichs verkannt. Die in den §§ 18 ff. VermG getroffenen Regelungen zielen darauf ab, den Berechtigten wieder mit denjenigen dinglichen Rechten zu belasten, von denen er durch die schädigende Maßnahme befreit wurde. Demgemäß können nach dem Vermögensverlust entstandene Belastungen den Verfolgten nicht nach Maßgabe der §§ 18 ff. VermG zugerechnet werden. Der Beklagte hat dies im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft getan; die Klägerin wird allerdings durch diesen Rechtsmangel nicht in ihren Rechten verletzt.

Dagegen hätte der Beklagte die bei der Verfallserklärung nach § 2 GWA bestehenden dinglichen Belastungen des streitbefangenen Grundstücks berücksichtigen müssen. Diese Grundpfandrechte gingen durch die Verfallserklärung nicht unter, sondern wurden - jedenfalls faktisch - zu Belastungen von Reichsvermögen und schieden damit als Passiva aus dem Vermögen des Jakob M. aus. Diese einer "Schuldbefreiung" vergleichbare Wirkung muß nach dem im Vermögensgesetz angelegten Rechtsgedanken des Vorteilsausgleichs soweit wie möglich Berücksichtigung finden. Eine ausdrückliche Regelung für Fälle dieser Art findet sich nicht. Das erklärt sich daraus, daß das Vermögensgesetz praktisch ausschließlich mit Blick auf Schädigungsmaßnahmen in der Zeit der DDR konzipiert und formuliert worden ist und die Rechtsordnung der DDR eine der Verfallserklärung gleichartige Konfiskation des gesamten Vermögens nicht kannte. Diese Ausrichtung des Vermögensgesetzes auf für die DDR kennzeichnende Entziehungstatbestände ist bei der entsprechenden Anwendung auf NS-Verfolgungsmaßnahmen (§ 1 Abs. 6 Satz 1 VermG) in Rechnung zu stellen, was eine zu enge Anlehnung an den Text einzelner Vorschriften verbietet.

Eine entsprechende Heranziehung der §§ 18 ff. VermG zur Lösung der in Rede stehenden Frage erscheint weniger sachgerecht, weil die auf dem Grundstück lastenden dinglichen Rechte mit der Verfallserklärung gerade nicht untergegangen sind. Näher liegt vielmehr eine entsprechende Anwendung des § 7 a Abs. 2 VermG. Nach dieser Vorschrift hat der Berechtigte eine Gegenleistung oder Entschädigung, die ihm aus Anlaß des Vermögensverlustes tatsächlich zugeflossen ist, an den Verfügungsberechtigten oder -unter bestimmten Voraussetzungen - an den Entschädigungsfonds herauszugeben. Unter "Gegenleistung" versteht das Gesetz zwar in erster Linie einen Kaufpreis, den der Geschädigte bei einem Zwangsverkauf erhalten hat, während mit "Entschädigung" insbesondere etwaige Enteignungsentschädigungen (vgl. § 1 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 VermG) gemeint sind. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift werden aber auch solche im Zusammenhang mit dem Vermögensverlust stehenden Vorgänge erfaßt, die in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen für den Geschädigten einer Gegenleistung gleichkommen. Dazu zählt der Wegfall von Verbindlichkeiten, wie er bei der Verfallserklärung nach § 2 GWA eingetreten ist.

Die Beigeladenen sind mithin in entsprechender Anwendung von § 7 a Abs. 2 VermG verpflichtet, nach Rückübertragung des Eigentums einen auf DM umgestellten Geldbetrag in Höhe der bei Verfallserklärung auf dem Grundstück lastenden Verbindlichkeiten zu erbringen. Dieser Betrag steht nicht der Klägerin als Verfügungsberechtigter (§ 7 Abs. 2 Satz 1 VermG), sondern in entsprechender Anwendung von § 7 a Abs. 2 Satz 3 VermG dem Entschädigungsfonds zu. Denn der mit der Verfallserklärung einhergehende Wegfall von Verbindlichkeiten erfolgte rechtlich zu Lasten des Reiches, das mit dem in sein Eigentum gefallenen Grundstück weiterhin für die bestehenden Verbindlichkeiten haftete. Auf den fehlenden Vorteilsausgleich zugunsten des Entschädigungsfonds kann sich die Klägerin als zur Herausgabe verpflichtete Verfügungsberechtigte nicht berufen (§ 7 a Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VermG).