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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 23.06.2010, Az.: 8 C 20.09

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 2009 geändert.

Es wird festgestellt, dass auch die Abgabe der in Nr. 10 des Klageantrags wiedergegebenen Erklärung und Stellungnahme im Grundsatzpapier 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen' der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juni 2004 rechtswidrig gewesen ist.

Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin zwei Fünftel und die Beklagte drei Fünftel. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.

Entscheidungsgründe

I.

Die klagende GmbH betreibt ein Reisebüro und ist Mitglied in der beklagten Industrie- und Handelskammer. Sie wendet sich gegen Erklärungen und Stellungnahmen der Beklagten, weil diese damit ein allgemeinpolitisches Mandat für sich in Anspruch nehme.

Anfang September 2004 veröffentlichte die 'Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern' (im Folgenden: AG IHKn), in der auch die Beklagte Mitglied ist, das in der Plenarversammlung der AG IHKn vom 15. Juni 2004 von den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführern der Industrie- und Handelskammern verabschiedete Grundsatzpapier 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen'. Es richtete sich nach dem Vorwort mit konkreten Forderungen in sechs Handlungsfeldern, nämlich in der Bildungs- und Forschungspolitik, der Umwelt- und Energiepolitik, der Verkehrspolitik sowie der Raumordnungs- und Planungspolitik, an die hessische Landesregierung; ihm war die sog. 'Limburger Erklärung' als thesenartige Zusammenfassung vorangestellt.

Die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers teilte die Beklagte dem Geschäftsführer der Klägerin unter dem 2. September 2004 mit. Er wandte sich gegen diese 'allgemeinpolitischen Äußerungen', die zudem ohne kammerinterne Legitimation erfolgt seien und die 'Bandbreite der unterschiedlichen Interessen der in der IHK zwangsvereinigten Mitgliedsunternehmen' nicht abdeckten, und forderte die Unterlassung jeder Aktivität und Finanzierung im Zusammenhang mit dem Grundsatzpapier sowie die Tilgung von Hinweisen auf die Beklagte.

Nachdem die Beklagte dies abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 15. Septem-ber 2004 Klage erhoben, die zunächst auf die Feststellung gerichtet war, dass die Veröffentlichung und Verbreitung der 'Limburger Erklärung' und insbesondere des Grundsatzpapiers 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen' die Rechte der Klägerin als Mitglied der Beklagten und die Rechte ihres Geschäftsführers als Mitglied der Vollversammlung der Beklagten verletzten und daher zu unterlassen seien. Zur Begründung hat sie insbesondere vorgetragen, das Grundsatzpapier sei von der AG IHKn ohne Ermächtigung der Vollversammlung der Beklagten veröffentlicht worden. Die Beklagte entfalte in unzulässiger Weise allgemeinpolitische Aktivitäten ohne regionalen Bezug, die sie auch zukünftig fortzusetzen gedenke. Sie überschreite damit ihre in § 1 IHKG geregelten Kompetenzen.

Die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren sinngemäß beantragt, der Beklagten bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes die Abgabe bestimmter, von der Klägerin im Einzelnen aufgeführter Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen' vom 15. Juni 2004 zu untersagen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zu ihrem Aufgabenbereich gehöre auch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die in der 'Limburger Erklärung' getroffenen Aussagen seien nicht allgemeinpolitischer Natur, weil sie die Förderung der gewerblichen Wirtschaft bezweckten.

Mit Urteil vom 30. Januar 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Unterlassungsklage sei zwar zulässig, weil sich einzelne Kammerzugehörige nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dagegen wehren könnten, dass eine Industrie- und Handelskammer über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig werde. Die Klage sei aber unbegründet, weil die Beklagte ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich nicht überschritten habe.

Zur Begründung der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung habe die Beklagte mit den streitigen Äußerungen die ihr gesetzlich zustehenden, verfassungskonform restriktiv zu interpretierenden Kompetenzen überschritten. Dass alle Fragen 'irgendwie mit Wirtschaft' zu tun hätten, reiche nicht aus, um eine Kammerkompetenz zu begründen.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 30. Januar 2007 aufzuheben und festzustellen, dass folgende Erklärungen in der Stellungnahme im Grundsatzpapier 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen' vom 15. Juni 2004 rechtswidrig gewesen sind:

1. Vorwort, Seite 7 des Grundsatzpapiers: 'Darüber hinaus fordern die Industrie- und Handelskammern die Landesregierung in diesem Positionspapier auf, sich im Bundesrat vor allem für die dringend notwendigen Reformen in der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik stark zu machen.';

2. Seite 8: 'Das Land braucht ein politisches Bekenntnis zur Industrie als Basis der Wertschöpfungskette.';

3. Seite 8: 'Deutschland muss zu einer wirtschaftsfreundlichen und berechenbaren Steuer- und Arbeitsmarktpolitik zurückfinden.';

4. Seiten 8 und 9: Bildungspolitik: 'Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen ... Der ... Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen.';

5. Seite 9: Hochschul-, Forschungs- und Technologiepolitik: 'Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können.';

6. Seite 9: Umweltpolitik: 'Staatlicher Normensetzung muss grundsätzlich eine Abschätzung der Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit vorausgehen. Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden.';

7. Seite 9: Umweltpolitik: 'Weniger Staat durch die Stärkung der Eigenverantwortung: Das bedeutet mehr Selbst- bzw. Marktregulierung und mehr Selbstverantwortung und -überwachung.';

8. Seite 10: Energiepolitik: 'Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden.';

9. Seite 10: Energiepolitik: 'Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen.';

10. Seite 10: Verkehrspolitik: 'Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden.'

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Industrie- und Handelskammern seien Organisationen der Selbstverwaltung, denen die Interessenvertretung für die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft obliege. Dabei nähmen sie auch zu Maßnahmen der Regierung Stellung und partizipierten am demokratischen Willensbildungsprozess von unten. Wegen der Verflechtung der Wirtschaft mit anderen Politikbereichen könnten die Industrie- und Handelskammern ihre gesetzliche Aufgabe nur wahrnehmen, wenn sie sich zu allen Bereichen äußern dürften, die sich auf die Interessen der gewerblichen Wirtschaft auswirkten, also auch zu den Bereichen der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Familien- und Kulturpolitik.

Mit Urteil vom 5. Februar 2009 hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und festgestellt, dass die Abgabe der in Nummern 4, 5, 8, 9 und in Satz 2 der Nummer 6 des Klageantrags wiedergegebenen Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen' der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juli 2004 (richtig: Juni) rechtswidrig gewesen ist. Die Klage sei in ihrer umgestellten Form als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO sachgerecht und zulässig. Die Beklagte habe durch die im Tenor näher bezeichneten Erklärungen und Stellungnahmen ihren Aufgabenbereich überschritten und dadurch Rechte der Klägerin verletzt. Zwar dürfe die Beklagte sich grundsätzlich an der überregionalen AG IHKn beteiligen und an der Erstellung und Veröffentlichung dieses Grundsatzpapiers mitwirken. Die im Tenor aufgeführten Stellungnahmen und Forderungen überschritten aber den der Beklagten in § 1 Abs. 1 IHKG gesetzlich zugewiesenen allgemeinen Aufgaben- und Befugnisbereich. Die vom Bundesverwaltungsgericht zunächst sehr weit gefasste Beschreibung der allgemeinen Kompetenzzuweisung enthalte die Einschränkung, dass es den Industrie- und Handelskammern in solchen Bereichen, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft 'nur am Rande berührt' seien, nicht uneingeschränkt, sondern nur 'grundsätzlich' gestattet sei, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Deren Kompetenzbereich sei danach bei einer unmittelbaren spezifischen Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft, also im Kernbereich der Wirtschaftspolitik, uneingeschränkt eröffnet. Soweit Belange der gewerblichen Wirtschaft dagegen durch 'ressortfremde' Aufgaben oder Handlungsfelder nur am Rande berührt würden, könne das nicht das Einfallstor für eine unbeschränkte Befassungskompetenz in derartigen sachfremden Bereichen sein. Je 'ressortferner' eine öffentliche Angelegenheit sei, je geringer und je mittelbarer sie gewerbliche Belange nur am Rande berühre, je weniger es sich um sog. 'harte' und je mehr es sich um sog. 'weiche' Standortfaktoren handele, umso stärker würden der zulässige Umfang und das zulässige Gewicht der Betätigung der Industrie- und Handelskammern begrenzt. In den 'fremden' Bereichen, wie etwa Schul-, Bildungs-, Familien- oder Kulturpolitik fehle ihnen für konkrete und ins Einzelne gehende Lösungsvorschläge oder Forderungen, die in der Regel eine Abwägung auch mit anderen als mit wirtschaftlichen Belangen voraussetzten, typischerweise sowohl die Sachkompetenz als auch eine auf der Bündelung von Mitgliederinteressen beruhende Legitimation.

Gegen das Urteil haben beide Parteien die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt, die Klägerin beschränkt mit dem Antrag,

das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel vom 5. Februar 2009 insoweit abzuändern, als festgestellt wird, dass auch die in Nummer 10 des Klageantrags wiedergegebene Erklärung und Stellungnahme im Grundsatzpapier 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen' der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juli (richtig: Juni) 2004 rechtswidrig gewesen ist.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, hält aber die Äußerung 'Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden' für unzulässig. Das angefochtene Urteil verletze insoweit ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem IHKG.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 2009 - 8 A 1559/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen sowie

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Das Berufungsurteil verletze § 1 Abs. 1 IHKG. Sämtliche beanstandeten Aussagen seien durch diese Vorschrift gedeckt.

Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

II.

Die Revisionen sind zulässig, die der Klägerin ist auch begründet. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht und stellt sich nur teilweise aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings rechtsfehlerfrei die Zulässigkeit der Klage bejaht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <71> = Buchholz 451.09 IHKG Nr. 15 S. 3 m.w.N.) ist die Feststellungsklage zulässig und insbesondere nicht gemäß § 43 Abs. 2 VwGO subsidiär gegenüber einer Unterlassungsklage. Das rechtliche Interesse der Klägerin an der Feststellung ergibt sich aus der zur Wahrung ihrer Rechte erforderlichen Abgrenzung dessen, was sie als Pflichtmitglied der Beklagten an Meinungsäußerungen der Körperschaft hinnehmen muss und was ihre allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise beeinträchtigt.

Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte sich zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach § 1 Abs. 1 IHKG an der überregionalen Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern beteiligen und an der Erstellung und Veröffentlichung von Stellungnahmen dieser AG IHKn mitwirken durfte. Voraussetzung ist, dass sie damit das Gesamtinteresse der Mitglieder ihres Bezirks wahrnimmt. Da dieses in seinen Auswirkungen nicht auf den Bezirk beschränkt ist, kann die Beklagte auch gegenüber Institutionen außerhalb ihres Bezirks tätig werden. Wenn sie der Auffassung ist, dass dies wirkungsvoller geschehen kann, wenn sie sich überregional mit anderen Industrie- und Handelskammern organisiert, ist ihr das nicht verwehrt. Entscheidend ist aber, dass durch einen solchen Zusammenschluss die Kompetenzen der Beklagten nicht erweitert werden. Auch im Rahmen der AG IHKn darf sie nur die Aufgaben wahrnehmen, zu denen sie durch § 1 Abs. 1 IHKG ermächtigt ist (vgl. dazu auch Möllering, WiVerw 2001, 25 <54 f.>; Jahn, GewArch 2009, 434 <438>). Zudem muss sie das ihr vom IHKG und von ihrer eigenen Satzung dafür vorgegebene Verfahren einhalten.

Prüfungsmaßstab für den Schutz gegen die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - GewArch 2002, 111 ff. m.w.N.). Die Klägerin hat als Pflichtmitglied der Beklagten einen Anspruch darauf, dass die Beklagte bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten Grenzen einhält. Denn die Pflichtzugehörigkeit zu dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaft und der darin liegende Eingriff in das Grundrecht der Pflichtmitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG ist allein durch die - nach der maßgeblichen Einschätzung des Gesetzgebers - im öffentlichen Interesse liegende und deshalb notwendige Wahrnehmung dieser gesetzlichen Aufgaben gerechtfertigt (Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <242 f.>).

Zwangsverbände sind nur zulässig, wenn sie öffentlichen Aufgaben dienen und ihre Errichtung, gemessen an diesen Aufgaben, verhältnismäßig ist. Legitime öffentliche Aufgaben sind solche, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber weder allein im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss. Bei der Einschätzung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt dem Staat ein weites Ermessen zu (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. Dezember 2001 a.a.O. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 71 f. bzw. S. 3 f. m.w.N.).

Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Beklagte sich bei der Veröffentlichung des Grundsatzpapiers 'Gewerbe- und Industriestandort Hessen' im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben gehalten hat, ist § 1 Abs. 1 IHKG. Danach haben die Kammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für die Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich diese Aufgabe als auf den Kammerbezirk bezogene Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berühren, ist diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen (Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 74 bzw. S. 5 f.).

Aus dieser Umschreibung hat das Berufungsgericht geschlossen, dass der Kompetenzbereich der Industrie- und Handelskammern bei einer unmittelbaren spezifischen Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft, also im Kernbereich der Wirtschaftspolitik, uneingeschränkt eröffnet sei. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Soweit Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, interpretiert das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach in diesem Bereich den Industrie- und Handelskammern 'grundsätzlich' gestattet ist, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen, dahingehend, dass hier der Kompetenzbereich der Kammern geringer sei, also das Wort 'grundsätzlich' eine Einschränkung der Kompetenz zum Ausdruck bringe. Als rechtlichen Maßstab für die Abgrenzung des Aufgabenbereichs hat es dabei die mit dem Begriff der 'Ressortnähe' veranschaulichte (Un-)Mittelbarkeit der Berührung gewerblicher Belange und die Frage, ob es sich um 'harte' oder 'weiche' Standortfaktoren handele, gewählt. Dieser Maßstab hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Kriterium der Ressortnähe ist schon deshalb im Ausgangspunkt wegen seines naheliegenden Bezugs zur landesrechtlichen Organisation und der unter diesem Gesichtspunkt zufälligen Einteilung der jeweiligen Landesministerien missverständlich und, soweit dieser Bezug beabsichtigt war, unpräzise und darum ungeeignet.

Da streitig nicht der Kernbereich, sondern die Abgrenzung der Aufgaben in dem Bereich ist, in dem Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt werden, ist auch das Kriterium der Unmittelbarkeit der Berührung zur Abgrenzung nicht geeignet. Denn fraglich ist gerade, was noch 'am Rande' liegt und welcher Aufgabenbereich nicht mehr dazu gehört.

Die Differenzierung nach 'harten' oder 'weichen' Standortfaktoren ist ebenfalls nicht praktikabel. Standortfaktoren, also die für die Wahl und Beibehaltung eines Unternehmensstandorts maßgeblichen Kriterien, sind für die gewerbliche Wirtschaft zwar zweifellos sehr relevante und damit auch in ihrem Interesse liegende Entscheidungsgrundlagen. Was aber 'harte' und was 'weiche' Standortfaktoren sind, ist inhaltlich unbestimmt und branchenmäßig sehr unterschiedlich. Als Begrenzung des Aufgabenbereichs der Industrie- und Handelskammer ist dieses Kriterium deshalb nicht geeignet.

Das Berufungsgericht geht auch zu Unrecht davon aus, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Zuständigkeit der Industrie- und Handelskammern 'grundsätzlich' auch dort besteht, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 74 bzw. S. 5 f.), als Einschränkung ihres Kompetenzbereichs zu verstehen ist. Vielmehr bringt diese Rechtsprechung zum Ausdruck, dass selbst in Bereichen, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, den Industrie- und Handelskammern - die Zuständigkeit im Kernbereich erweiternd - gestattet ist, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Auch in diesen Randbereichen ist die Kompetenz der Industrie- und Handelskammer gegenüber dem Kernbereich nicht eingeschränkt. Abzugrenzen ist allerdings, was noch zum Randbereich einer zulässigen Betätigung der Industrie- und Handelskammern gehört und wo dieser Bereich verlassen wird, weil es sich um allgemeinpolitische Fragen handelt.

Diese Grenze ist nicht erst dann überschritten, wenn Erklärungen ohne jeden wirtschaftlichen Bezug zum Gesamtinteresse der Kammermitglieder abgegeben werden. Es reicht zur Begründung der Kompetenz nicht aus, dass die Auswirkungen einer politischen Entscheidung in irgendeiner weiteren Konsequenz auch die Wirtschaft berühren können. Vielmehr werden nur dann Belange der gewerblichen Wirtschaft wahrgenommen, wenn die Äußerung der Industrie- und Handelskammer sich auf einen Sachverhalt bezieht, der nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Industrie- und Handelskammer hat. Ergeben sich diese nachvollziehbaren Auswirkungen nicht unmittelbar aus der Äußerung selbst, können sie sich auch aus ihrer Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben. Da eine Industrie- und Handelskammer jeweils nur die Interessen der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrnehmen darf, muss sich auch der Sachverhalt, zu dem sie sich äußert, auf die gewerbliche Wirtschaft im eigenen Bezirk konkret erkennbar auswirken. Das schließt aber nicht aus, dass sich die Kammer an Adressaten außerhalb dieses Bezirks wendet, um z.B. auf wirtschaftspolitische Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene einzuwirken.

Ist thematisch der Kompetenzbereich der Industrie- und Handelskammer eröffnet, und damit die Frage, ob sie sich zu einem bestimmten Sachverhalt äußern darf, bejaht, ist bei der Form, die sie dabei zu wahren hat, sozusagen dem 'Wie' der Äußerung, zu beachten, dass die Industrie- und Handelskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Daraus ergibt sich eine generelle Beschränkung ihrer Tätigkeit im Vergleich zu Interessenverbänden und politischen Parteien (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1981 - BVerwG 5 C 56.79 - BVerwGE 64, 298 <305> = Buchholz 430.1 Kammerrecht Nr. 8 S. 16 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt auch die den Industrie- und Handelskammern übertragene Aufgabe der Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat keine reine Interessenvertretung dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15, 235 <241>). Sie müssen stets auf das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet sein und dürfen die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe lediglich abwägend und ausgleichend berücksichtigen. Es ist ihnen die gesetzliche Verantwortung dafür auferlegt, dass sie im Rahmen ihrer Aufgabe, die gewerbliche Wirtschaft im Ganzen zu fördern, als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen (BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 a.a.O. S. 241).

Das setzt voraus, dass die Äußerungen der Industrie- und Handelskammern sachlich sind und die notwendige Zurückhaltung wahren. Damit sind nicht nur Anforderungen an die Formulierung gestellt, was polemisch überspitzte oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegte Aussagen ausschließt; die notwendige Objektivität verlangt auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen. Da das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft Bezugspunkt der Aufgabenwahrnehmung ist und dies eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Gewerbezweige erfordert, muss eine Äußerung, die zu besonders umstrittenen Themen erfolgt, auch diese Abwägung erkennen lassen.

Dieses von den Industrie- und Handelskammern gemäß § 1 Abs. 1 IHKG wahrzunehmende Gesamtinteresse ihrer Mitglieder muss unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend ermittelt werden. Es ist ein gewichtetes Ergebnis und damit weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch ihr kleinster gemeinsamer Nenner. Seine Ermittlung obliegt primär der Vollversammlung, deren Mitglieder gemäß § 5 IHKG unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks und der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Gewerbegruppen gewählt werden.

Erklärungen und Stellungnahmen der IHK sind zudem nur dann zulässig, wenn sie unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen sind. Denn die Pflichtmitgliedschaft der Gewerbetreibenden in der Industrie- und Handelskammer ist nur gerechtfertigt, wenn die Kammer das durch das vorgegebene Verfahren legitimierte Gesamtinteresse wahrnimmt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG beschließt über die Angelegenheiten der Industrie- und Handelskammer die Vollversammlung, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt. Dabei kann, wie in § 2 Abs. 2 der Satzung der Beklagten geschehen, der Vollversammlung die Bestimmung der Richtlinien der Kammerarbeit und die Beschlussfassung über alle Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorbehalten bleiben und darauf basierend die Entscheidung über Einzelfragen delegiert werden. Eine grundsätzliche Festlegung muss aber auf jeden Fall durch die Vollversammlung erfolgen.

Für die im Revisionsverfahren noch umstrittenen Äußerungen ergibt sich daraus:

Die unter Nr. 4 des Klageantrags angeführte, vom Berufungsgericht beanstandete Aussage: 'Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen ... Der ... Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen.' lässt hinsichtlich ihres Satzes 1 keine nachvollziehbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen. Auch die Begründungen 'Der Industriestandort Hessen braucht exzellent ausgebildetes Humankapital.' (S. 25 des Grundsatzpapiers) oder 'Vor diesem Hintergrund erwartet die hessische Wirtschaft, dass in Kürze Kerncurricula eingeführt werden, in denen sozialen und methodischen Kompetenzen ein stärkeres Gewicht eingeräumt wird. Die Entschlackung der Lehrpläne lässt Raum zur intensiven Vermittlung der von der Industrie erwarteten Kompetenzen und Arbeitstechniken.' (S. 26 des Grundsatzpapiers) oder auch 'Die bundesweite Einführung des 12-jährigen Abiturs und die Diskussion über neue Arbeitszeitregelungen für Lehrerinnen und Lehrer sollte dafür genutzt werden, eine Reduzierung der unterrichtsfreien Zeit von 12 auf 9 Wochen vorzunehmen.' (S. 27 des Grundsatzpapiers) betreffen nicht Belange der gewerblichen Wirtschaft im dargelegten Sinne. Die Forderung der 'Limburger Erklärung' befasst sich nicht mit berufsbildenden, sondern mit den allgemeinbildenden Schulen. Auch die Begründung führt nur allgemeine bildungspolitische Argumente an. Dass diese letztlich auch für die Wirtschaft von Belang sind, reicht nicht aus, um eine Kompetenz der Industrie- und Handelskammer zu begründen.

Demgegenüber ergibt sich aus der Begründung zu Satz 2 der Forderung, die Ganztagsbetreuung auszubauen, dass dies ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist und dem Wunsch der hessischen Wirtschaft entspricht, dem großen Potenzial von gut ausgebildeten Frauen bessere Beschäftigungsperspektiven zu erschließen. Daraus ergeben sich unmittelbar nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten.

Die unter Nr. 5 des Klageantrags benannte Forderung 'Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können.' lässt dagegen keine nachvollziehbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen und übersteigt deshalb ihren Kompetenzbereich. Auch die Begründung legt keinen Bezug zur Wirtschaft dar. Sie beschäftigt sich vielmehr mit der hochschulinternen Organisation, den vermeintlich erforderlichen Änderungen im Dienst- und Besoldungsrecht und der Forderung nach der Einführung von Studiengebühren, deren unmittelbare Bedeutung für die Wirtschaft aber nicht deutlich wird. Der Hinweis des Bevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf Kooperationen zwischen den Hochschulen und der Wirtschaft führt zu keiner anderen Beurteilung. Dass die Leitlinie der Hochschulpolitik darin besteht, auch Wirtschaftsvertreter in Hochschulgremien aufzunehmen, mag dazu geführt haben, dass eine engere Verknüpfung zwischen den Hochschulen und den Industrie- und Handelskammern entstanden ist. Eine Kompetenz, deshalb zu hochschulinternen Mitarbeiterfragen Stellung zu nehmen, ist daraus aber ebenso wenig ableitbar wie die Forderung nach Studiengebühren.

Aus der unter Nr. 6 des Klageantrags aufgeführten Forderung ist Gegenstand des Revisionsverfahrens nur noch der Satz 'Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden.' Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bezieht er sich auf einen Sachverhalt, der nach-vollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft erkennen lässt. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus der zitierten Forderung, aber aus der in dem Grundsatzpapier (S. 34) enthaltenen Begründung. Danach würde die Einführung von REACH für die gesamte Breite der Produktverarbeitung zu erheblichen zusätzlichen Kosten führen und Arbeitsplätze gefährden. Deshalb ist dies thematisch ein Bereich, zu dem sich die Beklagte äußern durfte.

Allerdings wahrt die Form, die die 'Limburger Erklärung' für diese Äußerung gewählt hat, nicht die erforderliche Sachlichkeit und Zurückhaltung. Das ergibt sich schon aus der apodiktischen Formulierung der Forderung 'Vorhaben ... müssen ... verhindert werden' und wird noch verstärkt in der Begründung, der zufolge die Forderung erhoben wird, dass 'dieser Wahnsinn noch gestoppt wird'. Da die Frage, ob eine Äußerung der Industrie- und Handelskammer das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lässt, nur aus dem Kontext der Forderung beurteilt werden kann, muss auch hier die Begründung mit herangezogen werden. Formulierungen dieser Art mögen einer reinen Interessenvertretung zustehen, den als öffentlich-rechtliche Körperschaften organisierten Industrie- und Handelskammern aber nicht. Eine Legitimation dazu ergibt sich auch nicht daraus, dass nach Angaben des Hauptgeschäftsführers der Beklagten in der mündlichen Verhandlung von den Mitgliedern häufig 'spitzere' Formulierungen gefordert würden. Die Beklagte muss dem im Hinblick auf ihren gesetzlichen Auftrag und den sich daraus ergebenden Grenzen entgegentreten.

Die unter Nr. 8 des Klageantrags aufgeführte Forderung 'Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden.' ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts thematisch zulässig. Die Abgabenlast und die Abhängigkeit der Wirtschaft von kostengünstiger und zuverlässiger Energieversorgung betrifft die gewerbliche Wirtschaft unmittelbar. Die Beklagte darf insoweit das Gesamtinteresse ihrer Mitglieder wahrnehmen, auch wenn Energiepolitik nicht nur wirtschafts-, sondern zum Beispiel auch umweltpolitische Fragen aufwirft.

Auch die unter Nr. 9 des Klageantrags aufgeführte Forderung 'Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen.' fällt thematisch in den Kompetenzbereich der Beklagten. Das Ziel einer Sicherung der für die Wirtschaft erforderlichen Energieversorgung lässt nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bezirk der Beklagten erkennen. Die ultimative Forderung nach Kernenergie (siehe auch die Begründung: 'Ausstieg aus der Kernenergie muss gestoppt werden', S. 37 des Grundsatzpapiers) wahrt aber wiederum nicht das höchstmögliche Maß an Objektivität. Da die Frage des Einsatzes von Kernenergie auch zahlreiche andere, insbesondere umweltpolitische Belange berührt, und das Thema zudem gesellschaftspolitisch sehr umstritten ist, hätte die Beklagte zu dieser Forderung auch abweichende Auffassungen und gegebenenfalls deren Auswirkungen darlegen müssen.

Die unter Nr. 10 des Klageantrags aufgeführte Forderung 'Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden.' ist thematisch nicht zu beanstanden. Er betrifft die Verkehrspolitik, die unmittelbare nachvollziehbare Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft hat. Dass der Flughafen Frankfurt am Main nicht im Bezirk der Beklagten liegt, schadet dabei nicht, weil er für die Mitglieder der Beklagten der nächstgelegene internationale Flughafen ist und ihm deshalb im Bezirk der Beklagten eine herausragende Bedeutung für die Infrastruktur zukommt. Nicht gefolgt werden kann der Klägerin in der Meinung, dass Belange der Verkehrspolitik von den Industrie- und Handelskammern schon wegen fehlender Sachkunde nicht wahrgenommen werden dürften. Die Beklagte hat, von der Klägerin unwidersprochen, vorgetragen, dass Verkehrspolitik einer der Kernbereiche der Arbeit der deutschen Industrie- und Handelskammern sei. Sie verfügen über eigene Verkehrsabteilungen, Referate und Ausschüsse.

Mit der Forderung, den Flughafen auf der Grundlage des Mediationsergebnisses auszubauen, hat die Beklagte auch das notwendige Maß an Objektivität gewahrt. Im Mediationsverfahren sind die divergierenden Interessen der Betroffenen bereits berücksichtigt und zu einem Ausgleich gebracht worden. Dass das dort gefundene Ergebnis auch umgesetzt wird, ist eine für das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft des Bezirks der Beklagten vertretbare Forderung.

Unabhängig davon stellt sich die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers und der vorangestellten 'Limburger Erklärung' aber insgesamt als rechtswidrig dar, weil sie unter Verstoß gegen das vorgeschriebene Verfahren zustande gekommen ist.

Nach § 2 Abs. 2 der Satzung der Beklagten bestimmt die Vollversammlung die Richtlinien der Kammerarbeit und beschließt unbeschadet der §§ 58, 59 Berufsbildungsgesetz über alle Fragen, die für die gewerbliche Wirtschaft des Kammerbezirks oder die Arbeit der Kammer von grundsätzlicher Bedeutung sind. Dass es sich bei dem Grundsatzpapier um eine derartige grundsätzliche Entscheidung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG und § 2 der Satzung der Beklagten handelt, wird auch von dieser nicht in Frage gestellt. Ebenso ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass dieses Verfahren nicht eingehalten wurde. Denn das am 15. Juni 2004 von den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführern der Industrie- und Handelskammern verabschiedete Grundsatzpapier wurde erst am 12. Oktober 2004 und damit nach seiner Veröffentlichung in der Vollversammlung der Beklagten zur Abstimmung gestellt. Auch die Übersendung des Papiers an die Mitglieder der Vollversammlung erfolgte erst nach seiner Veröffentlichung Anfang September 2004.

Das Satzungsrecht ist zwar nicht revisibel; der Senat kann aber in Ermangelung einer Auslegung durch das Berufungsgericht die Satzung der Beklagten selbst auslegen und unter Berücksichtigung der unbestrittenen Angaben des Hauptgeschäftsführers der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass das Grundsatzpapier nicht ausschließlich als redaktionelle Zusammenfassung bereits erfolgter Resolutionen, Beschlüsse etc. der Vollversammlung angesehen werden könne, in der Sache selbst entscheiden.

Das Grundsatzpapier hätte nur unter Beteiligung der Vollversammlung erstellt und beschlossen werden dürfen. Das schließt nicht aus, dass die AG IHKn, in der nur die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der zusammengeschlossenen Industrie- und Handelskammern vertreten sind, ein entsprechendes Papier ausarbeitet und verabschiedet. Vor seiner Veröffentlichung hätte die Beklagte, die sich dieses Papier auch zurechnen lassen will und muss, dazu aber eine Meinungsbildung der Vollversammlung herbeiführen und eine Zustimmung einholen müssen.

Zwar ist es möglich, dass, wenn die Vollversammlung zu einzelnen Fragen grundsätzliche Entscheidungen bereits getroffen und damit das Gesamtinteresse bestimmt hat, sich daraus ergebende Äußerungen oder Stellungnahmen auch auf die anderen Gremien der Beklagten delegiert werden dürfen. Das setzt aber die vorangegangene Befassung durch die Vollversammlung und die damit verbundene inhaltliche Vorgabe voraus. Handelt es sich, wie hier, um ein die wesentlichen Politikbereiche abdeckendes Grundsatzpapier, muss die Vollversammlung insgesamt darüber befinden. Da hier zumindest einige der streitigen Punkte nach den Angaben der Beklagten nicht vorher von der Vollversammlung verabschiedet waren, ist das Grundsatzpapier in seiner Gesamtheit fehlerhaft zustande gekommen und rechtswidrig.

Eine nachträgliche Genehmigung, wie sie das Verwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des § 185 BGB für möglich gehalten hat, reicht nicht aus. Der gesetzliche Auftrag der Beklagten bezieht sich auf die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft in ihrem Bezirk. Dieses Gesamtinteresse kann nur von der Vollversammlung definiert, nicht aber nachträglich von ihr genehmigt werden. Kommt es ungeachtet dessen zur Veröffentlichung des ohne Beteiligung der Vollversammlung erstellten Grundsatzpapiers, liegt jedenfalls im Vorgang der Veröffentlichung eine Überschreitung der rechtlichen Befugnisse der Körperschaft und damit eine Verletzung der Rechte ihrer Pflichtmitglieder.

Auch eine von der Beklagten angesprochene Heilung der unterlassenen Beteiligung der Vollversammlung durch den nachträglichen Beschluss, wie es im Satzungsrecht teilweise möglich ist, kommt hier nicht in Betracht. Die Voraussetzungen und Konsequenzen sind grundlegend anders. Kommt bei einer Satzung nachträglich keine Mehrheit zur Heilung eines Verfahrensfehlers zustande, so bleibt die Satzung unwirksam. Hier liegt aber nicht nur ein Verfahrensfehler vor; die vorangegangene Veröffentlichung, der keine - materiellrechtlich notwendige - Bildung des Gesamtinteresses zugrunde lag, ist auch nachträglich nicht rückgängig zu machen. Die Vollversammlung hätte nur noch die Möglichkeit, das Handeln des Präsidenten und des Hauptgeschäftsführers zu billigen oder zu verwerfen, könnte aber ihrer Aufgabe, das Gesamtinteresse originär zu bilden, nicht mehr nachkommen.

Die Klägerin kann sich auf diesen Fehler berufen, obwohl nicht sie selbst, sondern ihr Geschäftsführer Mitglied der Vollversammlung ist. Mit der unterlassenen Beteiligung der Vollversammlung sind nicht nur Rechte der Mitglieder der Vollversammlung verletzt, sondern die Tätigkeit der Beklagten verstößt gegen ihren gesetzlichen Auftrag. Denn die Bildung des Gesamtinteresses durch die Vollversammlung ist Voraussetzung für die Erfüllung der materiellrechtlichen Anforderungen an die Tätigkeit der Beklagten. Das kann jedes Mitglied der Beklagten und damit auch die Klägerin geltend machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.