Bundesverwaltungsgericht
Entscheidung vom 05.11.1985, Az.: 9 B 346/85
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. April 1985 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000 DM festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde bleibt erfolglos.
Der Kläger meint unter Anführung eines Urteils des Verwaltungsgerichts Stade sowie eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, es sei auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Februar 1985 - BVerwG 9 C 45.84 - (Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 30), von dem der Verwaltungsgerichtshof zudem abgewichen sei, "nicht geklärt, wann und unter welchen Umständen das von der Republik Libanon praktizierte Einreiseverbot gegen Staatenlose politischen Charakter hat". Damit wird jedoch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargelegt. Der Senat hat in der genannten Entscheidung, von der das Berufungsgericht offensichtlich ausgegangen ist, sowie inzwischen im Urteil vom 15. Oktober 1985 - BVerwG 9 C 3.85 - ausgeführt, daà politische Verfolgung gegeben sein kann, wenn einem Staatenlosen die Wiedereinreise durch denjenigen Staat verweigert wird, in dem er mit dessen Billigung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 1 A Nr. 2 der Genfer Konvention hatte, sofern der darin liegenden Entziehung seines Aufenthaltsrechts politische Motive im Sinne der Entscheidung vom 17. Mai 1983 (- BVerwG 9 C 36.83 - BVerwGE 67, 184) zugrunde liegen, die Verweigerung der Wiedereinreise also auf die Rasse, Religion, Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Ãberzeugung des von ihr Betroffenen zielt. "Wann und unter welchen Umständen" dies der Fall ist, beurteilt sich nach den im einzelnen Fall festgestellten Verhältnissen und ist daher rechtsgrundsätzlicher Klärung nicht zugänglich. Zudem würde sich im vorliegenden Fall die aufgeworfene Frage in der vorgetragenen Form nicht stellen. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, daà der Libanon ein allgemeines Einreiseverbot gegenüber Staatenlosen praktiziert. Es hat auch nicht festgestellt, daà dies gegenüber staatenlosen Kurden geschieht. Nach den getroffenen Feststellungen stellt der libanesische Staat, der nach der ausdrücklich in Bezug genommenen Auskunft des Auswärtigen Amts vom 28. Januar 1985 gegen einfache El-Fatah-Mitglieder wie den Kläger nicht vorgeht, vielmehr staatenlosen Kurden, die - wie der Kläger - im Libanon ein Aufenthaltsrecht hatten und dies auf geeignete Art nachweisen, Einreisepapiere aus; im Falle des Klägers ist dies bisher deshalb nicht geschehen, weil der Kläger keine ausreichenden Bemühungen unternommen hat, seine Aufenthaltsberechtigung im Libanon, auch wenn er keine "Carte de séjour" besitzt, in anderer Weise darzutun. Auch angesichts dieser Feststellungen, aus denen der Verwaltungsgerichtshof gefolgert hat, es sei nichts dafür dargetan, daà der Kläger aus asylrelevanten Gründen keine Reisepapiere erhalte, läÃt die Beschwerde nicht hervortreten, welche weiteren Erkenntnisse zur Beurteilung eines Einreiseverbotes anhand des vorliegenden Falles gewonnen werden könnten oder inwiefern der Verwaltungsgerichtshof im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Entscheidung vom 12. Februar 1985 abgewichen sein könnte.
Auch der Hinweis der Beschwerde auf den Beschluà des Senats vom 29. April 1985 - BVerwG 9 B 10718.83 -, durch den die Revision in einem anderen Verfahren zugelassen worden ist, führt auf keine im vorliegenden Fall zu beantwortende grundsätzliche Rechtsfrage. Der Senat hat in dem angesprochenen Verfahren inzwischen durch Urteil vom 15. Oktober 1985 - BVerwG 9 C 30.85 - entschieden, daà die Frage, ob einem Staatenlosen im Lande seines gewöhnlichen Aufenthalts durch dort operierende, diesem Staat nicht zugehörige Organisationen politische Verfolgung droht, gegenstandslos wird und damit offenbleiben kann, wenn dieser Staat den Staatenlosen aus nicht asylrelevanten Gründen ausweist oder ihm die Wiedereinreise verweigert. Diese Entscheidung ist jedoch für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, weil das Berufungsgericht, das nicht von einer endgültigen Versagung der Reisepapiere ausgegangen ist, die Frage einer Verfolgung des Klägers durch die El-Fatah und die Al Saika nicht offengelassen, sondern sie geprüft und aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen verneint hat.
Die weiter von der Beschwerde als grundsätzlich aufgeworfene Frage, ob das in Art. 1 A Nr. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention erwähnte sog. Kurdenabkommen vom 30. Juni 1928 auf staatenlose Kurden aus dem Libanon Anwendung findet, ist im vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Auch wenn der Kläger unter den Anwendungsbereich dieser "Vereinbarung über die Ausdehnung gewisser MaÃnahmen auf andere Kategorien von Flüchtlingen" vom 30. Juni 1928 (Societé des Nations, Recueil des Traités, Bd. 89 S. 64) fiele und damit im Sinne des Art. 1 A Nr. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtling gelten würde, könnte er mit seinem Begehren keinen Erfolg haben, das auf förmliche Anerkennung als Asylberechtigter gerichtet ist. Eine solche Anerkennung ist nach Aufhebung des früheren § 28 AuslG gesetzlich in § 1 AsylVfG nur für solche Ausländer vorgesehen, die Schutz als politisch Verfolgte nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG beantragen. Rechte, die einem Ausländer daneben nach anderen Rechtsvorschriften zustehen können, sind weder Gegenstand des Anerkennungsverfahrens, noch können sie zu seiner Anerkennung als Asylberechtigter führen. Der Ausländer muà ihnen vielmehr auÃerhalb des Anerkennungsverfahrens Geltung verschaffen.
Entgegen der Ansicht der Beschwerde gibt der vorliegende Rechtsstreit auch keine Gelegenheit, die im Urteil vom 22. Januar 1985 - BVerwG 9 C 52.83 - (Buchholz 310 § 87 VwGO Nr. 5) offengelassene Frage zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen das Tatsachengericht verpflichtet ist, eine Erläuterung des Inhalts einer amtlichen Auskunft herbeizuführen, wenn dies von einem Verfahrensbeteiligten verlangt wird. Der Kläger hat eine solche inhaltliche Erläuterung nicht begehrt. Vielmehr ging sein Antrag im Schriftsatz vom 9. April 1985 eindeutig dahin, die Verfasser der Stellungnahmen dazu zu vernehmen, "wie diese Auskünfte zustande gekommen sind". Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise solchen Anträgen nachzukommen ist, ist jedoch durch das Urteil vom 22. Januar 1985 grundsätzlich geklärt.
Auch die Verfahrensrügen verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.
Die Beschwerde bemängelt zunächst, das Berufungsgericht habe es unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht unterlassen, zur Frage eines Einreiseverbots gegenüber staatenlosen Kurden zusätzlich zu den von ihm verwerteten Auskünften des Auswärtigen Amts vom 28. Januar 1985, 5. Oktober 1984 und 24. August 1983 ein Gutachten von Prof. Dr. ... und eine Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars einzuholen sowie die Verfasser der Auskünfte des Auswärtigen Amts über deren Zustandekommen zu vernehmen. Diese Rügen greifen nicht durch. Die Beschwerde übersieht zunächst, daà es grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts liegt, ob es neben den amtlichen Auskünften des Auswärtigen Amts zusätzliche Gutachten oder weitere gutachtliche ÃuÃerungen einholen will. Eine Verpflichtung dazu besteht nicht schon dann, wenn ein Verfahrensbeteiligter ein vorliegendes Gutachten inhaltlich für unzutreffend hält, und zwar auch dann nicht, wenn seine Zweifel insoweit fallbezogen und konkretisiert sind, etwa dahin gehend, daà auf bereits vorliegende abweichende Gutachten hingewiesen wird oder Gutachter bezeichnet werden, die möglicherweise zu anderen Ansichten gelangen könnten (vgl. Urteil vom 15. Oktober 1985 - BVerwG 9 C 3.85 - unter Bezugnahme auf BVerwGE 31, 149, 156 [BVerwG 19.12.1968 - VIII C 29/67] und BVerwGE 71, 38). Lediglich dann, wenn sich dem Tatsachengericht aufdrängen muÃ, daà die Grundvoraussetzungen nicht gegeben sind, die Gutachten im allgemeinen oder nach den besonderen Verhältnissen des konkreten Falles erfüllen müssen, muà das Tatsachengericht ein weiteres Gutachten einholen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn das vorliegende Gutachten in sich widersprüchlich ist, wenn sich aus ihm selbst Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters ergeben oder wenn sich herausstellt, daà es sich um eine besonders schwierige Fachfrage handelt, die ein spezielles Fachwissen erfordert, das bei dem bisherigen Gutachter nicht vorausgesetzt wurde. Nur auf solche Umstände, die die Grundlagen und damit die Tauglichkeit des Gutachtens zur Vermittlung der dem Richter fehlenden besonderen Sachkunde betreffen, bezieht sich der Beschluà des Senats vom 18. Februar 1983 - BVerwG 9 B 3597.82 - über die Verpflichtung des Gerichts, fallbezogenen und konkretisierten Zweifeln nachzugehen. Hiernach war das Berufungsgericht nicht schon deshalb verpflichtet, ein Gutachten Prof. Dr. ... und eine Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars einzuholen oder in weitere Ermittlungen einzutreten, weil der Kläger die vorliegenden Auskünfte des Auswärtigen Amts für unzutreffend hielt. Es war zu weiterer Sachaufklärung auch nicht aufgrund des Antrags verpflichtet, die Verfasser der Auskünfte über deren Zustandekommen zu vernehmen. Wie der Senat in dem auch von der Beschwerde angeführten Urteil vom 22. Januar 1985 - BVerwG 9 C 52.83 - (Buchholz 310 § 87 VwGO Nr. 5) im einzelnen ausgeführt hat, können die Beteiligten - anders als im förmlichen Verfahren einer Beweiserhebung durch Sachverständige - nicht nach §§ 402, 397 ZPO verlangen, daà das Gericht das Erscheinen des Verfassers einer amtlichen Auskunft in einem Verhandlungstermin anordnet. Es kann vielmehr nur eine Verpflichtung des Gerichts in Betracht kommen, auf schriftlichem Wege erneut an das Auswärtige Amt heranzutreten. Eine solche besteht jedoch, wenn - wie hier - nicht eine Erläuterung des Inhalts der Auskunft, sondern eine Erläuterung ihres Zustandekommens erstrebt wird, nur ausnahmsweise. Die Verfahrensbeteiligten haben - wie im Urteil vom 22. Januar 1985 weiter ausgeführt ist - grundsätzlich keinen Anspruch auf Mitteilung der Entstehungsgeschichte und der Grundlagen von Auskünften des Auswärtigen Amts in Asylsachen. Auch die Gerichte sind in aller Regel nicht gehalten, in dieser Hinsicht Ermittlungen anzustellen, es sei denn, gewichtige und fallbezogene Zweifel gäben im Einzelfall dazu AnlaÃ. Diese Voraussetzung hat hier nicht vorgelegen. Der Vortrag des Klägers war ungeeignet, solche Zweifel zu begründen. Er erschöpfte sich in der Behauptung, "daà den Stellungnahmen keine gesicherten Erkenntnisse zugrunde liegen und ... es sich letztlich um nichts anderes handelt, als um die persönlichen Auffassungen von Mitarbeitern der Botschaft in Beirut, deren Stellungnahmen für das Auswärtige Amt dann auch noch in Bonn bearbeitet worden sind". Dieser ohne tatsächliche Grundlagen aufgestellten Vermutung brauchte der Verwaltungsgerichtshof nicht nachzugehen.
Er hat auch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
Auf den Umstand, daà nach Kenntnis des Berufungsgerichts in einem anderen Verfahren ein staatenloser Kurde aus dem Libanon im Mai 1984 ein bis Mai 1986 gültiges Reisedokument erhalten habe, ist das angefochtene Urteil nicht im Sinne des § 108 Abs. 2 VwGO gestützt. Im übrigen hat der Berichterstatter auf diese Kenntnis des Berufungsgerichts ausweislich des Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung hingewiesen, zu der die ProzeÃbevollmächtigten des Klägers ordnungsgemäà geladen waren. Sie hatten damit Gelegenheit, sich zu diesem Umstand zu äuÃern; es geht zu Lasten des Klägers, wenn sie diese nicht wahrgenommen haben, weil sie der mündlichen Verhandlung ferngeblieben sind.
Ebensowenig trifft die Ansicht der Beschwerde zu, das Berufungsgericht habe eine Ãberraschungsentscheidung erlassen, weil der Kläger aufgrund der Berufungszulassung durch die Vorinstanz nicht damit habe rechnen müssen, daà für ihn davon ausgegangen werde, in seinem Falle sei eine Verlängerung oder Neuausstellung eines Reiseausweises möglich. Der Beschluà des Berufungsgerichts, durch den die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf das geltend gemachte Einreiseverbot zugelassen worden war, konnte kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darauf begründen, das Berufungsgericht werde zu seinen Gunsten in tatsächlicher Hinsicht von einer erfolgten Ablehnung der Verlängerung seiner Reisedokumente durch libanesische Behörden ausgehen. Abgesehen davon, daà der Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung auch solche Fälle erfaÃt, in denen sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aus einer zu erwartenden Klärung von Tatsachenfragen ergibt (Urteil vom 31. Juli 1984 - BVerwG 9 C 46.84 - Buchholz 402.25 § 32 AsylVfG Nr. 4), handelt es sich bei der Berufungszulassung nicht um eine Sachentscheidung; sie erschöpft sich vielmehr in der Eröffnung des Berufungsrechtszugs, ohne der dem Berufungsverfahren vorbehaltenen uneingeschränkten und abschlieÃenden Prüfung des Asylbegehrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in einer vertrauenbegründenden Weise vorgreifen zu können. Allein schon deshalb muÃte der Kläger damit rechnen, daà das Berufungsgericht seiner Behauptung, ihm werde als staatenlosem Kurden die Wiedereinreise in den Libanon verweigert, nachgehen werde. Dies hat das Berufungsgericht durch die Heranziehung von Auskünften des Auswärtigen Amts und ihre Einführung in die mündliche Verhandlung sowie dadurch getan, daà es - wie vom Kläger angeregt und ihm mit der Terminsladung mitgeteilt - die Ausländerakte mit den darin befindlichen, vom Kläger selbst vorgelegten Bescheinigungen des libanesischen Honorarkonsulats beigezogen hat. Der Kläger hatte Gelegenheit, zu sämtlichen Unterlagen Stellung zu nehmen und das aus seiner Sicht dazu Erforderliche vorzutragen. Einer besonderen Aufforderung hierzu bedurfte es nicht. Die erst nach Schluà der mündlichen Verhandlung erfolgte abschlieÃende, nicht den subjektiven Erwartungen des Klägers entsprechende Würdigung dieser Unterlagen und die SchluÃfolgerungen aus ihnen konnte ihm das Berufungsgericht nicht vorab mitteilen und war demgemäà dazu auch nicht verpflichtet. Soweit die Beschwerde diese Würdigung mit ihren übrigen Ausführungen als nicht zutreffend angreift, übersieht sie, daà die Sachverhalts- und Beweiswürdigung revisionsgerichtlich nur eingeschränkt dahin überprüfbar ist, ob gegen allgemeine Beweiswürdigungsgrundsätze verstoÃen worden ist, zu denen insbesondere die Denkgesetze gehören. Solche VerstöÃe läÃt die Beschwerde indessen nicht hervortreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO [...].