Bundesverwaltungsgericht
Entscheidung vom 09.11.1959, Az.: I C 107/57
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. März 1957 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Entscheidungsgründe
I.Als der Kläger in Frankenthal wohnte und in Speyer als wissenschaftlicher Assistent tätig war, beantragte er, ihm einen Waffenschein zu erteilen, weil er "im Hinblick auf die sich mehrenden Ãberfälle" für seine Fahrten zwischen Frankenthal und Speyer mit dem Kraftwagen eine SchuÃwaffe zu seiner Verteidigung benötige. Die Behörde lehnte den Antrag auf Grund des Waffengesetzes von 1938 ab, weil bei dem Kläger das erforderliche Bedürfnis für das Führen einer Fäustfeuerwaffe nicht anerkannt werden könne. Die Klage war in zwei Instanzen ohne Erfolg. Das Berufungsgericht führte aus: Das Waffengesetz von 1938 gelte fort. Nach § 15 Abs. 1 dieses Gesetzes sei ein Waffenschein nur dann zu erteilen, wenn ein Bedürfnis zum Führen einer Waffe vorliege. Diese Vorschrift stehe mit dem Grundgesetz in Einklang. Sie verstoÃe nicht gegen Art. 12 GG. Zu Unrecht berufe sich der Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Bedürfnisprüfung im Gaststätten- und Apothekenrecht; denn in diesen Rechtsgebieten sei es Aufgabe der Bedürfnisprüfung gewesen, die Inhaber bestehender Betriebe vor Konkurrenz zu schützen. Im Waffengesetz dagegen gehe es um die Wahrung der öffentlichen Sicherheit. Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 des Waffengesetzes sei auch mit Art. 2 GG vereinbar. Sie sei Teil der verfassungsmäÃigen Ordnung im Sinne des Art. 2 GG. Zu dieser Ordnung gehörten die allgemeinen Vorschriften des Polizeirechts und die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlassenen Gesetze. Dem Schütze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im herkömmlichen Sinne diene der § 15 Abs. 1 des Waffengesetzes von 1938. Bei richtiger Anwendung dieser Vorschrift könne nur besonders gefährdeten Personen die Befugnis zum Führen einer SchuÃwaffe in der Ãffentlichkeit eingeräumt werden. Im Falle des Klägers sei das Bedürfnis zu Recht verneint worden. Umstände, die den Kläger gegenüber der Allgemeinheit besonders gefährdet erscheinen lieÃen, lägen nicht vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt, daà Art. 2 GG und § 15 des Waffengesetzes nicht richtig angewandt seien. Er ist der Ansicht, die Auslegung, die das Berufungsgericht dem § 15 des Waffengesetzes gegeben habe, sei zu eng. Es sei davon auszugehen, ob der Antragsteller subjektiv einen Bedarf an einer Waffe habe. Dieser Bedarf müsse anerkannt werden, wenn die Waffe vernünftigen, nicht abwegigen, willkürlichen oder vorgeschobenen Zwecken dienen solle. Das Berufungsgericht habe bei der Auslegung des § 15 des Waffengesetzes das Grundrecht des Art. 2 GGübersehen; denn selbst wenn auch dem Art. 2 GG nicht die Kraft beizumessen sei, ein formell und materiell in Einklang mit anderen Grundrechten stehendes Gesetz zu beseitigen, so müsse doch bei der Anwendung einer mehrdeutigen Gesetzesbestimmung diejenige Auslegung gewählt werden, die dem Freiheitsrecht des Art. 2 GG entspreche. Die Auslegung des Berufungsgerichts führe dazu, daà das Notwehrrecht seine Wirksamkeit verliere.
Der Oberbundesanwalt hält § 15 des Waffengesetzes für verfassungsmäÃig; die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
II.Die Revision konnte keinen Erfolg haben.
Grundlage der angefochtenen Verfügung ist § 15 des Waffengesetzes vom 18. März 1938 (RGBl. I S. 265). Danach dürfen Waffenerwerbscheine oder Waffenscheine nur bei Nachweis eines Bedürfnisses an Personen ausgestellt werden, gegen deren Zuverlässigkeit keine Bedenken bestehen. Die Anwendung dieser Vorschrift ist vom Bundesverwaltungsgericht nur in beschränktem Umfang nachzuprüfen. § 15 des Waffengesetzes ist keine Vorschrift bundesrechtlicher Art. Das Waffenrecht fällt nicht unter die Vorschriften der ausschlieÃlichen oder konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes (Art. 73, 74 GG). Die Auslegung und Anwendung der Vorschrift ist daher entsprechend dem föderativen Charakter der Bundesrepublik Sache der Länder (vgl. Beschluà des I. Senats vom 2. Oktober 1958 - BVerwG I CB 193.58 -). Die Auslegung, die die obersten Verwaltungsgerichte der Länder den Vorschriften des Waffengesetzes geben, ist für das Bundesverwaltungsgericht bindend (§ 26 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 [BGBl. I S. 625] - BVerwGG - in Verbindung mit § 562 ZPO). Das Bundesverwaltungsgericht kann nur prüfen, ob sich die Anwendung und Auslegung der Vorschriften in dem Rahmen hält, der sich aus dem Grundgesetz und dem sonstigen dem Landesrecht übergeordneten Recht für die Ländergesetzgebung ergibt.
Dabei ist zunächst festzustellen, daà das Waffengesetz von 1938 nicht als typisch nationalsozialistisches Recht angesehen werden kann. Eine Vorschrift entsprechenden Inhalts gab es bereits vor der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in § 16 des Gesetzes über SchuÃwaffen und Munition vom 12. April 1928 (RGBl. I S. 143). Wenn auch, wie der Kläger zutreffend ausführt, die Vorschrift vor 1945 nicht immer in rechtsstaatlicher Weise gehandhabt wurde, so ergibt sich daraus doch nur, daà eine solche Handhabung jetzt unzulässig ist, nicht aber, daà das Gesetz ungültig geworden ist.
Auch ist das Waffengesetz von 1938 durch die alliierte Gesetzgebung über den Waffenbesitz nicht auÃer Kraft gesetzt worden. Das Waffengesetz muÃte lediglich in seiner. Anwendung hinter den Vorschriften der Alliierten Hohen Kommission (vgl. das Gesetz Nr. 24 der Alliierten Hohen Kommission vom 30. März 1950 [ABl. AHK S. 251]) zurücktreten. Nachdem aber die Bundesrepublik ihre Souveränität (vgl. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei alliierten Mächten vom 26. Mai 1952 (BGBl. 1955 II S. 301)) zurückerhalten hat und die Bestimmungen der Alliierten Hohen Kommission auÃer Kraft getreten sind, ist das Waffengesetz, soweit es in den Ländern der Bundesrepublik aufrechterhalten worden ist, wieder voll wirksam geworden.
Die verfassungsrechtlichen Einwendungen, die der Kläger gegen die in § 15 des Waffengesetzes vorgeschriebene Bedürfnisprüfung erhebt, sind unbegründet. Nach der Auslegung, die das Berufungsgericht dem § 15 des Waffengesetzes im Anschluà an die Rechtsprechung des PreuÃischen Oberverwaltungsgerichts (OVG Bd. 84 S. 251 und 253, Bd. 86 S. 233 ff.) zu § 16 des SchuÃwaffengesetzes von 1928 gegeben hat, hat die Polizei bei Prüfung des im Waffengesetz geforderten Bedürfnisses einen strengen MaÃstab anzulegen und, wie das Berufungsgericht hierzu ausführt, einen Waffenschein nur dann auszuhändigen, wenn nicht nur der Antragsteller zuverlässig ist, sondern auch ein Bedürfnis gegeben ist, weil er als besonders gefährdet angesehen werden muÃ. Eine solche Bedürfnisprüfung verstöÃt weder gegen Art. 12 noch gegen Art. 2 GG.
Art. 12 GG scheidet im vorliegenden Falle von vornherein aus. Art. 12 gewährleistet das Recht der freien Berufswahl und Berufsausübung. Es mag Fälle geben, in denen die Berufswahl und -ausübung nur mit Hilfe eines Waffenscheines möglich ist und die Versagung des Waffenscheines wegen fehlenden Bedürfnisses freie Berufswahl oder -ausübung praktisch unmöglich macht. Hier kann diese Frage dahingestellt bleiben; denn im Falle des Klägers geht es nicht um Berufswahl oder Berufsausübung.
Ebensowenig kann sich der Kläger auf Art. 2 GG berufen. Nach Art. 2 hat jeder das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Geht man mit dem Kläger davon aus, daà das Führen einer Waffe hierzu gehört, so findet aber dieses Recht in den Rechten anderer, der verfassungsmäÃigen Ordnung und dem Sittengesetz seine Grenze. Die Rechte anderer und das Sittengesetz werden durch das Waffentragen nicht verletzt. Es kommt also entscheidend darauf an, ob § 15 des Waffengesetzes in der, Auslegung, die das Berufungsgericht ihm gegeben hat, Bestandteil der verfassungsmäÃigen Ordnung ist. Diese Frage ist zu bejahen.
Der Rahmen der verfassungsmäÃigen Ordnung im Sinne desArt. 2 Abs. 1 GG ist weit gefaÃt. Der Gesetzgeber kann diesen Rahmen ausfüllen. Durch § 15 des Waffengesetzes und die in ihm vorgeschriebene Bedürfnisprüfung ist dieser Rahmen nicht überschritten. Dabei mag die Frage dahingestellt bleiben, ob unter verfassungsmäÃiger Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG, wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, die Gesamtheit der Normen zu verstehen ist, die formell und materiell der Verfassung gemäà sind (BVerfGE 6, 32), oder, ob man den Begriff der verfassungsmäÃigen Ordnung enger auslegen will. Jedenfalls halten sich die Vorschriften des Waffengesetzes im Rahmen der verfassungsmäÃigen Ordnung. Sie dienen der allgemeinen innerpolitischen Sicherheit im Lande. Die Vorschriften wurden nach dem ersten Weltkrieg eingeführt, als der Staat infolge der innerpolitischen Verhältnisse ein überragendes Interesse daran hatte, seine Verfassung sowie Leben und Gesundheit seiner Bürger dadurch zu schützen, daà er den Besitz und das Führen von Waffen einschränkte. Der Vorteil, der sich hieraus für den allgemeinen Rechtsfrieden ergab, war gröÃer als der Nachteil, den die Vorschriften durch die Einengung der Möglichkeiten zur Selbstverteidigung mit sich brachten. Solche Regelungen im Interesse der Sicherheit des Staates zu treffen, wird durch das Grundgesetz nicht eingeschränkt. Auch jetzt hat der Gesetzgeber das Recht, den Waffenbesitz unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicherheit zu beschränken. Wenn dies in der Weise geschieht, daà dem einzelnen Bürger bei besonderer Gefährdung das Recht, eine Waffe zu führen, belassen wird, sind die Grenzen, die sich für den Gesetzgeber aus Art. 2 Abs. 1 GG ergeben, nicht überschritten. Regelungen dieser Art halten sich im Rahmen der verfassungsmäÃigen Ordnung. Ob die derzeitigen Verhältnisse es möglich machen, die Vorschriften zu lockern, ist eine Frage, die nicht vom Gericht, sondern vom Gesetzgeber zu beurteilen ist.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 65 Abs. 1 BVerwGG.