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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 17.03.1964, Az.: VII B 111/61

Tenor

Das Verfahren über die Beschwerde des Klägers zu 8. - S... - gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 4. September 1961 wird eingestellt.

Der Kläger zu 8. trägt die Kosten seines Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten sind insoweit nicht entstanden.

Die Beschwerden der Kläger zu 2. bis 7. und 9. bis 11. gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil werden zurückgewiesen.

Die Kläger zu 2. bis 7. und 9. bis 11. tragen die durch ihre Beschwerden entstandenen Kosten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 217,50 DM festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.Die Kläger zu 2. bis 11. wandten sich gegen die Heranziehung zur Kurtaxe für das Jahr 1959 durch die beklagte Gemeinde. Auf ihre Klagen hob das Verwaltungsgericht die Heranziehungsbescheide auf. Im Berufungsverfahren ermäßigte die Beklagte in einzelnen Fällen die Höhe der Abgaben. Das Berufungsgericht wies die Klagen teils als unzulässig, teils als unbegründet ab und ließ die Revision nicht zu. Gegen die Nichtzulassung der Revision legten die Kläger Beschwerde ein. Während des Beschwerdeverfahrens nahm der Kläger zu 8. seine Beschwerde zurück.

II.Das Verfahren über die Beschwerde des Klägers zu 8. ist in entsprechender Anwendung des § 92 VwGO einzustellen.

III.Die Beschwerden der übrigen Kläger können keinen Erfolg haben. Nach § 132 Abs. 2 VwGO ist die Revision nur zulässig, wenn1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder2. das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder3. bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

1.Die Kläger meinen, die Revision müsse wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen werden. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Das Berufungsgericht hat den Sachverhalt mit Recht nach der Satzung der beklagten Gemeinde über die Erhebung einer Kurtaxe vom 3. März 1959, nach dem Oldenburger Finanzausgleichsgesetz und nach der Niedersächsischen Gemeindeordnung vom 4. März 1955 (Mieders.GVOBl. S. 55) beurteilt. Diese Vorschriften sind nicht Bundesrecht nach § 137 Abs. 1 VwGO. Ihre Auslegung und Anwendung kann im Revisionsverfahren nicht nachgeprüft werden. Die insoweit vorgetragenen Einwendungen gegen das anzufechtende Urteil können deshalb die Zulassung der Revision nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 1, 3) nicht rechtfertigen. Dies gilt auch für bundesrechtliche Vorschriften die in der zu entscheidenden Streitsache nicht kraft eines gesetzlichen Befehls des Bundesgesetzgebers, sondern infolge einer Verweisung oder Bezugnahme des Landes- oder Ortsgesetzgebers anzuwenden sind (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Oktober 1961 - Buchholz 310 § 137 Nr. 11). Die Einwendungen der Kläger gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zu §§ 7 ff. BGB können deshalb die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen, da diese Bestimmungen im vorliegenden Fall kraft Verweisung entweder in der Ortssatzung (§ 2 Abs. 1 Satz 4) oder in § 21 der Niedersächsischen Gemeindeordnung oder in beiden Vorschriften Anwendung zu finden haben.

In einem Revisionsverfahren könnte mithin nur nachgeprüft werden, ob die angefochtenen Bescheide und - da diese im wesentlichen mit der Ortssatzung übereinstimmen - ob die Ortssatzung Bundesrecht verletzen. Eine solche Verletzung ist jedoch nicht ersichtlich. Bei der Nachprüfung der Ortssatzung kann nicht außer acht gelassen werden, daß diese Normen enthält und daß deshalb die einzelnen Vorschriften nicht gesondert, sondern in ihrem Zusammenhang gewürdigt werden müssen, und daß schließlich dem Ermessen des Ortsgesetzgebers der ihm gebührende Rahmen einzuräumen ist.

Daß die Erhebung von Kurtaxen im allgemeinen oder die allgemeine Regelung dieser Abgabe in der hier umstrittenen Ortssatzung mit Bundesrecht nicht vereinbar ist, kann nicht festgestellt werden. Als Abgaben unterliegen diese Leistungen dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und dem daraus folgenden Vorbehalt des Gesetzes nach Art. 20 GG und müssen nach Art. 2 GG mit der verfassungsmäßigen Ordnung übereinstimmen (BVerfGE 6, 32;  9, 3) [BVerfG 02.12.1958 - 1 BvR 665/58]. Insoweit sind Bedenken gegen die Ortssatzung nicht festzustellen. In der Ortssatzung ist die Kurtaxe als ein Beitrag zu den Sondervorteilen gestaltet, die den Kurgästen durch die besonderen Einrichtungen der beklagten Gemeinde für Kurzwecke, insbesondere zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit der Kurgäste, zugänglich gemacht werden. Da es sich um Beiträge oder - wie das Berufungsgericht wohl im Hinblick auf die Regelung in §§ 9 und 12 des Preußischen Kommunalabgabengesetzes meint - um beitragsähnliche Abgaben handelt, genügt es, daß die Kurtaxe in § 2 Abs. 1 Satz 2 der Ortssatzung nicht von der Benutzung, sondern nur von der Möglichkeit der Benutzung der Kureinrichtungen abhängig gemacht ist (Surén, Gemeindeabgabenrecht, § 12 Anm. 2; Bühler-Strickrodt, Steuerrecht, I. Bd. S. 57). Jedenfalls ist in dieser Ausgestaltung der Kurtaxe ein Verstoß gegen die Reichsabgabenordnung, insbesondere gegen deren §§ 1 und 8, nicht zu erblicken. Mit Recht hat das Berufungsgericht ferner dargelegt, daß § 8 des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. November 1867 i.d.F. vom 30. Juni 1961 (BGBl. I S. 815) nicht verletzt ist; denn hier handelt es sich nicht um eine dort verbotene Abgabe für den Aufenthalt, sondern um die Abgeltung von Sonderleistungen für gesundheitliche Zwecke, die durch die Gemeinde erbracht werden. Dies wird dadurch unterstrichen, daß nach § 4 der Ortssatzung die Kurtaxe nicht zu entrichten ist, wenn nach der Lebenserfahrung in der Regel die Kureinrichtungen nicht gebraucht werden, z.B. weil der Gast sich aus verwandtschaftlichen oder beruflichen Gründen in der beklagten Gemeinde aufhält. Auch kann es nicht als Verstoß gegen Art. 3 GG angesehen werden, daß nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Ortssatzung alle dauernd in der beklagten Gemeinde wohnenden Personen (die Einheimischen) nicht zur Kurtaxe herangezogen werden, da dieser Personenkreis bereits durch seine sonstigen Gemeindeabgaben zu den Aufwendungen der Gemeinde beiträgt.

Was die allgemeine Regelung der Ortssatzung betrifft, sind auch wesentliche Einwendungen der Kläger nicht vorgebracht worden. Sie wenden sich vielmehr im Kern ihrer Ausführungen gegen die Vorschriften in § 2 Abs. 1 Satz 4 und § 3 Abs. 3 der Ortssatzung, durch die die Eigentümer, Mieter und Pächter von Wochenend- und Sommerhäusern als Kurgäste behandelt und aus dem Kreis der Einheimischen ausgesondert worden sind. Doch kann auch dieser Vortrag die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Da echte Kurgäste nicht nur in Gaststätten, Kurheimen, bei privaten Vermietern usw., sondern - vor allen Dingen bei starkem Andrang - auch in Sommer- und Wochenendhäusern abzusteigen pflegen, konnten die Eigentümer, Mieter und Pächter solcher Häuser nicht von vornherein von der Kurtaxe freigestellt werden. Jedenfalls ist durch dieses Vorgehen der Gemeinde das ihren Organen zukommende gesetzgeberische Ermessen nicht verletzt worden. Es kommt hinzu, daß die Kläger selbst nicht in Abrede stellen, daß sie sich aus gesundheitlichen Gründen, zur Erholung über das Wochenende und in den Ferien immer nur vorübergehend in der beklagten Gemeinde aufhalten. Mit Recht hat schließlich das Berufungsgericht den Einwand der Kläger nicht durchdringen lassen, sie könnten wegen des einstündigen Fußmarsches von ihren Häusern zu den Kureinrichtungen diese nicht benutzen. Dem steht die Tatsache entgegen, daß alle Kläger Autobesitzer sind. Bei dieser Sachlage kann es auch nicht als Verstoß gegen den Gleichheitssatz angesehen werden, daß die Ortssatzung für die ganze Markung der beklagten Gemeinde einheitlich gilt und daß aus der größeren Nähe zu den Kureinrichtungen nicht Unterschiede bei der Heranziehung zur Kurtaxe hergeleitet worden sind. Dies mag für den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (E 9, 29) entschiedenen Fall zutreffen, kann aber nur für die dort festgestellten Ausnahmefälle in Betracht kommen. Im übrigen ist auch für solche Ausnahmefälle in § 4 Abs. 2 der Ortssatzung Vorsorge getroffen worden, wonach über den dort in Abs. 1 umrissenen Personenkreis hinaus weiteren Personen und Personengruppen Ermäßigung oder Befreiung erteilt werden kann. Ob eine solche Befreiung oder Ermäßigung in den hier zu entscheidenden Fällen, etwa weil ein Schwergehbehinderter ein solches Sommer- oder Wochenendhaus bewohnt oder weil die Eigentümer solcher Häuser bereits durch die von ihnen an die beklagte Gemeinde zu zahlenden Grundsteuern wenigstens teilweise zu den Lasten der Kureinrichtungen beitragen, gewährt werden kann, kann in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht entschieden werden, da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts weder die Kläger solche Anträge gestellt haben, noch insbesondere die beklagte Gemeinde bisher hierüber entschieden hat.

2.Auch die verfahrensrechtlichen Einwendungen der Kläger können die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Die richterliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO ist nicht unbegrenzt. Nicht aufzuklären sind Umstände, auf die es nach der Auslegung der maßgebenden Vorschriften nicht ankommt. Der Sachverhalt ist ferner nur in einem Umfang aufzuklären, daß die Richter sich von dem Vorliegen oder Nichtvorliegen der maßgebenden Umstände überzeugen können (§ 108 VwGO). Deshalb ist das Gericht nach § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO weder an das Vorbringen noch an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden, kann sie also nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zurückweisen oder überschreiten. Es kann nicht festgestellt werden, daß das Berufungsgericht diese Pflichten verletzt hat. Wenn es als maßgebenden Zeitpunkt im vorliegenden Fall den Sommer 1959 angesehen hat, so kann dies auch unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten nicht beanstandet werden, da es sich hierbei um die Auslegung der Ortssatzung handelt. Dasselbe gilt - wie schon oben dargelegt - für die Auslegung des in § 2 Abs. 1 Satz 4 der Ortssatzung verwendeten Begriffs des "Hauptsitzes" und der daraus für den Umfang der Beweisaufnahme gezogenen Schlüsse des Berufungsgerichts. Es kommt hinzu, daß auch nach dem Vortrag der Kläger wenigstens einige ihrer Häuser seit 1959 wesentlich verändert worden sind. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen sich mit der Würdigung der Baupläne begnügt und von einer Ortsbesichtigung abgesehen hat, so kann dies im Rahmen der dem Revisionsgericht zukommenden Nachprüfung nicht beanstandet werden. Eine Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO kann jedenfalls nicht festgestellt werden.

Auch eine Verletzung des § 86 Abs. 2 VwGO ist nicht ersichtlich. Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht haben die Vertreter beider Parteien hilfsweise gebeten, bei der Beratung über eine Entscheidung in dieser Sache zu prüfen, ob eine Augenscheinseinnahme der Häuser der Kläger, ihrer Lage und ihrer Einrichtungen vorzunehmen ist. Hierbei handelt es sich um eine Anregung für das Gericht, jedoch nicht um einen Beweisantrag nach § 86 Abs. 2 VwGO. Die Kläger haben das auch nicht verkannt. Sie wollen jedoch zu diesem Verhalten, insbesondere zur Unterlassung eines förmlichen Beweisantrages, durch eine Bemerkung des Vorsitzenden veranlaßt worden sein, und erblicken hierin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dem kann nicht gefolgt werden. Das rechtliche Gehör ist gewahrt, wenn ein Prozeßbeteiligter alle ihm wichtig erscheinenden tatsächlichen und rechtlichen Umstände vorträgt und zu allen Prozeßvorgängen, insbesondere zu den Ausführungen der übrigen Beteiligten und den Ergebnissen der Beweisaufnahme Stellung nehmen konnte. Dies ist hier geschehen. Es ist nicht ersichtlich, von den Klägern auch nicht vorgetragen worden, welche weiteren Umstände sie hätten vortragen oder unter Beweis stellen wollen, wenn das Berufungsgericht vor Verkündung des Urteils den Antrag auf Ortsbesichtigung ausdrücklich abgelehnt hätte.

Nach alledem kann nicht festgestellt werden, daß das angefochtene Urteil auf den von den Klägern behaupteten Verfahrensmängeln beruhen kann.

IV.Die Revision ist deshalb vom Berufungsgericht mit Recht nicht zugelassen worden. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung muß vielmehr zurückgewiesen werden.

V.Die Entscheidungen über die Kosten und den Wert des Streitgegenstandes beruhen auf §§ 154 Abs. 2 und 189 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 74 BVerwGG.