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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 07.06.1972, Az.: VIII C 191/70

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - II. Kammer Stade - vom 10. Dezember 1970 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Entscheidungsgründe

I.Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wehrpflichtig ist und, bejahendenfalls, ob seine Wehrpflicht ruht.

Der am 11. Dezember 1950 geborene Kläger lebte bis zum Dezember 1968 bei seiner Mutter in U. Landkreis V.. Von Dezember 1968 bis zum Juli 1970 besuchte er eine Schule in S.. Er kam in den Ferien in sein Elternhaus nach Uesen. Sein Geburtsjahrgang wurde im Jahre 1968 aufgerufen. Am 1. September 1969 wurde er als tauglich gemustert und bis zum 31. Juli 1970 zur Ablegung der Reifeprüfung zurückgestellt. Bis zum selben Tag erhielt er nach § 3 Abs. 2 Satz 1 des Wehrpflichtgesetzes - WPflG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. September 1969 (BGBl. I S. 1773) die Genehmigung zum Verlassen des Geltungsbereichs dieses Gesetzes.

Der Kläger wurde vor Ablauf der Zurückstellungsfrist zum 1. Oktober 1970 zur Ableistung des vollen Grundwehrdienstes einberufen. Diesen Bescheid übersandte das Kreiswehrersatzamt den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zum Zwecke der Zustellung. Der Kläger beantragte nun, ihm über den 31. Juli 1970 hinaus die Genehmigung zum Verbleib außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes zu erteilen. Er machte dazu u.a. geltend, er wolle dauernd in der S. bleiben. Das Kreiswehrersatzamt lehnte diesen Antrag ab. Der dagegen und gegen den Einberufungsbescheid eingelegte Widerspruch blieb erfolglos.

Die Klage, mit der der Kläger beantragt hat, die Bescheide vom 21. Juli 1970 (Einberufungsbescheid) und vom 31. Juli 1970 (Versagung der Genehmigung) in der Form des Widerspruchsbescheids vom 23. September 1970 aufzuheben und ferner festzustellen, daß er nicht wehrpflichtig sei, hilfsweise, daß seine Wehrpflicht ruhe, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Der Einberufungsbescheid sei rechtmäßig. Der Kläger unterliege uneingeschränkt der Wehrpflicht. Er habe im Zeitpunkt der Musterung seinen ständigen Aufenthalt in Uesen gehabt. Er habe damals nicht beabsichtigt, über den Schulbesuch hinaus in St. Gallen zu bleiben. Erst im Juli 1970 habe er sich von Uesen abgemeldet. Die Wehrpflicht des Klägers ruhe nicht. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG seien erfüllt. Der Kläger habe im Sinne des § 3 Abs. 2 WPflG ohne Genehmigung den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes verlassen. Einer solchen Genehmigung habe er bedurft. Eine Genehmigung zum Verlassen sei ihm nur befristet bis zum 31. Juli 1970 erteilt gewesen. Die Verlängerung der befristeten Genehmigung sei zu Recht versagt worden. Die Versagung bedeute keine besondere Härte für den Kläger. Er habe sein Abitur abgelegt und wolle in das Berufsleben eintreten. Das Hinausschieben einer Erwerbstätigkeit für die Dauer des Wehrdienstes treffe alle Wehrpflichtigen gleichermaßen. Der Einberufungsbescheid sei dem Kläger auch ordnungsgemäß zugestellt worden. Eine Zustellung an Prozeßbevollmächtigte sei zulässig. Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers hätten Zustellungsvollmacht gehabt.

Der Kläger hat die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Er beantragt, das angefochtene Urteil und die angefochtenen Bescheide aufzuheben und festzustellen, daß er nicht wehrpflichtig sei,

hilfsweise, daß seine Wehrpflicht ruhe,

hilfsweise, die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Er rügt die Verletzung von formellem und materiellem Recht.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

II.Die Revision ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat mit Recht die Klage abgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage des Klägers im Haupt- und im Hilfsantrag als unbegründet abgewiesen. Das ist zutreffend.

Die Beteiligten und das Verwaltungsgericht haben mit Recht die Feststellungsanträge als zulässig angesehen. Darüber besteht kein Streit.

Der Kläger ist zu Unrecht der Ansicht, er befinde sich nicht in einem Wehrpflichtverhältnis. Er ist wehrpflichtig. Sein Feststellungsantrag ist daher im Hauptantrag unbegründet.

Die Voraussetzungen, unter denen das Wehrpflichtverhältnis entsteht, ergeben sich aus § 1 Abs. 1 des Wehrpflichtgesetzes - WPflG -, jetzt geltend in der durch das Achte Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes vom 22. Dezember 1971 (BGBl. I S. 2084) geänderten Fassung vom 28. September 1969 (BGBl. I S. 1773). Sie haben sich seit Erlaß des Wehrpflichtgesetzes vom 21. Juli 1956 (BGBl. I S. 651) nicht geändert. Der Kläger erfüllt alle für die Begründung des Wehrpflichtverhältnisses aufgestellten Voraussetzungen. Umstritten ist im vorliegenden Fall allein, ob die Wehrpflicht des Klägers etwa dadurch erloschen sein könnte, daß er, wie er behauptet, seinen ständigen Aufenthalt von Uesen im Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes an einen Ort außerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 (Deutschland), nämlich nach S. (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WPflG) verlegte. Das ist nicht der Fall. Entweder hatte der Kläger seinen ständigen Aufenthalt in Uesen im Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes und hat ihn dort noch immer, dann ist er nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 WPflG wehrpflichtig; oder er hat ihn von Uesen nach St. Gallen verlegt, dann ist er nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a WPflG wehrpflichtig. Eine andere Möglichkeit scheidet nach dem hier gegebenen Sachverhalt aus.

Der Kläger ist auch zu Unrecht der Ansicht, seine Wehrpflicht ruhe. Die Wehrpflicht des Klägers ruht deshalb nicht, weil er bis zu seiner Vorsprache beim Kreiswehrersatzamt am 22. Dezember 1969 die Ruhensvoraussetzungen in § 1 Abs. 2 WPflG nicht erfüllte und weil danach, selbst dann, wenn die Ruhensvoraussetzungen in § 1 Abs. 2 WPflG eingetreten wären, seine Wehrpflicht deshalb nicht ruht, weil die Erfordernisse der Vorschrift in § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG gegeben sind, die den Eintritt des Ruhens der Wehrpflicht hindern. Sein Feststellungsantrag ist daher auch im Hilfsantrag unbegründet.

Nach § 1 Abs. 2 WPflG ruht die Wehrpflicht nur dann, wenn, abgesehen von weiteren Erfordernissen, der Wehrpflichtige seinen ständigen Aufenthalt außerhalb Deutschlands im Sinne der Begriffsbestimmung in Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift begründet hat. Dazu muß der Wehrpflichtige die Voraussetzungen erfüllen, die für die Begründung seines ständigen Aufenthalts außerhalb Deutschlands notwendig sind. Zu dieser Frage hat der erkennende Senat in seinem Urteil BVerwGE 28, 193 (196) [BVerwG 09.11.1967 - VIII C 141/67] und seitdem ständig entschieden, daß für die Begründung des ständigen Aufenthalts im Inland wie im Ausland objektiv die Niederlassung in dem Sinne notwendig ist, daß der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Niederlassungsort gebildet wird, und subjektiv der Wille, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Niederlassungsort dauernd beizubehalten. Davon ist auszugehen. Daran hat sich durch inzwischen erfolgte Rechtsänderungen nichts geändert.

Der Senat hat es allerdings im Urteil BVerwGE 28, 193 (201) [BVerwG 09.11.1967 - VIII C 141/67] in diesem Zusammenhang für möglich gehalten, daß die Verlegung des ständigen Aufenthalts in das Ausland nicht notwendig zum Verlassen oder zum Fernbleiben von der Truppe oder der Dienststelle führt. Soweit damit ausgesprochen ist, eine zum Ruhen der Wehrpflicht führende Begründung des ständigen Aufenthalts außerhalb Deutschlands sei möglich, ohne den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes zu verlassen, beruhen die Ausführungen des Senats auf der damaligen, durch §§ 1 Abs. 3 und 3 Abs. 2 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1965 (BGBl. I S. 390) geschaffenen Rechtslage. Die Rechtslage hat sich insoweit durch das Siebente Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes vom 3. September 1969 (BGBl. I S. 1567) geändert. Durch Art. 1 Nrn. 1 und 2 dieses Gesetzes sind § 1 Abs. 3 und § 3 Abs. 2 WPflG mit Wirkung vom 6. September 1969 (Art. 5) neu gefaßt worden. Nach diesen Vorschriften ruht die Wehrpflicht nunmehr nur dann, wenn, abgesehen von den weiteren Erfordernissen in § 1 Abs. 2 WPflG, der Wehrpflichtige außerhalb Deutschlands seinen ständigen Aufenthalt begründet und wenn er den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes in wehrrechtlich gebilligter Weise verlassen hat.

Daß neben die Begründung des ständigen Aufenthalts im Ausland das Verlassen des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes treten muß, folgt jetzt aus § 1 Abs. 3 WPflG in der Neufassung. Sie sieht vor, daß die Wehrpflicht nicht ruht, wenn der Wehrpflichtige den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes gar nicht verlassen (Nr. 3) oder nicht in wehrrechtlich gebilligter Weise verlassen (Nrn. 1 und 2) hat. Unter Verlassen im Sinne dieser Begriffsbestimmung ist das tatsächliche Fernsein vom Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes zu verstehen. Das wiederum ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 WPflG, der dem Verlassen das Verbleiben und das tatsächliche Sichaufhalten außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes gleichstellt, auf den § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG Bezug nimmt, um das wehrrechtlich nicht gebilligte Verlassen zu umschreiben, und aus dem folgt, daß unter Verlassen im Sinne des § 1 Abs. 3 WPflG alle in § 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 WPflG behandelten Verhaltensweisen zu verstehen sind. Seit dem 6. September 1969 ist daher das Ruhen der Wehrpflicht davon abhängig, daß der Wehrpflichtige, abgesehen von weiteren Voraussetzungen in § 1 Abs. 2 WPflG, den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes in wehrrechtlich gebilligter Weise verlassen und außerhalb Deutschlands seinen ständigen Aufenthalt begründet hat.

Diese Voraussetzungen sind beim Kläger bis zu seiner Vorspräche beim Kreiswehrersatzamt am 22. Dezember 1969 (der im angefochtenen Urteil angegebene 29. ist ein Schreibfehler) deshalb nicht erfüllt, weil er bis zu diesem Zeitpunkt seinen ständigen Aufenthalt noch im Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes hatte, nämlich in U. bei seiner Mutter. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, der Kläger habe am Tage seiner Musterung, dem 1. September 1969, noch nicht die Absicht gehabt, über die Zeit seines Schulbesuchs hinaus in S. zu bleiben. In diesem Falle fehlte dem Kläger der für die Begründung seines ständigen Aufenthalts in S. erforderliche Wille, dort den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse dauernd beizubehalten. Darum hatte der Kläger in diesem Zeitpunkt seinen ständigen Aufenthalt immer noch in Uesen bei seiner Mutter. Daran änderte sich nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch danach nichts. Davon geht das Verwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen als selbstverständlich aus. Denn auch der Kläger hat für die Zeit nach seiner Musterung nur dargelegt, er habe erst im Juli 1970, also gegen Ende seines Schulbesuchs, dadurch eine Verlegung seines ständigen Aufenthalts von U. nach S. herbeigeführt, daß er dorthin umgezogen sei, sich polizeilich abgemeldet und dort eine Beschäftigung aufgenommen habe.

Zwar hat der Kläger Verfahrensrügen erhoben, die er auf die Versagung des rechtlichen Gehörs und die Vernachlässigung der Aufklärungspflicht stützt (§ 130 Nr. 3 und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie richten sich aber nicht gegen die Feststellung, der Kläger habe bei seiner Musterung noch nicht die Absicht gehabt, über die Zeit seines Schulbesuchs hinaus in St. Gallen zu bleiben, und die zeitliche Fortdauer dieses Zustandes, der die Annahme der Verlegung des ständigen Aufenthalts des Klägers von U. nach S. hindert. Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob diese Rügen schon an ihrer unzureichenden Darlegung scheitern (§ 139 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Daher bleibt es dabei, daß die Wehrpflicht des Klägers bis zum 22. Dezember 1969 deshalb nicht ruhte, weil er seinen ständigen Aufenthalt in Uesen bei seiner Mutter hatte und nicht etwa im Ausland, wie es § 1 Abs. 2 WPflG verlangt.

Selbst wenn der Kläger nun aber irgendwann nach dem 22. Dezember 1969 seinen ständigen Aufenthalt von Uesen nach S. verlegt hätte und wenn auch die sonstigen in § 1 Abs. 2 WPflG aufgestellten Voraussetzungen für das Ruhen der Wehrpflicht eingetreten wären, so könnte gleichwohl die Ruhenswirkung nicht eintreten, weil der Kläger dann seinen ständigen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes hinausverlegt hätte, ohne dazu die nach § 3 Abs. 2 WPflG für die wehrrechtliche Billigung erforderliche Genehmigung zu haben. In diesem Fall tritt nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG die Ruhenswirkung nicht ein.

Diese seit dem 6. September 1969 geltende Regelung ergreift den Fall des bis dahin uneingeschränkt wehrpflichtigen und sich ständig in Uesen aufhaltenden Klägers. Sie besagt, daß die ruhensbegründende Verlegung des ständigen Aufenthalts, zu der - wie oben dargelegt - seit dem 6. September 1969 ein wehrrechtlich gebilligtes Verlassen des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes hinzutreten muß, diese Ruhenswirkung nicht herbeiführen kann, wenn das Verlassen nach § 3 Abs. 2 WPflG genehmigungsbedürftig, jedoch nicht genehmigt ist. In diesem Fall ist es wehrrechtlich nicht gebilligt. Dem Kläger ist darum nicht darin zuzustimmen, daß Gegenstand der Genehmigung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG die Verlegung des ständigen Aufenthalts ist. Die in Bezug genommene Vorschrift in § 3 Abs. 2 WPflG regelt nur die Genehmigungsbedürftigkeit des Verlassens und die des Verbleibens und Aufhaltens außerhalb des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes. Darauf verweist § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG. Die Verbindung zur Verlegung des ständigen Aufenthalts bildet die Überlegung, daß eine solche Verlegung, auch wenn die sonstigen Voraussetzungen in § 1 Abs. 2 WPflG gegeben sind, nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 WPflG zum Ruhen der Wehrpflicht nur führen kann, wenn der Wehrpflichtige den Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes Verlassen hat. Sie schränkt diesen Grundsatz in der Weise ein, daß in Fällen, in denen das Verlassen genehmigungsbedürftig ist, eine Genehmigung erteilt sein muß.

Dem Kläger ist auch nicht darin zu folgen, daß jede Genehmigung ausreichend wäre, insbesondere eine solche, die, wie bei ihm, bis zum Abschluß seiner Schulausbildung befristet ist. Die durch die Neufassung des § 1 Abs. 3 und des § 3 Abs. 2 WPflG herbeigeführte Verbindung der Verlegung des ständigen Aufenthalts mit dem Verlassen ist nicht beziehungslos. Beide Tatbestandsmerkmale stehen in einer Zweckbeziehung zueinander. Dauer und Zweck des Verlassens bestimmt der Wehrpflichtige nach seinen Interessen. Erst wenn dies geschehen ist, kann nach § 3 Abs. 2 WPflG entschieden werden, ob das Verlassen genehmigungsbedürftig und genehmigungsfähig ist. § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG handelt nur von dem Wehrpflichtigen, der seinen ständigen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes hinausverlegt. Er bestimmt dadurch auch Zweck und Dauer des Verlassens. Es ist ein Verlassen, das erforderlich ist, die Hinausverlegung des ständigen Aufenthalts zu ermöglichen. Erst aus dieser Bestimmung von Zweck und Dauer des Verlassens ergibt sich nach § 3 Abs. 2 WPflG seine Genehmigungsbedürftigkeit und Genehmigungsfähigkeit. Die Regelung folgt der Überlegung, daß der ständige Aufenthalt im Ausland das Ruhen der Wehrpflicht nur dann herbeiführen soll, wenn der Wehrpflichtige im Zusammenhang damit auch dem Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes fern ist. Darum muß der Wille, soweit das Zeitmoment in Frage steht, beim Verlassen und bei der Begründung des ständigen Aufenthalts übereinstimmen. Die Begründung des ständigen Aufenthalts verlangt den Willen, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Niederlassungsort dauernd beizubehalten. Von ihm her ergibt sich, daß es sich beim Verlassen um ein auf Dauer gerichtetes Verlassen handeln muß, dessen Genehmigungsbedürftigkeit und Genehmigungsfähigkeit § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG nach § 3 Abs. 2 WPflG behandelt sehen will.

Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Vorschriften in § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG und in § 3 Abs. 2 WPflG in dieser Auslegung grundgesetzgemäß. Sie halten sich in den Grenzen des Art. 12 a Abs. 1 GG, der durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) in das Grundgesetz eingefügt wurde. Die Wehrpflicht ist danach eine verfassungsrechtliche Pflicht (BVerfGE 28, 243 [261]; 32, 40 [46]). Notwendige Folge ihrer Verwirklichung ist eine Beschränkung der Ausreisefreiheit der Wehrpflichtigen. Die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Ausreisefreiheit (BVerfGE 6, 32 [35]) ist darum insoweit verfassungsrechtlich eingeschränkt. Die Vorschriften in §§ 3 Abs. 2 und in 1 Abs. 3 WPflG setzen in Vollzug der getroffenen verfassungsrechtlichen Entscheidung für die militärische Verteidigung der Ausreisefreiheit der Wehrpflichtigen Schranken durch Einführung der Genehmigungsbedürftigkeit unter den dort aufgestellten Voraussetzungen. Diese halten sich im Rahmen des Notwendigen und entsprechen daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel. Sie verleihen dem Wehrpflichtigen einen Anspruch auf die Genehmigung. Diese darf nur nach einer Interessenabwägung am Maßstab des Personalbedarfs der Streitkräfte und der besonderen Härte, im Bereitschafts- und Verteidigungsfall der unzumutbaren Härte, für den Wehrpflichtigen versagt werden. Es ist nur folgerichtig, wenn in § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG angeordnet ist, daß im Falle der Hinausverlegung des ständigen Aufenthalts aus dem Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes ohne die nach § 3 Abs. 2 WPflG erforderliche Genehmigung die Wehrpflicht nicht erlischt und auch nicht ruht.

Die in § 1 Abs. 3 Nr. 2 WPflG aufgestellten Voraussetzungen sind beim Kläger in der hier allein interessierenden Zeit nach dem 22. Dezember 1969 erfüllt. Er brauchte eine Genehmigung, die ihm ein Verlassen des Geltungsbereichs des Wehrpflichtgesetzes auf Dauer gestattete. Sein Geburtsjahrgang war aufgerufen. Seine Wehrpflicht ruhte bis dahin nicht (§ 3 Abs. 2 Satz 1 WPflG). Er wollte für länger als drei Monate dem Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes fern sein. Die bis 31. Juli 1970 befristete Genehmigung genügte nicht. Sie umfaßte nicht den erforderlichen Zeitraum. Sie war nur für den Abschluß der Schulausbildung erteilt.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer das Ruhen der Wehrpflicht herbeiführenden Genehmigung zum Verlassen des Geltungsbereichs des Grundgesetzes. Maßgebend für die Beurteilung dieser Frage ist hier die Sach- und Rechtslage im Gestellungszeitpunkt des 1. Oktober 1970. Das ergibt sich aus dem materiellen Recht. Die Erteilung der Genehmigung ist ausgerichtet am Bedarf. Darum ist nach § 3 Abs. 2 Satz 3 WPflG die Genehmigung für den Zeitraum zu erteilen, in dem der Wehrpflichtige für eine Einberufung zum Wehrdienst nicht heransteht. Aus den gleichen Gründen ist sie über diesen Zeitraum hinaus nach Satz 4 der Vorschrift nur zu erteilen, soweit die Versagung für den Wehrpflichtigen eine besondere - im Bereitschafts- und Verteidigungsfall eine unzumutbare - Härte bedeuten würde. Ist zentraler Gesichtspunkt der Bedarf, so muß sich der Beurteilungsmaßstab auch nach dem Bedarfsfall richten. Ist, wie hier, durch Einberufungsbescheid Ort und Zeit des Dienstantritts bekanntgegeben, so liegt damit der Zeitpunkt des Bedarfs fest. Die in diesem Zeitpunkt gegebene Sach- und Rechtslage bildet daher den Prüfungsmaßstab.

Gemessen an diesem Maßstab hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Die Versagung der Genehmigung bedeutet für ihn keine besondere Härte im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 4 WPflG. Der Kläger hatte Ende Juli 1970 seine Schulausbildung abgeschlossen und die Berufsausübung gerade, nämlich am 15. Juli 1970, begonnen. In diesem Stadium war ihm die Wehrdienstleistung zuzumuten.

Seine Wehrpflicht ruht daher nicht, auch wenn er nach dem 22. Dezember 1969 seinen ständigen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes hinausverlegt haben sollte und die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 WPflG erfüllt wären. Sein Feststellungsantrag ist daher im Hilfsantrag unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auch die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Einberufungsbescheid vom 21. Juli 1970 abgewiesen. Der Bescheid ist rechtmäßig.

Ob die Klage begründet ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage, die am 1. Oktober 1970 gegeben war (BVerwGE 37, 62 [BVerwG 17.12.1970 - VIII C 113/68] [64 ff.]; 37, 151 [152 ff.]). Zwar geht es im vorliegenden Fall nicht um verteidigungsweise eingesetzte Zurückstellungsgründe, sondern um verteidigungsweise erhobene Angriffe gegen die Wehrpflicht. Das führt jedoch zu keiner anderen Beurteilung. Denn auch hier ist zu entscheiden, ob das Wehrpflichtverhältnis des Klägers am 1. Oktober 1970 rechtmäßig in ein Wehrdienstverhältnis übergeführt wurde. Das ist zu bejaher.

Der Einberufungsbescheid ist rechtmäßig, wenn er den Voraussetzungen des § 21 WPflG, anzuwenden in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. September 1969 (BGBl. I S. 1773), entspricht. Das trifft zu. Der Kläger ist wehrpflichtig. Seine Wehrpflicht ruht nicht. Das ist oben bereits dargelegt. § 43 Abs. 1 Satz 1 WPflG ist nicht einschlägig. Denn gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 WPflG ist der Kläger wie ein Wehrpflichtiger zu behandeln, der seinen ständigen Aufenthalt noch im Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes hat.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Einberufungsbescheid auch ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Zustellung richtet sich gemäß § 44 Abs. 1 Sätze 1 und 2 WPflG nach dem Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG - in der seinerzeit geltenden Fassung vom 21. Januar 1960 (BGBl. I S. 789).

Nach § 9 Abs. 1 VwZG gilt ein Schriftstück als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat. Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers haben den Einberufungsbescheid am 5. August 1970 erhalten. Das haben sie in ihren Widerspruchsschriften vom 5. und 10. August 1970 dem Kreiswehrersatzamt mitgeteilt. Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers waren Empfangsberechtigte im Sinne des § 9 Abs. 1 VwZG. Das Kreiswehrersatzamt hat ihnen den Bescheid in dieser Eigenschaft mit Schreiben vom 3. August 1970 übersandt. Der Kläger hatte ihnen am 14. Juli 1970 eine gegenständlich nicht beschränkte Prozeßvollmacht zur Vertretung gegenüber den Wehrbehörden erteilt, die sie dem Kreiswehrersatzamt eingereicht hatten. Die Vollmacht berechtigte zur Entgegennahme aller Zustellungen. Der in Wehrpflichtsachen damals bereits prozeßfähige Kläger konnte diese Vollmacht erteilen. Seine Einwendungen, die Vollmacht habe die Entgegennahme des Einberufungsbescheides nicht umfaßt, sind unbegründet.

Der Kläger kann die Berechtigung seiner Prozeßbevollmächtigten zur Empfangnahme des Einberufungsbescheids auch nicht mit der Erwägung in Zweifel ziehen, Einberufungsbescheide seien an den Wehrpflichtigen persönlich zuzustellen. Auszugehen ist auch hier davon, daß der Kläger nach § 43 Abs. 1 Satz 2 WPflG wie ein sich im Geltungsbereich des Wehrpflichtgesetzes ständig aufhaltender Wehrpflichtiger zu behandeln ist. Einem solchen Wehrpflichtigen kann durch Zustellung an seine Prozeßbevollmächtigten zugestellt werden.

§ 44 Abs. 1 Satz 2 WPflG verweist auf alle Zustellungsvorschriften, die das Verwaltungszustellungsgesetz für den gegebenen Fall vorsieht. Dazu gehört auch § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG, der die Zustellung an den bestellten Vertreter vorsieht. Der Prozeßbevollmächtigte ist ein bestellter Vertreter im Sinne dieser Vorschrift. Dagegen spricht nicht die in § 44 Abs. 1 Satz 4 WPflG getroffene Regelung. Diese Vorschrift schließt nur aus, daß an den gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Wehrpflichtigen zugestellt wird. Das Wehrpflichtgesetz geht von der Selbstbestimmung des minderjährigen Wehrpflichtigen über seine mit der Wehrpflicht zusammenhängenden Interessen aus. Es hindert daher nicht, daß an den vom Wehrpflichtigen bestellten Vertreter zugestellt wird.

Für die Anwendung des § 8 VwZG spricht auch noch folgende Überlegung: Wehrpflichtige, die sich wie der Kläger im Ausland aufhalten, auf die aber § 43 Abs. 1 Satz 2 WPflG Anwendung findet, unterliegen uneingeschränkt den Vorschriften des Wehrpflichtgesetzes. Ihnen muß der Einberufungsbescheid zugestellt werden. Ließe man hier die Zustellung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG nicht zu, bliebe nur die Zustellung im Ausland nach § 14 VwZG, die erfahrungsgemäß umständlich und zeitraubend ist und die Planungen der Bundeswehr behindern muß. Deshalb muß die Behörde in diesen Fällen nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG zustellen können. Dagegen sprechen weder der Umstand, daß die Wehrpflicht höchstpersönlicher Natur ist, noch Interessen, der Sicherstellung des Zugangs des Einberufungsbescheids an den Wehrpflichtigen. Das wird bestätigt durch die inzwischen eingeführte Änderung des § 8 Abs. 1 VwZG durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 19. Mai 1972 (BGBl. I S. 789). Sie schreibt nunmehr im Verwaltungsverfahren ohne Einschränkung die Zustellung an bestellte Vertreter zwingend vor, wenn, wie hier, schriftliche Vollmacht vorgelegt ist. Demgegenüber kann sich der Kläger nicht auf den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 28. November 1967 (NJW 1968, 513) berufen. Dort wird nicht die Zustellung an den Wehrpflichtigen persönlich verlangt, sondern gerade die Ersatzzustellung als zulässig angesehen, jedoch für fehlerhaft gehalten, weil der Wehrpflichtige am Zustellungsort keine Wohnung hatte (§ 11 Abs. 1 VwZG).

Damit gilt die Zustellung des Einberufungsbescheids an den Kläger als am 5. August 1970 erfolgt. Auf weitere Einzelheiten, der Zustellung kommt es nicht an. Sie haben nach § 9 Abs. 2 VwZG nur Bedeutung für den Lauf der Rechtsbehelfsfristen, der hier ohne rechtliche Bedeutung ist.

Das Verwaltungsgericht hat daher die Anfechtungsklage des Klägers zu Recht abgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hat auch zutreffend die Klage gegen die Versagung der Genehmigung nach § 3 Abs. 2 WPflG abgewiesen. Auch sie ist unbegründet, weil, wie oben dargelegt, der Kläger die Erteilung der Genehmigung nicht beanspruchen kann.

Die Revision ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.