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Bundesverwaltungsgericht

Entscheidung vom 28.07.1976, Az.: VIII C 90/75

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. August 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Entscheidungsgründe

I.Die Kläger begehren den Vertriebenenausweis A. Der am 18. April 1886 in Porto Ré (jetzt Kraljevica) geborene Kläger und die am 21. Dezember 1886 in Schleswig geborene Klägerin, die bis zu ihrer Verehelichung ständig im Deutschen Reich lebte und deutsche Staatsangehörige war, sind seit dem 4. Januar 1930 miteinander verheiratet. Sie lebten vor ihrer Übersiedlung in das Bundesgebiet in Jugoslawien und besaßen die jugoslawische Staatsangehörigkeit. Der Kläger wurde von dem Gericht "zum Schütze der nationalen Ehre der Kroaten und Serben" durch Urteil vom 20. Juli 1945 zu fünf Jahren Zwangsarbeit und acht Jahren Ehrverlust verurteilt; sein Vermögen wurde konfisziert. Im März 1965 baten sie um übernähme im Umsiedlungsverfahren. Am 7. Dezember 1965 stellte ihnen das Konsulat eine Gleichstellungsbescheinigung aus, in der es heißt: "... Herr und Frau R. werden nach der Aufnahme im Bundesgebiet deutschen Staatsangehörigen in Rechten und Pflichten gleichgestellt." Am 24. November 1965 trafen die Kläger als jugoslawische Staatsangehörige in N. ein und erhielten zunächst eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis. Als Wohnort wählten sie T.

Am 8. Dezember 1965 beantragten sie beim Landratsamt B., ihnen den Vertriebenenausweis A auszustellen. Durch Bescheide vom 17. April 1967 lehnte das Landratsamt die Anträge ab. Der die Klägerin betreffende Bescheid ist mit der Erwägung begründet, das Amt habe nicht feststellen können, daß sie sich bis zum Ende des zweiten Weltkrieges zum deutschen Volkstum bekannt habe; die Kläger hätten ferner ihren Wohnsitz aus wirtschaftlichen Gründen verloren. Der Antrag des Klägers wurde mit der Begründung abgelehnt, er sei kroatischer Volkszugehöriger. Mit Schreiben vom 20. April 1967, eingegangen am 21. April 1967, teilte die Klägerin Einzelheiten über ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum mit. Auf die Anfrage des Landratsamts, ob die Klägerin Widerspruch eingelegt habe, antwortete der Kläger, seine Frau habe keinen Widerspruch einlegen wollen; wenn die Bundesrepublik einer zurückgesiedelten Deutschen keinen Ausweis geben wollte, würden sie nicht streiten; die Klägerin sei nach 38 Monaten Hin und Her mit ihren Nerven total fertig; schließlich sei sie über 80 Jahre alt. Das Landratsamt hielt das Verfahren damit für abgeschlossen.

Durch Bescheide vom 4. Oktober 1967 lehnte das Landratsamt B. auch die Anträge der Kläger auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit ab. Aufgrund der Rechtsmittelbelehrung in diesen Bescheiden erhob die Klägerin zugleich namens des Klägers am 26. Oktober 1967 "Einspruch" gegen die Bescheide vom 17. April 1967. Durch Bescheid vom 27. Oktober 1967 wies das Landratsamt den Widerspruch als verspätet zurück.

In der Zeit vom 12. September 1969 bis 13. März 1970 hielten sich die Kläger in Jugoslawien auf. Am 23. März 1970 trafen sie in dem Durchgangslager F. ein und begaben sich nach H. Am 6. April 1970 beantragten sie beim Bezirksamt H.-Mitte erneut die Erteilung des Vertriebenenausweises. Am 27. Mai 1970 lehnte das Bezirksamt eine neue Sachentscheidung unter Hinweis auf die Bescheide vom 17. April 1967 ab.

Am 26. Juni 1970 baten die Kläger um Einbürgerung. Die Behörde für Inneres entsprach dem Einbürgerungsantrag. Am 17. Februar 1971 beantragten die Kläger wiederum die Erteilung des Vertriebenenausweises A. Diese Anträge wurden mit Bescheiden vom 4. März 1971 abgelehnt.

Nachdem die Kläger innerhalb H. umgezogen waren, stellten sie am 15. November 1971 beim Bezirksamt W. den vierten Antrag auf Ausstellung des Vertriebenenausweises A. Das Bezirksamt lehnte am 11. April 1972 eine erneute Sachentscheidung ab. Nach erfolglosem Widerspruch haben die Kläger Klage erhoben und beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 11. April 1972 und des Widerspruchsbescheides vom 3. August 1972 die Beklagte zu verpflichten, ihnen den beantragten Ausweis A zu erteilen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, den Klägern stehe ein Anspruch auf erneute sachliche Prüfung nicht zu, weil sich die Sach- und Rechtslage seit den bestandskräftig gewordenen ablehnenden Bescheiden vom 17. April 1967 nicht geändert habe. Auf die Berufung, mit der die Kläger hilfsweise noch zwei weitere Anträge gestellt haben, hat das Oberverwaltungsgericht das verwaltungsgerichtliche Urteil sowie den Bescheid vom 11. April 1972 und den Widerspruchsbescheid vom 3. August 1972 aufgehoben und dem Hauptantrag entsprechend die Beklagte zur Erteilung des Ausweises A für Heimatvertriebene verpflichtet. Es hat dazu ausgeführt: Die Beklagte sei für die Entscheidung örtlich zuständig. Eine Beschränkung der Zuständigkeit für das Wiederaufgreifen auf die Erstbehörde entspreche nicht der Verwaltungspraxis und sei auch für den Antragsteller nachteilig. Die Konzentration der Änderung und Aufhebung gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG bei der Erstbehörde bezwecke jedoch den Schutz des Antragstellers vor abweichenden Beurteilungen der Betreuungsbehörden.

Der Anspruch der Kläger auf erneute Sachentscheidung ergebe sich aus den erleichterten Voraussetzungen des Wiederaufgreifens im Vertriebenenrecht. Es komme darauf an, ob der Antragsteller Tatsachen früher habe geltend machen können. Dem sei gleichzustellen, wenn der Antragsteller Tatsachen nicht vorgetragen habe, deren Erheblichkeit für die Ausstellung des Ausweises er bei aller von ihm zu erwartender Sorgfalt nicht habe erkennen können. Die Kläger hätten nicht erkennen können, auf welche Tatsachen es für die Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit ankomme. Das Landratsamt B. habe seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es die Klägerin nie und den Kläger nicht über den Aufenthalt in Jugoslawien angehört habe. Eine nähere Aufklärung sei erforderlich gewesen, weil die Kläger erkennbar den Rechtsbegriff der deutschen Volkszugehörigkeit nicht verstanden gehabt hätten und in dem Verfahren die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht zu erwarten gewesen wäre. Sie seien bei Antragstellung schon über 80 Jahre alt gewesen und hätten mehr als 20 Jahre in Jugoslawien gelebt. Auch die Versäumung der Widerspruchsfrist seitens der Kläger ändere nichts an der unvollkommenen Sachaufklärung. Die Berufung auf die Unanfechtbarkeit verstoße deshalb gegen Treu und Glauben. Das Landrat samt B. habe seine Entscheidung auch auf das Fehlen des Zusammenhanges von Aussiedlung und Vertreibungsmaßnahmen gestützt. Dies sei offensichtlich rechtswidrig.

Außerdem sei es ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde sich auf die Unanfechtbarkeit der früheren Bescheide berufe. Sie habe zwischen dem Gebot der Rechtssicherheit und dem der Gerechtigkeit abzuwägen. Wenn die Aufrechterhaltung der Entscheidung unerträglich sei, so sei die erneute sachliche Entscheidung geboten. Dies sei vorliegend anzunehmen.

Die Kläger hätten einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Ausweise. Sie erfüllten den Aussiedlungstatbestand. Die Klägerin sei deutsche Volkszugehörige im Sinne von § 6 BVFG. Sie entstamme einer deutschen Familie und habe bis zu ihrem 44. Lebensjahr in Deutschland gelebt. Durch die Heirat habe sie zwar die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, aber ihr Deutschtum nicht aufgegeben. Sie habe ihre deutsche Muttersprache beibehalten und habe sich auch zum deutschen Volkstum bekannt. Zwar habe sie keine Gelegenheit gehabt, ihr deutsches Volkstum Behörden gegenüber zu erklären. Sie habe sich aber gegenüber Dritten dementsprechend verhalten. Sie habe sich von der ihr fremden Bevölkerung distanziert, habe in den Jahren 1934 bis 1939 Kontakt zu deutschen Diplomaten unterhalten und Deutschunterricht sowie Musikstunden im Deutschen Kloster erteilt. Bis 1944 habe sie gelegentlich Gedichte in deutscher Sprache im "Deutschen Volksblatt" veröffentlicht. Von 1941 bis 1945 hätten die Kläger in dem fast rein deutschen Ort Ernestinenhof gelebt und Kontakt zu deutschen Familien gehabt. Sie hätten regelmäßig den deutschen evangelischen Gottesdienst besucht. Als zu Beginn des zweiten Weltkrieges die Lage der Deutschen in Jugoslawien bedrohlich geworden sei, seien sie nach Deutschland geflohen. Auch für den Kläger sei seine Verbundenheit mit dem deutschen Volkstum von prägender Bedeutung gewesen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die zugelassene Revision eingelegt mit dem Antrag,das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und ist der Ansicht, sie sei für die Entscheidung örtlich nicht zuständig; die Kläger hätten auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen; Unkenntnis einer Tatsache stehe der Unkenntnis der Erheblichkeit einer Tatsache nicht gleich; das Oberverwaltungsgericht habe ferner die Anforderungen an die Aufklärungspflicht des Landratsamts überspannt; es habe vermieden, auf die Bedeutung der Tatsache einzugehen, daß die Kläger gegen den begründeten Ablehnungsbescheid keinen Widerspruch eingelegt hätten. Aus dessen Gründen sei ersichtlich gewesen, in welchem Punkt der Sachvortrag unzureichend gewesen sei. Es könne auch nicht der Ansicht des Berufungsgerichts gefolgt werden, nur ein Wiederaufgreifen sei eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese Ansicht beruhe auf den überspannten Anforderungen an die Aufklärungspflicht der Behörde.

Die Kläger beantragen,die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Der Oberbundesanwalt ist der Ansicht, ein Anspruch der Kläger auf erneute Sachentscheidung könne sich nicht darauf stützen lassen, daß sie aus Rechtsunkenntnis die für sie erheblichen Tatsachen nicht hätten vorbringen können.

II.Die Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis mit Recht dem Hauptantrag der Kläger stattgegeben. Die Kläger haben einen Anspruch auf erneute sachliche Entscheidung über ihre Anträge auf Ausstellung des Vertriebenenausweises A. Sie haben ferner einen Anspruch auf Ausstellung dieses Ausweises gegen die Beklagte. Daraus folgt, daß die Beklagte zur Ausstellung der begehrten Ausweise zu verpflichten war. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Der den Klägern zustehende Anspruch auf Wieder auf greifen des bereits unanfechtbar abgeschlossenen Verfahrens richtet sich, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, gegen die Beklagte. Denn örtlich und sachlich zuständig sind die für den ständigen Aufenthalt der Kläger zuständigen Ausweisbehörden, hier das nach nicht revisiblem Landesrecht dafür vorgesehene Bezirksamt W. - Ausgleichsamt - (Vertriebene und Kriegsgeschädigte). Die Frage der örtlichen Zuständigkeit hat der Senat in seinem Urteil vom 5. Juni 1974 - BVerwG VIII C 60.73 - offengelassen. Sie beantwortet sich wie folgt:

Nach § 16 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz - BVFG -, hier anzuwenden in der Fassung vom 3. September 1971 (BGBl. I S. 1566) ist es Sache der Länder, die Ausweisbehörden zu bestimmen. Deren örtliche Zuständigkeit richtet sich regelmäßig nach dem Aufenthalt des Ausweisbewerbers. Dies entspricht allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens, wie sie nunmehr im Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - vom 25. Mai 1976 (BGBl. I S. 1253) zusammengefaßt sind, das vom 1. Januar 1977 an (§ 103 Abs. 1 VwVfG) grundsätzlich auch die Ausführung des Bundesvertriebenengesetzes regelt (§ 1 Abs. 2 und 3 VwVfG). Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG ist die Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Auffassung liegt den Sonderregelungen in § 16 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BVFG zugrunde. Ihr folgt auch die Beklagte, die die Bezirksämter als örtlich und sachlich zuständige Stellen bestimmt hat und damit als örtlich zuständig das Bezirksamt des ständigen Aufenthalts meint (Anordnung zur Durchführung des Bundesvertriebenengesetzes, des Bundesevakuiertengesetzes und des Flüchtlings-Notleistungsgesetzes vom 3. Juli 1962 I Nr. 4 Abs. 1 [Amtlicher Anzeiger 1962 S. 641]). Die danach Örtlich zuständigen Ausweisbehörden sind jedoch nicht nur für den Erstantrag auf Ausstellung eines Ausweises örtlich zuständig. Vielmehr umfaßt ihre Zuständigkeit auch den Fall des Zweitantrags, gerichtet auf Wiederaufgreifen eines durch eine andere Ausweisbehörde unanfechtbar abgeschlossenen Ausweisverfahrens, der hier gegeben ist, weil das Landratsamt B. durch die Bescheide vom 17. April 1967 die Ausstellung der beantragten Vertriebenenausweise A abgelehnt hat und diese Bescheide mangels rechtzeitiger Anfechtung unanfechtbar geworden sind.

Zwar ergibt sich diese Folgerung nicht bereits aus der Erwägung, im letzteren Falle handele es sich gleichermaßen um einen Erstantrag, weil Gegenstand des Verfahrens der Antrag auf Ausstellung des Ausweises sei, dem die unanfechtbare Ablehnung entgegengehalten werde. Diese Sicht der Dinge wird der Sache nicht gerecht. Der Antragsteller stellt in diesem Fall, wie es hier auch die Kläger tun, nicht einen Erstantrag auf Ausstellung des Vertriebenenausweises. Ein derartiger Sachverhalt wäre in Fällen wie den vorliegenden nur dann gegeben, wenn der Antragsteller den Erstantrag verschwiege. Wie der Senat in seinem Urteil vom 5. Juni 1974 - BVerwG VIII C 60.73 - ausgeführt hat, geht das Bundesvertriebenengesetz davon aus, daß nur einmal über die Ausstellung des Ausweises entschieden wird. Ein Erstantrag ist daher aus der Sicht des Vertriebenengesetzes nur dann gegeben, wenn zumindest nach der Begründung kein Antrag mit anschließendem Verfahren vorausgegangen ist. Kein Erstantrag, sondern ein Zweitantrag liegt hingegen vor, wenn der Antragsteller durch Überwindung einer entgegenstehenden unanfechtbar gewordenen Entscheidung die Ausstellung des Ausweises erreichen will. So liegen die Dinge hier. Die örtliche Zuständigkeit der für den ständigen Aufenthalt des Antragstellers zuständigen Ausweisbehörde für die Entscheidung dieses Antrags ergibt sich jedoch aus anderen Gründen. Die örtlich für den ständigen Aufenthalt des Antragstellers zuständigen Ausweisbehörden sind sachlich für alle die Ausstellung des Ausweises betreffenden Entscheidungen zuständig. Sie sind die im Regelfall zuständigen Ausweisbehörden. Ihre Zuständigkeit umfaßt die Ausstellung auf Erstantrag und auf Zweitantrag. Denn die Abgrenzung des örtlichen Wirkungskreises der Ausweisbehörden durch die Länder folgt dem Grundgedanken des Bundesvertriebenengesetzes. Das Gesetz ist bestrebt, den Antragstellern ortsnahe Behörden zur Verfügung zu stellen. Es ist ein Betreuungsgesetz für einen Personenkreis, der wegen seiner Herkunft und seines Schicksals in besonderem Maße betreuungsbedürftig ist. Ortsnahe Behörden gewährleisten eine stärkere Betreuung als ortsfremde. Deshalb ist eine Abweichung von dieser Zuständigkeitsregel nur gerechtfertigt, wenn sie eine besondere Rechtsgrundlage findet.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG keine derartige Rechtsgrundlage. Nach dieser Vorschrift kann eine Behörde oder Stelle (Betreuungsbehörde nach Satz 1 der Vorschrift), die die Entscheidung der zuständigen Behörde über die Ausstellung des Ausweises nicht für gerechtfertigt hält, nur ihre Änderung oder Aufhebung durch die Ausstellungsbehörde beantragen. Diese Zuständigkeitsregelung ist auf den Fall des Zweitantrags nicht anwendbar. Sie betrifft den umgekehrten Fall der Änderung oder Aufhebung der unanfechtbar gewordenen Ausstellung des Ausweises auf Antrag einer Betreuungsbehörde. Weder Zweck noch zugrunde liegende Interessenlage lassen eine Ausdehnung dieser Vorschrift auf den hier gegebenen Fall zu. Die Vorschrift bezweckt, wie die Beklagte richtig ausführt, den Schutz der Betreuungsbehörden gegen die in § 15 Abs. 5 Satz 1 BVFG bestimmte Bindungswirkung eines zu Unrecht ausgestellten Ausweises, nicht den des Ausweisbewerbers, wie das Oberverwaltungsgericht meint. Der Schutz der Betreuungsbehörden steht in Fällen der vorliegenden Art nicht in Rede, weil die Betreuungsbehörden zwar gebunden, aber wegen des negativen Inhalts der Entscheidung nicht leistungspflichtig sind. Die Interessenlage ist dadurch gekennzeichnet, daß zwischen Betreuungsbehörde, Ausstellungsbehörde und Ausweisinhaber ein Ausgleich hergestellt werden muß, der ungerechtfertigte Inanspruchnahmen der Betreuungsbehörde verhindert. Angesichts der Bindungswirkung des Ausweises nach § 15 Abs. 5 Satz 1 BVFG kann der Ausgleich nur durch Änderung oder Aufhebung der Ausweisausstellung erzielt werden. Der Interessenwiderstreit im Hinblick auf die Änderung und Aufhebung des Ausweises besteht zunächst in erster Linie zwischen Betreuungsbehörde einerseits und Ausweisbehörde andererseits. Das ist der Ausgangspunkt der Regelung in § 15 Abs. 5 Sätze 2 und 3 BVFG, wo gerade für diesen Ausgleich ein besonderes Verfahren vorgesehen, ist. Daß an diesem Ausgleich der einander widersprechenden Behörden auf der Seite der Ausweisbehörden die Ausstellungsbehörde beteiligt wird, bietet sich an. Sie ist der remonstrierenden Betreuungsbehörde gegenüber dadurch legitimiert, daß sie über die beanstandete Entscheidung am besten informiert ist, weil sie dieselbe getroffen hat. Das Interesse des Ausweisinhabers steht in diesem Zusammenhang im Hintergrund. Es wird erst dann gewichtig, wenn die Ausweisbehörde zur Änderung oder Aufhebung des Ausweises bereit ist. Bis dahin bleibt es vor allem ein Meinungsstreit zweier Behörden. Daß danach aber die Änderung und Aufhebung des Ausweises dem Inhaber gegenüber gleichfalls von der Ausstellungsbehörde durchzuführen ist, versteht sich nach deren vorausgehender Beteiligung an dem Meinungsstreit der Behörden und dem Verfahren in Satz 3 der Vorschrift von selbst. Das Interesse des Ausweisinhabers, dem dadurch gegebenenfalls eine ortsferne Behörde gegenübertritt, wird dadurch geschützt, daß die Ausweisbehörde die Initiative ergreifen und in seine Ausweisposition eingreifen muß. Dafür trägt sie die materielle Beweislast.

In Fällen der vorliegenden Art liegen die Dinge anders, weil nicht die zweckmäßige Gestaltung eines zwischenbehördlichen Ausgleichs die Auswahl der Ausweisbehörde maßgeblich bestimmt. Hier hat vielmehr das Interesse des Antragstellers maßgebliches Gewicht, weil von ihm der Anstoß für die Behördentätigkeit ausgeht und ihr Inhalt von seinem Interesse bestimmt wird. Interessen einer Betreuungsbehörde sind nicht berührt. Daran ändert nichts, daß die Ausstellung des Ausweises auf Zweitantrag auch eine Änderung oder Aufhebung der entgegenstehenden Erstentscheidung ist, wie der Senat in seinem oben erwähnten Urteil vom 5. Juni 1974 - BVerwG VIII C 60.73 - ausgeführt hat. Denn gleichwohl ist die Interessenlage von der so verschieden, die der Regelung in § 15 Abs. 5 Satz 2 BVFG zugrunde liegt, daß sich aus dieser Regelung keine Rechtfertigung für eine abweichende Zuständigkeitsverteilung unter den Ausweisbehörden ergibt. Dagegen schlägt auch das Interesse an der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen nicht durch. Denn in Fällen wie dem vorliegenden muß der Antragsteller darlegen, daß er einen Zweitantrag stelle. Verschweigt er es, stellt er unzulässig einen neuerlichen Erstantrag, der grundsätzlich nicht zu einer Entscheidung in der Sache führt (Urteil vom 5. Juni 1974 - BVerwG VIII C 60.73 -).

Entgegen der Ansicht der Beklagten entspricht diese Auslegung auch allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen. Das Verwaltungsverfahrensgesetz hat sie uneingeschränkt übernommen. Sie ist dort bei Rücknahme und Widerruf eines unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts auch dann vorgeschrieben, wenn der zurückzunehmende oder widersprechende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen wurde (§ 48 Abs. 5, § 49 Abs. 4 VwVfG). Gleiches ist für das in § 51 Abs. 1 VwVfG geregelte Wiederaufgreifen des Verfahrens bestimmt (§ 51 Abs. 4 VwVfG). Daher ist die Beklagte der richtige Gegner des gegen sie gerichteten Anspruchs auf Wiederaufgreifen. Das Bezirksamt W. - Ausgleichsamt - (Vertriebene und Kriegsgeschädigte) ist die örtlich zuständige Ausweisbehörde.

Die Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs der Kläger auf erneute Sachentscheidung sind gleichfalls gegeben. Die Verwaltung ist befugt, über einen durch unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt beschiedenen materiellrechtlichen Anspruch auf Ausstellung des begehrten Ausweises durch Wiederaufgreifen der Sache erneut sachlich zu entscheiden (BVerwGE 13, 99 [103]; 17, 256 [261]; 35, 234 [236]; 39, 231 [233]; 44, 333 [334]). Darum geht es hier. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang ein solches Wiederaufgreifen erfolgen soll, steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Die Entscheidung vom 6. Juni 1975 - BVerwG IV C 15.73 - (DÖV 1976, 58 mit Anm. von Weiß), die von anderen Überlegungen ausgeht, betrifft einen anderen Fall. Auf die rechtmäßige Ausübung dieses Ermessens hat der Antragsteller im Streit um die Ausstellung eines Vertriebenenausweises einen Anspruch. Der ungeschriebene Rechtssatz über das der Behörde eingeräumte Ermessen zum Wieder auf greifen hat Bezug zum Individualinteresse des Antragstellers. Durch die Befugnis zum Wiederaufgreifen wird die Möglichkeit zu einer Korrektur des unanfechtbar gewordenen Erstbescheids eröffnet. Diese Korrekturmöglichkeit erhält Richtung und Ziel jedenfalls auch durch ihren Gegenstand. Gegenstand ist die nach den Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes getroffene Entscheidung über einen behaupteten Anspruch auf Ausstellung eines Ausweises. Das Bundesvertriebenengesetz dient dem Interesse des begünstigten Personenkreises. Es gewährt den Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlingen Rechtsansprüche auf Ausweise, mit denen sie die Voraussetzungen für Betreuungsmaßnahmen nachweisen können, durch die sie in das wirtschaftliche und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland eingegliedert werden (BVerfGE 27, 297 [307]; Beschluß vom 11. März 1971 - 2 BvR 439/70 - RzW 1971, 416 Nr. 34).

Das Oberverwaltungsgericht hat nun allerdings zu Recht gemeint, im vorliegenden Fall stehe den Klägern ein Anspruch auf Wiederaufgreifen zu. Der Begründung dieser Ansicht ist jedoch nicht in allen Punkten zu folgen. Eine Verpflichtung der Behörde zum Wiederaufgreifen ist anerkannt, wenn eine Änderung der Sach- oder Rechtslage oder Wiederaufnahme gründe des Prozeßrechts geltend gemacht werden (BVerwGE 11, 106 [BVerwG 07.09.1960 - VI C 22/58] [107]; 19, 153 [155]; 24, 115 [117]; 25, 241 [242]; 26, 153 [155]; 28, 122 [125]), in bestimmten Fällen auch das Auffinden sonstiger Beweismittel (BVerwGE 25, 241 [243]). Diese Voraussetzungen treffen hier nicht zu; die Einbürgerung der Kläger ändert daran nichts. Die Kläger machen bei unveränderter Sach- und Rechtslage nur eine unrichtige Gesetzesanwendung beim Erlaß des Erstbescheides geltend.

Das Oberverwaltungsgericht stellt dem zuletzt genannten Fall des Auffindens neuer Beweismittel den Fall gleich, daß dem Antragsteller die Rechtserheblichkeit ihm bekannter Umstände tatsächlicher Art unbekannt geblieben ist, und kommt auf diesem Wege zu einem Anspruch der Kläger auf Wiederaufgreifen. Dieser Auffassung tritt der Oberbundesanwalt zu Recht entgegen. Es gibt keinen Rechtssatz des Verwaltungsverfahrensrechts, der dies bestimmt. Im Gegenteil. Es entspricht allgemeiner Auffassung, daß die nachträglich andere rechtliche Bewertung eines Sachverhalts keinen Anspruch auf Wie der auf greifen begründet. Dann bewirkt dies auch nicht das nachträgliche Vorbringen bereits zur Zeit des Erstverfahrens bekannter Tatsachen, das allein durch eine andere rechtliche Beurteilung der Sache ausgelöst ist (Beschluß vom 22. Januar 1968 - BVerwG VIII B 179.67 - [Buchholz 310 Vorbem. III zu § 42 VwGO Ziff. 5 Nr. 58]). Ausgangspunkt für die Annahme einer Pflicht zum Wiederaufgreifen in Fällen des Auffindens neuer Beweismittel ist außerdem ein anderer, nämlich die Erwägung, daß sich die Entscheidungsgrundlage dadurch nachträglich geändert hat, daß neue Beweismittel verfügbar werden, die eine andere Beurteilung rechtfertigen (BVerwGE 19, 153 [155]; 24, 115 [117]; 25, 241 [243]). Die Antragsteller des Erstverfahrens selbst können als "neue Beweismittel" (vgl. dazu jetzt § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) nicht in Betracht kommen im Einblick auf Umstände, die sie zwar kannten, deren Rechtserheblichkeit ihnen jedoch unbekannt war. Das ist evident. Ihre Erklärungen darüber - welcher Erkenntnisstand ihnen auch zugrunde liegt - sind immer bereits im Erstverfahren verfügbar gewesen (Beschluß vom 13. November 1967 - BVerwG VI B 38.67 -). Zweck und Interessenlage dieses Falles einer Pflicht zum Wiederaufgreifen widersprechen daher entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts seiner Ausdehnung auf bereits im Erstverfahren mögliche, aber erst im Zweitverfahren durch bessere Rechtskenntnis veranlaßte Erklärungen der Antragsteller des Erstverfahrens. Sie schließen sie deshalb aus. Der Senat hat deshalb in dem Beschluß vom 22. Januar 1968 - BVerwG VIII B 179.67 - ausgeführt, eine Pflicht zum Wiederaufgreifen bestehe in Verfahren über die Ausweiserteilung nach dem Bundesvertriebenengesetz auch dann, wenn der Vertriebene oder Sowjetzonenflüchtling nachträglich Kenntnis von Umständen erlangt habe, die für die Entscheidung von Bedeutung seien. Diese Überlegung ergibt gerade, daß dies nicht gilt in Fällen, in denen er die Tatsachen längst kannte, ihm jedoch ihre Rechtserheblichkeit unbekannt geblieben war.

Der Anspruch der Kläger auf Wiederaufgreifen der Sache ergibt sich jedoch aus dem anderen, vom Oberverwaltungsgericht dafür angeführten Entscheidungsgrund.

Das der Behörde eingeräumte Ermessen verengt sich auf Null, wenn die Ablehnung, in eine neue Sachprüfung einzutreten, rechtswidrig wäre. Der Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch wandelt sich in diesem Fall in einen solchen auf Wiederaufgreifen der Sache. Ein solcher Fall wird angenommen, wenn die Aufrechterhaltung des Erstbescheids unerträglich wäre (BVerwGE 28, 122 [127]; 44, 333 [336]), wozu auch zu rechnen ist, daß die Berufung auf die Unanfechtbarkeit des Erstbescheids einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben enthält (Urteil vom 12. Dezember 1967 - BVerwG I C 30.67 - [DVBl. 1968, 918]). So liegen die Dinge wegen der besonderen Verhältnisse dieses Falles hier. Die Erstbescheide sind nämlich offensichtlich rechtswidrig. Sie sind rechtswidrig, weil das Landratsamt B. die Besonderheiten des Falles der Kläger nicht gesehen hat, weil es unabhängig davon seine Ermittlungspflicht verletzt hat und dadurch zu seiner unrichtigen Entscheidung gekommen ist. Sie sind unanfechtbar geworden, weil das Landratsamt B. die ihm den Klägern gegenüber bestehende Betreuungspflicht verletzt hat. Der Betreuungsauftrag des Bundesvertriebenengesetzes indiziert in einem solchen besonders gelagerten Fall einen Vorrang der richtigen, die Betreuung eröffnenden Entscheidung über die Ausstellung des Ausweises vor der unrichtigen, bestandskräftig gewordenen, die die Betreuung hindert.

Die Klägerin ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Heimatvertriebene im Sinne des § 2 Abs. 1 BVFG. Das ergibt sich zwar nicht bereits aus den Entscheidungen im Umsiedlungsverfahren, insbesondere auch nicht aus der Gleichstellungsbescheinigung des Konsulats vom 7. Dezember 1965 (Urteil vom 26. Mai 1976 - BVerwG VIII C 35.75 -). Sie erfüllt aber die gesetzlichen Erfordernisse. Sie hatte am 31. Dezember 1937 ihren Wohnsitz in Jugoslawien und hat von dort nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ihren Wohnsitz in das Gebiet der Bundesrepublik verlegt. Sie ist daher Aussiedlerin im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG; denn sie ist als deutsche Volkszugehörige in die Bundesrepublik gekommen und fällt weder unter den Ausschluß wegen Rückkehr noch bestehen Bedenken wegen der Umsiedlungsgründe.

Wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat und die Beklagte auch nicht mehr in Zweifel zieht, ist die Klägerin deutsche Volkszugehörige im Sinne dieser Vorschrift, weil sie sich im Zeitpunkt unmittelbar vor Beginn der gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahnen (Urteile vom 13. März 1974 - BVerwG VIII C 33.73 und BVerwG VIII C 24.73 -) gemäß § 6 BVFG in Jugoslawien zum deutschen Volkstum bekannt hat. Darauf kommt es hier allein an. Denn die sogenannten Bestätigungsmerkmale liegen vor; sie war im Deutschen Reich geboren und aufgewachsen, lebte dort fast bis zu ihrem 44. Lebensjahr und war bis zu ihrer Heirat mit dem Kläger am 4. Januar 1930 deutsche Staatsangehörige. Das in Jugoslawien abgelegte Bekenntnis zum deutschen Volkstum liegt darin, daß sich die Klägerin mit Beginn des zweiten Weltkrieges im Jahre 1939 aus Jugoslawien in das Deutsche Reich begab, um dort Schutz zu suchen. Dies wirkte sowohl gegenüber den jugoslawischen Behörden als auch gegenüber der jugoslawischen Umgebung der Klägerin als Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Dieses Bekenntnis hat die Klägerin auch nach ihrer Rückkehr nach Jugoslawien aufrechterhalten. Sie wurde wie früher als die reichsdeutsche Ehefrau ihres Ehemannes angesehen und hat diesen Eindruck immer aufrechterhalten. Das Oberverwaltungsgericht hat dazu ergänzend festgestellt, bei allen ihren Lebensäußerungen, auch denen außerhalb des Bekanntenkreises, sei die Einstellung der Klägerin zu einem Deutschtum erkennbar geworden, wie es nur eine Reichsdeutsche habe vermitteln können. Daher war sie im maßgeblichen Zeitpunkt deutsche Volkszugehörige. Auf die weiteren Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu dieser Frage kommt es nicht an.

Die Ausschlußvoraussetzungen in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG liegen nicht vor. Die Klägerin ist zwar nach dem 8. Mai 1945, nämlich am 12. September 1969 nach Jugoslawien eingereist und hat sich dort bis 23. März 1970 aufgehalten. Gleichwohl hat sie ihr Aussiedlungsgebiet im Sinne der Vorschrift bereits im November 1965 verlassen. Ihr erneuter Aufenthalt in Jugoslawien lag zeitlich danach und führt auch nicht zum Ausschluß von der Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen nach § 11 Satz 1 Nr. 5 BVFG. Denn die Klägerin ist nicht nach Jugoslawien verzogen im Sinne dieser Vorschrift. Ihr dortiger Aufenthalt war als vorübergehend gedacht. Er diente der Wiederherstellung ihrer Gesundheit, wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat. Für ihn hatte die Klägerin damit einen wichtigen Grund im Sinne dieser Vorschrift.

Endlich konnte der Klägerin auch nicht die Erwägung entgegengehalten werden, sie habe Jugoslawien nur aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt der Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG die Erwägung zugrunde, der Aussiedler sei das Opfer der Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen (zuletzt Urteile vom 13. März 1974 - BVerwG VIII C 24.73 und BVerwG VIII C 33.73 -). Die Ursächlichkeit dieser Spätfolgen für das Verlassen des Aussiedlungsgebiets braucht aber nicht festgestellt zu werden (zuletzt Urteile vom 27. Mai 1970 - BVerwG VIII C 51.68 und BVerwG VIII C 71.66 -). Zwar vertritt der Bundesgerichtshof in dieser Frage die Ansicht, ursächlich für das Verlassen des Aussiedlungsgebiets müsse die mit der Lage des Aussiedlers als deutscher Volkszugehöriger zusammenhängende Nötigung des Aussiedlers sein, seine Heimat aufzugeben. Er ist aber der Ansicht, daß an den Nötigungsstand keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BGH, RzW 1974, 39). Auch nach dieser Ansicht ist die Klägerin Aussiedlerin. Denn es sind keine Umstände festgestellt oder ersichtlich, daß sie andere Gründe zum Verlassen Jugoslawiens bewegen nahen als ihr Deutschtum und die immer größer werdende Vereinsamung, in die sie als deutsche Volkszugehörige in Jugoslawien geraten war. Mithin ist die Klägerin Vertriebene nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG und damit Heimatvertriebene nach § 2 Abs. 1 BVFG.

Ob der Kläger in seiner Person die Voraussetzungen in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG erfüllt, wie das Oberverwaltungsgericht meint, kann dahingestellt bleiben. Denn er gilt als Heimatvertriebener nach § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 3 BVFG. Er hat als Ehegatte einer Heimatvertriebenen seinen ständig mit ihr geteilten Wohnsitz in Jugoslawien verloren, was auch durch freivilligen Wegzug möglich ist (Urteile vom 8. Oktober 1965 - BVerwG VIII C 35.64 -; 27. Mai 1970 - BVerwG VIII C 50.68 -; 30. Mai 1973 - BVerwG VIII C 5.72 -; 13. Februar 1974 - BVerwG VIII C 29.73 -). Die Kläger sind daher offensichtlich Heimatvertriebene.

Diese Rechts- und Sachlage war bereits bei Erlaß der Bescheide vom 17. April 1967 bekannt. Das ergibt sich aus den Akten des Landratsamtes B., die der Senat verwerten kann, weil sie das Oberverwaltungsgericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und der Sachschilderung zugrunde gelegt hat. Zwar hat das Innenministerium B. in der Sache der Kläger mit Schreiben an das Regierungspräsidium S. vom 15. März 1967 die Ansicht vertreten, die Kläger seien nicht Vertriebene, weil sie Jugoslawien aus wirtschaftlichen Gründen verlassen hätten. Dieses Schreiben war dem Landratsamt B. vom Regierungspräsidium dienstlich bekanntgegeben worden. Diese Rechtsansicht hat Eingang in die Begründung der Bescheide vom 17. April 1967 gefunden. Sie widersprach indessen der bereits damals bekannten, durch zahlreiche Entscheidungen gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 12. Oktober 1955 - BVerwG III C 116.54 - [NJW 1956, 276]; 22. März 1961 - BVerwG VIII C 284.59 - [DÖV 1962, 395]; 8. Februar 1962 - BVerwG VIII C 107.60 - [ZLA 1962, 257]; 9. Juli 1964 - BVerwG VIII C 49.62 - [teilweise in BVerwGE 19, 117]; 8. Oktober 1965 - BVerwG VIII C 35.64 - [ZLA 1966, 283]), die sich gegenüber der engeren Auffassung (BVerwGE 8, 141; Urteil vom 25. Mai 1961 - BVerwG III C 177.60 - [Buchholz 427.3 § 11 LAG Nr. 26]) durchgesetzt hatte. Dieser Fehler ist der Behörde zuzurechnen, unabhängig davon, ob sie hätte anders verfahren können.

Der hier tätig gewordenen Umsiedlungsabteilung des Landratsamts B. waren auch die für die Vertriebeneneigenschaft der Klägerin maßgeblichen Umstände bekannt. Ernstlich zweifelhaft war dabei nur die Frage des Bekenntnisses der Klägerin zum deutschen Volkstum. Der Umsiedlungsabteilung war dazu bekannt, daß die Klägerin bis zu ihrer Eheschließung mit dem Kläger deutsche Staatsangehörige war. Weiter lag ihr die Fotokopie eines Schreibens der Klägerin aus den Ausländerakten vor, in dem die Klägerin ihre Übersiedlung in das Reichsgebiet wegen des zweiten Weltkriegs, ihre Erlebnisse in G. und ihre Rückkehr in das damalige Kroatien am 15. August 1941 schilderte. Von diesen Umständen aus drängte es sich auf, daß sich die Klägerin, die immer wieder auf ihr Deutschtum hingewiesen hatte, in Jugoslawien zum deutschen Volkstum bekannt hatte. Deshalb ist es nicht einleuchtend, daß die Umsiedlungsabteilung überwiegend der Frage nachging, ob der Kläger deutscher Volkszugehöriger sei, ohne die schon nach dem ersten Anschein ergiebigeren Lebensumstände der Klägerin zu erforschen. Auch wenn das Amt nicht in der Lage gewesen sein sollte, aus diesen Umständen sachgerechte Schlüsse zu ziehen, so ergab sich für es doch daraus und aus anderen Umständen die Notwendigkeit, die Klägerin und ihren Ehemann zur Frage eines Bekenntnisses der Klägerin zu vernehmen. Daß dies, wie das Ministerium Baden-Württemberg in dem genannten Schreiben vom 15. März 1967 ausführte, nicht zweckdienlich gewesen wäre, ist eine unverständliche Folgerung. Die Kläger waren damals 80 Jahre alt. Sie waren weder bei der Heimatortskartei noch bei der Heimatauskunftsstelle Jugoslawien bekannt. Sie waren nicht vertreten und hatten keine Unterstützung von Schicksalsgenossen. Ihnen war der Inhalt des Rechtsbegriffs der deutschen Volkszugehörigkeit nicht bekannt. Das ging aus den Schreiben der Klägerin hervor, die immer wieder auf ihre ehemalige deutsche Staatsangehörigkeit hinwies. Die Umsiedlungsabteilung tat nichts, die Kläger aufzuklären. Sie forderte sie am 21. Dezember 1965 auf, sowohl einen Wohnsitznachweis als auch einen Nachweis für ihre deutsche Staats- bzw.

Volkszugehörigkeit zu erbringen, was für die Kläger angesichts der Gleichstellungsbescheinigung vom 7. Dezember 1965 schwerlich verständlich war. Sie mahnte am 25. Februar 1966 nur noch wegen des Wohnsitznachweises und sie belehrte sie in dem Schreiben vom 10. März 1966 mit abstrakten Erläuterungen über die Notwendigkeit, Unterlagen beizubringen und Beweismittel zu benennen. Daraus konnten die Kläger weder erkennen, welchen Inhalt der Rechtsbegriff der deutschen Volkszugehörigkeit hat, noch wie dessen Voraussetzungen bewiesen werden könnten.

Angesichts dieser offen zutage tretenden Unklarheiten war es notwendig, die Kläger darüber zu informieren, worauf es ankomme und sie gezielt zu befragen. Das war sachgerecht nur durch mündliche Befragung möglich. Statt dessen begnügte sich die Umsiedlungsabteilung, wie im Bericht vom 12. Januar 1967 an das Regierungspräsidium dargelegt, mit routinegemäßer Erforschung des Wohnsitzes, der Zugehörigkeit zu Vereinen und des Werdegangs der Kläger, ohne darauf einzugehen, daß die Kläger ein vom üblichen Lebensablauf der Vertriebenen abweichendes Schicksal hatten. Hätte die Umsiedlungsabteilung diese Vernehmung durchgeführt, wie es das Oberverwaltungsgericht acht Jahre später getan hat, so hätte sie dem Antrag der Kläger stattgegeben. So hat sie ihn fälschlich abgelehnt.

Das Landratsamt B. hat auch durch sein, die Besonderheiten des Falles der Kläger vernachlässigendes Verfahren den Eintritt der Unanfechtbarkeit seiner falschen Entscheidung erreicht. Die Kläger hatten die Bescheide vom 17. April 1967 zunächst rechtzeitig angefochten. Das Schreiben der Klägerin vom 20. April 1967 ist, allein betrachtet, ein Widerspruch gegen die ablehnenden Bescheide. Die Klägerin wehrt sich darin gegen die ihr erstmals die Merkmale des § 6 BVFG bekanntgebende Begründung des Bescheides, es habe nicht festgestellt werden können, daß sie sich bis Ende des zweiten Weltkriegs zum deutschen Volkstum bekannt habe. Damit ist ihr Wille genügend deutlich ausgedrückt, eine Änderung der ergangenen Bescheide herbeizuführen. Das genügt, um einen Widerspruch anzunehmen. Gleichwohl hat das Umsiedlungsamt die Klägerin mit Schreiben vom 2. Mai 1967 um Aufklärung gebeten, ob sie Widerspruch habe einlegen wollen und damit die offensichtlich auf Verärgerung beruhende Erklärung des Klägers vom 5. Mai 1967 veranlaßt, die Klägerin habe nicht an einen Widerspruch gedacht. Daß diese Erklärung nicht auf der Einsicht in die Folgen beruhte, zeigt die Hinzufügung, wenn die Bundesrepublik einer zurückgesiedelten Deutschen keinen Ausweis geben wolle, würden sie nicht mit den Behörden darüber streiten; die Klägerin sei nach 38 Monaten Hin und Her mit den Nerven total fertig. Zu dieser Erklärung, mit der der Kläger den Widerspruchswillen der Klägerin bestritt, kam es nur deshalb, weil das Landratsamt B. die Kläger nicht über die Folgen aufgeklärt hatte, die sich aus dem Unterbleiben des Widerspruchs ergaben. Zwar waren die Bescheide mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen. Diese Rechtsmittelbelehrung gab aber keine Auskunft darüber, welche Folgen sich für das Verfahren der Kläger zur Feststellung ihrer Staatsangehörigkeit und ihre künftige Betreuung und Eingliederung ergaben. Zu einer solchen Aufklärung war das Landratsamt B. verpflichtet. Sie ergab sich aus der ihr den Klägern gegenüber obliegenden Betreuungspflicht. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß Behörden, deren Aufgabe es ist, aus sozialen Gründen den Begünstigten Leistungen zu gewähren, auch verpflichtet sind, die Begünstigten in sachgemäßer Weise bei der Verfolgung ihrer Ansprüche zu betreuen (BVerwGE 16, 156 [159], 323 [330]; 26, 201 [203]; 34, 93 [96]). Diese Pflicht haben auch die Ausweisbehörden gegenüber den Ausweisbewerbern. Denn einerseits ist die Ausstellung des Ausweises Grundlage für die Betreuung der Ausweisinhaber durch soziale Leistungen, andererseits gehören die Vertriebenen und Flüchtlinge zu einem besonders betreuungsbedürftigen Personenkreis. Die Betreuung umfaßt vor allem das Verwaltungsverfahren und ist jedenfalls in Ausnahmefällen auch darauf gerichtet, den Antragsteller über die Folgen seines Verhaltens aufzuklären. Ein solcher Fall war der der Kläger. Sie waren 80 Jahre alt, sie waren nicht vertreten, sie hatten keine Unterstützung von Vertriebenenorganisationen, sie kannten die einschlägigen Vorschriften nicht, sie waren sich über die Folgen nicht im klaren und sie handelten offensichtlich aus Verärgerung. Das Landratsamt war angesichts dieser besonderen Lage verpflichtet, den Klägern zu erklären, daß sie mit dem Unanfechtbarwerden der ablehnenden Bescheide die Aussicht verlören, mit ihrem Antrag im Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren durchzudringen, Betreuung nach einschlägigen Betreuungsgesetzen zu erfahren und gegebenenfalls Rente aus der Sozialversicherung zu erhalten. Diese Folgen wurden den Klägern erst mit der Ablehnung ihrer Anträge im Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren durch Bescheide vom 4. Oktober 1967 bekannt, die auf die Ablehnung ihrer Anträge auf Ausstellung der begehrten Ausweise gestützt war. Hätte das Landratsamt B. die Kläger entsprechend aufgeklärt, so hätten die Kläger die Bescheide vom 17. April 1967 nicht unanfechtbar werden lassen. Denn sie haben nach Erlaß der Bescheide vom 4. Oktober 1967 mit Schreiben vom 24. Oktober 1967 verspätet Widerspruch gegen sie eingelegt. Angesichts der damals bereits bestehenden Sach- und Rechtslage muß der Senat davon ausgehen, daß über die Anträge der Kläger dann zutreffend entschieden und den Klägern die Ausweise ausgestellt worden wären. Daß es nicht dazu kam, beruht auf der Verletzung der Betreuungspflicht.

Angesichts dieser Häufung behördlichen Fehlverhaltens und der offensichtlichen Unrichtigkeit der ablehnenden Entscheidung ist es nicht erträglich an der Unanfechtbarkeit festzuhalten, zumal da auch die persönlichen Verhältnisse der Kläger für eine erneute sachliche Entscheidung sprechen. Sie sind jetzt 90 Jahre alt, haben sich nach den Erlaß der Bescheide vom 17. April 1967 inner wieder bemüht, die begehrten Ausweise zu bekennen, die sie bereits vor zehn Jahren hätten erhalten sollen, und leben nach ihren Angaben in Armenrechtsgesuch von einer kleinen Rente. Es widerspräche letztlich auch den Betreuungsauftrag des Bundesvertriebenengesetzes, der Ansicht der Beklagten zu folgen, die der Bestandskraft der unrichtigen, Betreuung hindernden Entscheidung den Vorzug vor der richtigen, Betreuung eröffnenden Entscheidung gibt. Ob dies in allen Fällen gelten kann, in denen die Ausstellung eines Vertriebenenausweises unanfechtbar abgelehnt wurde, braucht hier nicht entschieden zu werden. In Fällen wie dem vorliegenden ist dies zu bejahen. Denn die Kläger gehören offensichtlich zu dem begünstigten Personenkreis, dem das Gesetz Betreuung zukommen läßt. Ihre Betreuungsbedürftigkeit hat sich durch fehlerhafte Verwaltungstätigkeit gesteigert.

Allerdings lägen die Dinge anders, wenn zuungunsten der Kläger berücksichtigt werden müßte, daß sie auch die Ablehnung des Wiederaufgreifens des Ausweisverfahrens durch die Bescheide vom 27. Mai 1970 und 4. März 1971 haben unanfechtbar werden lassen. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn da Ausgangspunkt der Betrachtung die Erwägung ist, daß es im Ermessen der Behörde liegt, ob sie das abgeschlossene Verfahren wieder aufgreifen wolle, war es grundsätzlich Sache der Beklagten, zu bestimmen, aus welchen Gründen sie sich für oder gegen das Wiederaufgreifen entscheiden wolle. Unter den möglichen Gründen - sofern sie sachgerecht waren und die Ermessensgrenzen nicht überschritten - hatte sie die Wahl. Sie standen zu ihrer Disposition. Deshalb konnte sie auch von vornherein jedenfalls dann auf die Heranziehung derartiger Gründe verzichten, wenn sich dies im Rahmen rechtmäßiger Ermessensausübung hielt. So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat darauf verzichtet, den Klägern die Unanfechtbarkeit der vorausgehenden Ablehnung des Wiederaufgreifens entgegenzuhalten. Sie hat seit Erlaß der Bescheide vom 17. April 1967 jeden weiteren Bescheid über die Ausstellung der begehrten Ausweise durch ihre Behörden erlassen. In keinem dieser Verfahren ist die Entscheidung auf die unanfechtbare Ablehnung des Wiederaufgreifens gestützt. Das beruht darauf, daß sie dies nicht wollte. Das hat sie den Klägern auch erklärt. Sie hat ihnen gewissenhafte Prüfung ihrer Anträge zugesagt, wie es in dem angefochtenen Bescheid vom 11. April 1972 heißt. Darunter verstand sie eine Prüfung unabhängig von den ablehnenden Entscheidungen, wie sie in einem Schreiben des Bezirksamts W. - Ausgleichsamt - (Vertriebene und Kriegsgeschädigte) der Beklagten an das Bundesverwaltungsamt vom 24. Februar 1972 angibt, dessen Inhalt das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat und das der Senat deshalb verwerten kann. Wollte das Amt von den ablehnenden Entscheidungen absehen, so wollte es sich Jedenfalls nicht von der Unanfechtbarkeit der Ablehnung des Wiederaufgreifens bestimmen lassen. Sie hat sie den Klägern daher auch nicht entgegengehalten. Der Verzicht, sich von diesem rechtlichen Gesichtspunkt bestimmen zu lassen, ist rechtmäßig. Er liegt im Rahmen der Abwägung des Gewichts der Bestandskraft, die Gegenstand des Ermessensgebrauchs der Behörde ist. Mithin muß dieser Umstand für die Beurteilung ausscheiden. Dann bleibt es jedoch dabei, daß es unerträglich ist und dem Betreuungsauftrag des Bundesvertriebenengesetzes widerspricht, an der Bestandskraft der ablehnenden Bescheide vom 17. April 1967 festzuhalten.

Die Kläger haben daher einen Anspruch darauf, daß das unanfechtbar abgeschlossene Verfahren über die Ausstellung der von den Klägern begehrten Ausweise wieder aufgegriffen wird. Die Beklagte war daher verpflichtet, erneut sachlich, über die Anträge der Kläger zu entscheiden. Die Sachentscheidung konnte nur auf Ausstellung der begehrten Ausweise lauten. Darauf haben die Kläger einen Anspruch, wie oben bereits dargelegt ist. Das angefochtene Urteil ist daher zutreffend, die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.