Hamburgisches Oberverwaltungsgericht
Entscheidung vom 11.01.2012, Az.: 5 Bs 213/11
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. Oktober 2011 abgeändert. Der Antragsgegnerin wird vorläufig bis zur Durchführung eines erneuten Auswahlverfahrens bzw. einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt, die unter der Kennziffer J62/12/04/11 ausgeschriebene Stelle einer Vorsitzenden Richterin bzw. eines Vorsitzenden Richters am Landgericht mit der Beigeladenen zu besetzen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Antragsgegnerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 19.134,90 Euro festgesetzt.
Entscheidungsgründe
I.
Der Antragsteller begehrt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die Besetzung einer Beförderungsstelle beim Landgericht Hamburg vorläufig zu untersagen.
Unter der Kennziffer ... schrieb die Antragsgegnerin im März 2011 die Stelle einer Vorsitzenden Richterin bzw. eines Vorsitzenden Richters am Landgericht aus. In der Ausschreibung heißt es, dass die bisherige Stelleninhaberin Vorsitzende einer Strafkammer gewesen sei. Für diese Stelle bewarben sich neben anderen der Antragsteller sowie die Beigeladene, die als Richter bzw. Richterin am Landgericht Hamburg tätig sind.
Unter dem 6. Juni 2011 äußerte sich die Präsidentin des Landgerichts in einer „Stellungnahme“ zur Bewerbung des Antragstellers um die ausgeschriebene Stelle. Zusammenfassend kam sie zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller „sehr gut“ geeignet sei, den Vorsitz einer Kammer zu übernehmen. Ebenfalls unter dem 6. Juni 2011 äußerte sich die Präsidentin des Landgerichts zur Bewerbung der Beigeladenen. In dieser gleichfalls mit „Stellungnahme“ überschriebenen Äußerung kam sie zu dem Ergebnis, dass die Beigeladene „hervorragend“ geeignet sei, das Amt einer Vorsitzenden Richterin zu übernehmen.
Mit einem „Vorschlag gemäß § 24 a HmbAGGVG“ vom 4. Juli 2011 schlug der Vizepräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Vertretung für dessen Präsidentin vor, die Beigeladene zur Vorsitzenden Richterin zu ernennen: Sie sei hervorragend geeignet, das in Aussicht genommene Amt zu übernehmen. In einer „Stellungnahme“ zur Bewerbung des Antragstellers mit Datum ebenfalls vom 4. Juli 2011 führte der Vizepräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts aus, dass der Antragsteller für das ausgeschriebene Amt sehr gut geeignet sei. Gleichwohl sei ihm nicht der Vorzug vor der Beigeladenen zu geben, da diese sich sowohl in fachlicher als auch in persönlicher Hinsicht in noch höherem Maße für das in Aussicht genommene Amt qualifiziert habe.
In einem Auswahlvermerk vom 21. Juli 2011 schloss sich die Antragsgegnerin der Einschätzung des Vizepräsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts an: Die Beigeladene sei im Hinblick auf ihre Eignung, Befähigung und fachliche Leistung für die ausgeschriebene Stelle im Vergleich mit u.a. dem Antragsteller besser beurteilt worden, da sie als hervorragend geeignet bewertet worden sei. Sie weise mit dieser Schlussbewertung einen Vorsprung zu dem Leistungs- und Eignungsstand u.a. des Antragstellers auf, der sowohl von der Präsidentin des Landgerichts als auch dem Vizepräsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts für (lediglich) sehr gut geeignet gehalten worden sei.
Die Senatorin der Behörde für Justiz und Gleichstellung unterbreitete daraufhin dem Richterwahlausschuss (Art. 63 Abs. 1 der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg - HV-) den Vorschlag, die Beigeladene zur Vorsitzenden Richterin am Landgericht zu ernennen. Der Richterwahlausschuss stimmte diesem Vorschlag auf seiner Sitzung am 31. August 2011 zu.
Mit Schreiben vom 1. September 2011 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Wahl nicht auf ihn entfallen sei. Hiergegen legte der Antragsteller unter dem 3. September 2011 Widerspruch ein.
Am 5. Oktober 2011 hat er des Weiteren beim Verwaltungsgericht Hamburg sinngemäß beantragt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, die ausgeschriebene Beförderungsstelle zunächst nicht zu besetzen bzw. – hilfsweise – festzustellen, dass sein Widerspruch gegen den „Bescheid“ vom 1. September 2011 aufschiebende Wirkung habe.
Diese Anträge hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Oktober 2011 abgelehnt: Der Hauptantrag habe keinen Erfolg, da die Auswahlentscheidung zu Gunsten der Beigeladenen nicht zu beanstanden sei. Der Hilfsantrag sei unzulässig, da sich der vorläufige Rechtsschutz in einem Fall der vorliegenden Art nach § 123 Abs. 1 VwGO richte.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde, mit der er seinen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO weiter verfolgt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 147 Abs. 1 Satz 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO). Sie ist auch sachlich begründet. Der Senat, der in entsprechender Anwendung von § 88 VwGO an den Wortlaut des gestellten Antrages nicht gebunden ist, versteht das Begehren des Antragstellers bei verständiger Würdigung dahin, dass es ihm darum geht, der Antragsgegnerin vorläufig bis zur Durchführung eines erneuten Auswahlverfahrens bzw. einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, die in Frage stehende Beförderungsstelle mit der Beigeladenen zu besetzen. Dieses Anliegen verfolgt der Antragsteller in der Beschwerdeinstanz zutreffend (nur noch) mit einem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO (1.). Dieser Antrag hat auch Erfolg, da der Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich ist, um den durch Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers zu sichern (2.).
1. Ebenso wie ein Beamter hat ein Richter im Fall einer Bewerbung um ein Amt mit einem höheren Endgrundgehalt grundsätzlich keinen Anspruch auf Beförderung, sondern nur darauf, dass über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei in einem den rechtlichen Anforderungen genügenden Auswahlverfahren entschieden wird (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 16.11.2011, 1 Bs 160/11, juris Rn. 5 m.w.N.). Der vorläufige Rechtsschutz zur Sicherung dieses sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden sog. Bewerbungsverfahrensanspruch richtet sich nicht nach §§ 80 Abs. 5, 80 a VwGO, sondern nach § 123 Abs. 1 VwGO. Für die entgegenstehende Ansicht (z.B. VG Frankfurt, Beschl. v. 19.5.2011, 9 L 499/11.F, juris Rn. 2) wird insbesondere das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 2010 zur Aufhebung der Ernennung eines Gerichtspräsidenten in einem Konkurrentenstreit (BVerwGE 138, 102 ff.) zu Unrecht in Anspruch genommen. Zwar stellt nach dieser Entscheidung die Ernennung des in einem Stellenbesetzungsverfahren erfolgreichen Bewerbers einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung dar, der in den Bewerbungsverfahrensanspruch eines unterlegenen Bewerbers eingreift (vgl. a.a.O., 105, Rn. 17). Im vorliegenden Fall liegt indes noch keine Ernennung der Beigeladenen vor. Er betrifft vielmehr den Zeitraum zwischen der Auswahlentscheidung im engeren Sinne und der erst später folgenden Ernennung. Das Rechtsschutzziel des unterlegenen Bewerbers ist in dieser Phase grundsätzlich nicht nur auf die Aufhebung der zu seinen Ungunsten ergangenen Auswahlentscheidung gerichtet, sondern darüber hinaus auf die Verpflichtung seines Dienstherrn zur Durchführung eines erneuten Auswahlverfahrens mit dem Ziel, letztlich selbst befördert zu werden. Da sich dieses Begehren mit einer bloßen Anfechtungsklage nicht sicherstellen ließe, steht dafür allein die Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage zur Verfügung, mit der - auf der Ebene des vorläufigen Rechtsschutzes – der Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO korrespondiert (ebenso die nach wie vor fast einhellige Auffassung, z.B. BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, BVerwGE 138, 102, 110 Rn. 31; VGH Mannheim, Beschl. v. 13.10.2011, IÖD 2011, 275, 276; VGH Kassel, Beschl. v. 23.8.2011, DVBl. 2011, 1436).
2. Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat auch in der Sache Erfolg. Der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers ist im vorliegenden Fall verletzt worden, so dass zur Sicherung dieses Anspruchs – unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, soweit sie entgegensteht – die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen ist.
Die Entscheidung über eine Beförderung eines Richters obliegt nach Maßgabe des Personalbedarfs und des Vorhandenseins freier besetzbarer Planstellen dem zuständigen Organ, in Hamburg dem Senat der Antragsgegnerin auf Vorschlag des Richterwahlausschusses (Art. 63 Abs. 1 S. 1 HV). Senat und Richterwahlausschuss haben sich bei ihrer Entscheidung an den sich aus Art. 33 Abs. 2 GG bzw. Art. 59 Abs. 1 HV ergebenden Grundsatz zu halten, dass Beförderungsdienstposten nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergeben sind (vgl. zur Bindung auch des Richterwahlausschusses ungeachtet seiner besonderen Stellung als in der Verfassung vorgesehenes Kollegialorgan z.B. OVG Hamburg, Beschl. v. 1.12.2010, 5 Bs 205/10; OVG Schleswig, Beschl. v. 15.1.1999, NordÖR 1999, 253, 254). Insoweit besteht ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum. Dies gilt auch und gerade dann, wenn – wie hier – für die Besetzung eines Beförderungsdienstpostens unter mehreren Bewerbern eine Auswahl zu treffen ist.
Bei der Auswahlentscheidung sind die Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in erster Linie auf dienstliche Beurteilungen zu stützen. Hierbei kommt regelmäßig den letzten Beurteilungen besondere Bedeutung zu, weil für die zu treffende Bestenauslese auf den aktuellen Stand abzustellen ist (z.B. BVerwG, Urt. v. 27.2.2003, NVwZ 2003, 1397; Urt. v. 19.12.2002, NVwZ 2003, 1398; OVG Hamburg, Beschl. v. 1.12.2010, 5 Bs 205/10). Die Auswahlentscheidung zu Gunsten der Beigeladenen wäre nach diesen Grundsätzen nicht zu beanstanden, wenn man insbesondere auf Grund der vorliegenden dienstlichen Beurteilungen ohne Verfahrens- und Beurteilungsfehler zutreffend zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass die Beigeladene im Hinblick auf Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung einen Vorsprung vor dem Antragsteller besitzt. Derartiges lässt sich jedoch nicht feststellen. Zwar wurden der Auswahlentscheidung aktuelle Beurteilungen zugrunde gelegt (a), die trotz Fehlens einer gesetzlichen Grundlage auch verwendet werden durften (b). Ein Leistungsvorsprung der Beigeladenen lässt sich diesen Beurteilungen aber fehlerfrei nicht entnehmen, weil die Beurteilung des Antragstellers an einem wesentlichen Mangel leidet (c), der auch durch die Einlassungen der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren nicht geheilt worden ist (d). Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Antragsteller in einem ordnungsgemäß durchgeführten Auswahlverfahren zum Zuge kommt, ist die beantragte einstweilige Anordnung erforderlich (e).
a) Die Auswahlentscheidung leidet – im Gegensatz zu den Ausführungen des Antragstellers in seiner Beschwerdebegründung – allerdings nicht an dem Mangel, dass sie – so der Antragsteller – nicht auf der Grundlage aktueller Beurteilungen getroffen wäre.
Nach den vorliegenden Unterlagen erfolgte die Auswahlentscheidung insbesondere unter Berücksichtigung der Äußerungen der Präsidentin des Landgerichts Hamburg vom 6. Juni 2011, der dort in Bezug genommenen Äußerungen aus den Jahren 2008 bis 2010 sowie den sich anschließenden Äußerungen des Vizepräsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 4. Juli 2011. Zwar sind diese Äußerungen durchweg als „Stellungnahme“ und nicht etwa „Beurteilung“ bezeichnet worden. Auf den Wortlaut kommt es insoweit aber nicht an. Unabhängig von ihrer Bezeichnung im Einzelfall fallen unter den Begriff der dienstlichen Beurteilung Äußerungen über die erbrachten Leistungen eines Richters sowie über seine Befähigung bzw. Eignung für ein Amt (vgl. Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Loseblattausgabe, Ordner 2, Stand: Oktober 2011, B 216, C 538). Diesen Voraussetzungen werden die hier in Frage stehenden Stellungnahmen gerecht, da sie bzw. die dort ggfs. in Bezug genommenen dienstlichen Äußerungen von Vorsitzenden Richterinnen sich mit den Leistungen von Antragsteller und Beigeladener sowie deren Eignung für das angestrebte Amt auseinandersetzen. Ob die jeweiligen Einschätzungen sachlich zutreffend bzw. in sich stimmig und schlüssig sind, hat auf die Frage, ob sie der Form nach als Beurteilung einzustufen sind, keinen Einfluss. Auch im Hinblick auf die notwendige Aktualität begegnen die fraglichen Stellungnahmen keinen Bedenken.
b) Die demnach vorliegenden Beurteilungen durften im vorliegenden Fall auch herangezogen werden, obwohl es in Hamburg derzeit noch keine Beurteilungsrichtlinien gibt, die sich auf eine gesetzliche Grundlage zurückführen lassen und Einzelheiten etwa über den Inhalt der anzufertigenden Beurteilungen regeln (vgl. zur Notwendigkeit einer solchen Ermächtigung jedenfalls bei einer grundlegenden Umgestaltung eines Beurteilungssystems BVerwG, Beschl. v. 26.5.2009, BVerwGE 134, 39, 60). Zwar existiert mittlerweile in Gestalt des durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Richtergesetzes vom 15. November 2011 (HmbGVBl. S. 503) eingeführten § 3 a des Hamburgischen Richtergesetzes eine gesetzliche Grundlage für den Erlass von Beurteilungsrichtlinien durch die für die Justiz zuständige Behörde. Zum Erlass derartiger Richtlinien ist es aber bisher noch nicht gekommen. Das steht der Heranziehung der vorliegenden Beurteilungen jedoch nicht entgegen. Wäre es anders, wären der Antragsgegnerin sachgerechte Auswahlentscheidungen auf einer hinreichend gesicherten Beurteilungsgrundlage nicht möglich, da es den zur Entscheidung berufenen Gremien an eigener Kenntnis von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung der Bewerber regelmäßig fehlt. Die Folge wäre, dass bis zum Erlass der ausstehenden Richtlinien keine Lebenszeitanstellungen und Beförderungen von Richterinnen und Richtern mehr vorgenommen werden könnten. Dies dürfte zu einer anhaltenden Leistungseinschränkung der hiesigen Justiz führen, die mit der Rechtsschutzgewährleistung aus Art. 19 Abs. 4 GG nur schwerlich vereinbar sein dürfte (so bereits OVG Hamburg, Beschl. v. 1.12.2010, 5 Bs 205/10).
c) Die vorgenommene Auswahlentscheidung ist allerdings deshalb zu beanstanden, weil sich aus den vorliegenden und heranziehbaren Beurteilungen kein nachvollziehbarer Eignungsvorsprung der Beigeladenen ergibt.
Eine Beurteilung erweist sich nur dann als belastbare Grundlage für eine rechtmäßige Auswahlentscheidung, wenn sie auf einer zuverlässigen Erkenntnisquelle beruht. Ist die für die Beurteilung zuständige Person – im vorliegenden Fall nach beanstandungsfreier und von dem Antragsteller auch nicht angegriffener hamburgischer Praxis die Präsidentin des Landgerichts als Leiterin desjenigen Gerichts, in dem die zu Beurteilenden tätig sind – nicht in der Lage, sich selbst ein eigenes und umfassendes Bild von den Leistungen der Bewerber zu machen, ist sie darauf angewiesen, sich die fehlenden Kenntnisse von anderen Personen zu beschaffen. Hierfür kommen vorrangig solche Beschäftigte in Betracht, die die Dienstausübung des Bewerbers aus eigener Anschauung kennen, im vorliegenden Fall also, wie nahe liegt, die Vorsitzenden Richterinnen der Kammern, denen die Bewerber angehören. Diese geben dann „dienstliche Äußerungen“ als Beurteilungsbeiträge über die Bewerber aus ihrem Spruchkörper ab, in denen sie deren Eignung, Befähigung und fachliche Leistung bewerten. Diese Beurteilungsbeiträge müssen bei der Ausübung des Beurteilungsspielraumes berücksichtigt werden. Zwar ist der eigentliche Beurteiler an die Feststellungen und Bewertungen der Kammervorsitzenden nicht gebunden, sondern kann zu abweichenden Erkenntnissen gelangen. Er übt seinen Beurteilungsspielraum jedoch nur dann rechtmäßig aus, wenn er die Beurteilungsbeiträge in seiner eigenen Bewertung verarbeitet. Abweichungen müssen nachvollziehbar begründet werden; Gesamturteil und Einzelbewertungen einer dienstlichen Beurteilung müssen in dem Sinne miteinander übereinstimmen, dass sich das Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel aus den Einzelbewertungen herleiten lässt (vgl. zu Vorstehendem eingehend BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, BVerwGE 138, 102, 115 ff., Rn. 46 f.; siehe auch Urt. v. 21.3.2007, IÖD 2007, 206, 207).
(1) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergeben sich allerdings keine Bedenken daran, dass die Präsidentin des Landgerichts die Beigeladene in ihrer aktuellen Beurteilung vom 6. Juni 2011 als „hervorragend“ geeignet eingestuft hat und der Vizepräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts dem in seinem Vorschlag gemäß § 24 a HmbAGGVG vom 4. Juli 2011 gefolgt ist. (wird ausgeführt)
(2) Ein Leistungsvorsprung der Beigeladenen gegenüber dem Antragsteller würde sich daraus allerdings nur dann ergeben, wenn dessen Beurteilung mit dem niedrigeren Prädikat lediglich „sehr gut“ geeignet durch sowohl die Präsidentin des Landgerichts als auch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts nachvollziehbar wäre. Das ist indes, wie in der Begründung der Beschwerde auch geltend gemacht wird, nicht der Fall: (wird ausgeführt)
Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, warum die Präsidentin des Landgerichts und – ihr folgend – der Vizepräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts den Antragstellers mit dem geringeren Prädikat der lediglich „sehr guten“ Eignung eingestuft haben. In ihren eigenen Stellungnahmen, soweit sie über die Wiedergabe der dienstlichen Äußerungen der Vorsitzenden Richterinnen bzw. die Wiedergabe der vorangegangenen Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts hinausgehen, finden sich diesbezüglich keine tragfähigen Begründungen. Lediglich in einer zurückliegenden Stellungnahme der Präsidentin des Landgerichts vom 24. Februar 2009, die sie in ihrer Beurteilung vom 6. Juni 2011 in Bezug genommen hat, findet sich eine Formulierung, wonach im Gespräch auffalle, dass der Antragsteller „seine Meinungen und Vorstellungen sehr wortreich zu Gehör“ bringe. Dieser Passus aus einer früheren Beurteilung ist zwar durch die Bezugnahme Teil der aktuellen Beurteilung geworden, vermag aber die vorgenommene Herabstufung nicht plausibel werden zu lassen. Er hat auch in der Beurteilung vom 24. Februar 2009 nicht zu einer Abstufung geführt, sondern die Präsidentin des Landgerichts seinerzeit in ihrem abschließenden Urteil nicht davon abgehalten, darauf hinzuweisen, dass ihr Amtsvorgänger den Antragsteller aus Anlass vorheriger Bewerbungen „für hervorragend geeignet gehalten“ habe, den Vorsitz einer Kammer zu übernehmen. Darüber hinaus ist die fragliche Passage in Beurteilungen der Präsidentin des Landgerichts aus Anlass späterer wie auch der vorliegenden Bewerbung nicht mehr aufgenommen worden, und die darin enthaltene Kritik deshalb möglicherweise nicht mehr aktuell. Auch lässt die fragliche Formulierung nicht erkennen, auf welches Merkmal der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung sie sich bezieht bzw. welche für die Übernahme des angestrebten Amts erforderliche Eigenschaft davon nachteilhaft betroffen ist. In den vielen in den Beurteilungen des Antragstellers wiedergegebenen überaus positiven dienstlichen Äußerungen finden sich im Übrigen auch keine vergleichbaren Einschränkungen. Dort heißt es vielmehr wiederholt, dass er seine Sachen „(äußerst) zügig“ erledige, seine „faire und einfühlsame Verhandlungsleitung ... von verschiedenen Verfahrensbeteiligten ausdrücklich gelobt worden“ sei und er „außerordentlich hilfsbereit“ sei und „von zahlreichen Kollegen geschätzt“ werde, „die ihn in prozessualen und materiellen Fragen gern um Rechtsrat“ bäten. Anhaltspunkte für einen möglicherweise übertriebenen Wortreichtum lassen sich dem nicht entnehmen, eher für das Gegenteil.
d) Der demnach vorliegende Beurteilungsfehler wird nicht dadurch geheilt, dass die Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht vom 19. Oktober 2011 zu erläutern versucht, „weshalb (der Antragsteller) keine hervorragende Bewertung erhalten“ habe (S. 18 ebenda).
Offenbar möchte die Antragsgegnerin a.a.O. die weiter oben erwähnte Passage über den (angeblichen) „Wortreichtum“ des Antragstellers dahingehend verstehen, dass es ihm schwer falle, „im Gespräch eine empfangende Position einzunehmen“ und ihm „das Senden von Meinungen und Vorstellungen“ demgegenüber sehr viel leichter falle. Diese von der Antragsgegnerin im Nachhinein vorgenommene Interpretation der in Frage stehenden Formulierung liegt indes nicht auf der Hand und ist – etwa durch ergänzende dienstliche Äußerungen der Präsidentin des Landgerichts bzw. Oberlandesgerichts – auch nicht näher untermauert worden Ohnehin ist sie, wie sich aus den Ausführungen weiter oben ergibt, in die jüngsten Äußerungen über den Antragsteller nicht mehr aufgenommen worden. Soweit es in der besagten Stellungnahme der Antragsgegnerin im vorliegenden Eilverfahren des Weiteren heißt, dass der Antragsteller lediglich als fachlich, nicht jedoch als persönlich geeignet angesehen worden sei, findet sich für eine derartige Differenzierung in seinen vorliegenden Beurteilungen ebenfalls kein Anhalt.
Das Vorbringen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung stellt letztlich keine lediglich klarstellende, bloße ergänzende Erläuterung der Beurteilungen des Antragstellers dar. Vielmehr werden damit erstmals im Eilverfahren Gesichtspunkte bzw. Eigenschaften des Antragstellers geltend gemacht, die in seinen bisherigen Beurteilungen nicht zum Ausdruck gebracht worden sind. Ein derartiges Nachschieben von Gründen ist nicht zulässig. Würden maßgebliche Erwägungen nämlich erstmalig im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren dargelegt werden können, wäre der gerichtliche Rechtsschutz eines unterlegenen Mitbewerbers in einer mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr zu vereinbarenden Art und Weise unzumutbar erschwert. Er wäre dann nämlich gehalten, die Auswahlentscheidung seines Dienstherrn gleichsam „ins Blaue hinein“ in einem gerichtlichen Eilverfahren angreifen zu müssen, um in diesem das erste Mal die tragenden Erwägungen der Auswahlentscheidung zu erfahren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.7.2007, NVwZ 2007, 1178, 1179). Darüber hinaus ist das in Frage stehende Vorgehen der Antragsgegnerin auch nur schwerlich mit der Vorschlagskompetenz des Richterwahlausschusses gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 HV vereinbar. Der Richterwahlausschuss kann diese Befugnis nur dann adäquat ausüben, wenn ihm als insoweit entscheidendem Organ die maßgeblichen Erwägungen des Dienstherrn vollständig zur Kenntnis gelangt sind und sie nicht erst in einem sich anschließenden Gerichtsverfahren nachgeschoben werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).
e) Steht somit fest, dass es im vorliegenden Fall zu einem Auswahldefizit gekommen ist, käme der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des verletzten Bewerbungsverfahrensanspruchs lediglich dann nicht in Betracht, wenn mit Sicherheit davon auszugehen wäre, dass der Antragsteller bei einer rechtsfehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens keine Chance auf eine Beförderung besäße. Davon kann hier angesichts der vorliegenden Beurteilungen jedoch nicht ausgegangen werden. Nach Lage der Dinge erscheint es jedenfalls möglich, dass der Antragsteller bei rechtsfehlerfreier Auswahl zum Zuge kommt. Diese ernsthafte Chance ist ausreichend, um den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Antragstellers erforderlich erscheinen zu lassen (vgl. für viele BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, BVerwGE 138, 102, 111, Rn. 32 m.w.N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 5 Satz 2 GKG. Zur Begründung im Einzelnen wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in seinem angefochtenen Beschluss unter III., 2. Absatz Bezug genommen.