Landgericht Lüneburg
Entscheidung vom 03.12.2008, Az.: 6 S 122/08
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 28.08.2008 - Az.: 12 C 55/08 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
I.
Der Kläger begehrt Feststellung seiner Berechtigung, die laufende Miete bis zur Höhe der geleisteten Kaution nebst Zinsen zurückzubehalten, bis der Beklagte als Zwangsverwalter die ordnungsgemäße Anlage der Mietsicherheit nachgewiesen hat.
Das Amtsgericht hat dem Feststellungsantrag des Klägers stattgegeben.
Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen des Amtsgerichts Lüneburg vom 28.08.2008 Bezug genommen.
Ergänzend ist lediglich noch hinzuzufügen:
Über das Vermögen des Eigentümers und Vermieters ... wurde im April 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 05.10.2007 (Az.: 23 L 52/07) wurde der Beklagte betreffend des streitgegenständlichen Hausgrundstückes als Zwangsverwalter eingesetzt. Nach Bekanntgabe dieses Beschlusses erfuhr der Kläger, dass die von ihm gestellte Mietsicherheit weder an den Beklagten herausgegeben noch vom Vermieter in einer der Bestimmung des § 551 Abs. 3 BGB bzw. § 12 des zwischen dem Kläger und Vermieter am 19.01.2004 geschlossenen Mietvertrages entsprechenden Form angelegt worden war.
Der Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und verfolgt sein ursprüngliches Begehren weiter.
Er ist weiterhin der Auffassung, dem Kläger stünde ein Zurückbehaltungsrecht nicht zu. Dieses sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil der mietrechtliche Anspruch auf Anlage des geleisteten Kautionsbetrages durch Veruntreuung des Vermieters unmöglich geworden sei. Demzufolge mache der Kläger vorliegend einen Schadensersatzanspruch auf Wiederauffüllung der Kaution geltend, in welchen der Beklagte als Zwangsverwalter nicht eintrete. Darüber hinaus sei ein Zurückbehaltungsrecht vorliegend auch deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger nicht schutzwürdig sei. Würde das Mietverhältnis noch während der Zwangsverwaltung enden, stünde dem Kläger ein Anspruch auf Rückgewähr der Kaution gegen den Zwangsverwalter zu. Endete das Mietverhältnis dagegen erst nach Beendigung der Zwangsverwaltung, könnte der Kläger sich hinsichtlich des Kautionsrückzahlungsanspruchs an den künftigen Erwerber des Grundstückes halten. Zudem stünden dem Mieterschutz hier die insoweit vorrangigen Vollstreckungsinteressen der Gläubiger entgegen.
Der Beklagte beantragt daher,
das am 28.08.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lüneburg aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung aus den zutreffenden Gründen des Urteils des Amtsgerichts Lüneburg vom 28.08.2008 zurückzuweisen.
Er schließt sich - unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vortrags - den Ausführungen des Amtsgerichts an.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt sämtlicher Schriftsätze nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
15Dem Kläger steht ein Zurückbehaltungsrecht an den laufenden Mietzinsen bis zur Höhe der Kautionsbetrages nebst Zinsen zu, bis der Beklagte die von dem Kläger geleistete Kaution vertragsgemäß angelegt hat (§ 152 Abs. 2 ZVG i.V.m. § 551 Abs. 3 bzw. § 12 des Mietvertrages vom 19.01.2004, § 273 BGB).
16Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dem Mieter gegenüber dem Vermieter bei nicht ordnungsgemäßer Anlage der Kaution ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der laufenden Mietzinsen zusteht (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., § 551, Rn. 77 m.w.N.).
17Entgegen der Ansicht des Beklagten gilt dies jedoch auch gegenüber dem an die Stelle des Vermieters getretenen Zwangsverwalter. Dies ergibt sich bereits aus dessen Stellung sowie aus den ihm nach § 152 ZVG obliegenden Aufgaben.
18Gemäß § 152 Abs. 2 ZVG hat ein Zwangsverwalter an Stelle des Schuldners dessen Vermieterrechte zu befolgen und dessen Pflichten zu erfüllen, da diese Aufgaben vom Schuldner auf Grund der Beschlagnahme nicht mehr wahrgenommen werden können, weil ihm die Verwaltung und Benutzung des Grundstücks entzogen ist (§ 148 Abs. 2 ZVG). Dabei wird der Zwangsverwalter in allen Fällen, in denen Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis berührt sind, wie ein Vermieter behandelt. Der zuvor abgeschlossene Mietvertrag bindet den Zwangsverwalter mit seinem gesamten Vertragsinhalt. Daraus folgt einerseits, dass der Zwangsverwalter sämtliche Rechte aus dem Mietverhältnis geltend machen kann, andererseits erfordert die Stellung eines Zwangsverwalters, dass dieser auch in sämtliche Pflichten des Vermieters aus dem Mietvertrag eintritt. Dabei erstreckt sich die Einstandspflicht des Zwangsverwalters auch auf die in den jeweiligen Mietverträgen enthaltenen Abreden bzw. die in dem Gesetz enthaltenen Pflichten betreffend der Mietsicherheit. Zu diesen Pflichten zählt deshalb auch die Pflicht, sich um die getrennte Anlage der Kaution zu kümmern, soweit der Vermieter dieser Verpflichtung noch nicht nachgekommen ist, und zwar unabhängig davon, ob ihm die Kaution ausgehändigt worden ist (so auch Soergel/Heintzmann, aaO, § 551, Rn. 27; Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 551, Rn. 77, 110). Denn es würde dem in § 152 ZVG beschriebenen Aufgabenkreis eines Zwangsverwalters nicht gerecht werden, wenn dieser zwar alle Rechte, nicht jedoch sämtliche Pflichten aus dem Mietvertrag und der damit verbundenen Sicherungsabrede übernimmt.
Demzufolge ist der Kläger berechtigt, seinen mietvertraglichen Anspruch auf Hinterlegung der Kaution nach den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen auch gegenüber dem Beklagten in seiner Stellung als Zwangsverwalter durchzusetzen.
Auch geben die Ausführungen des Beklagten in der Berufungsbegründung vom 04.10.2008 keinen Anlass, vorliegend dem Kläger als Mieter gegenüber dem an die Stelle des Vermieters getretenen Beklagten das begehrte Zurückbehaltungsrecht zu verwehren.
1.
Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang der Auffassung ist, § 152 Abs. 2 ZVG greife in dem konkreten Fall bereits deshalb nicht, weil es sich bei dem hier geltend gemachten Anspruch auf Hinterlegung des Kautionsbetrages nicht um einen mietvertraglichen Anspruch, sondern um einen Schadensersatzanspruch handele, da der ursprüngliche mietrechtliche Anspruch auf Anlage des Kautionsbetrages auf Grund der Veruntreuung des Vermieters unmöglich geworden sei, so ist dem nicht zu folgen. Vielmehr handelt es sich auch bei dem hier geltend gemachten Anspruch um einen originären Anspruch aus dem laufenden Mietverhältnis. Denn der Anspruch auf Hinterlegung der Kaution entsteht nicht nur einmalig in der Vergangenheit, sondern besteht im laufenden Mietverhältnis solange fort, wie eine Anlage des Betrages noch nicht erfolgt ist. So ist es allgemein anerkannt, dass der Anspruch auf Anlegung des Kautionsbetrages auf ein Treuhandkonto auch dann fortbesteht, wenn der Vermieter die Kaution zunächst in sein Vermögen überführt, bevor er sie dann anschließend auf einem derartigen Konto hinterlegt (MüKo/Bieber, 5. Aufl., § 551, Rn. 23; Schmidt-Futterer/Blamk, aaO, § 551, Rn. 77; Soergel/Heintzmann, aaO, § 551, Rn. 19 f.). Nichts anderes gilt dann aber hinsichtlich des Anlageanspruchs gegenüber dem in die Stellung des Vermieters eintretenden Zwangsverwalter.
2.
Soweit der Beklagte meint, die Zubilligung eines Zurückbehaltungsrechtes würde den Kläger als Mieter im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern der Zwangsverwaltung in unzulässiger Form privilegieren, so kann dem nicht gefolgt werden. Denn diese Besserstellung ist vom Gesetzgeber gewollt (Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 551, Rn. 110; BGH NJW-RR, 2005, 1029, 1031). Die Rechte des Mieters in der Zwangsverwaltung genießen – im Gegensatz zu den Rechten anderer Gläubiger – einen umfangreichen Schutz, da § 152 Abs. 2 ZVG den Mieterinteressen ein besonderes Gewicht verleiht. So bleibt der Zwangsverwalter - im Gegensatz zu allen anderen Verträgen, die der Schuldner zuvor abgeschlossen hat - allein an den Mietvertrag gebunden.
3.
23Dementsprechend ist auch das Argument des Beklagten, der Zwangsverwalter sei gegenüber den Gläubigern verpflichtet, den möglichst ungeschmälerten Erhalt der Haftungsmasse zu gewährleisten, hier ohne entscheidende Bedeutung. Dabei wird nämlich übersehen, dass der Zwangsverwalter nicht allein im Interesse der Gläubiger tätig wird, sich seine Pflichten vielmehr in erster Linie aus § 152 ZVG ergeben. Die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse ist von vornherein mit dem aufschiebend bedingten Anspruch des Mieters auf Rückzahlung der Kaution nach Beendigung des Mietverhältnisses belastet (BGH NJW-RR 2005, 1029, 1031). Im Gegenzug dazu hat der Zwangsverwalter seinerseits einen Anspruch gegen den Vermieter auf Auskehrung der Mietsicherheit. Kann der Zwangsverwalter seine Forderung gegen den Schuldner (Vermieter) nicht durchsetzen, wird die Haftungsmasse zwar auch bei Einbehalt der Mietzinsen in Höhe der Mietsicherheit geschmälert. Doch stellt dies keine Besonderheit der vorliegenden Konstellation dar. Es geht nämlich stets zu Lasten der Haftungsmasse, wenn der Verwalter offene Forderungen gegen Dritte nicht einziehen kann. Dagegen dürfen die Rechte des Mieters nicht von dem Umstand abhängen, ob der Zwangsverwalter den Anspruch gegen den Vermieter auf Aushändigung der Kaution (erfolgreich) geltend gemacht hat und ob der Vermieter seiner nach § 551 Abs. 3 BGB zwingenden Verpflichtung zur Sicherung des Kautionsbetrages nachgekommen ist. Darüber hinaus würde es der bewussten Privilegierung der Mieter widersprechen, wenn der Verwalter einerseits laufende Mietzinszahlungen an sich selbst verlangen könnte, andererseits den Mieter im Hinblick auf laufende Gegenansprüche aber an die Person des vermögenslosen Schuldners verweisen würde.
4.
Eine Einschränkung der Einstands- und Erfüllungspflichten des Zwangsverwalters ist des Weiteren nicht mit Rücksicht auf §§ 392, 1124 Abs. 2, 1125 BGB geboten. Insoweit hat der BGH entschieden, dass Zweck dieser Normen lediglich der Erhalt der Haftungsmasse ist, sie aber nicht den Umfang der Erfüllungspflichten des Zwangsverwalters gegenüber dem Mieter regeln (BGH NJW 2003, 3342 ff., NJW-RR 05, 1029 ff.). Das Interesse am Erhalt der Haftungsmasse tritt nach den obigen Ausführungen jedoch hinter den insoweit vorrangigen Mieterinteressen zurück.
5.
Darüber hinaus greift auch der Hinweis auf die fehlende Schutzbedürftigkeit des Klägers nicht. Denn selbst wenn der Kläger nach Beendigung der Zwangsverwaltung durch Zuschlag einen neuen Schuldner erhalten sollte, der ihm dann gemäß § 566 a BGB die Rückzahlung der Kaution schulden würde, so würde dies keine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Der BGH gesteht einem Mieter in der Zwangsverwaltung umfassenden Schutz zu. Dieser würde mit der Verschiebung der Anspruchsgegner unterlaufen werden. Denn es gibt durchaus Fälle, in denen der Erwerber des Grundstückes trotz § 566 a BGB nicht zur Rückzahlung der Kaution verpflichtet bzw. bereit oder in der Lage ist (vgl. hierzu Schmidt-Futterer/Blank, aaO, § 551, Rn. 111). Zudem erscheint es gerade im Hinblick auf dessen bewusste Privilegierung nicht gerechtfertigt, den Mieter derartigen Unsicherheiten auszusetzen.
6.
Soweit der Beklagte sich schließlich darauf beruft, dass die bisherige - unterinstanzliche - Rechtsprechung dem Mieter gegenüber dem an die Stelle des Vermieters getretenen Zwangsverwalter ein den Mietzinsanspruch betreffendes Zurückbehaltungsrecht nicht zugebilligt hat, so ist dieses zwar zutreffend, ändert jedoch ebenfalls nichts an den obigen Ausführungen.
Denn in diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die entsprechenden Entscheidungen noch auf der damaligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruhten, nach welcher der Zwangsverwalter einer Mietwohnung dem Mieter gegenüber zur Herausgabe einer von diesem an den Vermieter geleisteten Mietsicherheit nur dann verpflichtet war, wenn der Vermieter dem Zwangsverwalter diese Kaution auch ausgehändigt hatte.
So hatten die jeweiligen Gerichte sich in ihren Entscheidungsgründen gerade darauf bezogen, dass ein Zwangsverwalter nicht zur Rückzahlung der dem Vermieter gewährten und bei diesem verbliebenen Kaution verpflichtet sei. Soweit nicht Rückzahlung, sondern 'lediglich' Absicherung bzw. Absonderung einer dem Vermieter gewährten Kaution begehrt würde, würden die Argumente, die auch einem Rückzahlungsanspruch entgegenstünden, entsprechend geltend (vgl. LG Kiel, 8. Zivilkammer, Urteil v. 24.08.1999, Az.: 8 S 326/98 - zitiert nach juris; BGH RPfleger 1979, 101). Denn eine Verpflichtung des Zwangsverwalters zur Absicherung bzw. Absonderung der Mietsicherheit könne nur dort in Betracht kommen, wo er einem entsprechenden – wenn auch aufschiebend bedingten – Rückzahlungsanspruch des Mieters ausgesetzt sei. Der Anspruch auf getrennte Anlage einer Mietkaution sei kein Selbstzweck, sondern diene allein der Absicherung eines künftig fällig werdenden Rückzahlungsanspruches; beide Ansprüche seien einander kongruent und einer getrennten Behandlung nicht zugänglich (LG Köln, 10. Zivilkammer, Urteil v. 11.07.1990, Az.: 10 S 144/90 – zitiert nach juris).
Diese Argumentation gilt angesichts der Entscheidungen des 8. Zivilsenats (BGH NJW 2003, 3342 ff., NJW-RR 05, 1029 ff.) nunmehr in 'umgekehrter' Art und Weise entsprechend. Da der BGH dem Mieter mittlerweile einen Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Zwangsverwalter zugesteht, muss diesem zugleich ein Zurückbehaltungsrecht zugebilligt werden. Denn insoweit beinhaltet die Absonderung bzw. Einbehaltung eines der Kaution entsprechenden Betrages aus dem Ertrag der Zwangsverwaltung lediglich eine zeitliche Vorverlagerung der vollständigen Rückgewähr der Mietsicherheit bzw. der die übrigen (Insolvenz-) Gläubiger im Falle einer Rückgewähr treffenden Benachteiligung.
7.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
8.
Die Revision wird auf Antrag des Beklagten gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Denn die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt, klärungsbedürftig und klärungsfähig und sie berührt darüber hinaus das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts, weil sie sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann.