Landgericht Würzburg
Entscheidung vom 29.09.2010, Az.: 43 S 1138/10
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Amtsgerichts Würzburg vom 31.03.2010 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte über den bereits zuerkannten Betrag von 379,84 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 10.06.2009 verpflichtet ist, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro freizustellen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um restlichen Schadensersatz aus einem sich am 21.04.2009 in Bad N ereignenden Verkehrsunfall bei unstreitiger Eintrittspflicht der Beklagten in Form der Mietwagenkosten und der Rechtsanwaltsgebühren, die für die Herbeiführung einer Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers der Klägerin entstanden sind.
Die Klägerin hatte ihr nicht vollkaskoversichertes Fahrzeug, einen Renault Clio II. 55 kW, 1149 ccm, amtl. Kennzeichen ..., bei dem Autohaus A R in W reparieren lassen. Für den Zeitraum vom 27.04.2009 bis 30.04.2009 mietete sie bei dem Autovermietungsunternehmen ... GmbH in G ein Ersatzfahrzeug an, welches mit 595,00 Euro berechnet wurde. Die Beklagte leistete hierauf nur Zahlungen in Höhe von 161, 84 Euro.
Die Klägerin hat insoweit vortragen lassen, dass ihr als nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten nach der Schwacke-Liste unter Berücksichtigung des Postleitzahlen-Gebiets 976.., Mietwagengruppe 3, Schwacke-Liste 08, bei Zugrundelegung einer Drei-Tages- und einer Ein-Tagespauschale unter Abzug der ersparten Eigenleistung sowie zuzüglich der unfallspezifischen Mehrleistungen und der Umsatzsteuer ein Betrag in Höhe von 536,68 Euro zustünde, so dass sich eine Restforderung in Höhe von 379,84 Euro gegenüber der Beklagten ergebe. Weiterhin stelle die Einholung einer Deckungszusage gegenüber der Rechtsschutzversicherung der Klägerin eine eigene gebührenrechtliche Angelegenheit dar. Die Beklagten habe die Regulierung mit Schreiben vom 10.07.2009 abgelehnt, so dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten mit der Einholung einer Deckungszusage am 19.08.2010 beauftragen durfte. Der Gegenstandswert für die Deckungsanfrage ermittle sich aus dem voraussichtlichen Kostenrisiko, d. h. den Gerichtskosten und Kosten der Prozessbevollmächtigten. Bei Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Ziff 2300 VV-RVG errechne sich bei einem Gegenstandwert von 372,75 Euro mit einer Pauschale für Post und Telekommunikation gem. Nr. 7002 VV-RVG in Höhe von 11,70 Euro sowie der MwSt ein Gesamtbetrag von 83,54 Euro.
Die Klägerin hat daher in 1. Instanz beantragt,
a) die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 379,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 10.06.2009 zu zahlen,
b) die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an die Klägerin weitere 83,54 Euro zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat in 1. Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Klägerin stünden die Mietwagenkosten nicht zu, da sie – die Beklagte – ein klassengleiches Fahrzeug während der Reparatur zum Preis von 34,00 Euro netto inkl. Haftungsbefreiung und aller Kilometer hätte vermitteln können. Die Erstattung der Rechtsanwaltskosten für die Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung falle nicht in den Schutzzweck der §§ 823 BGB, 7 StVG, da sie bei wertender Betrachtung die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos darstellen würden. Im Übrigen genüge ein einfacher Anruf der Versicherten, um abzuklären, ob Deckungsschutz bestehe.
Das Amtsgericht Würzburg hat durch Endurteil vom 31.03.2010, auf dessen Tatbestand einschließlich der Verweisungen wegen des Parteivorbringens 1. Instanz Bezug genommen wird, die restlichen Mietwagenkosten in Höhe von 379,84 Euro einschließlich der geltend gemachten Zinsen zugesprochen und im Übrigen die Rechtsanwaltskosten für die Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung abgewiesen, da in der Regel ein einfacher Anruf bei dem Rechtsschutzversicherer genüge. Der Anspruch liege nicht im Schutzbereich der Norm des § 249 BGB und nicht alle Wünsche und Variationen des Geschädigten seien erstattungsfähig. Im Hinblick auf die abgewiesenen Rechtsanwaltskosten hat das Erstgericht die Berufung zugelassen.
Gegen dieses dem Klägervertreter am 27.04.2010 zugestellte Urteil richtet sich seine am 19.05.2010 eingelegte und mit Schriftsatz vom 30.06.2010, eingegangen am 01.07.2010 und damit innerhalb der bis zum 27.07.2010 verlängerten Berufungsbegründungsfrist, begründeten Berufung.
Die Klägerin trägt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend vor, dass die Beklagte sowohl unter Verzugsgesichtspunkten erstattungspflichtig sei als auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass gerade kein einfacher Anruf bei dem Rechtsschutzversicherer genüge, um eine Deckungszusage zu erhalten, vielmehr gehöre es zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, den Sachverhalt vollumfänglich darzustellen, wozu am Besten die Übersendung einer Klageschrift geeignet sei. Gerade weil die komplizierte Materie der Mietwagenkosten von dem Geschädigten selbst nicht ohne entsprechende Kenntnisse der Rechtsprechung zu erfassen sei, sei die Einschaltung eines Rechtsanwaltes hierfür erforderlich. Nachdem der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz angegeben hat, dass die Klägerin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten noch nicht beglichen hat, hat er seinen Antrag auf Freistellung zur Zahlungsverpflichtung umgestellt.
Die Klägerin beantragt daher,
das Endurteil des AG Würzburg vom 31.3.2010, Az: 12 C 2767/09, mit der Maßgabe abzuändern, dass die Beklagte verpflichtet wird, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus die Klägerin über weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil, stellt jedoch unstreitig, dass die Klägerin unter dem 19.08.2010 den Prozessbevollmächtigten gesondert zur Einholung einer Deckungszusage beauftragt hat, um ein Klageverfahren einleiten zu können. Es sei jedoch nicht erforderlich, dass der Geschädigte Kenntnisse in der Mietwagenproblematik haben müsse, sondern es genüge, wenn der Geschädigte schildere, dass er eine aus dem Verkehrsunfall resultierende Rechnung bezahlt habe, die vom haftenden Versicherer des Gegners nicht vollständig ausgeglichen worden sei. Bereits dann bestehe Deckungsschutz, so dass ein einfacher Anruf des Geschädigten bei seiner Rechtsschutzversicherung genügt hätte.
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Klägervertreter wurde im Termin vom 29.09.2010 informatorisch angehört und seine Angaben durch den Beklagtenvertreter unstreitig gestellt. Es wird insofern auf die Sitzungsniederschrift vom 29.09.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg, der Klägerin stehen die für das Einholen einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung entstandenen Rechtsanwaltskosten in Form eines Freistellungsanspruches zu.
1. Die Kammer erachtet die Bemühungen eines Rechtsanwalts um eine Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers nicht als ein Annex zur Hauptsache und damit nicht als vorbereitende Maßnahme im Sinne von § 19 S. 2 Nr. 1 RVG, was zum Teil durch eine Mindermeinung in der Rechtsprechung vertreten wurde (vgl. Landgericht München JurBüro 93, 163). Vielmehr bejaht sie mit der überwiegenden Gegenmeinung einen selbständigen Auftrag, der zu einer besonderen Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 1 RVG führt. Dafür spricht zum einen, dass es um einen ganz anderen Anspruch geht, nämlich nicht den des Auftraggebers gegen die Prozessgegner, sondern den des Auftraggebers gegen den eigenen Versicherer aufgrund einer schuldrechtlichen Verpflichtung. Zum anderen würde es gegebenenfalls, wenn der Versicherer die Deckung ablehnt, zu einem Deckungsprozess und damit zu einem gesonderten Rechtsstreit kommen, bei welchem dann die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als anrechenbare Geschäftsgebühren stets in Ansatz gebracht werden müssten. Auch dies zeigt, dass es sich um eine selbständige besondere Angelegenheit und nicht nur um ein Annex handeln muss (vgl. so auch Gerold Schmitt, RVG-Kommentar, 18. Auflage, § 19 RVG Rdnr. 26 bis 30, AG Charlottenburg, JurBüro 2002, S. 25; LG Zwickau, Urt. vom 22.09.2005, AGS 2005, 525 – 527; LG Ulm, Urt. vom 08.04.2010, Az. 6 O 244/09, Quelle juris; AG Karlsruhe, Urteil vom 09.04.2009, AGS 2009, 355-356; AG Hersbruck, Urteil vom 26.11.2009, AGS 2010, S. 257 – 258).
2. Nach der Rechtsansicht der Kammer zählen diese vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten, wenn dieser sich in Verzug befindet:
Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen hat, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGHZ 127, 348, 350 ff; BGH Urt. vom 23.10.2003 – IX ZR 249/02 – VersR 2004, 869, 871; BGH Urt. vom 10.01.2006, NJW 2006, 1065 – 1066). Dabei ist Teil der Schadensabwicklung auch die Entscheidung, den Schadensfall einem Versicherer zu melden. Ist es aus Sicht des Geschädigten erforderlich, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, so gilt dies grundsätzlich auch für die Anmeldung des Versicherungsfalles bei dem eigenen Versicherer (vgl. BGH, NJW 2006, 1065 – 1066; OLG Hamm, ZfS 1983, 12 zur Kaskoversicherung).
Im Vordergrund steht dabei das Interesse des Geschädigten an einer vollständigen Restitution. Deshalb müssen die nach § 249 BGB zur Verfügung zu stellenden Mittel so bemessen sein, dass sich die Vermögenslage des Geschädigten, sofern er nur wirtschaftlich vernünftig verfährt, nicht besser, aber auch nicht schlechter darstellt, als wenn der Schadensfall nicht eingetreten wäre. Der danach 'erforderliche' Herstellungsaufwand wird nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens sowie die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bestimmt. In diesem Sinne ist der Schaden nicht 'normativ' zu bewerten, sondern subjektbezogen (vgl. BGHZ 63, 182, 184). Deshalb darf der Geschädigte zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Kann deshalb aus der Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der Schädiger ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird, so wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger einen Rechtsanwalt hinzuziehen (vgl. BGHZ 127, 348, 351) und die eigene Rechtsschutzversicherung in Anspruch zu nehmen. Eine solche Fallgestaltung hat das Erstgericht vorliegend jedoch nicht bejaht. Vielmehr ging es im hier zu entscheidenden Streitfall um die in Rechtsprechung und Rechtsliteratur äußerst umstrittenen Abrechnungsfragen der Mietwagenkosten nach Unfallersatztarifen, deren Berechnungsgrundlagen für einen juristischen Laien angesichts der Komplexität nicht mehr überschaubar sind.
Die Beklagte hat sich auch in Verzug befunden, da sie die von der Klägerin begehrten Mietwagenkosten trotz Zahlungsaufforderung mit Schreiben vom 10.06.2009 und 10.07.2009 nicht erstattet hatte. Die Kosten des Rechtsanwalts für Einholung der Deckungszusage stellen sich damit als zweckmäßige Kosten der Rechtsverfolgung dar, nachdem der Rechtsanwalt bereits mit der Geltendmachung der Ansprüche gegenüber der Beklagten betraut war und erst, nachdem diese die Regulierung ablehnte, eine Klage vorbereitet werden musste und dafür die Deckungszusage eingeholt wurde.
3. Soweit das Erstgericht die Auffassung vertritt, der Anspruch liege nicht im Schutzbereich des § 823 BGB und es hätte ein einfacher Anruf des Versicherungsnehmers bei seiner Rechtsschutzversicherung zur Einholung der Deckungszusage genügt, folgt dem die Kammer nicht.
26Vielmehr sind die Kosten der Deckungszusage zurechenbare Folgen des Verkehrsunfalls, zumindest im Rahmen eines Verzugsschadens und liegen auch nicht außerhalb jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit. Die Behauptung, dass bereits ein einfacher Anruf gegenüber dem Rechtsschutzversicherer genügt hätte, ist ohne jede Substanz. Nach Auffassung der Kammer kommt es vielmehr auf den Einzelfall an und desto komplexer sich die in Streit stehende Materie darstellt desto erforderlicher ist auch die Einschaltung eines Rechtsanwalts für die Einholung der Deckungszusage, denn nur dieser kann dem Versicherer im Einzelnen die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage erläutern.
27Im Rahmen der Abrechnungsschwierigkeiten der Mietwagenkosten nach Unfallersatztarifen kann deshalb die Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Einholung der Deckungszusage gegenüber dem eigenen Rechtsschutzversicherer nicht als ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gesehen werden.
4. Die Rechtsanwaltsgebühren für die Einholung der Deckungszusage bemessen sich nach dem zu ermittelnden Prozesskostenrisiko aus Sicht der Partei, die beabsichtigt zu klagen. Das Risiko besteht daher in Höhe der in einem Gerichtsverfahren entstehenden Gebühren, d. h. den Gerichtskosten für eine Instanz sowie den aller Voraussicht nach entstehenden beiderseitigen Rechtsanwaltskosten (vgl. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl, Rdnr. 5944).
Nachdem die Berechnungen der Klägerseite nicht von der Beklagten substantiiert bestritten werden sind die entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro für die Einholung der Deckungszusage zu erstatten. Die Klägerin hat diese Kosten allerdings noch nicht beglichen, sodass ihr gegenüber der Beklagten ein Freistellungsanspruch zusteht.
Die Berufung hat deshalb Erfolg.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre gesetzliche Grundlage in § 708 Nr. 10 ZPO.
6. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, nachdem die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, sich widersprechende erstinstanzliche Entscheidungen vorliegen und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.