Lsg Baden-württemberg
Entscheidung vom 30.05.2008, Az.: L 12 AS 5765/07
Tenor
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07.11.2007 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen .
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 261,12 EUR wegen einer Einkommensteuer-Erstattung in Höhe von 291,12 EUR für das Jahr 2005 im Streit.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 22.12.2005 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2006 bis zum 30.04.2006 in Höhe von monatlich 636,00 EUR. Das Finanzamt K.-Stadt erstattete dem Kläger mit Bescheid vom 07.03.2006 Einkommensteuer für das Jahr 2005 in Höhe von 291,12 EUR. Die Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 11.04.2006 ihren Bewilligungsbescheid vom 22.12.2005 für den Monat März 2006 teilweise in Höhe von 261,12 EUR (wegen Abzug eines Erwerbstätigen-Freibetrags von 30,00 EUR) nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Sie begründete dies damit, dass die Einkommensteuer-Erstattung als Einkommen anzurechnen sei und zur Minderung des Leistungsanspruchs geführt habe.
Der Kläger begründete seinen Widerspruch damit, dass es sich bei der Einkommensteuer-Erstattung nicht um Einkommen i. S. des § 11 SGB II, sondern um Vermögen i. S. von § 12 SGB II handele, was nach den Maßstäben der letztgenannten Vorschrift nicht zu einer Anspruchsminderung führe. Er habe außerdem darauf vertraut, die Steuererstattung zur Tilgung eines Darlehens verwenden zu können, welches ihm die ARGE K. gewährt habe. Mit diesem Darlehen habe gerade jene Tätigkeit ermöglicht werden sollen, aus der er das versteuerte Einkommen erzielt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Einkommensteuer-Erstattung stelle Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II dar und sei daher - nach Abzug des Pauschbetrages für private Versicherungen nach § 3 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II-/Sozialgeldverordnung (Alg II-VO) in Höhe von 30,00 EUR - als Einkommen zu berücksichtigen. Einkommen sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) all das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhalte; um Vermögen hingegen handele es sich, wenn Gegenstände in der Bedarfszeit bereits vorhanden gewesen seien. Zum Einkommen seien daher alle eingehenden Einnahmen, Zahlungen, Zuflüsse, Zuwendungen und andere Leistungen zu zählen, wobei ein Abzug für Schulden nicht vorzunehmen sei.
Der Kläger hat am 02.10.2006 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Der Kläger vertritt weiter die Ansicht, dass es sich bei der Einkommensteuer-Erstattung um einen anrechnungsfreien Geldzufluss handele. Die Beklagte habe es außerdem versäumt, die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung durchzuführen. Zwar sei die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden, jedoch seien insofern die Kosten des Vorverfahrens nach § 63 SGB X zu erstatten. Die Einkommensteuer-Erstattung sei auch deswegen als Vermögen zu qualifizieren, weil diese nicht planbar und von vielen verschiedenen Umständen abhängig sei und nicht dazu diene, einen laufenden Bedarf abzudecken. Auch aus dem § 2 Abs. 3, 2 a Alg II-VO ergebe sich, dass der Gesetzgeber einmalige Zahlungen nicht per se auf den Monat des Zuflusses anrechnen wolle. Selbst wenn man die Einkommensteuer-Erstattung als Einkommen werte, müsse berücksichtigt werden, dass sich diese Erstattung auf ein ganzes Jahr beziehe, weshalb es angemessen sei, die Erstattung dann auch auf ein ganzes Jahr zu verteilen. Der Erstattungsbetrag von 291,12 EUR sei daher zumindest auf einen monatlichen Betrag von 24,26 EUR umzurechnen, womit der pauschale monatliche Freibetrag von 30,00 EUR für die Einkommensanrechnung erreicht werde (unter Berufung auf Sozialgericht M., Urteil v. 19.07.2006 - S 3 AS 44/06 -).
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ein Teilanerkenntnis dahingehend ausgesprochen, dass sie dem Kläger die Kosten des Vorverfahrens erstatte. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Mit Urteil vom 07.11.2007 hat das SG auf die darüber hinausgehende Klage des Klägers den Bescheid der Beklagten vom 11.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2006 aufgehoben. Zwar sei die Beklagte zutreffend vom Vorliegen von Einkommen ausgegangen, da die Einkommensteuer-Erstattung nach der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten modifizierten Zuflusstheorie eine Steuererstattung als Zufluss i. S. der Vorschrift des § 76 Abs. 1 BSHG qualifiziert habe. Der Wortlaut der Vorschrift des § 76 Abs. 1 BSHG stimme im Wesentlichen mit der vorliegend einschlägigen Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II überein, weswegen an die Zuflusstheorie des Bundesverwaltungsgerichts anzuknüpfen sei (unter Berufung auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 18.02.1999 - 5 C 35/97 -). Danach sei Einkommen all das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhalte und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits habe. Dem könne nicht erfolgreich entgegen gehalten werden, dass bereits dem Anspruch auf Steuererstattung ein Vermögenswert zukomme, welcher bereits vor dem Zufluss der Steuererstattung innegehalten werde. Denn der Erstattungsgläubiger habe die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig angespart und die Steuererstattung auch nicht früher erhalten können. Da die Steuererstattung dem Kläger vor dem Anspruchszeitraum daher nicht zur Verfügung gestanden habe und er nicht hierüber habe verfügen können, sei von einem Zufluss im Leistungszeitraum im Sinne eines Einkommenszuflusses auszugehen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten führe dieser Einkommenszufluss jedoch nicht zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II im streitgegenständlichen Zeitraum. Denn der Betrag von 291,12 EUR sei auf zwölf Monate aufzuteilen, wonach sich anhand der aus § 11 SGB II anzuwendenden Maßstäbe kein für den Monat März 2006 zu berücksichtigendes Einkommen ergeben. Nach § 2 Abs. 3 der Alg II-VO in der ab dem 01.10.2005 geltenden Fassung seien einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen, in welchem sie zuflössen. Nach Satz 3 der Vorschrift seien einmalige Einnahmen, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt sei, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen. Da die Steuererstattung sich auf ein Kalenderjahr beziehe, sei es angemessen, insoweit eine Verteilung des Betrags auf das Kalenderjahr vorzunehmen und dementsprechend nur ein monatliches Zwölftel der Steuererstattung zu berücksichtigen (unter Berufung auf, u. a., LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 24.08.2007 - L 13 AS 4607/07 ER -). Ein Absehen von einer Aufteilung auf einen angemessenen Zeitraum nach § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-VO sei auch im vorliegenden Falle, in welchem die Steuererstattung die monatliche Leistung deutlich unterschreite, nicht zwingend vorzunehmen. Denn § 2 Abs. 3 Satz 2 Alg II-VO verfolge auch den Zweck, der Nachrangigkeit der Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II im Falle anderweitiger Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung umfassend Rechnung zu tragen. Dieses Ziel spreche in der Tat dafür, einen Steuererstattungsbetrag, der die monatlich bewilligten Leistungen nach dem SGB II übersteige, auch auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen, weil der Berechtigte in diesem Fall seinen Lebensunterhalt anteilig auch in den folgenden Monaten mit bestreiten könne. Im Umkehrschluss könne hieraus aber nicht geschlossen werden, eine Aufteilung habe stets dann zu unterbleiben, wenn der erstattete Betrag denjenigen der monatlich bewilligten Leistungen unterschreite. Das zeige der vorliegende Fall, in welchem das dem Kläger erstattete Einkommensteuer-Guthaben in Höhe von 291,12 EUR sich aus einer Einkommensteuer für im Jahr 2005 erreichte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 1.836,00 EUR ergeben habe. Wäre für den Kläger ein Freibetrag eingetragen worden, hätte er über das fragliche Guthaben bereits vor dem Bewilligungszeitpunkt verfügen können und insoweit im Bewilligungszeitraum selbst kein Einkommen erzielt. Wenn es dazu nicht gekommen sei und wegen nicht auf das Sozialrecht abgestimmter Zufälligkeiten des Steuerrechts Einkommen erzielt worden sei, sei zumindest zu berücksichtigen, dass die Erstattung des Guthabens sich auf ein Kalenderjahr beziehe, so dass auch eine Berücksichtigung mit jedenfalls einem Zwölftel pro Monat i. S. des § 2 Abs. 3 Satz 2 Alg II-VO angezeigt sei. Das SG hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 28.11.2007 zugestellt.
Die Beklagte hat am 06.12.2007 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Die Aufteilung von Einkünften auf einen angemessen Zeitraum sei in aller Regel vor allem dann geboten, wenn ein völliger Wegfall der Leistungen nach dem SGB II drohe, weil dann die Notwendigkeit einer freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung entstehen könne. So habe es sich jedoch im Falle des Klägers, dessen Gesamtbedarf im streitigen Monat bei 636,00 EUR gelegen habe, gerade nicht zugetragen. Insofern sei die Anrechnung der Einkommensteuer-Erstattung in einer Summe im Zuflussmonat nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen. Von größerer Bedeutung sei zudem die Tatsache, dass der Kläger die Einkommensteuer-Erstattung aufgrund einer einkommensteuerpflichtigen Beschäftigung erzielt habe, welche er in dem abgegrenzten Zeitraum vom 07.11.2005 bis 11.12.2005 und somit in einem 'Erarbeitungszeitraum' von deutlich weniger als einem Monat erzielt habe. In dem von dem SG zitierten Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 09.08.2007 sei aber nicht beanstandet worden, dass ein Arbeitsentgelt aus einer Tätigkeit von vier Monaten Dauer auch auf einen diesen Zeitraum entsprechenden Zeitraum von vier Monaten aufzuteilen sei. Demnach müsste jedoch im vorliegenden Fall auch eine Berücksichtigung der Einkommensteuer-Erstattung in einem Monat erfolgen und nicht daran angeknüpft werden, dass die Einkommensteuer-Erstattung sich formell auf das gesamte Kalenderjahr 2005 beziehe. Vielmehr erscheine gerade deswegen eine Aufteilung des Erstattungsbetrages auf einen Zeitraum von zwölf Monaten nicht als angemessen. Die Aufteilung einmaliger Einnahmen auf einen angemessenen Zeitraum solle außerdem regelmäßig gerade nicht dazu führen, dass es im Ergebnis wie in dem angefochtenen Urteil zu keiner Anrechnung auf die Leistungen komme.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07.11.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Entgegen der Auffassung des SG sei die Einkommensteuer-Erstattung als Vermögenswert des Klägers anzusehen, welcher auch bei einer monatlichen Betrachtungsweise nach dem SGB II und der Alg II-VO anrechnungsfrei bleibe. Während Vermögen grundsätzlich zweckfrei vorhanden sei oder erworben werde, diene das Einkommen dem Zweck, einen laufenden Bedarf zu decken. Eine Lohnsteuer-Erstattung sei insofern keine Einnahme, sondern lediglich ein zuviel gezahlter Steuerausgleich (unter Berufung auf B. in LPK-SGB II, § 11, Rz. 9). Hilfsweise sei jedoch auch die Auffassung des SG zutreffend, dass jedenfalls beim Vorliegen von Einkommen eine Anrechnung nur über einen angemessenen Zeitraum von zwölf Monaten erfolgen könne, was im Ergebnis zur Anrechnungsfreiheit führe.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat hat vorliegend mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die ausführlichen und überzeugenden Entscheidungsgründe in dem angegriffenen Urteil des SG Bezug genommen, denen der Senat sich vollinhaltlich anschließt. Die Einkommensteuer-Erstattung stellt danach zwar grundsätzlich entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Einkommen im Sinne von § 11 SGB II dar (vgl. BVerwG vom 18.2.1999 - 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 296 zu § 76 Abs. 1 BSHG; so auch grundlegend Landessozialgericht N., Urteile vom 20.06.2007 - L 12 AS 44/06 - und vom 20.08.2007 - L 20 AS 99/06 -; die Revisionen gegen diese Entscheidungen sind beim Bundessozialgericht derzeit unter den Aktenzeichen B 14 AS 29/07 R und B 14 AS 48/07 R anhängig).
Eine Anrechnung auf die Leistungen im März 2006 nach dem SGB II scheidet dennoch aus, weil die Erstattung sich auf das Kalenderjahr 2005 bezieht und bei entsprechender Zwölftelung zwecks Anrechnung auf das Kalenderjahr 2006 der monatliche Freibetrag von 30,00 EUR nicht erreicht wird. § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-VO bestimmt, dass einmalige Einnahmen, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen sind. Überzeugende Gründe für ein Abweichen von der danach für den Regelfall vorzunehmenden Quotelung der Steuererstattung und Umlegung auf mehrere Monate sind nicht ersichtlich.
Das ergänzende Berufungsvorbringen der Beklagten, der Erstattungsanspruch des Klägers ergebe sich aus einer weniger als einmonatigen Tätigkeit, weswegen ebenfalls eine Anrechnung auf einen Monat zu erfolgen habe, führt nicht zu einem anderen Ergebnis.
Die Steuernachzahlung ergibt sich aus einer Erfassung sämtlicher Einkünfte im Veranlagungsjahr. Für den Anspruch ist nicht nur von Bedeutung, dass in einem Monat ein bestimmtes Einkommen erzielt worden ist, sondern ebenso, dass - wie vorliegend - in den anderen Monaten kein Einkommen erzielt worden ist. Die fehlenden Einkünfte im Restjahr sind daher für den Erstattungsbetrag ebenso relevant wie die Einkünfte im Zeitraum des Klägers, in welchem dieser erwerbswirtschaftlich erfolgreich tätig war.
Im Übrigen erscheint die Anrechnung der Beklagten auch unbillig, weil sie nicht hinreichend berücksichtigt, dass einmalige Bedarfe nach dem SGB II nur noch unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zu Mehrleistungen führen können und die Hilfeempfänger gesetzlich gehalten sind, für etwaige Sonderbedarfe aus ihrer Regelleistung Rücklagen für besondere Bedarfe (wie Handwerkerrechnungen, Neuanschaffungen im Haushalt etc.) zu bilden. Diese ohnehin schwierige Aufgabe erschiene unzumutbar erschwert, wenn auch relativ geringe einmalige Steuererstattungen zur vollen Anrechnung in einem einzelnen Leistungsmonat führen könnten.
Angesichts dieses Ergebnisses lässt es der Senat offen, ob die Bescheide der Beklagten nicht bereits deswegen aufzuheben sind, weil die Entstehung des Erstattungsanspruchs der Steuer bereits mit Ablauf des 31.12.2005 zu verzeichnen war und daher auch nach dem Rechtsstandpunkt der Beklagten ein falscher Anrechnungsmonat gewählt sein könnte (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.01.2008 - L 7 AS 5846/07 ER-B -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.