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Oberlandesgericht Nürnberg

Entscheidung vom 24.11.2010, Az.: 11 UF 1504/10

Tenor

1. Die Beschwerde der ... gegen die Entscheidung des Amtsgerichts – Familiengericht – Weiden i. d. Opf. zum Versorgungsausgleich mit Endurteil vom 29.09.2010 (Ziffer 2 des Urteilstenors) wird zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt die ... Außergerichtliche Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.084,-- Euro festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob ein Absehen von dem Ausgleich einzelner Ausgleichswerte gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG auch dann in Betracht kommt, wenn diese Anrechte zwar im Rahmen der Bagatellprüfung gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG zu berücksichtigen waren, nach dieser Vorschrift aber im konkreten Fall ein Absehen von der Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht möglich ist.

Entscheidungsgründe

I.

Der Antragsteller, geboren am ... und die Antragsgegnerin, geboren am ... haben am 12.08.1999 vor dem Standesbeamten des Standesamtes ... die Ehe geschlossen.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 04.05.2009 hat der Antragsteller bei dem Amtsgericht – Familiengericht – Fürth Scheidungsantrag einreichen lassen, welcher der Gegenseite am 09.06.2009 zugestellt worden ist.

Mit Beschluss vom 21.08.2009 hat das Amtsgericht Fürth sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht – Familiengericht – Weiden i. d. Opf. verwiesen.

Das Amtsgericht – Familiengericht – Weiden i. d. Opf. hat mit Endurteil vom 29.09.2010 die am 12.08.1999 geschlossene Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich wie folgt geregelt:

Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der ... Versicherungsnummer ... zu Gunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 3,8513 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto ... bei der ... bezogen auf den 31.05.2009 übertragen.

Der Ausgleich des Anrechts der Antragsgegnerin bei der ... in Höhe von 0,6416 Entgeltpunkten unterbleibt.

Gegen diese Entscheidung, welche ihr am 04.10.2010 zugestellt worden ist, richtet sich die Beschwerde der ... vom 19.10.2010, eingegangen beim Amtsgericht Weiden i. d. Opf. am 20.10.2010. Die Beschwerdeführerin rügt, dass das Amtsgericht von dem Ausgleich der von der Antragsgegnerin in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte abgesehen hat. Auch diese Anrechte seien nach dem Halbteilungsgrundsatz auszugleichen. Für eine Anwendung von § 18 Abs. 2 VersAusglG bleibe kein Raum.

Beide Ehegatten haben sich dafür ausgesprochen, es bei der Entscheidung des Amtsgerichts zu belassen.

Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Ankündigung des Senats, ohne mündliche Erörterung zu entscheiden, haben die Beteiligten zugestimmt bzw. nicht widersprochen.

II.

Für das Verfahren ist das seit dem 01.09.2009 geltende Prozessrecht und materielle Recht anzuwenden, weil in erster Instanz vor dem 01.09.2010 zum Versorgungsausgleich eine Endentscheidung noch nicht erlassen worden war, § 48 Abs. 3 VersAusglG.

Die Beschwerde der ... ist gemäß §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig.

Die Beschwerdeführerin ist gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt, weil sie sich auf ein Betroffensein in eigenen Rechten berufen kann. Dies beruht vorliegend auf § 10 Abs. 2 VersAusglG. Die Ehegatten haben in der gesetzlichen Ehezeit vom 01.08.1999 bis zum 31.05.2009 (§ 3 Abs. 1 VersAusglG) Versorgungsanrechte ausschließlich in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Es handelt sich bei diesen Anrechten um solche gleicher Art im Sinn des § 10 Abs. 2 VersAusglG. Dennoch sind diese Anrechte grundsätzlich gemäß § 1 VersAusglG gesondert auszugleichen. Eine Saldierung bereits im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung findet, im Gegensatz zum früheren Recht, auch bei gleichartigen Anrechten nicht statt. Bei dem Vollzug des Ausgleiches ist allerdings, wenn die Versorgungsanrechte bei demselben Versorgungsträger, vorliegend der ..., erworben worden sind, nur die Höhe des Wertunterschiedes nach Verrechnung auszugleichen, § 10 Abs. 2 VersAusglG. Die ... und die ... sind insoweit als 'derselbe' Versorgungsträger zu behandeln, weil die gesetzliche Rentenversicherung gemäß § 126 SGB VI als einheitliches Versorgungssystem anzusehen ist (vgl. Borth, Versorgungsausgleich, 5. Auflage, Rn 524). Durch die nicht erfolgte Einbeziehung der von der Ehefrau erworbenen Versorgungsanrechte ist die Beschwerdeführerin in eigenen Rechten betroffen, weil beim Vollzug des Ausgleichs ein anderer Betrag auszugleichen ist, als dies bei Einbeziehung der von der Antragsgegnerin erworbenen Anrechte der Fall wäre.

Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat zu Recht von dem Ausgleich der von der Antragsgegnerin in der Ehezeit bei der ... erworbenen Anrechte abgesehen.

Die ... hat den Ehezeitanteil dieser Anrechte mit 0,6416 Entgeltpunkten berechnet und vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 0,3208 Entgeltpunkten, korrespondierender Kapitalwert 1.971,29 Euro, zu bestimmen. Der Ausgleichswert dieses Anrechtes mit einem Kapitalwert von 1.971,29 Euro übersteigt nicht den Grenzwert gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG in Höhe von 3.024,-- Euro. Dieser Grenzwert berechnet sich gemäß § 18 Abs. 3 VersAusglG in Höhe von 120 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV (=2.520,-- Euro x 120 % = 3.024,-- Euro).

Gemäß § 18 VersAusglG sollen Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert oder einer geringen Differenz der Ausgleichswerte nicht ausgeglichen werden. Die Ausgestaltung des § 18 VersAusglG als Sollvorschrift ermöglicht es dem Gericht jedoch, nach pflichtgemäßem Ermessen abzuweichen, wenn besondere Umstände dies gebieten (Johannsen-Henrich, Familienrecht, 5. Auflage, Rn. 2 zu § 18 VersAusglG). Bei Anwendung der Vorschrift ist zunächst zu prüfen, ob gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG die Differenz der Kapitalwerte der Ausgleichswerte der gleichartigen Anrechte der beiden Ehegatten den genannten Grenzwert übersteigt. Nur wenn dies der Fall ist, kommt die Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG in Betracht (vgl. OLG München, FamRZ 2010, 1064 ff).

Der Antragsteller hat in der gesetzlichen Ehezeit gegenüber der Beschwerdeführerin Anrechte in von 7,7025 Entgeltpunkten erlangt. Die Beschwerdeführerin hat vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 3,8513 Entgeltpunkten, korrespondierender Kapitalwert 23.665,93 Euro, zu bestimmen. Der Differenzbetrag der Kapitalwerte der Ausgleichswerte beläuft sich auf 21.694,74 Euro (23.665,93 Euro – 1.971,29 Euro) und übersteigt damit den Grenzwert von 3.024,-- Euro erheblich, weshalb ein Absehen von der Durchführung des Versorgungsausgleichs gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG ausscheidet.

Zu der Frage, ob dann, wenn, wie vorliegend, ein Absehen gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht in Betracht kommt, einzelne in die Bewertung gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG einzubeziehende Anrechte aber geringfügig im Sinn des § 18 Abs. 3 VersAusglG sind, ein Ausschluss gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG erfolgen kann, werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen vertreten. Einerseits wird vertreten, dass, wenn die vorrangige Anwendung des § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht zum Ausschluss führt, auch ein Ausschluss gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG unzulässig ist (OLG München a. a. O.). Die Gegenansicht verlangt eine Stufenprüfung mit Vorrang des § 18 Abs. 1 VersAusglG, lässt allerdings, wenn hiernach ein Absehen vom Versorgungsausgleich nicht in Betracht kommt, den Ausschluss einzelner Anrechte gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG zu, auch wenn diese bereits bei der Prüfung des § 18 Abs. 1 VersAusglG zu berücksichtigen waren (vgl. Thüringer Oberlandesgericht NJW 2010, 3310 ff.).

Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Nach § 18 Abs. 1 VersAusglG ist von einem Ausgleich grundsätzlich abzusehen, wenn die Differenz der beiderseitigen Ausgleichswerte gering ist. Damit sollen diejenigen Fälle sachgerecht entschieden werden, in denen beide Ehegatten in der Ehezeit annähernd gleichwertige Anrechte erworben haben. Im neuen Ausgleichssystem würde es ansonsten zu einem Hin-und her-Ausgleich auch hoher Ausgleichswerte kommen, die sich wertmäßig im Ergebnis dennoch annähernd entsprechen, was bei sämtlichen Beteiligten auf Unverständnis stoßen müsste (vgl. BT-Drucksache 16/10144, Seiten 60/61). Der Regelung in § 18 Abs. 1 VersAusglG ist insoweit, wenn auch in beschränktem Umfang, immanent, dass es bei Durchführung des Versorgungsausgleichs zu Abweichungen vom Halbteilungsgrundsatz kommt. Das Argument der Beschwerdeführerin, jede Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz verhindere die Anwendung des § 18 VersAusglG, steht daher in Widerspruch zu der Zweckbestimmung der Vorschrift und würde, wenn es zutreffen würde, der Regelung jede praktische Bedeutung nehmen. Nach dem insoweit eindeutigen Willen des Gesetzgebers sind jedoch, in den gemäß § 18 Abs. 3 VersAusglG vorgegebenen engen Grenzen, Abweichungen vom Halbteilungsgrundsatz zulässig und, was sich aus der Formulierung der Vorschrift ergibt, auch im Regelfall gewollt. Etwas anderes gilt dann, wenn die schematische Anwendung der Vorschrift zu einer Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz über die durch § 18 Abs. 3 VersAusglG bestimmte Geringfügigkeitsgrenze hinaus führen würde. Dies kommt z. B. in Betracht, wenn auf einer Seite mehrere geringwertige Anrechte bestehen, die zusammen die Wertgrenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG übersteigen. Für solchen Fälle hat das Gericht die Möglichkeit, ausnahmsweise vom Regelfall, Bagatellanwartschaften nicht auszugleichen, abzuweichen.

Bei Berücksichtigung dieses Bewertungsmaßstabes war das Amtsgericht vorliegend nicht nur berechtigt, sondern in Ausübung seines gebundenen Ermessens gehalten, von dem Ausgleich der von der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen geringfügigen Anrechte abzusehen.

Dies entspricht vorliegend auch dem ausdrücklichen Votum der Eheleute, welchem bei Anwendung des § 18 VersAusglG erhebliche Bedeutung zukommt (BT-Drucksache 16/10144, Seite 61).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 69 Abs. 3, 80, 81, 84 FamFG.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren berechnet sich nach §§ 40, 50 FamGKG. Bei der Bestimmung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren ist von dem Nettoeinkommen auszugehen, welches der Antragsteller und die Antragsgegnerin in einem Zeitraum von drei Monaten erzielt haben. Der Verfahrenswert beläuft sich auf 10 % dieses Dreimonatswertes für jedes im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigende Anrecht. Das Amtsgericht hat das Monatseinkommen der Eheleute mit 1.812,-- Euro festgestellt. Der dreimonatige Wert beträgt 5.436,-- Euro. Im Beschwerdeverfahren waren zwei Anrechte zu berücksichtigen, so dass sich ein Verfahrenswert in Höhe von 1.087,-- Euro ergibt.

Die Rechtsbeschwerde wird zur Klärung der Frage zugelassen, ob ein Absehen von dem Ausgleich einzelner Ausgleichswerte gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG auch dann in Betracht kommt, wenn diese Anrechte zwar im Rahmen der Bagatellprüfung gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG zu berücksichtigen waren, nach dieser Vorschrift aber im konkreten Fall ein Absehen von der Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht möglich ist.