Sg Hamburg
Entscheidung vom 19.12.2008, Az.: S 40 U 293/07
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Gewährung einer Elternrente nach § 69 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Die Kläger sind in der Türkei lebende Eheleute. Aus ihrer Ehe gingen vier Söhne und drei Töchter hervor. Einer der Söhne, der am ... 1956 geborene S. G. (Versicherter) war als Decksmann im 1. Jahr in Deutschland tätig, als er auf dem unter deutscher Flagge fahrenden Schiff „M.“ am ... Oktober 1979 auf der Fahrt von England nach Schweden nördlich der Doggerbank vermisst und nicht wieder aufgefunden wurde. Der Versicherte ist vermutlich über Bord gestürzt und ertrunken.
Bis zu seinem tödlichen Unfall hatte der Versicherte, der zum damaligen Zeitpunkt nicht verheiratet war, seine Eltern finanziell unterstützt. Die Beklagte gewährte den Klägern aufgrund des Todes des Versicherten mit Bescheid vom 28. August 1981 eine Elternrente in Höhe von DM 515,70 monatlich. Dabei ging sie von einem monatlichen Arbeitsverdienst des Versicherten in Höhe von 1.719,-- DM (brutto) aus.
Die Elternrente wurde den Klägern durch Bescheid der Beklagten vom 27. September 1983 mit Wirkung zum 1. November 1983 entzogen. Die Beklagte stellte insbesondere darauf ab, dass der Versicherte nach der Lebenserfahrung mit Vollendung des 26. Lebensjahres eine eigene Familie gegründet hätte und demnach nicht mehr in der Lage gewesen wäre, neben dem Unterhalt für seine eigene Familie auch noch seine Eltern wesentlich zu unterhalten. Eine Unterhaltsverpflichtung des Sohnes habe demnach nicht mehr bestanden. Den von den Klägern eingelegten Widerspruch begründeten sie damit, dass die Familie des Versicherten bei ihnen gelebt hätte, wie es in der Türkei üblich sei, so dass der Versicherte in der Lage gewesen wäre, mit seinem Verdienst die gesamte Familie zu unterstützen. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 1984 wies die Beklagte den Widerspruch im Wesentlichen mit den Gründen des Ausgangsbescheides zurück.
Die von den Klägern am 13. April 1984 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobene Klage (Az.: 24 U 154/84) wurde abgewiesen.
Im Urteil vom 29. Mai 1985 wurde unter anderem ausgeführt, dass die Annahme, die Familie des Versicherten hätte bei den Klägern gewohnt, sehr unsicher sei und demnach nicht der Entscheidung zu Grunde gelegt werden könne. Vielmehr müsse zur Wahrung des Grundsatzes der Gleichbehandlung die gleiche Beurteilung wie bei einem Deutschen angestellt werden, so dass es nicht auf eine moralische Betrachtungsweise ankomme.
Mit Schreiben vom 9. März 2007 beantragten die Kläger bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Elternrente. Unter Vorlage von Bestätigungen der örtlichen Vertretung machten sie geltend, sie seien mangels eigenen Einkünften bedürftig und auf Unterhaltszahlungen ihrer Kinder angewiesen. Ihr verstorbener Sohn sei das einzige Kind, von dem sie unterhalten worden wären. Es sei auch gängige Praxis nach türkischem Recht, dass verheiratete Kinder ihre Eltern unterstützen, insbesondere wenn die Eltern erheblich erkrankt seien, wie es bei den Klägern der Fall sei.
Mit Bescheid vom 7. September 2007 lehnte die Beklagte eine erneute Gewährung der Elternrente ab, weil die erforderliche – fiktive - Unterhaltsverpflichtung des verstorbenen Sohnes mangels Leistungsfähigkeit nicht gegeben sei. Dieser hätte, wie das Sozialgericht bereits in seinem Urteil vom 29. Mai 1985 ausgeführt habe, vorrangig seine eigene Familie zu unterhalten gehabt und wäre darüber hinaus nicht mehr zu wesentlichen Unterhaltsleistungen seinen Eltern gegenüber in der Lage gewesen.
Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2007 mangels Vortrags an neuen Tatsachen als unbegründet zurück.
Mit ihrer am 6. November 2007 haben die Kläger Klage erhoben und verfolgen unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens ihr Begehren weiter.
Die Kläger beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern eine Elternrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf den Inhalt ihrer Verwaltungsakte und den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der Erörterung und Entscheidungsfindung der Kammer.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (vgl. § 124 Abs. 2 SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 7. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Elternrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Nach § 69 Abs. 1 SGB VII haben Verwandte der aufsteigenden Linie Anspruch auf eine Rente, wenn sie vom Verstorbenen zur Zeit seines Todes aus seinem Arbeitseinkommen wesentlich unterhalten worden sind oder ohne den Versicherungsfall wesentlich unterhalten worden wären.
Einem Anspruch auf Elternrente steht nicht entgegen, dass bereits einmal eine Rentenzahlung gewährt worden ist, die auf Grund einer hypothetischen Entwicklung wieder entzogen wurde. Denn ab einem bestimmten Zeitraum kann eine hypothetische Unterhaltspflicht nachträglich wieder entstehen, so dass eine Rente erneut zu gewähren sein kann (Hauck/Noftz SGB VII § 69 Rn 26).
Hierfür gelten dieselben Voraussetzungen wie bei einer ersten Elternrentengewährung. Neben der Unterhaltsbedürftigkeit der Eltern, die vorliegend nicht bestritten wird, muss eine fiktive Unterhaltsverpflichtung des Verstorbenen bestanden haben. Diese ist vorliegend nicht wahrscheinlich.
Die Beurteilung eines Unterhaltsanspruchs richtet sich nach türkischem Recht, wobei auch hier die Leistungsfähigkeit der Verpflichteten gegeben sein muss, so wie es das Sozialgericht Hamburg bereits im oben genannten Urteil vom 29. Mai 1985 ausgeführt hat. Deshalb ist bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit zu beachten, dass der Versicherte eine eigene Familie zu unterhalten gehabt hätte.
Nach Überzeugung des Gerichts hätte das hypothetisch erzielte Einkommen des Versicherten jedoch nicht ausgereicht, neben seiner eigenen Familie auch noch seine Eltern wesentlich zu unterstützen. Dabei schließt sich das Gericht der im vorangegangenen Urteil getroffenen Entscheidung an, dass der Versicherte als Decksmann (ungelernter Arbeiter auf dem Schiff) einer vergleichsweisen niedrigen Einkommensstufe angehörte. Auch wenn man mögliche Aufstiegschancen mit entsprechend höherem Einkommen berücksichtigt, würde der Versicherte zum heutigen Zeitpunkt sehr wahrscheinlich kein Einkommen erzielen, das es ihm ermöglichen würde, zusätzlich noch seine Eltern wesentlich zu unterstützen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Versicherte noch eigene Kinder mit eigenen Unterhaltsansprüchen hätte oder diese (fiktiven) Kinder bereits eigenes Einkommen erzielen würden. Vielmehr stellt das Gericht auf den Selbstbehalt und den angemessenen Unterhaltsanspruch des Ehegatten ab. Maßgeblich ist hierfür die Düsseldorfer Tabelle 2007 (vgl. www.olg-duesseldorf.nrw.de/service/ddorftab/ddorftab7/20070701ddorftab.pdf). Danach hätte der Versicherte einen angemessenen Selbstbehalt von mindestens monatlich 1.400,-- € und für den unterhaltsberechtigten Ehegatten mindestens 1.050,-- €. Der Versicherte hätte mithin ein Nettoeinkommen von über 2.450,-- € erzielen müssen, um seinen eigenen angemessenen Selbstbehalt den Klägern gegenüber sichern zu können. Als ungelernter Arbeiter auf einem Schiff ist dies jedoch nach Auffassung der Kammer mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.
Besondere Umstände des Einzelfalles, zum Beispiel, dass ein Versicherter sich noch in einem Studium befunden hatte und daher ggf. mit einen erheblich höherem Einkommen zu rechnen wäre, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Der Versicherte wäre auch nicht in der finanziellen Lage gewesen, die Kläger durch den fiktiv geleisteten Unterhalt wesentlich zu unterstützen. Eine Unterhaltsleistung ist als wesentlich anzusehen, wenn den Eltern durch diese Unterstützung eine einigermaßen auskömmliche Lebenshaltung ermöglicht worden wäre, d.h., wenn er die Unterhaltssituation entscheidend verbessert hätte (Bereiter-Hahn/Mehrtens § 69 Rn 6f). Für eine wesentliche Unterstützung hat die Rechtsprechung einen Anteil von einem Viertel ausreichen lassen (BSGE 21, 155).
In Anlehnung an den eigenen angemessenen Selbstbehalt des Versicherten in Höhe von 1.400,-- € kann in etwa auch in dieser Höhe von einem notwendigen Unterhalt der Kläger ausgegangen werden. Selbst unter Herabsetzung dieser Summe auf Grund der Lebensverhältnisse in der Türkei auf einen Betrag von 800,-- €, entspricht ein Viertel immerhin noch 200,-- €, um einen wesentlichen Unterhalt zu leisten. Da die Rente für beide Elternteile beantragt wurde, bedeutet dies, dass der Versicherte zusätzlich noch mindestens 400,-- € netto mehr hätte verdienen müssen. Ein solch hohes Netto-Einkommen aus der Tätigkeit als ungelernter Decksmann erscheint der Kammer jedoch eher als unwahrscheinlich. Bei dieser Berechnung ist ein möglicher – fiktiver - Unterhaltsanspruch eines Kindes des Versicherten noch gänzlich außer Acht gelassen worden. Bereits ohne eines solchen weiteren vorrangigen Unterhaltsanspruches wäre die Leistungsfähigkeit des Versicherten den Klägern gegenüber nicht gegeben.
Bei dieser Bewertung kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass der Versicherte möglicherweise freiwillig Leistungen an die Kläger erbracht hätte. Denn ein Anspruch auf Elternrente besteht grundsätzlich nur, wenn die Eltern einen tatsächlichen Unterhaltsanspruch gehabt hätten. Eine freiwillige Leistung durch den Versicherten begründet gerade keinen Rechtsanspruch. Für eine Elternrente hätte der Versicherte in der Lage sein müssen, ohne Gefährdung seines angemessenen Selbstbehaltes den Eltern den Unterhalt zu gewähren. Dies wäre ihm jedoch nicht möglich gewesen.
Die Kläger haben hinsichtlich der Gewährung einer Elternrente lediglich neue Erkenntnisse hinsichtlich ihrer eigene Hilfebedürftigkeit und damit ihrer Unterhaltsberechtigung bzw. Bedürftigkeit vorgetragen. Hingegen sind anderweitige Anhaltspunkte, die eine andere rechtliche Beurteilung bezüglich der Unterhaltsverpflichtung des Versicherten rechtfertigen würden, nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.