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Verfg Des Landes Brandenburg

Entscheidung vom 20.09.2013, Az.: 75/12

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen strafprozessuale Durchsuchungs- und Untersuchungsanordnungen des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) und die hierzu ergangenen Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts Frankfurt (Oder).

I.

Gegen den Beschwerdeführer wurde von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ein Ermittlungsverfahren u. a. wegen Beihilfe zum versuchten Mord geführt.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht Frankfurt (Oder) am 8. August 2012 gemäß §§ 102, 103 Strafprozessordnung (StPO) die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers und des Clubhauses des xx in C. an. Der Beschwerdeführer sei verdächtig, am Abend des 30. Dezember 2011 in K. als Teil einer Gruppe von mindestens 40 Mitgliedern der Rockergruppierung xx die Diskothek S. gegen den erkennbaren Willen des Einlasspersonals betreten zu haben. Dort hätten sie nach Mitgliedern der Rockergruppierung yy gesucht, die im Rahmen einer geplanten Straf- und Racheaktion angegriffen und getötet werden sollten. Ferner hätten Mitglieder der Gruppierung xx nach Verlassen der Diskothek den Geschädigten T. durch Messerstiche, Schläge und Tritte mit Tötungsvorsatz lebensgefährlich verletzt. Es bestehe der Verdacht, dass sich der Beschwerdeführer auch daran beteiligt habe. Er sei damit eines schweren Hausfriedensbruchs tatmehrheitlich mit einem Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall sowie der Beihilfe zum versuchten Mord und zur gefährlichen Körperverletzung verdächtig. Es sei zu vermuten, dass die Durchsuchungen zum Auffinden von Beweismitteln (Tatwerkzeuge und Waffen, bei der Tat getragene Kleidung - insbesondere Kutte -, Mobiltelefone und andere Datenträger, auf denen tatbezogene Kommunikation gespeichert sein könnte) führen werden. Mit weiterem Beschluss vom 8. August 2012 ordnete das Amtsgericht Frankfurt (Oder) zudem gemäß §§ 81a, 81e StPO zur vergleichenden Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters die molekulargenetische Untersuchung der dem Beschwerdeführer zu entnehmenden Körperzellen sowie des vorgefundenen Spurenmaterials an. Im Zusammenhang mit der Straftat sei Spurenmaterial (eine Zigarettenkippe mit verwertbaren DNA-Spuren) aufgefunden worden, welches von den Tätern stamme. Um festzustellen, ob es vom Beschwerdeführer herrühre, sei die angeordnete molekulargenetische Untersuchung notwendig.

Am 15. August 2012 legte der Beschwerdeführer gegen diese – zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogenen - Beschlüsse Beschwerde ein. Die Anordnungen seien rechtswidrig gewesen, weil es jeweils am erforderlichen Anfangsverdacht gefehlt habe. Das Amtsgerichts Frankfurt (Oder) half der Beschwerde mit Beschlüssen vom 27. August 2012 und 2. Oktober 2012 nicht ab und legte die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vor. Ein Anfangsverdacht hinsichtlich einer Beteiligung des Beschwerdeführers an der rechtswidrigen „Begehung“ der Diskothek S. und an der versuchten Ermordung des Geschädigten T. habe bestanden und bestehe weiterhin. Der Mitbeschuldigte G. habe bei seiner Vernehmung am 18. Juli 2012 den Beschwerdeführer auf einer Wahllichtbildvorlage als Präsident des xx C. wiedererkannt und angegeben, diesen bei dem Treffen in einem Industriegebiet unmittelbar vor dem Tatgeschehen gesehen zu haben. Dort habe sich die Personengruppe auf verschiedene Fahrzeuge verteilt und sei nach K. gefahren. In einer früheren Vernehmung habe der Mitbeschuldigte G. angegeben, dass sich alle Personen, die im Industriegebiet gewesen seien, auf etwa 20 Fahrzeuge aufgeteilt hätten. Angesichts dieser Angaben bestehe kein Anlass zur Annahme, dass der Beschwerdeführer im Industriegebiet zurückgeblieben sei. Es bestehe vielmehr der Anfangsverdacht, dass auch er sich am Tatgeschehen beteiligt habe. Da der Kreis derjenigen Personen, die auf den Geschädigten T. eingewirkt hätten, bislang nicht abschließend habe ermittelt werden können, bestehe bei sämtlichen möglichen Tatbeteiligten am Geschehen in der Diskothek die nicht fernliegende Möglichkeit, dass diese sich auch an der nachfolgenden versuchten Ermordung des Geschädigten T. beteiligt haben könnten.

Mit Beschlüssen vom 10. Oktober 2012, dem Beschwerdeführer zugegangen am 15. Oktober 2012, hat das Landgericht Frankfurt (Oder) die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. August 2012 als unbegründet verworfen und zur Begründung auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen.

II.

Mit der am 14. Dezember 2012 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer hinsichtlich der Durchsuchungsanordnungen die Verletzung des Art. 15 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg – LV – (Unverletzlichkeit der Wohnung), hinsichtlich der Anordnung nach §§ 81a, 81e StPO die Verletzung der Art. 7, 10 und 11 Abs. 1 Satz 1 LV (informationelle Selbstbestimmung) und des Art. 8 Abs. 1 LV (körperliche Unversehrtheit). Soweit es in den Beschlüssen heiße, ihm werde tatmehrheitlich auch ein schwerer Hausfriedensbruch zur Last gelegt, könne dies die gerichtlichen Anordnungen nicht rechtfertigen. Es sei nämlich weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich, welche Beweismittel in Bezug auf diesen Tatvorwurf im Rahmen der angegriffenen Maßnahmen hätten aufgefunden werden können. Diese hätten in Wirklichkeit allein der Aufklärung der zum Nachteil des Geschädigten T. begangenen Tat gedient. Weshalb insoweit ein Tatverdacht gegen ihn – den Beschwerdeführer - bestanden haben sollte, gehe aus den gerichtlichen Entscheidungen nicht hervor. Schon die Annahme, er habe sich überhaupt an den Geschehnissen in der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember 2011 beteiligt, sei nicht haltbar. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte hätten sich ausschließlich auf die Aussagen des Mitbeschuldigten G. gestützt. Dessen spärliche Angaben begründeten jedoch keinen Anfangsverdacht, der einen so schwerwiegenden Grundrechtseingriff wie eine Wohnungsdurchsuchung oder eine Anordnung nach §§ 81a, 81e StPO rechtfertigen könne. Sie gäben allenfalls einen Hinweis darauf, dass er - der Beschwerdeführer - in dem Industriegebiet gewesen sei. Daraus lasse sich aber nicht ableiten, dass er mit zur Diskothek gefahren sei und erst recht nicht, dass er sich an den Gewalttaten zum Nachteil des Geschädigten T. beteiligt habe.

B.

I.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache selbst aber keinen Erfolg. Die angegriffenen Anordnungen bleiben im Rahmen des nach der Landesverfassung Statthaften.

1. Die auf Grundlage der §§ 102, 103, 105 Abs. 1 StPO ergangene Anordnungen zur Durchsuchung der Wohnräume und des Clubhauses verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 15 Abs. 1 LV).

a. Eine Durchsuchung stellt ihrer Natur nach regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich durch Art. 15 Abs. 1 LV und Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Lebenssphäre des Betroffenen dar. Dementsprechend ist die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehalten (Art. 15 Abs. 2 LV; Art. 13 Abs. 2 GG). Dieser hat bei Erlass der Durchsuchungsanordnung im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren dafür Sorge zu tragen, dass der Grundrechtseingriff kontrollierbar bleibt. Der Schutz der Privatsphäre des Betroffenen darf nicht allein den ausführenden Beamten überlassen bleiben. Eine richterliche Durchsuchungsanordnung muss deshalb, soweit dies nach dem Stand der Ermittlungen möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich ist, durch tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs den äußeren Rahmen abstecken, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Zudem sind die zu suchenden Gegenstände so genau zu bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann (vgl. Beschluss vom 17. September 1998 – VfGBbg 22/98 – LVerfGE 9, 102, 109; zum Bundesrecht vgl. etwa BVerfGE 20, 162, 224; 42, 212, 219 f; 44, 353, 371).

b. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben tragen die angegriffenen Entscheidungen Rechnung. In den Durchsuchungsanordnungen des Amtsgerichts werden die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Straftaten im Einzelnen bezeichnet und der Tatvorwurf durch tatsächliche Angaben konkretisiert. Ferner wird das Beweismaterial, auf das die Durchsuchung gerichtet ist, in einer – am Stand des Verfahrens gemessen – ausreichenden Weise benannt. Die Aufzählung der zu erwartenden Beweismittel ist am Ermittlungsanlass orientiert und grenzt das Ausmaß des Eingriffs in angemessener Weise ein. Eine weitere Präzisierung der zu suchenden Gegenstände war zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnungen ersichtlich weder möglich noch sachgerecht.

c. Darüber hinaus unterliegen richterliche Durchsuchungsanordnungen nur in engen Grenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, sich nach Art einer übergeordneten Fachinstanz an die Stelle des Ermittlungsrichters zu setzen (vgl. Beschluss vom 25. September 2002 – VfGBbg 79/02 -, LKV 2003, 27). Dementsprechend unterliegt insbesondere die Annahme des Tatverdachts nicht der vollständigen Überprüfung des Verfassungsgerichts. Dieses greift nur dann ein, wenn die Feststellungen und Wertungen der Fachgerichte objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte beruhen (vgl. Beschluss vom 18. September 2009 – VfGBbg 13/08 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de; zum Bundesrecht vgl. etwa BVerfGE 18, 85, 92; 30, 173, 197; 95, 96, 128; Beschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 -, NJW 2004, 3171).

d. Hiervon ausgehend verstoßen die angegriffenen Entscheidungen nicht gegen Verfassungsrecht. Die Annahme eines Anfangsverdachts ist jedenfalls im Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 2. Oktober 2012 nachvollziehbar begründet worden (zur Zulässigkeit einer Ergänzung der Begründung des zugrunde liegenden Tatverdachts im Beschwerdeverfahren vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 2004, a. a. O.). Die vom Amtsgericht angeführten Angaben des Mitbeschuldigten G. stellen eine hinreichende Tatsachengrundlage dar, die das Amtsgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise gewürdigt hat. Der Mitbeschuldigte G. hatte angegeben, er habe den Beschwerdeführer gesehen, als sich Mitglieder der Gruppierung xx unmittelbar vor dem in Rede stehenden Tatgeschehen in einem Industriegebiet sammelten; von dort seien sie mit 20 PKW zur Diskothek S. in K. gefahren. Die Annahme des Amtsgerichts, dass damit zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Beteiligung des Beschwerdeführers an den Straftaten im Bereich der Diskothek S. bestehen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Schlussfolgerung des Amtsgerichts ist jedenfalls vertretbar, im Hinblick auf die herausgehobene Stellung des Beschwerdeführers innerhalb der nach dem damaligen Ermittlungsstand am Geschehen beteiligten Gruppierung xx C. – er bezeichnet sich in der Beschwerdeschrift selbst als deren „Präsident“ – möglicherweise sogar naheliegend.

Die Durchsuchungsanordnungen sind auch nicht unverhältnismäßig. Sie waren geeignet, beweiserhebliches Material zutage zu fördern und damit zur Klärung des Anfangsverdachts beizutragen. Zudem waren sie zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Taten erforderlich, da es kein milderes Mittel gab, durch das in gleich wirksamer Weise die in den betreffenden Räumen befindlichen Beweismittel gesichert werden konnten. Angesichts der Schwere der vorgeworfenen Taten – der Beschwerdeführer war u. a. der Beteiligung an einem Tötungsdelikt verdächtig – stand die mit den Durchsuchungen verbundene Grundrechtsbeeinträchtigung auch keineswegs außer Verhältnis zur Bedeutung der aufzuklärenden Straftaten.

2. Die auf Grundlage der §§ 81a, 81e StPO erfolgte richterliche Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung der dem Beschwerdeführer zu entnehmenden Körperzellen begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Wegen des für diese Maßnahme erforderlichen Tatverdachts (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 2. August 1996 – 2 BvR 1511/96 -, NJW 1996, 3071) kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Auch ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht festzustellen. Die angeordnete Maßnahme war geeignet und erforderlich, um zu ermitteln, ob die am Tatort aufgefundenen DNA-Spuren vom Beschwerdeführer stammen. Sie war schließlich auch angemessen. Zwar greift die molekulargenetische Untersuchung in das durch Art. 11 Abs. 1 LV geschützte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein (vgl. Beschluss vom 18. September 2009 – VfGBbg 13/08 -, a. a. O.). Die hier allein angeordnete Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters offenbart aber keine Persönlichkeitsmerkmale und berührt daher nicht den unantastbaren Kernbereich der Persönlichkeit (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 18. September 1995 – 2 BvR 103/92 -, NJW 1996, 771). Damit steht auch insoweit die Intensität des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu dem erheblichen Gewicht der Straftaten, deren Beteiligte ermittelt werden sollten. Dies gilt erst recht für die allenfalls geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, die mit der Entnahme von Körperzellen verbunden sein kann.

II.

Der Beschluss ist einstimmig ergangen. Er ist unanfechtbar.