Verwaltungsgericht Augsburg
Entscheidung vom 30.04.2010, Az.: Au 5 K 09.584
Tenor
I. Der Bescheid des Beklagten vom 16. April 2009 (Az. ...) wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin auf den Bauantrag vom 19. November 2008 hin die Baugenehmigung zur Anbringung einer unbeleuchteten Werbetafel auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... zu erteilen.
II. Die Beigeladene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beigeladene darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Werbeanlage.
1. Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der Außenwerbung. Ihr Geschäftsbetrieb besteht in der Errichtung von Werbeanlagen, welche sie an Werbungstreibende vermietet. Am 19. November 2008 beantragte die Klägerin die Baugenehmigung für eine Werbeanlage zur Fremdwerbung auf dem Grundstück Fl.-Nr. ... der Gemarkung ..., das unmittelbar an der ... Straße (Bundesstraße ...) gelegen ist. Bei der Werbeanlage handelt es sich im eine unbeleuchtete Werbetafel mit einer Größe von 2,90 Höhe und 3,90 Breite, die quer zur Fahrbahn an der Außenwand eines Gebäudes angebracht werden soll. Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 50 '... Ost' vom 28. Juni 1979, der für das Vorhabensgrundstück ein Mischgebiet festsetzt. § 11 des Bebauungsplanes (Werbeanlagen) lautet wie folgt: 'Werbeanlagen dürfen nur an der Stätte der Leistung angebracht werden.' Zusammen mit dem Bauantrag stellte die Klägerin einen Antrag auf Befreiung von dieser Festsetzung.
2. Die Stadt ... verweigerte das gemeindliche Einvernehmen für die erforderliche Befreiung und legte den Bauantrag an das Landratsamt ... vor. Mit Schreiben vom 26. Januar 2009 wies das Landratsamt ... die Stadt ... darauf hin, dass der generelle Ausschluss von Fremdwerbeanlage in Misch- oder Gewerbegebieten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoße und nichtig sei. Es forderte sie auf, nochmals über das Vorhaben zu entscheiden. Die Stadt ... teilte daraufhin mit, dass zwischenzeitlich eine Werbeanlagensatzung in Kraft gesetzt worden sei.
§ 3 der Satzung (Allgemeine Anforderungen und Beschränkungen für Werbeanlagen) lautet wie folgt:
'1. Werbeanlagen haben sich in Farbgestaltung, Materialwahl, Proportion und in der Anordnung am Gebäude der gegebenen Architektur unterzuordnen sowie dem Straßen- und Landschaftsbild anzupassen. […]
8. Die Ausdehnung einer Werbeanlage darf 3 m² nicht überschreiten, dies gilt nicht für Zone II (§ 4 Nr. 3). Alle an der Fassade angebrachten Werbeplakate dürfen höchstens 3 vom Hundert der gesamten Fläche dieser Fassade beanspruchen. […]'
§ 4 der Satzung lautet wie folgt:
'Innerhalb der Zone II - Altstadtbereich - sind gelten neben den Bestimmungen des § 3 folgende: […]
3. Die Ausdehnung einer Werbeanlage darf 2,25 m² nicht überschreiten. Alle an der Fassade angebrachten Werbeanlagen dürfen höchstens 2 vom Hundert der gesamten Fläche beanspruchen. […]'
3. Mit Bescheid vom 16. April 2009 (Az.: ...) versagte das Landratsamt ... nach Anhörung der Klägerin die Genehmigung. Zur Begründung wird ausgeführt, das Vorhaben widerspreche den Festsetzungen in § 11 des Bebauungsplanes '... Ost' sowie der Werbeanlagensatzung als örtlicher Bauvorschrift im Sinne Art. 81 Abs. 1 BayBO. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bzw. eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 3 S. 2 BayBO könne nicht erteilt werden, da die Stadt ... ihr erforderliches Einvernehmen versagt habe. Eine Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens scheide aus, da dem Landratsamt ... keine Normverwerfungskompetenz zustehe.
4. Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2009 erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg und beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Versagungsbescheides vom 16.4.2009, Az.: ..., zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zur Anbringung einer unbeleuchteten Werbetafel auf dem Grundstück ... Str. ..., Gem. ..., Flst. ... in ... nach Maßgabe der eingereichten Pläne zu erteilen.
Zur Begründung führte sie aus, das Vorhaben sei zu genehmigen, da es keinen öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspreche. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung verstoße das generelle Verbot von Werbeanlagen zum Zwecke der Fremdwerbung in einem Mischgebiet gegen Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und sei nichtig. Im Übrigen ergäben sich vor Ort keinerlei Besonderheiten, etwa ein besonders schützenswertes Ortsbild, die ein solches Verbot rechtfertigen würden.
5. Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
6. Mit Beschluss vom 30. November 2009 ist die Stadt ... als Trägerin der Planungshoheit zum Verfahren beigeladen worden. Sie beantragt,
die Klage abzuweisen.
7. Am 27. November 2009 hat das Gericht das streitgegenständliche Grundstück sowie die nähere Umgebung in Augenschein genommen.
8. Zur weiteren Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den der vorgelegten Behördenakten und der Niederschriften über den Augenscheinstermin und über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Der ablehnende Bescheid des Landratsamts ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
1. Bei dem Vorhaben der Klägerin handelt es sich um eine ortsfeste Anlage der Wirtschaftswerbung (Werbeanlagen) im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 BayBO, deren Errichtung nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig ist. Das Vorhaben ist insbesondere nicht gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 13 oder Abs. 2 Nr. 6 BayBO verfahrensfrei.
2. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung aus Art. 68 Abs. 1 BayBO, da dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Da es sich bei der Werbeanlage um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, ist die Genehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu erteilen (Art. 59 S. 1 BayBO). Das Pflichtprüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde beschränkt sich damit auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhaben (§§ 29 bis 38 BauGB), die Übereinstimmung mit den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1), beantragte Abweichungen (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3).
a) Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig. Der Anwendungsbereich der §§ 29 ff. BauGB ist eröffnet, denn es handelt sich bei der Werbeanlage um eine Anlage, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden ist und bodenrechtliche Relevanz besitzt. Auf welche Weise die Werbetafel mit dem Boden verbunden ist, ist unerheblich; auch eine mittelbare Verbindung durch Befestigung an einer Hauswand genügt (BVerwG vom 16.3.1995 Az. 4 C 3/94 NVwZ 1995, 899; NdsOVG vom 12.12.1986 Az. 6 A 112/85 BRS 46 Nr. 132).
Das Bauvorhaben widerspricht keinen rechtswirksamen Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplanes Nr. 50 '... Ost' vom 28. Juni 1979 (§§ 29, 30 Abs. 1 BauGB), der für den geplanten Anlagenstandort ein Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO ausweist.
aa) Dem Vorhaben steht insbesondere nicht die Festsetzung in § 11 des Bebauungsplanes entgegen, wonach nur solche Werbeanlagen erlaubt sind, die an der Stätte der Leistung angebracht werden. Dieses generelle Verbot von Werbeanlagen zu Fremdwerbezwecken ist rechtswidrig und nichtig. Es kommt somit nicht mehr darauf an, ob die Voraussetzungen für die beantragte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB vorliegen.
(1) Zwar folgt die Rechtswidrigkeit des Fremdwerbeverbotes nicht schon aus der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte. Freilich erklären diese den generellen Ausschluss von Anlagen zur Fremdwerbung in einem Mischgebiet für unzulässig, weil derartige Gebiete in gleichgewichtiger Weise dem Wohnen und der Unterbringung nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe dienen würden (vgl. etwa BVerwGE 40, 94; OVG NRW vom 29.1.1999 Az. 11 A 4952/97 BauR 2000, 92 Rn. 31).
Den Entscheidungen lagen insoweit jedoch Fremdwerbeverbote in örtlichen Bauvorschriften zugrunde, die auf Grundlage des § 9 Abs. 4 BauGB i. V. m. der jeweiligen landesrechtlichen Regelungen (vgl. Art. 81 BayBO) ergangen sind. Diese Rechtsprechung ist auf Werbeverbote durch bauplanungsrechtliche Festsetzungen, die zur Verfolgung besonderer städtebaulicher Gründe gerechtfertigt sein können, nicht ohne weiteres übertragbar (so auch VGH BW vom 16.4.2008 Az. 3 S 3005/06).
(2) Das generelle bauplanungsrechtliche Verbot von Anlagen zur Fremdwerbung als Festsetzung in einem Bebauungsplan ist vorliegend jedoch von keiner Ermächtigungsgrundlage gedeckt.
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ermöglicht i. V. m. § 1 Abs. 3 BauNVO, im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen u. a. die Art der baulichen Nutzung festzulegen. Eine solche Festsetzung ist grundsätzlich auch die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Werbeanlagen. Gleichwohl wäre es mit dem System des BauGB und der BauNVO nicht vereinbar, wenn die Gemeinde schon allein auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB Regelungen über die Zulässigkeit einzelner Anlagen treffen könnte. Denn damit würden die gebietsbezogenen Vorschriften der BauNVO und insbesondere die Gliederungsmöglichkeiten der § 1 Abs. 4 bis 9 BauNVO unterlaufen; insbesondere wären die übrigen Bestimmungen des § 9 Abs. 1 Nr. 2 bis 26 BauGB und der §§ 2 bis 14 Baunutzungsverordnung über die Art der baulichen Nutzung überflüssig. Ein als Blankettvorschrift verstandener § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB würde auch dem Gesetzesvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG nicht Genügte tun (vgl. BVerwG vom 15.8.1991 Az. 4 N 1/89 NVwZ 1992, 879, 881; VGH BW BRS 73 Nr. 140).
Die Art der baulichen Nutzung ist im Bebauungsplan vielmehr grundsätzlich durch die Ausweisung von Baugebieten festzusetzen (§ 1 Abs. 3 S. 1 BauNVO). Durch die Festsetzung werden die Vorschriften der §§ 2 bis 14 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplanes - und regeln damit im Grundsatz auch die zulässige Art der baulichen Nutzung -, es sei denn, § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO bestimmt etwas anderes (§ 1 Abs. 3 S. 2 BauNVO).
Daraus folgt, dass eine Werbeanlage für Fremdwerbezwecke als eigenständige gewerbliche Hauptnutzung (BVerwGE 91, 234 = NVwZ 1993, 983 [984]; BVerwG, NVwZ 1995, 899) zunächst einmal nur insoweit gestattet ist, als sie in dem jeweiligen Baugebiet nach § 1 Abs. 2 i. V. m. §§ 2 ff. BauNVO zulässig ist. Sie ist daher in einem reinen Wohngebiet ausnahmslos (§ 3 BauNVO) und in einem allgemeinen Wohngebiet regelmäßig ausgeschlossen (vgl. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO; hierzu OVG NRW vom 14.3.2006 Az. 10 A 4924/05 BRS 70 Nr. 139). In einem Mischgebiet, wie es für den verfahrensgegenständlichen Anlagenstandort durch den Bebauungsplan Nr. 50 '... Ost' vom 28.6.1979 ausgewiesen wird, ist Fremdwerbung als nicht störende gewerbliche Hauptnutzung hingegen nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO allgemein zulässig. Das Gericht ist bei der Einnahme des Augenscheins zu der Überzeugung gelangt, dass die nähere Umgebung des geplanten Anlagenstandortes auch heute noch der Eigenart eines Mischgebietes entspricht.
Das generelle Verbot von Anlagen für Fremdwerbung kann auch nicht auf § 1 Abs. 5 bzw. Abs. 9 BauNVO gestützt werden. Zwar intendiert § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO, der Satzungsgeberin Instrumente für eine differenziertere Gliederung der Baugebiete an die Hand zu geben, um gerade in Baugebieten, die von einer Gemengelage an Nutzungsmöglichkeiten gekennzeichnet sind, potentiellen Konflikten planerisch vorbeugen zu können.
So ermöglicht § 1 Abs. 5 BauNVO, bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2, 4 bis 9 und 13 BauNVO allgemein zulässig sind, durch Festsetzung im Bebauungsplan für lediglich ausnahmsweise oder überhaupt nicht zulässig zu erklären, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Die Regelung betrifft aber nur die in den Absätzen 2 der Baugebietsvorschriften genannten Arten von Nutzungen - also die in den Zulässigkeitsregeln der Baugebietsvorschriften genannten Nutzungsbegriffe (BVerwGE 77, 308 = NVwZ 1987, 1072 [1073]; hierzu auch Bielenberg/Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 1 BauNVO Rn. 65 [Stand: Februar 2004]). In einem Mischgebiet können nach § 1 Abs. 5 BauNVO demzufolge nur Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) oder sonstige Gewerbebetriebe (Nr. 4) als solche für ausnahmsweise zulässig oder unzulässig erklärt werden.
Eine bestimmte Art von baulichen Anlagen, die im jeweiligen Baugebiet allgemein zulässig ist, kann - gleichsam als Unterart einer Nutzung - hingegen nur unter den engeren Voraussetzungen des § 1 Abs. 9 i. V. m. Abs. 5 BauNVO für unzulässig erklärt werden, wenn hierfür besondere städtebauliche Gründe vorliegen (vgl. VGH BW BRS 73 Nr. 140 [Rn. 59]; Jäde, in: Jäde/Dirnberger/Weiß, 6. Aufl., § 1 BauNVO Rn. 50 ff.). Zwar stellen Werbeanlagen einen zulässigerweise gebildeten Anlagentyp im Sinne des § 1 Abs 9 BauNVO dar (vgl. VGH BW a. a. O. [Rn. 65]; BVerwGE 91, 234 [Rn. 26]), jedoch sind vorliegend keine besondere städtebaulichen Gründen gegeben.
Mit dem Erfordernis städtebaulicher Gründe macht § 1 Abs. 9 BauNVO Festsetzungen nicht notwendig von erschwerten Voraussetzungen abhängig. Vielmehr ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass es spezielle städtebauliche Gründe dafür gibt, die zulässigen Nutzungsarten gegenüber § 1 Abs. 5 BauNVO noch feiner auszudifferenzieren (BVerwGE 77, 317 [Leitsatz 3]). Dahinter steht letztlich der Gedanke, dass städtebauliche Gründe dafür vorliegen müssen, wenn der Planungsträger von den in den Baugebietsvorschriften typisiert festgelegten Zulässigkeitsregeln im Sinne des § 1 Abs. 5 BauNVO abweichen will und dies erst recht und in besonderem Maße zu verlangen ist, wenn auf Grundlage des § 1 Abs. 9 BauNVO - noch weiter von der Typisierung entfernt - sogar bestimmte Anlagenarten für zulässig oder unzulässig erklärt werden sollen (vgl. Bielenberg/Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 1 BauNVO Rn. 104 [Stand: Februar 2004]).
Ein hinreichender städtebaulicher Grund für ein Verbot von Fremdwerbeanlagen läge beispielsweise vor, wenn der Planungsträger ein umfassendes Sanierungskonzept umsetzen will, um städtebauliche Defizite auszugleichen und die Attraktivität als Wohngegend zu steigern. Gleiches gilt, wenn ein besonderes Ortsbild, historische Bausubstanz, oder ähnliches erhalten werden soll (vgl. auch VGH BW a. a. O. [Rn. 67 ff.]). Solche Umstände sind vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vor Ort durchgeführte Augenscheineinnahme hat ergeben, dass die nähere Umgebung des Bauvorhabens, für ein Mischgebiet typisch, von Ein- und Mehrfamilienhäusern zu Wohnzwecken sowie von gewerblich genutzten Gebäuden samt Anlagen zur Eigenwerbung und insbesondere von der viel befahrenen Bundesstraße ... geprägt wird. Das Gebiet weist weder eine schutzwürdige Bausubstanz noch ein besonders schützenswertes Ortsbild auf. Namentlich die historische Altstadt und das Schloss von ... oder die Sicht hierauf werden von dem Vorhaben nicht betroffen.
Davon abgesehen muss eine Gliederung nach § 1 Abs. 9 BauNVO - wie auch eine Festsetzung nach § 1 Abs. 5 BauNVO - die allgemeine Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets wahren. Der Ausschluss von Werbeanlagen für Fremdwerbezwecke als Unterart gewerblicher Nutzung führt für sich genommen aber noch nicht dazu, dass das Mischgebiet seine Prägung verliert und das grundsätzliche gleichberechtigte Nebeneinander von Wohnen und (wohngebietsverträglicher) gewerblicher Nutzung in Frage gestellt wird (siehe auch VGH BW a. a. O. [Rn. 79]).
bb) Ist demnach Festsetzung 11 des Bebauungsplanes '... Ost' rechtswidrig und nichtig, ist das Vorhaben im Übrigen bauplanungsrechtlich zulässig. Als sonstige gewerbliche Hauptnutzung ist eine Werbeanlage für Fremdwerbezwecke ihrer Art nach gem. § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. § 1 Abs. 3 S. 2, § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO allgemein zulässig. Die Werbeanlage ist auch nicht nach § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO im Einzelfall unzulässig, da sie nicht der Eigenart des auch gewerblich genutzten Baugebietes widerspricht. Schließlich werden auch die Anforderungen an das Maß der baulichen Nutzung bei der streitgegenständlichen Werbeanlage, die an der Fassade eines bestehenden Gebäudes angebracht werden soll, eingehalten. Im Gegenteil fügt sie sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Hierbei sind nicht nur die zwei weiteren großflächigen Werbetafeln zu berücksichtigen, die in der näheren Umgebung des geplanten Anlagestandortes vorhanden sind, sondern auch alle anderen vorhandenen Gebäude (vgl. BVerwG NVwZ 1995, 899, 900).
b) Dem Vorhaben steht auch keine örtliche Bauvorschrift im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO entgegen, die im vereinfachten Verfahren neben der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit grundsätzlich zu prüfen ist (Art. 59 S. 1 Nr. 1 Alt. 2 BayBO). Zwar verstößt das Vorhaben mit einer geplanten Gesamtfläche von 11,31 m² gegen § 3 Nr. 8 der Werbeanlagesatzung der Beigeladenen vom 20. Februar 2009, welche die zulässige Fläche von Werbeanlagen ungeachtet des jeweiligen Baugebietstypus auf 3 m² beschränkt. Insoweit verstößt die Werbeanlagensatzung aber gegen Art. 14 GG und ist nichtig.
aa) Die Rechtsgrundlage für die Werbeanlagensatzung findet sich in Art. 81 Abs. 1 BayBO. Wenngleich Werbeanlagen als gewerbliche Hauptnutzung grundsätzlich dem Bauplanungsrecht unterliegen, sind sie nach der gesetzgeberischen Zielsetzung daneben auch einer bauordnungsrechtlichen Regelung zugänglich (BVerwGE 40, 94 [96]; 91, 234 = NVwZ 1993, 983 [983]). Um eine Abgrenzung zum Bauplanungsrecht zu ermöglichen, wurden mit der BayBO-Novelle 2007 die Worte 'aus ortsgestalterischen Gründen' in Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO eingefügt (vgl. die Gesetzesbegründung, LT-Drs. 15/7161, S. 73; ferner Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 81 Rn. 127 [Stand: März 2009]).
Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO können die Gemeinden im eigenen Wirkungskreis durch örtliche Bauvorschriften die Errichtung von Werbeanlagen aus ortsgestalterischen Gründen verbieten. Diese Ermächtigungsgrundlage ist hinreichend bestimmt und auch mit der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie vereinbar. Als normgeprägtes Grundrecht überträgt Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dem Gesetzgeber die Aufgabe, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Er kann die Eigentumsordnung zwischen den beiden Polen der Einrichtungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG im Sinne einer grundsätzlichen Privatnützigkeit des Eigentums einerseits und seiner Sozialbindung gemäß Art. 14 Abs. 2 GG andererseits ausgestalten. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums wird in Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayBO im Grundsatz verfassungsrechtlich zulässig aktualisiert (vgl. BVerwG vom 22.2.1980 Az. IV C 44.76 NJW 1980, 2091).
bb) (1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstößt jedoch ein generelles Verbot der Werbung mit Großflächentafeln in Mischgebieten gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Zwar sei das baugestalterische Ziel, eine Beeinträchtigung des vorhandenen oder durch Planung erstrebten Charakters eines Baugebiets durch funktionswidrige Anlagen zu verhindern, ein 'beachtenswertes öffentliches Anliegen'. Ferner seien auch generalisierende Regelungen, welche die Zulässigkeit von Werbeanlagen von der Art des Baugebietes abhängig machen, vertretbar (so schon BVerwGE 21, 251 = NJW 1966, 69 [70]). Das generelle Verbot bestimmter Werbeanlagen in bestimmten Baugebieten müsse jedoch eine Entsprechung in einem Mindestmaß an Einheitlichkeit des Baugebietscharakters finden. An dieser notwendigen Einheitlichkeit fehle es in Mischgebiet naturgemäß, da sie durch eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungen (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 BauNVO), unter ihnen auch die gewerbliche Nutzung, geprägt würden (BVerwGE 40, 94; BVerwG NVwZ 1995, 899 [901]; ferner Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 81 Rn. 132 [Stand: März 2009]; Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 4. Aufl., A Rn. 628).
(2) Eine Einheitlichkeit des Baugebiets könne jedoch auch durch eine städtebaulich bedeutsame Prägung eines bestimmten Teilgebietes der Gemeinde bewirkt werden. Ein generelles Fremdwerbeverbot komme je nach den örtlichen Gegebenheiten zum Schutz bestimmter Bauten, Straßen, Plätze oder Ortsteile von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung sowie von Bau- oder Naturdenkmälern in Betracht (BVerwG NJW 1980, 2091 [2091 f.]; NVwZ 1995, 899 [901]). Das Verbot der Errichtung von Werbeanlagen auf der Grundlage einer örtlichen Bauvorschrift ist aber nur dort gerechtfertigt, wo ortsgestalterische Gründe ein entsprechendes Verbot erfordern. Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal ist letztlich ein Ausfluss des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes. Nur ein im konkreten Einzelfall schutzwürdiges und schutzbedürftiges Baugebiet rechtfertigt es, die grundrechtlich geschützten Interessen aus Art. 14 Abs. 1 GG (und auch Art. 12 Abs. 1 GG) hinter die Gemeinwohlinteressen zurücktreten zu lassen. Ein Verbot von Werbeanlagen für Fremdwerbezwecke, das für das gesamte Gemeindegebiet ausgesprochen wird, ist daher in der Regel unverhältnismäßig (BVerwGE 40, 94; BVerwG, NVwZ 1995, 899 [901]; VGH BW vom 29.04.1981 Az. 5 S 1909/80 BRS 38 Nr. 147). Im Übrigen müssen die baugestalterischen Gründe für eine Beschränkung der werbegewerblichen Nutzung umso gewichtiger sein, je stärker das entsprechende Gebiet gewerblich geprägt ist (vgl. Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 81 Rn. 138 ff. [Stand: März 2009]).
Ließe sich demnach ein Fremdwerbeverbote in der historischen Altstadt und im Bereich um das Schloss ... ohne weiteres rechtfertigen, sind ortsgestalterische Gründe für ein Werbeanlagenverbot in der Umgebung des geplanten Anlagenstandortes weder vorgetragen noch dem Gericht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt, liegt das geplante Bauvorhaben in einem auch gewerblich genutzten Mischgebiet. Die vorhandenen Ein- und Mehrfamilienhäuser sowie die gewerblich genutzten Gebäude weisen weder eine bautechnisch anspruchsvolle Gestaltung auf noch ist das Ortsbild als solches besonders schutzwürdig. In unmittelbarer Nähe zum geplanten Anlagestandort befindet sich ein Gewerbebetrieb mit Anlagen zur Eigenwerbung, in näherer Umgebung sind zudem bereits zwei großflächige Plakatwände vorhanden, hiervon eine mit einer Genehmigung zu Fremdwerbezwecken.
cc) Inwieweit die weiteren Vorschriften der Werbeanlagensatzung mit höherrangigem Recht vereinbar sind, kann dahingestellt bleiben. Aus Gründen der Prozessökonomie kann sich das erkennende Gericht bei der Inzidentprüfung der Satzung im Rahmen einer Verpflichtungsklage darauf beschränken, lediglich die Bestimmungen zu prüfen, auf die sich das Verbot der Werbeanlage stützt (vgl. auch BVerwG vom 1.4.1997 Az. 4 B 206/96 NVwZ 1997, 890 [892]).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 3 Hs. 2 i. V. m § 155 Abs. 4 VwGO. Hiernach können die Kosten einem Beteiligten insoweit auferlegt werden, als sie durch sein Verschulden entstanden sind. Für ein Verschulden im Sinne des § 155 Abs. 4 VwGO genügt es, wenn der Beteiligte das Ergebnis zu vertreten hat. Dies ist auch der Fall, wenn eine Gemeinde unberechtigt das gemäß § 36 BauGB erforderliche Einvernehmen verweigert; ihr sind die Kosten in diesem Fall auch dann aufzuerlegen, wenn sie keinen Antrag im Prozess gestellt hat (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 154 Rn. 8, § 155 Rn. 19). Vorliegend hat die Beigeladene im Vorfeld des Prozesses die Erteilung des Einvernehmens, das für eine Befreiung von der (unwirksamen) Festsetzung im Bebauungsplan (§ 31 Abs. 2 i. V. m. § 36 Abs. 1 BauGB) erforderlich war, bzw. eine Abweichung von der Werbeanlagensatzung nach Art. 63 Abs. 1 und 3 BayBO verweigert, obwohl sie von der zuständigen Bauaufsichtsbehörde mit Schreiben vom 26. Januar und 16. März 2009 über die Rechtswidrigkeit der entsprechenden Satzungen in Kenntnis gesetzt worden war.
III.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.